Читать книгу Jesus und das Landrecht - Henrike Manuwald - Страница 32

3.4.5 Verflechtungen göttlichen und menschlichen RechtshandelnsRechtsordnungengöttliches vs. menschliches Recht

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Wie die Argumentation mit Beispielen aus dem zeitgenössischen Gewohnheitsrecht im Schlussteil des Werks erkennen lässt, war der Verfasser offenbar mit der Rechtspraxis vertraut. Trotzdem sind bei der Prozessschilderung zeitgenössische verfahrensrechtliche Details nur am Rande eingeflossen. Das könnte mit der Quellentreue Heinrichs von Hesler zusammenhängen oder damit, dass ein zeitlich zurückliegendes Verfahren dargestellt werden soll. Da aber gerade bei Erläuterungen zu römischen Rechtssitten ein Kurzschluss mit solchen aus der Gegenwart erfolgt, liegt der Grund für die insgesamt sparsame Ausgestaltung des Verfahrens vermutlich eher darin, dass das Erzählinteresse nicht so sehr auf dem jeweiligen Prozedere, vielmehr auf grundsätzlichen Fragen von Recht und Unrecht liegt. Bezeichnenderweise sind mit den Aussagen des Erzählers zu dem (als dem Recht gemäß oder als ungerecht beurteilten) Vorgehen des Pilatus innerhalb der Prozessschilderung Hinzufügungen gegenüber der Quelle vorhanden. Verbunden mit der Frage danach, was gerechtes Handeln bedeutet, ist die Frage nach Schuld und Unschuld der Handelnden, die im Pilatus-Veronika-Teil des Textes dominant wird. Durch die Konzentration auf solche Fragen gewinnt die Rechtsthematik eine moraldidaktische Ausrichtung.

Dem grundsätzlichen Interesse an Recht und Unrecht entspricht ein ebenso grundsätzlicher Zugang zur Wahrheit. Auch hier treten verfahrensrechtliche Fragen wie die Beweisaufnahme im Prozess in den Hintergrund. Verfahren zur Wahrheitssicherung werden vor allem dann thematisiert, wenn es um die Erlösungswahrheit geht. Der Text begreift diese Wahrheit als Rechtszusammenhang: In der Erklärung der Interdependenz von Sündenfall und Erlösung, die der Text in der moralisch-rechtlichen Verpflichtung Gottes gegenüber dem von ihm geschaffenen (schwachen) Menschen und den Rechtsansprüchen des Teufels begründet sieht, liegt sicherlich die Hauptfunktion der Rechtsmotivik im Evangelium Nicodemi.

Aus der Konzeption der theologischen Zusammenhänge werden im Schlussteil des Textes wiederum Prinzipien für das Rechtshandeln in der eigenen Zeit entwickelt, das aufgrund des inhaltlichen Kontextes im Wesentlichen auf das Verhältnis zu Gott bezogen bleibt: Mit der Bestrafung des Pilatus, der seiner richterlichen Verpflichtung nicht nachgekommen ist, einen Unschuldigen vor einem Unrechtsurteil zu bewahren, und der Bestrafungsaktion Vespasians gegenüber ,den Juden‘ ist für den Erzähler die Schuld ,der Juden‘ nicht gesühnt. Nach der Logik des Textes erwächst aus Gottes Rechtsverpflichtung zur Erlösung die Rechtsverpflichtung der Christen zur Bestrafung ,der Juden‘, soweit sie sich der neuen e verschließen. Diese Logik hat jedoch mit Problemen zu kämpfen, denn sie arbeitet mit Analogien zwischen göttlichem und menschlichem Rechtshandeln, die allerdings nur partiell funktionieren: Bei der Erlösung hat sich Gott über das für Menschen gültige Prinzip, dass der Schuldige bestraft werden muss,1 hinweggesetzt. So steht dem Versuch, Gottes Handeln mit Rechtstermini nachvollziehbar zu machen, letztlich die Erkenntnis gegenüber, dass seine urteil (vv. 291–293) unergründlich sind.

Jesus und das Landrecht

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