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3.3 Gundacker von Judenburg, Christi HortGundacker von JudenburgChristi Hort 3.3.1 Entstehungsumfeld und Textgrundlage

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Für das heutige Wissen über Gundacker von Judenburg und sein Werk ist Cod. 15225 der Österreichischen NationalbibliothekWienÖNBCod. 152251MagdalenenklageFreidankBescheidenheit von unschätzbarer Bedeutung: Diese Handschrift überliefert als einzige einen Text nahezu vollständig, in dem sich ein Gundacker von Judenburg als Verfasser nennt.2 Überschrieben ist der Text dort mit daz puͦch haizt Christz hort,3 woraus der moderne Titel Christi Hort abgeleitet ist.4 Ob diese Überschrift und die Zwischenüberschriften innerhalb des Werks auf den Verfasser oder auf eine spätere redaktionelle Bearbeitung zurückgehen, ist unklar.5Magdalenenklage

Hinsichtlich der Datierung des Werks liefert die Handschrift einen terminus ante quem. Für sie wurde eine Entstehungszeit um 1300 diskutiert. Aufgrund paläographischer Kriterien ist aber zuletzt vermutet worden, dass der Text der Handschrift im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts eingetragen wurde.6 Weiteren Aufschluss über die Datierung des Werks können Überlieferungszeugen der PassionskompilationPassionskompilation geben, für die Christi Hort eine maßgebliche Grundlage gebildet hat.7 Das Wiener Fragment wird in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert,8WienÖNBCod. Ser. nova 4818 das Budapester Fragment in dessen erstes Viertel; jedoch ist dafür – wie für Cod. 15225 – auch eine Entstehungszeit um 1300 erwogen worden.9BudapestSzéchényi-Nationalbibl.Cod. Germ. 54 Die zeitnahe Rezeption bestätigt das auf der Basis von Cod. 15225 angenommene Zeitfenster.10Pilatus-Veronika-Legende(Klosterneuburger) Evangelienwerk Kurt Stübinger (1922) glaubte, aufgrund sprachlicher Kriterien die Entstehungszeit von Christi Hort auf 1290–1300 eingrenzen zu können.11 Auch bei einer weniger zuversichtlichen Deutung des Befundes lässt sich eine Datierung gegen Ende des 13. Jahrhunderts sichern, und zwar aufgrund literarhistorischer Kriterien: Neben der Benutzung von Diu urstende12 ist in Christi Hort eine intensive Rezeption von Mai und BeaflorMai und Beaflor erkennbar.13Mai und Beaflor Aus der Rezeption des Frauendienst Ulrichs von LiechtensteinUlrich von LiechtensteinFrauendienst in Mai und BeaflorMai und Beaflor ist wiederum zu erschließen, dass dieses Werk nach der Mitte des 13. Jahrhunderts geschrieben worden ist.14Ulrich von LiechtensteinFrauendienst Die Kombination aller Indizien lässt eine Entstehung von Christi Hort gegen Ende des 13. Jahrhunderts am plausibelsten erscheinen; möglich wäre auch ein Zeitansatz „um 1300“.15

Dass der Verfasser von Christi Hort nach eigenen Angaben aus Judenburg stammt, hat dazu geführt, dass man das Werk (wie Mai und Beaflor)16Grazer Marienleben in der Steiermark verortet hat.17 Zwar können solche Herkunftsangaben irreführend sein – man denke nur an Hawich ,den Kölner‘, der vermutlich in Passau gewirkt hat18 –, aber im Falle von Christi Hort ist über die Reimsprache19 und die Überlieferung zumindest der bayerisch-österreichische Raum wahrscheinlich zu machen: Neben der bairisch-österreichischen Schreibsprache des Cod. 1522520 sind hier wiederum die Fragmente der PassionskompilationPassionskompilation als frühe Rezeptionszeugen von Bedeutung, deren Schreibsprache ebenfalls als bairisch-österreichisch bestimmt worden ist.21

