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I. Reichweite der Vorschrift und praktische Bedeutung

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Jugendarrest kann gegen Jugendliche und – wenn die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 gegeben sind – Heranwachsende verhängt werden, und zwar sowohl von Jugendgerichten als auch von den für allgemeine Strafsachen zuständigen Gerichten (§§ 104 Abs. 1 Nr. 1 und 112). Für Soldaten der Bundeswehr vgl. § 112c Abs. 2.

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Jugendarrest ist kurzzeitiger Freiheitsentzug ohne Rechtswirkungen einer Strafe. (Er ist keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung im Sinne des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II, die den Erhalt von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausschließt, SG Gießen Urt. v. 1.3.2010 – S 29 AS 1053/09). Der Verurteilte gilt nicht als vorbestraft (zu den registerrechtlichen Folgen vgl. § 13 Rn. 9 und § 97 Rn. 9). Die Negativwirkungen stationärer Sanktionen sind gerade auch für den Bereich des Jugendarrestes wiederholt kriminologisch festgestellt worden (Eisenhardt Gutachten über kriminalpolitische und kriminalpädagogische Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit des Jugendarrestes, 1974 und Ergänzung 1989; Jehle/Heinz/Sutterer S. 55 weisen für den Jugendarrest die zweithöchste Rückfallrate von 70 % nach und nach einem Risikozeitraum von 6 Jahren 75,5 %, Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke/Tetal 2013, S. 163). Dennoch sieht die Bundesregierung weder für eine ersatzlose Streichung des Jugendarrestes noch für eine Umwandlung in einen stationären sozialen Trainingskurs einen entsprechenden Handlungsbedarf (BT-Drucks. 16/13142, 59).

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Die Entwicklung in der Praxis in den letzten Jahren bei Verhängung von Jugendarrest zeigt folgendes Bild:

Quelle: Pfeiffer/Strobl DVJJ-J 1991, 35; Statistisches Bundesamt Rechtspflege, Fachserie 10, Reihe 3

Jahr Arrest insges. Freizeitarrest Kurzarrest Dauerarrest
1980 27 183 14 758 = 54,3 % 2 012 = 7,4 % 10 413 = 38,3 %
1990 12 785 6 281 = 49,1 % 879 = 6,8 % 5 625 = 43,9 %
2000 16 832 7 417 = 44,1 % 1 003 = 6,0 % 8 412 = 50 %
2010 19 892 8 054 = 40,5 % 1 780 = 8,9 % 10 058 = 50,6 %
2017 9 426 3 487 = 37,0 % 544=5,7 % 5 395 = 57,3 %

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Das 1. JGGÄndG 1990 hat zunächst zu einem deutlichen Rückgang des Anteils der zu Jugendarrest Verurteilten geführt. Der Rückgang bis 1995 erklärt sich zu etwa 1/3 aus dem Geburtenrückgang und zu 2/3 aus einem Wandel im Sanktionsverhalten zu Gunsten neuer ambulanter Möglichkeiten. Insgesamt sind dann aber die absoluten und relativen Zahlen kontinuierlich gestiegen. 1991 wurden 11.557 (15,9 % der Verurteilten) zu Jugendarresten verurteilt, 2012 19074 (18,0 %), dagegen blieben die Anteile der verhängten Jugendarreste bezogen auf alle Sanktionen relativ konstant mit 6 % im Jahre 1991 und 6,9 % im Jahre 2008 (Heinz Sanktionensystem, S. 95 f.: 2012 = 5,7 %; ZJJ 2014, 100). Problematisch sind die großen regionalen Unterschiede. 2017 betrug die Anzahl von zu Jugendarrest Verurteilten pro 1000 in Bayern 38, in Berlin und im Saarland 3,2, in Nordrhein-Westfalen 2,6, dagegen in Schleswig-Holstein 1,2, in Baden-Württemberg 1,0 sowie in Sachsen und Bremen 0,8 (Endres/Lauchs BewHi 2018, 384, 388). In Landgerichtsbezirken mit einer Arrestanstalt ist die Quote des Dauerarrestes besonders hoch (Pfeiffer/Strobl DVJJ-J 1991, 39). Umgekehrt ist z.B. im ersten Jahr nach der Schließung der Jugendarrestanstalt Bremen-Lesum am 31.3.1989 die Arrestquote um 2/3 gesunken (Hartwig DVJJ-J 1991, 50). Trotz dieses positiven Ergebnisses muss sich die Bremer Exekutive fragen lassen, ob sie nicht faktisch richterliches Entscheidungsverhalten beeinflusst hat (Herrlinger DVJJ-J 1991, 156).

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Empirische Befunde belegen, dass in der Praxis ein Zusammenhang zwischen der Verhängung von Dauerarrest und Jugendstrafe besteht. Viele Landgerichtsbezirke mit hohen Arrestquoten weisen einen relativ niedrigen Prozentsatz an Jugendstrafen auf (und umgekehrt; Pfeiffer/Strobl DVJJ-J 1991, 44). Jugendarrest wird hier als Alternative zur Jugendstrafe verhängt, so dass bis zu einer umfassenden Reform des jugendstrafrechtlichen Sanktionensystems der Jugendarrest insoweit seine Daseinsberechtigung behält. Heinz belegt sowohl die These erheblicher regionaler Unterschiede als auch die These eines nicht unerheblichen Austauschprozesses zwischen Jugendarrest und Jugendstrafe, ZJJ 2014, 103. Zu den Problemen der „kurzen Freiheitsstrafe“ im Jugendstrafrecht: Feltes NStZ 1993, 105–112; zur „echten“ Personenzählung bezüglich des Jugendarrestes bis 1998, siehe Heinz Sanktionensystem, Tab. A3, S. 135.

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