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2. Beschlussarrest

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Rechtsgrundlagen für den durch Beschluss verhängten und mit der sofortigen Beschwerde gem. § 65 Abs. 2 angreifbaren Nichtbefolgungsarrest sind die §§ 11 Abs. 3, 15 Abs. 3, 23 Abs. 1 S. 4, 29 S. 2, 88 Abs. 6 S. 1. Daneben eröffnet auch § 98 Abs. 2 OWiG die Möglichkeit einer entsprechenden Arrestverhängung, z.B. auch bei Schulabsentismus. Die unterschiedlichen Bezeichnungen als Ungehorsams-, Beuge- oder Ersatzarrest erklären sich aus den verschiedenen Positionen zur umstrittenen Rechtsnatur dieses Arrestes. Der Nichtbefolgungsarrest ist keine Sanktion gegenüber der zu Grunde liegenden Straftat, sondern eine Reaktion darauf, dass Jugendliche oder Heranwachsende richterliche Weisungen und Auflagen nicht oder nur teilweise erfüllt haben. Insoweit kann man von einer sekundären Reaktionsform sprechen. 1943 zur „Wahrung der Staatsautorität“ geschaffen, wurde diese Arrestform zur „unkritisch angewandten Selbstverständlichkeit in der Bundesrepublik“, die letztlich nur „die Verärgerung des Gerichts“ widerspiegelt (Hinrichs in: DVJJ (Hrsg.), 1990, S. 334). Die Existenzberechtigung des Ungehorsamsarrestes ist umstritten, überzeugend plädiert u.a. Frehsee in: DVJJ (Hrsg.), 1990, 314 ff. für seine Abschaffung (so auch Hinrichs DVJJ-J 1996, 59). Der Gesetzgeber des 1. JGGÄndG wollte so weit nicht gehen, hat aber immerhin in § 65 Abs. 1 S. 3 verankert, dass vor Verhängung eines Jugendarrestes wegen schuldhaften Ungehorsams dem Jugendlichen Gelegenheit zur mündlichen Äußerung zu geben ist, um die Gründe der Nichtbefolgung und die Probleme des jungen Menschen besser einschätzen zu können mit dem Ziel, Arrest ggf. zu vermeiden (BT-Drucks. 11/5829, 28; so auch LG Arnsberg ZJJ 2006, 84, vgl. § 65 Rn. 15). Unzulässig ist die Anordnung eines Dauerarrestes wegen Nichteinhaltung einer Weisung, den Kontakt zur Drogenberatung zu halten, wenn entgegen § 11 Abs. 1 keine Laufzeit bestimmt worden und die Kontaktaufnahme nicht präzisiert ist, LG Bielefeld StV 2002, 175. Ebenso unzulässig ist die Verhängung von Beugearrest mangels Belehrung nach § 11 Abs. 3, wenn ein Jugendlicher einer mit seiner Zustimmung erteilten Weisung, sich einer Therapie zu unterziehen, nicht nachkommt, LG Marburg NStZ-RR 2006, 122.

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Da die Verhängung des Nichtbefolgungsarrestes im pflichtgemäßen Ermessen („kann“) steht, eröffnen sich der Praxis weitergehendere Alternativlösungen als beim Urteilsarrest. Zur Häufigkeit des Ungehorsamsarrests liegen über längere Zeiträume keine statistischen Daten vor, so dass nicht auf Zahlen zurückgegriffen werden kann. Nach Untersuchungen von Ostendorf (MSchrKrim 1995, 352 ff.) handelt es sich bei zwischen 20 % und 30 %, in manchen Regionen in Abhängigkeit zu dem Gebrauch ambulanter Sanktionen bis zu 50 % der insgesamt vollstreckten Arreste um Ungehorsamsarreste; in Hamburg 2010 fast die Hälfte, Kolberg/Wetzels Praxis der Rechtspsychologie, 2012, S. 113-146. In Nordrhein-Westfalen waren über 50 % der 2007 in der einzigen „Mädchenarrestanstalt“ Wetter vollstreckten Arreste Ungehorsamsarreste (Landtag NRW-Enquetekommission Prävention 2010, 123). Bei den 132 Hamburger Vollstreckungsersuchen wegen Nichterfüllung im Jahre 1990 stellte sich in 100 Fällen der Arrestbeschluss später als nicht mehr notwendig heraus (= 75 %; Hinrichs DVJJ-J 1991, 46). Dass durch die Schaffung einer mit einem Sozialarbeiter besetzten Koordinationsstelle zur Vermeidung von Beugearresten direkt mit Sitz im Amtsgericht diese Arrestform weitgehend vermieden werden kann, beweist recht anschaulich auch die Bremer Praxis (Emig DVJJ-J 1991, 51). Im Jahresvergleich wurde ein Rückgang von über 61 % verzeichnet.

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Nach einer von Hinrichs durchgeführten Befragung der Arrestanstalten betrug der Anteil der tatsächlich verbüßten Beugearreste unter allen Jugendarresten 1968 = 29,6 %, 1978 = 30,2 % und 1989 = 32,7 % (DVJJ (Hrsg.), 1990, 338). Angesichts dieser großen praktischen Bedeutung, der rechtsstaatlich problematischen gravierenden regionalen Unterschiede und den kriminologischen Kenntnissen zu den Negativwirkungen des Arrestes ist der nur zögerliche Reformansatz des Gesetzgebers in Richtung Arrestvermeidung von der Praxis her auszubauen.

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