So zentral Cod. 15225WienÖNBCod. 15225 als Überlieferungsträger auch ist, man hat bei der Verlässlichkeit der Überlieferung von Christi Hort Einschränkungen zu machen, denn der Text weist offensichtliche Fehler und Lücken auf.22 Doch beruht J. Jaksches Edition (1910) allein auf dieser Wiener Handschrift. Der textkritische Wert, den die Fragmente der Passionskompilation und die auf die Passionskompilation zurückgreifenden Texte einiger Handschriften der Weltchronik Heinrichs von MünchenHeinrich von MünchenWeltchronikSentlinger-Redaktion haben, ist zwar erkannt,23WienÖNBCod. Ser. nova 4818 die Überlieferungszeugen sind jedoch noch nicht systematisch ausgewertet worden.24Heinrich von MünchenWeltchronikSentlinger-RedaktionMünchenBSBCgm 7330 (Cim 314) [H9, M3, Ms] Das könnte nur in einer Neuedition angemessen geschehen; im Folgenden wird jedoch die Parallelüberlieferung punktuell mit einbezogen, um einzelne Lesarten zu sichern.25Heinrich von MünchenWeltchronik

Für die Interpretation von Christi Hort ist die Frage nach der Werkeinheit von höchster Relevanz. Sie wird kontrovers diskutiert, seit Anton E. Schönbach (1876) andeutete, die heterogenen Teile der Dichtung könnten zu unterschiedlichen Zeiten verfasst sein.26Pilatus-Veronika-Legende Verknüpft mit der Frage nach der Einheitlichkeit des Werks ist die der Autorschaft; so schreibt Christoph Huber (2009):

Es ist fraglich, ob die verschiedenen Abschnitte alle von einem Verfasser stammen u. G. nur Einzelteile (sicher 2.) bzw. die Endredaktion des Ganzen, das als überlieferte Einheit interpretiert werden muss, zuzuschreiben sind.27

Huber ist insofern zuzustimmen, als für die Interpretation des Handschriftentextes dessen Genese letztlich zu vernachlässigen ist. Aber auch der Nachweis, dass die Textteile überhaupt als ,Einheit‘ zu interpretieren sind, muss erst erbracht werden, vor allem wenn, wie es im Folgenden für die Rechtsthematik geschieht, sinnstiftende Bezüge zwischen den Teilen geltend gemacht werden. Deshalb sei hier ausgehend vom Aufbau die Werkeinheit diskutiert.28

Christi Hort beginnt mit einer Einführung in den Zusammenhang der Heilsgeschichte (vv. 1–170): Nachdem von der Schöpfung und vom Sündenfall erzählt worden ist (vv. 1–136), werden die Auswirkungen auf die Menschheit skizziert (vv. 137–157) und das Motiv des Erlösungsrats29Altes TestamentPs84[85],11 anzitiert, indem gesagt wird, dass die minne Gott zur Inkarnation gebracht habe (vv. 158–170).30 Auf diese Exposition folgt ein Gebetsprolog (vv. 171–250), in dem der Verfasser in einer Bescheidenheitsformel seinen Namen nennt31 und Gott bittet, ihm genügend sin zu verleihen, um ihn zu loben. Daran schließt sich eine Folge von mit ich man dich eingeleiteten gebetsartigen Kleinabschnitten an (vv. 251–1304), in denen – in direkter Anrede Jesu – dessen Leben bis zum Verrat des Judas in Erinnerung gerufen wird.32 Mit v. 1305 wird eine kurze Textpassage (vv. 1305–1326) eingeleitet, die eine Prologfunktion für den anschließenden narrativen Textteil über die Passion erfüllt.33 Erneut beklagt der Verfasser seine Unfähigkeit und betont die Notwendigkeit göttlichen Beistandes, damit er ein Gott ehrendes Werk vollbringen könne. Die Erzählung über die Passion Jesu und die Ereignisse nach seiner Auferstehung (vv. 1327–5294) verlagert ihren Schwerpunkt in v. 4045 auf Pilatus: Es folgt die Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende. Vorangegangen war ein Abschnitt über die Sieben Vorzeichen der Zerstörung Jerusalems (vv. 3943–4044), der sich im Duktus deutlich von den narrativen Partien unterscheidet, aber darin eingebettet ist.

