Читать книгу Trugbild der Schatten - Helmut Aigner - Страница 15
Kapitel 10
ОглавлениеSeit dem Beginn der Wanderung war dem thärdischen Soldaten mürrisch zumute. Wenn er als Unterstützung mitmusste, war der Ärger nicht fern, doch in diesem Fall stellte er fest, dass der Ärger längst gewütet hatte.
Der mittelalte Mann mit dem gestutzten Armeehaarschnitt drehte sich von links nach rechts, drahtige Muskeln traten unter seiner Rüstung hervor. Sein scharfer Blick erfasste geübt die Umgebung. Tregardis war in seiner vergangenen Jugend zu einem Späher heranzogen worden, die beste Vorbereitung für ein Leben in der Abgeschiedenheit, das er jetzt führte. Aber ein großer Teil in ihm sehnte sich nach den Tagen des Dienstes in der thärdischen Armee zurück.
Vor allem das Nichtstun kostete ihn viel Geduld, in einer Kriegshorde war man immer beschäftigt.
Er hatte sich genug umgesehen und ging zu seinem Pferd zurück, das geduldig an einem Hang stand. Der Braune daneben gehörte Venya, die jene Umgebung lieber sitzend aus der Höhe und aus einiger Entfernung überblickte. Ihr Begleiter schaute sie traurig an, sie kannte diesen Blick genau und deutete ihn richtig.
„Ihr habt einige Tote entdeckt, habe ich recht?“
„Sie liegen verstreut über die Böschung, Händler aus Courant und ihre angeworbenen Söldner um sie herum, aber nicht so viele, wie man erwarten sollte. Und was so verrückt ist, auch ein paar der Wilden hat es erwischt, manche von ihnen wurden von den Schwertern und Pfeilen der Soldaten kalt gemacht, andere sind vom magischen Feuer versengt worden. Es sind insgesamt vielleicht zehn, die der Schnitter holte.“
„Ein magischer Feuerangriff“, murmelte Venya, die Hexe. Dann hatte sie recht behalten, jemand hatte wirklich in der Nähe ihres Lagers Magie angewandt. Eine sehr alte und mächtige Art von Zauberkraft, die man heutzutage nicht mehr erwartete.
Sie hatte diese Ahnung gehabt, nein die Gewissheit verspürt, dass sich ein Magiewirker ihrem Wirkungskreis näherte. Eine starke Ausstrahlung hatte den Anwender begleitet. Sie konnte es nicht besser beschreiben, als würde man einen alten Wald voller großer Bäume mit Öl übergießen und anstecken. So kam es diesem Gefühl am nächsten. Jemand machte intensiv mit Magicka auf sich aufmerksam, und sie folgte der Spur von Rauch und Brand.
Aber sie waren zu spät eingetroffen.
Das dichte Gehölz, das sie umritten hatten, hatte zu viel kostbare Zeit beansprucht. Nun standen sie vor den Hinterlassenschaften des Überfalls und beide schauten sich ratlos an.
Nur Leichen und überall Anzeichen von Bewegungen, dennoch kein Magier in Sicht.
Graue Wolken zogen am Firmament auf, als sie aufbrechen wollten. Sie würden gute zwei Stunden brauchen, um ins Lager zurückzukehren. Und wenn Venya den Himmel so anstarrte, konnte sie schon das Unwetter vorherahnen, ohne ihre magischen Fähigkeiten in Anspruch zu nehmen. Ein riesiges eintöniges Tuch lag über dem Horizont. Die gedrückte schwere Luft verursachte ein Gewitter. Die letzten Wochen eines unerbittlich heißen Sommers waren angebrochen mit windigen, unruhigen Nächten, wie sie nur das Land im Norden kannte.
„Beschreibt mir genau, was ihr sehen konntet. Habt ihr Spuren eines Magieanwenders entdecken können, Fährten einer Frau vielleicht?“
In ihrer Frage schwang Hoffnung mit.
Tregardis verspürte den Drang, ihr zu sagen, sie möge doch gefälligst persönlich absteigen und nachschauen, verkniff es sich aber. Selbst mit gereizter Stimmung durfte er so nicht mit der Dorfvorsteherin sprechen.
„Nein, es gleicht einem kleineren Schlachtfeld, die Gestalten liegen übereinander verkeilt. Ich konnte nur die unterschiedlichen Gruppen ausmachen, die sich bekämpften. Wahrscheinlich sind auch einige der Händler geflohen. Die Spuren am Rand der Hügel sind zu undeutlich. Ich selbst glaube allerdings, dass es den Magier erwischt hat - durch sein eigenes Feuer oder die Schwerter der Feinde.
„Ihr habt unrecht, Hexerei hat hier gewirkt, zielsichere, wirkungsvolle Hexerei. Als wäre ein Magus aus den uralten Legenden zurückgekehrt - und dann ist er verschwunden.“
„Das ist unmöglich! Ihr wisst, wer die wenigen sind, die imstande sind, erfolgreich Sprüche zu wirken. Und von diesen war garantiert keiner dabei … die müssten nämlich noch leben.“
Ja, die Telenjin, Elfen, uralte dazu, nur sie konnten so etwas bewirken , dachte Venya und dieser Gedanke erschrak sie zutiefst.
