Читать книгу Jesus und das Landrecht - Henrike Manuwald - Страница 27
3.3.5 Heilsgeschichte als (rechts)ethische Anleitung
ОглавлениеChristi Hort bietet, was die Ausarbeitung rechtlicher Vorgänge und sich damit berührender Themen wie ,Wahrheit‘ angeht, ein gemischtes Bild. Einerseits sind gerichtliche Abläufe und rechtliche Termini für die Darstellung der Ereignisse von großer Relevanz, andererseits ist – anders als es die vorangegangene systematisierende Präsentation von Einzelaspekten vielleicht vermittelt – die Rechtsthematik im Text nicht dominant.1 An einigen Stellen ist ein faktenorientiertes Detailinteresse erkennbar (so bei der Klärung des rechtlichen und persönlichen Verhältnisses zwischen Pilatus und Herodes oder beim Prozedere der Verurteilung von Pilatus), an anderen tritt es in den Hintergrund (z.B. bei den kurz abgehandelten Zeugenaussagen zugunsten Jesu), dafür werden Fragen der persönlichen Verantwortung wichtig. Der Befund lässt sich übergeordneten Textstrategien zuordnen: So verleihen die rechtlichen Details den Geschehnissen Glaubwürdigkeit, gerade was die Feststellung der Wahrheit von irdischen Vorgängen, aber auch von Heilsgewissheiten (etwa durch formalisierte Zeugenbefragung) angeht, wobei die Plausibilisierung des Vergangenen erfolgt, indem es an die Gegenwart anschlussfähig gemacht wird. Auf diese Weise tragen die rechtlichen Details zur historiographischen Stoßrichtung des TextesChronistik bei, die ihrerseits kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, die Heilswahrheit greifbar zu machen und abzusichern, indem etwa die Quellen offengelegt werden – auf der Figurenebene ebenso wie auf der der erzählerischen Vermittlung. Überlagert wird die historiographische Komponente noch von einer Strategie, das Heilsgeschehen auf die eigene Lebensführung zu beziehen. Neben den predigtartigen Einlassungen des Erzählers,2 die eine explizite didaktische Funktion haben, leitet der Text von Beginn an auch zur eigenen Prüfung an. Im Prolog heißt es:
swer sich selben an sicht,
der spot furpaz nicht mêre;
im git gewis lere
sein selbs gewizzen.
wie er sich hat gevlizen
paidiu ouf ubel unt ouf gût,
diu gewizen im daz chûnt tût. (vv. 220–226)
Im Gebetsteil werden Übertragungen des Erzählten auf das eigene Leben eingeübt, wenn das Sprecher-Ich zum Beispiel beklagt, dass es wie Judas Jesu Körper zugunsten der Welt verkauft habe und sündig zur Kommunion gegangen sei, weshalb sein Gewissen beschwert sei (vv. 1128–1152). Während hier die Zeitebenen getrennt werden (dem vergangenen Verrat des Judas steht das entsprechende Verhalten ,heute‘ gegenüber, vgl. v. 1128), erscheint das Ich, dessen Reflexionen in die Erzählung von Jesu Leiden am Kreuz eingeflochten sind, unmittelbar involviert. Das Kreuzeswort ‘consummatum est’ (v. 2055) ist Anlass dafür, zu erläutern, was dieses Ich empfindet, wenn es die Worte in der Karfreitagslesung hört: Quälend wird ihm bewusst, dass es nicht vollendet hat, was es ,billigerweise‘ hätte machen sollen, dem pilde3 seines Herren folgend, dessen Antlitz durch diese Verfehlung verunstaltet worden sei (vv. 2056–2063).
Eine solche Auslegung geht weit über eine moraldidaktische Aneignung des Geschehens hinaus, aber sie zeigt, dass auch das Passionsgeschehen auf das eigene Leben bezogen werden kann und soll. Liest man vor dem Hintergrund der geforderten Gewissensprüfung etwa die Aussage Jesu, dass jeder Mensch Entscheidungsgewalt darüber habe, Gutes oder Böses zu sagen (vv. 1586–1588), dann gewinnen die Worte einen Sinn, der den Handlungszusammenhang übersteigt.
Die ausgiebige textinterne Diskussion über die VerantwortungRichterVerantwortung ,der Juden‘ und Pilatus am Tode Jesu lässt es für die Rezipienten unzweifelhaft werden, was schlecht ist. Dabei verändert sich im Laufe des Textes der Blick auf Pilatus: Während bei der Schilderung des Prozesses gegen Jesus seine Bemühungen um dessen Freilassung gewürdigt werden und auch die heilsgeschichtliche Notwendigkeit seines Handelns thematisiert wird (v. 1614), ist rückblickend nur das Resultat seiner Entscheidung relevant. Sein Fehlverhalten wird von einem weltlichen Gericht bestraft, aber auch seine Seele wird nicht zu retten sein (vv. 5292–5294). Dass allen, die nicht nach Gottes Gebot leben, die Verdammnis droht, wird bei der Erzählung von der Höllenfahrt Jesu demonstriert, wenn ausdrücklich gesagt wird, dass Jesus nur diejenigen hinausführt, die seinen Willen getan haben, die anderen jedoch dort lässt (vv. 2261–2264). Eine entsprechende Sortierung erfolgt beim Jüngsten GerichtJüngstes Gericht, das im Text immer wieder aufgerufen wird. Wie das Beispiel des Pilatus zeigt, dessen Richter-Sein prominent herausgestellt ist und dessen Bestrafung den letzten Teil des Werks dominiert, sodass die der mitschuldigen ‚Juden‘ eher im Hintergrund bleibt, kann unrechtes Richten zur Verdammnis führen. Insofern hat Christi Hort auch eine rechtsethische Komponente. Sie gewinnt dadurch, dass – in einzelnen Aspekten – der Prozess gegen Jesus und deutlicher noch der gegen Pilatus an die Gepflogenheiten der zeitgenössischen Rechtspraxis angeglichen ist, an besonderer Unmittelbarkeit.