Manche der Einschnitte sind damit in Verbindung zu bringen, dass unterschiedliche Vorlagentexte verwendet worden sind. So ist die Hauptquelle für die in v. 1327 beginnende Erzählung von Passion und Auferstehung einschließlich des Geschehens um Joseph von Arimathia und die Simeonsöhne eine Version des Nikodemusevangeliums, die der Rezension Lateinisch ANikodemusevangeliumRezension Lateinisch A zuzuordnen ist.34GießenUniversitätsbibl.Cod. 777 Die folgenden Verse lassen sich als Kurzfassungen von Addenda zum Nikodemusevangelium verstehen, der Epistola Pilati ad ClaudiumEpistola Pilati ad Claudium (vv. 3903–3905),35 dem Somnium NeronisSomnium Neronis (vv. 3906–3942) und den Signa in eversione IherusalemSigna in eversione Iherusalem (vv. 3943–4044).36Somnium Neronis Die Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende in Christi Hort (vv. 4045–5294) beruht auf der sogenannten Historia apocrypha der Legenda aureaHistoria apocrypha der Legenda aurea.37Historia apocrypha der Legenda aureaJacobus a (de) VoragineLegenda aureaPilatus-Veronika-LegendeJacobus a (de) VoragineLegenda aureacap. 53,231–235MünchenBSBClm 23390 [M<sub>1</sub>]GrazUniversitätsbibl.Ms. 1314 [früher 37/45–4º] [Gr] Einige inhaltliche Widersprüche, die den politischen Kontext der Handlung betreffen, wurden nicht getilgt: So schickt Pilatus die Aufzeichnungen von Karicius und LeuciusSchriftlichkeitFixierung von Zeugenaussagen an ,König Claudius‘ in Rom (vv. 3903–3905); im Rahmen des Textabschnitts zur Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende ist es dann aber ,Kaiser Tiberius‘, der in Rom herrscht (v. 4365).38Chronistik Andererseits sind am Ende des Nikodemusevangelium-Teils deutliche redaktionelle Bemühungen zu erkennen, indem durch das Weiterreichen der prieve von Karicius und Leucius eine Verbindung von Pilatus über Claudius zu Nero geschaffen worden ist, wobei dessen Position im Unbestimmten gelassen wird (vv. 3885–3908).39 Indem Nero das ihm im Traum übermittelte Rachebegehren Jesu an Vespasian weiterleitet und dieser die Rache an ,den Juden‘ für 40 Jahre später ankündigt (vv. 3909–3942), erscheinen die ‚Signa‘ als Zwischenzeitphänomene (vv. 3943–4044). Erst beim Übergang zur Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende ist auch ein inhaltlicher Einschnitt deutlich markiert.40 Die Unterschiede im Umgang mit den Quellen könnten mit dadurch bedingt sein, welche Quellentexte in der Vorlagenhandschrift dem Verfasser als Einheit zusammengehörig erschienen;41Cura sanitatis TiberiiPilatus-Veronika-Legende für die Gliederung von Christi Hort sollten jedoch auf jeden Fall die im deutschen Text selbst markierten Abschnitte ausschlaggebend sein.42

Wenn man sich für die Gliederung am Wechsel der Sprechhaltung bzw. an explizit markierten Einschnitten orientiert, ist damit noch nicht das Problem gelöst, welche Textteile als zusammenhängend zu betrachten sind. Die Vorschläge für eine Gliederung von Christi Hort in größere Abschnitte reichen von einer Zweiteilung (vv. 1–1304; 1305–5294)43 über eine Dreiteilung in verschiedenen Varianten bis hin zu einer Vierteilung, bei der Exposition (vv. 1–170) und ein Gebetsteil (vv. 171–1304) voneinander abgesetzt werden sowie zusätzlich ein Einschnitt vor der Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende gemacht wird.44 Bei einer Dreiteilung wird entweder der Abschnitt bis v. 1304 als eine Einheit gesehen und ein weiterer Neuansatz zu Beginn der Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende angenommen (v. 4045) oder der Abschnitt ab v. 1305 wird als Einheit betrachtet, dafür wird die Exposition (vv. 1–170) von einem als Einheit zusammengezogenen Gebetsteil (vv. 171–1304) abgegrenzt.45