Venya schaute ihren Leibwächter nicht einmal an, während sie sprach, den einzigen aus der Gruppe von unterschiedlichen Kriegern mit abweichendem Hintergrund, dem sie blind vertraute. Der Mann, der für die thärdische Armee so viele Schlachten geschlagen hatte, bis er feststellte, dass er das war, was er in einzelnen Aufträgen jagen und vernichten musste - ein Magusketzer, ein Zauberwirker, der wegen seines Fluches zu einem Aussätzigen abgestempelt wurde.
Venya schweifte mit ihrem Blick um die Hügellandschaft und mit Anstrengung machte sie einige der Angreifer aus, die wohl aus einem Hinterhalt heraus die Kaufleute angegriffen hatten und angesichts ihrer Dreistigkeit zuerst gestorben waren.
Sie erkannte Angehörige der Sweddar, einem Volk, das sich bewusst aus den Belangen der Kernländer heraushielt und damit überlebte, Reisende zu überfallen, Waren zu rauben und Lösegelder zu erpressen.
Barbaren hatte Tregardis bemerkt und die Hexe konnte ihm nur recht geben; es waren grobschlächtige, hochgewachsene Männer mit langen, ungepflegten Bärten, die bis zur Brust reichten und mit zotteligem, am Hinterkopf zusammengeflochtenem Haupthaar. Die Krieger des Stammes gingen mit Kampfbemalung an Gesicht, Armen und Beinen und mit kurzen Äxten bewaffnet auf ihre Feinde los.
Auch kleinere Gruppen, die nach spärlichen Vermögen aussahen, genügten ihnen, um Beute zu machen.
Überfälle der Sweddar waren ein übliches Problem zwischen den Frostbanninseln und Sturmfels. Nicht wenige aus der Gegend rund um Courant verdienten sich so ihr tägliches Brot damit. Entweder schlossen sie sich den Räuberbanden an oder sie folgten denen, die sie bekämpften. Die Moralvorstellungen der Menschen um Courant blieben Venya ewig ein Rätsel.
Obwohl sie eigentlich wusste, dass die Sweddar schlicht und einfach keine kannten.
„Wir können hier keinesfalls etwas bewirken, vielleicht lassen meine Kräfte auf meine alten Tage nach.“
„Was meint Ihr, wir suchen doch einen der unseren oder? Jemanden, der zur Gemeinschaft gehören soll. "
Der Thärde bekam keine Antwort und konnte es sich aussuchen.
Die wilden Tiere würden sich um die sterblichen Hüllen kümmern. Venya hatte recht, es gab nichts mehr zu tun.
Sie wollte gerade an den Zügeln ziehend ihrem Pferd ein Signal geben und den traurigen Ort verlassen, als Tregardis erschreckt seinen Kopf nach rechts zum Ort des Geschehens drehte. Die Hexe hatte zu schlechte Augen, um zu erkennen, was dort vor sich ging. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie auch zu viel Angst, um sehen zu wollen, was jenseits der Hügel geschah. Tregardis zog sein Schwert, eine alte, immer wieder auf das Genaueste nachgeschliffene, Klinge aus hochwertigem Stahl. Beide hörten ein Stöhnen, Leichname bewegten sich scheinbar von selbst. Bei genauerer Betrachtung erkannte man, dass ein anderer Körper sie beiseiteschob. Die Reittiere wurden nervös, sie witterten etwas, das auch Venya erahnte.
Dann ging alles sehr zügig. Die Hexe trabte in Richtung Hügel, geradewegs über mehrere Dornbüsche, umrundete eine Anhäufung der untergegangenen Ladung von Fässern und Kisten, zerborsten, von Karren in den Dreck geschleudert und in Büsche gefallen. Ihr Leibwächter ritt voran und sie spürte, dass er sich anspannte.
Und tatsächlich … vor ihm regte sich jemand. Die Hexe auf dem Pferd bekam davon nur Schemen mit.
„Was geht hier vor? Sagt, wer Ihr seid!“, hörte die Hexe nur von ihm, aber sie war immer noch zu weit entfernt, um zu erkennen, was vor sich ging. Diese verfluchten Augen! Alles, was sich eine Armlänge vor ihr befand, sah sie nur unscharf wie durch dickes Buntglas.
Jemand war aufgestanden, hatte unter einer Leiche gelegen. Also gab es wenigstens einen Überlebenden, der nicht geflohen war.
Sie, die junge Frau, schritt näher.
Jetzt sah sie die Gestalt vor sich: Sie trug weder das Wildleder der Räuber noch die Tracht der Kaufleute. Sie torkelte benommen und stöhnte leise wie von Sinnen.
„Ich bin gestürzt, beinahe erstickt und einem Fettwanst...“
Drohend hielt ihr der thärdische Exsoldat seine Klinge entgegen.
