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3. Dauerarrest
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2010 betrug der Anteil des Dauerarrestes im Jugendarrestsystem 50,6 % (2017 57,3%), verbunden mit einem deutlichen relativen Bedeutungszuwachs. Gerade beim Dauerarrest wird erkennbar, wie stark sich die Klientel in den letzten 3 Jahrzehnten verändert hat. Über 2/3 aller Zugänge sind junge Volljährige. 15 % der Neuzugänge im Jahre 2006 hatten früher bereits Jugendarrest verbüßt, über 4 % waren sogar schon zu Jugend- oder Freiheitsstrafe verurteilt worden (BT-Drucks. 16/13142, 59). Gleichzeitig sind die sozialen Problemlagen der Arrestanten wesentlich massiver. Hier setzt der Gesetzgeber mit der Forderung an, den Arrest so zu gestalten, dass wenigstens ansatzweise – evtl. verbunden mit einer Betreuungsweisung – Schwierigkeiten, die den Hintergrund von Straftaten bilden, bewältigt werden können. In der Praxis wird eine veränderte Orientierung z.B. in der Jugendarrestanstalt Hamburg-Wandsbek (bis 2004, jetzt Hahnöfersand mit dem Konzept eines stationären sozialen Trainingskurses) deutlich, die auf vertrauensvolle Zusammenarbeit und Kommunikation statt auf angsterzeugenden Schock setzt (Holtfreter in: DVJJ (Hrsg.) 1984, S. 449 und Plewig MSchrKrim 1980, 20). Zu den Mindestanforderungen an einen erzieherisch ausgestalteten Jugendarrest vgl. Sonnen DVJJ-J 1991, 56. Positive Beispiele können jedoch nichts an der Tatsache ändern, dass der Arrest regional höchst unterschiedlich ausgestaltet und insgesamt mehr als problematisch ist (vgl. auch den Überblick bei Hinrichs DVJJ-J 98, 69 zu einzelnen Arrestanstalten; zur Situation in Hamburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, und Mecklenburg-Vorpommern, siehe Kobes/Pohlmann ZJJ 2007, 372 ff., insgesamt gibt es 35 Jugendarrestanstalten; vgl. auch Ostendorf Reform des Jugendarrestes in Schleswig-Holstein, 1994 und Fachkommission Jugendarrest/stationäres soziales Training, ZJJ 2009, 275, 278. Für die 6 Jugendarrestanstalten in Nordrhein-Westfalen gilt, dass eine gewisse Strukturierung bei den jungen Arrestanten erreichbar ist, eine kurzzeitpädagogische Konzeption zur Förderung bzw. Verselbstständigung aber fehlt (Landtag NRW-Enquetekommission Prävention 2010, 122).
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Das Mindestmaß des Dauerarrestes beträgt eine, das Höchstmaß vier Wochen. Nach Auffassung des AG Pirmasens Beschl. v. 4.9.2018 – 1 VRJs 129/17 – soll ein Urteilsarrest mit einem im Vollstreckungsverfahren verhängten Beschlussarrest in der Summe bis zu 8 Wochen betragen dürfen (Urteil = 1 Woche Jugendarrest, Betreuungsweisung für 10 Monate, 120 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung der Jugendgerichtshilfe). Wegen Nichterscheinens im Anhörungstermin = 2 Wochen Jugendarrest, beide Arreste verbüßt. Nachdem von der Arbeitsauflage nur 5 Stunden abgeleistet worden waren, erneuter Anhörungstermin, zu dem der Verurteilte wiederum nicht erschienen ist, jetzt weitere 2 Wochen Jugendarrest, in der Summe jetzt 5 Wochen aus erzieherischen Gründen, um den „fatalen Eindruck“ zu vermeiden, eine hartnäckige Weigerung der Befolgung von Auflagen und Weisungen ohne weitere Konsequenzen“. Das Gericht weicht ausdrücklich vom LG Zweibrücken ZJJ 2012, 88 (mit zustimm. Anm. Eisenberg) ab, das bei einem Urteilsarrest von 2 Wochen und einem Beschlussarrest von 4 Wochen wegen Nichterfüllung der Arbeitsauflage in der Summe 6 Wochen, den Beschlussarrest aufgehoben hat, weil er zu einer Arrestverbüßung von über 4 Wochen führen würde. Deswegen sei ein verhängter Arrest zu vollstrecken, bevor ein weiterer ins Auge gefasst wird.
Für die Höchstgrenze von 4 Wochen spricht die systematische Grundeinschätzung des Jugendarrestes, für mögliche 8 Wochen die Betonung der unterschiedlichen Rechtsnatur von Urteilssanktionen und vollstreckungsrechtlicher Folgeentscheidung. Die Dauer richtet sich nach spezialpräventiven Aspekten. Maßgebend ist einerseits die Problemsituation des Verurteilten. Andererseits sind auch die konkreten Möglichkeiten in der jeweiligen Arrestanstalt zu berücksichtigen. Unrechts- und Schuldgehalt der Tat bilden eine Obergrenze. Die konkrete Entscheidung hat vor dem Hintergrund der kriminologisch gesicherten Erkenntnisse zu den Negativauswirkungen des Arrestes zu erfolgen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass nicht zuletzt auf Grund der Sanktionsform des Arrestes Jugendliche und Heranwachsende eher zu einer stationären Sanktion verurteilt werden als Erwachsene (allgemein: Pfeiffer DVJJ-J 1991, 114). Solche Benachteiligungen sind zu vermeiden. Jugendstrafrecht ist zukünftig stärker in Richtung auf eine Besserstellung junger Menschen hin anzuwenden. Von daher ist von der Anwendung des Dauerarrestes nur vorsichtig Gebrauch zu machen. Die Vollstreckung des Jugendarrestes kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, jedoch kann nach § 87 Abs. 3 der Vollstreckungsleiter von der Vollstreckung des Jugendarrestes ganz (LG Heidelberg DVJJ-J 1992, 147) oder nach Teilverbüßung von der Vollstreckung des Restes absehen. Diese Möglichkeit schon bei der Bestimmung des Zeitraumes des Dauerarrestes zu berücksichtigen, ist aber unzulässig.