Selbst der von allen Interpreten übereinstimmend markierte Einschnitt in v. 1305 ist allerdings weniger eindeutig als allgemein suggeriert: Mit der Ankündigung, zuerst von der Passion erzählen zu wollen (vv. 1305–1308), und der Quellenangabe dafür (vv. 1309–1313) weist diese prologartige Passage zwar auf die Erzählung ab v. 1327 voraus, und eine separate Überlieferung des ,zweiten Hauptteils‘ mit vv. 1305–1326 als Prolog scheint durchaus vorstellbar,46Passionskompilation aber die Passage bezieht sich auch auf vorhergehende Textteile zurück: Zum einen wird die Du-Anrede Jesu aus den vorhergehenden Gebeten (in veränderter Form) weitergeführt (v. 1307), zum anderen wird mit der Sorge, ob die eigenen Fähigkeiten der materie (v. 1317) gerecht werden können, neben der Bescheidenheitstopik ein Gedanke aus dem Gebetsprolog (vv. 171–250) aufgenommen, in dem die Anforderungen, die vom ,tiefgründigen Stoff‘ (tıͤffer materi, v. 197) gestellt werden, erläutert worden waren (vv. 197–209).47 Auch die spot-Problematik (vgl. v. 1326) war dort ausführlicher diskutiert worden (vv. 179–226).48Thomasin von ZerklæreDer welsche GastJans von Wien (Jans Enikel)Weltchronik Gemeinsam ist beiden Textabschnitten außerdem die topische Bitte um göttlichen Beistand, die den gesamten Gebetsprolog prägt und in vv. 1320–1326 indirekt ausgedrückt ist, und der Wunsch, dass das Dichten Gottes Ansehen angemessen sein möge bzw. ihn ehre (vv. 249f.; 1325). Es ist nicht auszuschließen, dass vv. 1305–1325 nach dem Modell des Gebetsprologs von einer anderen Person verfasst worden sind, aber die Verse lassen sich auch als Fortsetzung des Gebetsprologs lesen. In der Handschrift haben die Verse eine eigene Überschrift bekommen (hie sagt Nichodemus wie Got wart gemartert), sind aber wie einige der vorhergehenden manunge mit amen abgeschlossen (nach v. 1326), und dann folgt die Überschrift diu materie hebt sih an.49 Offenbar sind die Verse als Übergangspassage aufgefasst worden.

Wenn die vv. 1305–1326 als Wiederaufnahme des Gebetsprologs zu verstehen wären, wäre dieser nicht allein auf die anschließenden Abschnitte in Gebetsform (vv. 251–1304) zu beziehen, sondern auf das gesamte Werk. Auf jeden Fall gilt das für den Anfangsabschnitt (vv. 1–170), da der dort skizzierte heilsgeschichtliche Rahmen von Fall und Erlösung durch die Menschwerdung Gottes bis v. 1304 nicht eingelöst ist. Vermutet worden ist, dass der Gebetsteil ein Torso sei50 oder dass vv. 1–170 später hinzugefügt seien.51 Notwendig erscheinen solche Annahmen nicht; warum sollte ein Gebetsprolog nicht nachgestellt sein, zumal als Überleitung zu weiteren Abschnitten in Gebetsform?52

Zwar unterscheidet sich der Schöpfungseingang bei Gundacker typologisch deutlich vom häufiger belegten Schöpfungspreis,53 aber strukturell könnte ein Schöpfungspreis zu Beginn mit nachgeschobenen Überlegungen zum Dichten durchaus Modell gestanden haben.54Wiener GenesisVorauer GenesisDas Anegenge Dann könnte man sogar vv. 1–170 und 171–250 zu einem (zweigeteilten) Werkeingang zusammenziehen,55 und die vv. 1–1326 könnten dann als lange Werkeinleitung mit eingeschobenem Gebetsteil angesehen werden. Letztlich sind weitere Gliederungsvorschläge müßig, weil sie immer von den jeweils angelegten Kriterien abhängig sind, aber dass unterschiedliche Einteilungen überhaupt möglich sind, deutet auf eine Vernetzung der einzelnen Teile hin.

Für die Zusammengehörigkeit des Werkeingangs (vv. 1–170) und des Gebetsteils (vv. 251–1304) sind bereits überzeugende inhaltliche Argumente vorgebracht worden, und zwar wird das MotivHeilsgeschichte und Recht, dass das Wirken der Minne Gott zur Erlösung ,gezwungen‘ habe (vv. 158–170), in der ersten manunge wieder aufgenommen (vv. 251–268; 324–326).56 Nicht nur bei der Inkarnation heißt es, dass sie von der minne gebot geschieht bzw. von der minne unt von Got (v. 269), sondern diese Erklärung begegnet auch in dem auf dem Nikodemusevangelium basierenden Textteil in Bezug auf die Passion.57 Das Motiv, dass der Umgang mit dem heiligen Stoff ohne spot erfolgen soll (vv. 207–209; 2037), verbindet wiederum den Gebetsprolog mit dem auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Textteil. Aus diesem Abschnitt ist in die Anfangspassage der Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende (vv. 4093–4097) das spezifische Motiv aufgenommen, dass die Frau des Pilatus ihn davor gewarnt hat, über Jesus Gericht zu halten (vv. 1570–1576).58Historia apocrypha der Legenda aurea