„Gebt Euch zu erkennen! Seid Ihr einer der Söldner?“, fragte Tregardis laut. Aber die Person sprach nicht mit ihm, wollte oder konnte es nicht. Geistig abwesend ging sie zielstrebig auf die Drude zu.
„Jetzt verhaltet Euch nicht dumm, Tregardis. Packt das Ding weg, von ihr geht keine Bedrohung aus.“
„Was sagt ihr?“
Der Leibwächter schaute die alte Frau entsetzt an, doch die Hexe schaute entschlossen zurück.
„Steckt die Klinge weg, es geht keine Gefahr von ihr aus. Gehorcht mir endlich, benutzt Euren Verstand.“
Aus alten Soldatentagen gewohnt Befehle zu befolgen, egal wie unvorsichtig sie klangen, schob er reflexartig das Schwert unter seinen Gürtel und musste fast nebensächlich feststellen, dass Venya recht hatte.
Die Frau war jung, blond, mit schulterlangem Haar, in einfacher Kleidung aus Schafwolle und umhüllt von einer abgewetzten Rüstung. Und vor allem war sie jetzt unbewaffnet, ihr Schildbrecher ruhte noch in einer Lederscheide an der Seite.
Sie stoppte erst vor dem Klepper der Hexe, packte eine Strähne der Mähne, um Halt zu gelangen, und glitt dann ohnmächtig an der Flanke herab. Sie verdrehte die Augen bis ins Weiße und lag mit verzehrten Gliedern im Gestrüpp, nun abermals bewusstlos. Neben ihr im Schutt der zerstreuten Ladung floss irgendein teures Getränk in den Erdboden. Tregardis schaute dem Rinnsal traurig hinterher. Wahrscheinlich ein guter Wein. Wäre die Lage nicht so ernst, hätte der Leibwächter darauf bestanden, vom Frachtgut das zu retten, was zu retten wert erschien, für den eigenen Gebrauch natürlich.
„Wie konntet Ihr sie übersehen?“
Die Hexe guckte ihren Begleiter an und wartete auf eine Erklärung.
„Sollte ich denn jede Leiche umdrehen“? Sie muss sich versteckt haben.
Abgestiegen untersuchte Venya die umgekippte Fremde und stellte fest, dass ihr oberflächlich nichts fehlte - keine Schnittwunden, keine äußeren Verletzungen. Dann schaute sie auf die Handflächen der jungen Frau und überprüfte sie bis zu den Fingerspitzen. Da waren sie! Wie sie es vermutete, kamen Brandwunden zum Vorschein. Sie, die man in Begleitung der Händlergilde angegriffen hatte, war eine Zauberwirkerin. Sie hatte sich zur Wehr gesetzt, im Tumult gezielt Magickablitze verschossen. Das erklärte jedenfalls die Verbrennungen der Sweddarkrieger. Es grenzte fast an Unmöglichkeit, dass sie dabei nicht selbst als Fackel gebrannt hatte.
„Packt sie aufs Pferd, verschwendet keine Zeit, wir müssen hier weg.“
Venya sprach schroffer als gewollt, den ehemaligen Hauptmann störte das wenig. Auch einen rüden Sprachstil war er aus alter Soldatenzeit gewöhnt. Im Kampf achteten Thärden kaum auf Höflichkeit und eine kultivierte Verständigung. Behutsam hob er die wehrlose Frau auf und stellte fest, dass sie leichter war als erwartet. Sie wog kaum mehr als das Bündel Kleidung, das sie trug. Ein Zeichen dafür, dass sie nicht in Luxus schwelgte, vor und während ihrer Reise, und nicht übermäßig viel zu beißen hatte in den letzten Wochen.
Er setzte sie vor sich auf den Sattel und folgte der Hexe im langsamen Trab. Ein dünner Regen begann zu fallen, welcher direkt durch den Reisemantel zog und für ein gehöriges Unwohlsein sorgte. Nicht mehr lange und ein Sturm würde losbrechen, der die schlichten Hütten der Bewohner, jener Runde von Ausgestoßenen, auf eine harte Probe stellen würde.
Sie konnten sich auf was gefasst machen, er dürfte zu Hause schon mal Hammer und Nägel bereithalten.
Sie folgten einem geschwungenen Pfad aus festgestampfter Erde, den Regenmassen aufweichten und teilweise wegspülten, als Tregardis das Flüstern der Soldatin vor ihm wahrnahm.
Er hörte nur leise gehauchte Wortfetzen. In ihrem Schlaf klang die Frau aus dem äußersten kaum zivilisierten Festland zutiefst verängstigt. Irgendetwas hatte ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Und nicht nur sein Gespür, sondern auch sein Sinn für Vernunft sagte ihm, dass sie noch mehr Probleme mit ihr bekommen sollten, als es ihnen guttat.
Hätte nie gedacht, dass ich sie auf so schreckliche Art und Weise finde. Ich weiß, dass sie's ist. Niemand anderes wäre in der Lage, diesen Überfall zu überleben , dachte die Hexe und ritt ihrem Leibwächter folgend nach.