Aus solchen inhaltlichen Vernetzungen lässt sich zwar nicht zwingend schließen, dass die Textteile gemeinsam konzipiert sein müssten, aber es sind so intensive redaktionelle Aktivitäten vorauszusetzen, dass eine Werkeinheit gesichert ist, vor allem wenn man die Ergebnisse der Untersuchungen zu Sprachgebrauch und Stil mit einbezieht: Kurt Stübinger (1922) konnte bei seiner Analyse der Reimtechnik und der Reimgrammatik keine Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen ausmachen, die auf unterschiedliche Verfasser schließen ließen.59 In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis hat Werner Fechter (1974) einen durchgehenden Rückgriff auf Mai und BeaflorMai und Beaflor festgestellt; die zu konstatierenden Schwankungen seien darauf zurückzuführen, dass bei bestimmten Motiven (Schiffsreise, höfisches Empfangszeremoniell) die Dichte der Bezüge zunehme.60Mai und Beaflor

Unterstützend lässt sich für die Werkeinheit anführen, dass in unterschiedlichen Werkteilen die rede thematisiert wird: Zum ersten Mal ist eine selbstreflexive Bemerkung in den narrativen Teil der manunge über die Heilungswunder Jesu (vv. 983–1012) eingeschoben.61 Nach Ausführungen des Erzählers zum Verhältnis von Pilatus und Herodes zu Beginn des auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Textteils (vv. 1327–1366) heißt es dann: nu leg wir die rede nider / unt grîffen an die materi wider (vv. 1367f.).62Mai und Beaflor Hier deutet sich eine Differenzierung zwischen rede als etwas Erläuterndem mit moraldidaktischer Komponente und materi als dem Erzählgegenstand an. Mit entsprechender Nuancierung wird rede in vv. 2583f. nach einer Auslassung des Erzählers über unrecht erworbenes Gut verwendet.63 Schließlich wird in vv. 4045f. die bisherige rede von dem nun Folgenden abgesetzt.64Pilatus-Veronika-Legende Zwar ist die Semantisierung von rede (als etwas Erläuterndem) nicht einheitlich, aber es ist bemerkenswert, dass sich selbstreflexive Bemerkungen überhaupt in verschiedenen Werkteilen finden, insbesondere in dem Gebetsteil, der sich an einer „rituellen Vollzugsform“ orientiert.65

Als Begründung dafür, dass nicht alle Wunder Jesu erzählt werden, wird neben einer dann zu großen Länge der rede angegeben, dass der sin des Sprecher-Ich zu schwach sei, um die ‚Zeichen‘ den leuten erklären zu können (vv. 1000–1002); deswegen müsse es sich mit seiner rede beschränken (unt mich der rede mazen, v. 1004). An dieser Stelle wird der Adressatenbezug der manunge explizit.66 Die auf die Du-Erzählungen vom Leben Jesu jeweils vorgebrachten Bitten gewinnen trotz der Ich-Form67 stellvertretenden Charakter.68Wolfram von EschenbachWillehalm Die Betonung der eigenen Sündenhaftigkeit und Bußfertigkeit lädt den Rezipienten dazu ein, über die Gefährdung der eigenen Seele nachzudenken.69 Der Bezug auf die eigene Lebensführung ist ebenfalls ein Charakteristikum, das alle Werkteile durchzieht, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Am deutlichsten ist er im Gebetsteil, aber bereits in die Schöpfungserzählung ist eine Sentenz eingeschoben, die eine Übertragbarkeit der Eheschließung zwischen Adam und Eva auf das eigene Leben möglich macht.70 In dem auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Textteil schließt sich an die Ausführungen zu Feindschaft und Versöhnung von Herodes und Pilatus eine ausdrückliche Lehre an, dass, wer heute noch verfeindet sei, böser sei als die beiden, die sich dadurch, dass sie Jesus zu dem anderen schickten, versöhnten (vv. 1360–1366).71 Anlässlich der Bestechung der Wächter setzt der Erzähler dann zu einer Art Predigt über unrecht erworbenes Gut an (vv. 2568–2582). Die Pilatus-Veronika-LegendePilatus-Veronika-Legende ist weitgehend frei von moraldidaktischen Passagen, aber zum Schluss folgt ein Gebet, das ein wir in Bezug zu Pilatus setzt, sodass der Adressatenbezug in allen Textteilen zumindest punktuell explizit gemacht wird:

Got muz uns da vor bewaren

daz wir die sele icht senchen sus

als der valant Pilatus. amen. (vv. 5292–5294)

In der Wiener Handschrift schließt sich das Freidank-GebetFreidankBescheidenheit an, das inhaltlich hervorragend zu den vorherigen Stellen mit moraldidaktischem Anwendungsbezug passt.72Magdalenenklage Auf wen diese Kompilation zurückgeht, lässt sich nicht mehr entscheiden;73 auf jeden Fall zeigt die Anschlussfähigkeit des Freidank-Gebetes, dass Kohärenz auch nachträglich hergestellt werden kann. Es sind jedoch konzeptionelle Unterschiede zum vorhergehenden Text erkennbar: So beruft sich das betende Ich bei Freidank auf Gottes triwe (v. 5300) und genade (v. 5317), nicht auf dessen minne. Daher werden die hier vorgebrachten Überlegungen zur Werkeinheit durch eine derartige Kohärenz auf allgemeinerer Ebene nicht gegenstandslos.

Die Summe der Indizien spricht dafür, Christi Hort einem einzigen Verfasser zuzuschreiben, der im Folgenden mit ,Gundacker‘ bezeichnet sei.74 Zu klären bleibt die Funktion der Zusammenstellung heterogener Textabschnitte. Bereits Betty C. Bushey (1988) hatte darauf hingewiesen, dass der Gebetsteil zeitlich in einer Reihe von Werken der Erbauungsliteratur steht, die den Rezipienten zur Andacht anleiten wollen, wie zum Beispiel die Meditationes vitae ChristiMeditationes vitae Christi.75 Dass andaht nicht nur performativ (im Gebetsteil), sondern auch narrativ (ab v. 1305) inszeniert wird, hat Bruno Quast (2009) überzeugend herausgearbeitet.76

Unabhängig von Bushey hatte auch Ulrich Wyss (1986) die Modernität des Werks in seiner Gesamtheit betont, das eine Reaktion darauf darstelle, dass sich manche religiösen Erfahrungen episch nicht ausdrücken ließen.77 Da „kein entschiedener ästhetischer Wille am Werk“ gewesen sei, hätten sich „in dem Text, wie in einem Brennspiegel, die diskursiven Möglichkeiten der Epoche“ gesammelt.78 Wyss sieht in der Pluralität der Darstellungsmittel ein „Stilisationsprinzip“ und bezieht die Aussageformen auf die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Textteile:

Die Vorgeschichte hat das Problem der Erbsünde so prägnant wie möglich exponiert; im christologischen Teil kommt das konkrete Subjekt, der erlösungsbedürftige Christenmensch, zu Wort; im Nikodemusbericht liegt der Akzent auf der historischen Faktizität, die uns treu überliefert wurde; im Pilatusteil schließlich geht es um Beispiele für die Wirklichkeit der Erlösung in der Geschichte, die sich in wunderbaren Ereignissen wie der Heilung des römischen Kaisers vom Aussatz dokumentiert.79 Das sind legitime Aussagemöglichkeiten; außergewöhnlich nur, daß Gundacker sie in den Rahmen einer einzigen epischen Form zwängt. Sie finden sich sonst in getrennten Gattungen: Dem abstrahierenden Beginn entspräche wohl die spekulative Verknappung theologischer Zusammenhänge in lyrisch-didaktischen Formen wie in der Goldenen SchmiedeKonrad von WürzburgGoldene Schmiede oder den geistlichen Leichen FrauenlobsHeinrich Frauenlob (Heinrich v. Meißen)Leiche; die Folge der 25 Gebete erinnert an den Redetypus der Litanei; der Pilatusbericht zehrt von der Dialogkunst des höfischen RomansHöfischer Roman ebenso wie von der Notwendigkeit direkter Rede auf dem TheaterGeistliches Spiel, und im Nikodemusteil finden sich Strategien der HistoriographieChronistik. Lyrisches, Episches, Dramatisches – die Grundbegriffe der Poetik haben gleichermaßen Anteil an der Gestalt des Werkes.80

Die These, dass die Ausdrucksformen zweckgebunden sind, überzeugt, da flankierend Selbstaussagen des Autor-Ich herangezogen werden können, in denen hinsichtlich des kommunikativen Ziels unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt sind: In den Versen, die dem Gebetsteil direkt vorausgehen, bittet das Autor-Ich um göttlichen Beistand dafür, Gott so zu loben, dass es dessen Ansehen gemäß sei (vv. 248–250). Das übergeordnete Ziel der Ehrung Gottes bleibt in den Versen, die die Scharnierstelle zwischen dem Gebetsteil und dem narrativen Passionsteil bilden (vv. 1305–1326), zwar bestehen (vv. 1320–1326), aber hier soll das tichten dem berichten von der Passion Jesu dienen (vv. 1305–1319).81 Dafür, dass eine Ausdrucksform gegenüber der anderen privilegiert werde, die Ablösung des Gebets (,Kult‘) von der Erzählung (,Kunst‘) gleichsam inszeniert werde, wie Quast (2009) meint,82 gibt es im Text keine ausdrücklichen Signale. Die im Text formulierten Reflexionen über das eigene poetische Tun sprechen aber in jedem Fall gegen die zitierte Annahme von Wyss, die verschiedenen Ausdrucksformen hätten sich in Christi Hort ohne einen ästhetischen Gestaltungswillen angesammelt. Vielmehr ist Susanne Köbele (2017) zuzustimmen, dass Registerwechsel geradezu konstitutiv für bibelepische TexteBibelepik ist.83LegendarikExegetikHöfischer Roman Damit ergibt sich eine völlig neue Perspektive auf die Frage der Werkeinheit, da der unterschiedliche Charakter der einzelnen Textteile dann als Resultat eines Bemühens erklärt werden kann, für den Stoff angemessene Ausdrucksformen zu finden. Die handschriftliche Benennung des Textes als hort könnte ebenfalls darauf hindeuten, dass er als ein gesammelter Schatz (dessen, was mit Christus zu tun hat) verstanden wurde.84MünchenBSBCgm 4997

Dass der gesammelte ,Schatz‘ den Rückgriff auf verschiedene Texttypen mit ihren jeweiligen Registern nicht verleugnet, lässt – die Werkeinheit vorausgesetzt – Rückschlüsse auf den Bildungsstand des Verfassers zu, der mit Erzähltraditionen offensichtlich ebenso vertraut war wie mit Formen des predigt- und gebetshaften85 und klagenden Sprechens.86 Dass das Autor-Ich beklagt, dass es sich seinem maister so früh entzogen habe (vv. 1314f.), dürfte wohl als Bescheidenheitstopos anzusehen sein.87 Im Werk selbst werden Lateinkenntnisse postuliert (vv. 1377f.) und demonstriert, wenn lateinische Einsprengsel für ein Publikum, das offensichtlich als nicht lateinkundig angesehen wird, ins Deutsche übersetzt werden.88 Angesichts der Lateinkenntnisse kann es nicht überraschen, dass Gundacker die Psalmen kannte.89Altes TestamentPs50[51],10–12 Weiterhin wird deutlich, dass er neben den bereits genannten Quellen auch die kanonischen Evangelien verarbeitete und mit liturgischen Gesängen vertraut war.90 Theologische Ausdeutungen des Erzählten erfolgen (in Übereinstimmung mit dem werkinternen Unfähigkeitstopos [vv. 1000–1004]!) nur selten und können oft als Allgemeingut gelten,91 sodass es schwer fällt, einzelne Quellen zu identifizieren.92 Deshalb lässt sich auch nicht nachweisen, dass Gundacker ein Geistlicher gewesen sein muss.93 Neben der (möglicherweise begrenzten) lateinischen Bildung verrät das Werk auf jeden Fall eine volkssprachliche literarische Bildung. Nicht nur, dass Gundacker epische Dichtwerke (Diu urstende, Mai und BeaflorMai und Beaflor) verarbeitet, er zitiert auch Verse Walthers von der VogelweideWalther von der VogelweideL 8,32f..94

Die Quellenanalyse für Christi Hort lässt den Schluss zu, dass Gundacker mit den ihm vorliegenden Texten behutsam kompilierend verfuhr, d.h. abschnittsweise einer Quelle folgte, sie kürzte und Szenen ausgestaltete, aber nur selten strukturelle Änderungen vornahm. Verdeutlichen lässt sich das an der Passage zu Begräbnis und Auferstehung Jesu (vv. 2145–2582), die im Wesentlichen dem Nikodemusevangelium (Rezension Lateinisch A)NikodemusevangeliumRezension Lateinisch A entspricht, aber mit Details aus den kanonischen Evangelien angereichert ist.95Jacobus a (de) VoragineLegenda aurea So ist aus dem Nikodemusevangelium (cap. XIII 2 [13,3 (G/I)]) nur indirekt abzuleiten, dass das Grab Jesu bewacht wird. Dagegen wird in Christi Hort – in Übereinstimmung mit Mt 27,62–66Neues TestamentMatthäusevangelium Mt27,62–66 – erzählt, wie ,die Juden‘ zu Pilatus gehen, um die Bewachung des Grabes zu veranlassen (vv. 2207–2241). Die Ausgestaltung, dass ,die Juden‘ die Wächter bezahlen (vv. 2235–2240), ist an Diu urstende (vv. 849–867) angelehnt.96 Eingefügt ist die Beauftragung der Wächter an chronologisch ,richtiger‘ Stelle nach der Grablegung (vv. 2145–2168). Der Beauftragung der Wächter geht außerdem die Gefangensetzung Josephs voraus (vv. 2169–2206), die wie im Nikodemusevangelium (cap. XII 1 [12,1–3 (G/I)]) als direkte Konsequenz der Grablegung dargestellt ist, d.h., die veränderte Reihenfolge in Diu urstende, wonach zunächst die Wächter beauftragt werden (vv. 823–867) und dann erst Joseph (im Zuge einer allgemeinen Verfolgung der Anhänger Jesu) gefangen gesetzt wird, ist nicht übernommen worden (vv. 868–888). Dass bei einem entsprechenden Gestaltungswillen jedoch auch Erzählelemente aus dem Nikodemusevangelium umorganisiert wurden, zeigen die kurzen Abschnitte zur Höllenfahrt Jesu (vv. 2247–2264) und der Befreiung Josephs (vv. 2265–2292), die in Christi Hort dem ordo naturalis folgend platziert sind.97 In den Quellen werden die Szenen nur im Descensus-Teil erzählt, in Christi Hort dort dann ausführlicher wieder aufgenommen (vv. 3319–3384; 3613–3864).

Für die Untersuchung der Rechtsmotivik ist die Art des Umgangs mit den Quellen insofern von Belang, als auch bei der Prozessschilderung (vv. 1381–1914) ein selektiver Umgang mit dem vorliegenden Material erfolgte, die radikale Umorganisation des Stoffes in Diu urstende aber nicht nachvollzogen wurde. Stattdessen orientiert sich der Handlungsablauf bis zu der Stelle, als Pilatus bewusst wird, dass Herodes um Jesu willen den Kindermord anordnete (v. 1704), am Nikodemusevangelium, allerdings mit signifikanten Kürzungen:98 Abgesehen von Straffungen sind einige Handlungselemente ganz weggelassen, zum Beispiel die zwei gesonderten Unterredungen des Pilatus mit den zwölf für Jesus eintretenden Juden (cap. II 6; IX,1 [7,1 (G/I)]).99 Andere Handlungselemente, wie die Frage des Pilatus nach der Wahrheit (cap. III 2) und sein Versuch, Jesus freizugeben (cap. IX 1 [7,1 (G/I)]), sind in Christi Hort in den Teil der Prozessschilderung (ab v. 1705) verschoben, in dem verschiedene Abschnitte aus den kanonischen Evangelien kompiliert sind.100Neues TestamentMatthäusevangelium Mt26,67Neues TestamentMarkusevangelium Mc14,65Neues TestamentLukasevangelium Lc22,63Neues TestamentMatthäusevangelium Mt26,65 Während im Nikodemusevangelium die Erwähnung des Herodes Pilatus veranlasst, ,den Juden‘ nachzugeben, und auf Handwaschung des Pilatus und Blutruf ,der Juden‘JudenBlutruf die Verkündung des Urteils an Jesus erfolgt (cap. IX 3–5 [8,1f.; 9 (G/I)]), fordern in Christi Hort ,die Juden‘ Pilatus auf, Jesus kreuzigenStrafeKreuzigung zu lassen, und dann werden verschiedene Aktivitäten des Pilatus geschildert, die man alle als Versuche seinerseits lesen kann, eine Verurteilung zu vermeiden: ,Die Juden‘ sollen Jesus nach ihrer ê richten (vv. 1714–1716), Pilatus schickt Jesus zu Herodes (vv. 1731–1750), Pilatus will Jesus züchtigen lassen und dann freigeben (vv. 1779–1786), Pilatus will Jesus im Rahmen der Passah-AmnestiePassah-Amnestie freilassen (vv. 1851–1875).101 Dann fügt sich Pilatus den Forderungen ,der Juden‘, obwohl er sie für unangemessen hält (vv. 1876–1883). Der Quellenwechsel bei v. 1705 ist im Text nicht markiert, dürfte aber für die Gestaltung des Verfahrensablaufs mit bestimmend gewesen sein.

Jesus und das Landrecht

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