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a) Faktische Schlechterstellung junger Menschen

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Die Notwendigkeit einer restriktiven Interpretation ergibt sich auch daraus, dass entgegen der ursprünglichen Zielrichtung einer Besserstellung junger Menschen im Jahre 1923 sich die Praxis soweit geändert hat, dass heute kritisch gefragt wird, ob unser Jugendstrafrecht zu einer Strafe für die Jugend geworden ist (Pfeiffer DVJJ-J 1991, S. 114). Bei einem empirischen Vergleich der Strafzumessung nach Jugendstrafrecht und allgemeinem Strafrecht ergeben sich Hinweise für eine härtere Bestrafung junger Straftäter (Dünkel 1990, S. 124 ff.; Heinz in: DVJJ (Hrsg.), 1990, S. 45, Ostendorf Grdl. z. §§ 17, 18 Rn. 4; Walter/Wilms NStZ 2007, 4). Unterschiedliche Täter-, Taten- und Sanktionsstrukturen erschweren allerdings einen direkten Vergleich. Das Problem verringert sich bei einer Gegenüberstellung benachbarter Altersgruppen, z.B. von 20- und 21-Jährigen. So ergibt sich nach einer Untersuchung von Heinz zur Sanktionspraxis in Baden-Württemberg 2006 eine Internierungsrate (unbedingte Jugend- bzw. Freiheitsstrafe) von 8,1 % bei den 20-Jährigen, während sie bei den 21-Jährigen nur 5,3 % beträgt, so dass Jugendstrafrecht keinesfalls als milder bezeichnet werden kann (Heinz 2009, S. 29–80). Im langfristigen Vergleich erkennt Heinz drei Punitivitätswellen (1914–1920; ab 1930 und ab 1955) während entsprechende Entwicklungen ab 1970 und ab 1995 bei weitem nicht so ausgeprägt waren und auch aktuell nicht so eindeutig sind.

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Gefahren für eine Schlechterstellung liegen aber zum Teil in der Einbeziehung der noch nicht verbüßten Jugendstrafe nach § 31 Abs. 2, die dazu verführt, nach dem Motto zu verfahren „einmal schädliche Neigungen – immer schädliche Neigungen“ (Pfeiffer DVJJ-J 1991, 117, der einen Jugendrichter zitiert; ebenso Sonnen KrimPäd 2004, S. 20–24). Zum anderen resultiert diese Schlechterstellung aus einem Hochhangeln auf der Sanktionsleiter (vgl. Gerken/Berlitz 1988, S. 11 ff.). Auf dem Göttinger Jugendgerichtstag 1980 ist sehr klar herausgearbeitet worden, dass die Frage, ob man immer strenger werden müsse, aus pädagogischen, psychologischen und soziologischen Gründen zu verneinen und auch unter rechtlichen Aspekten nicht anders zu beantworten ist (DVJJ (Hrsg.), 1981, S. 354 ff.). Die Schlechterstellung von Jugendlichen und Heranwachsenden ist schließlich auch auf die inhaltlich wenig konkreten Voraussetzungen der Verhängung von Jugendstrafe zurückzuführen. Vor allem der Begriff der schädlichen Neigungen ist mit einer negativen Zuschreibung und Stigmatisierung verbunden, die faktisch zu einer Rückfallschärfung führt, obwohl der Gesetzgeber, wie die Streichung von § 48 StGB beweist, eine solche gerade vermeiden wollte (Dünkel 1990, S. 128). Ebenso genügt nach Walter und Wilms die Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen de lege lata nicht rechtsstaatlichen Anforderungen hinsichtlich ihrer Bestimmtheit und Begrenzbarkeit (NStZ 2007, 5 f.).

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Aus diesen empirischen Befunden ergibt sich die Forderung, die Voraussetzungen der Verhängung der Jugendstrafe neu zu formulieren und insbesondere den Begriff der schädlichen Neigungen neu zu fassen (Justizministerkonferenz 2014) oder ganz zu streichen (Dünkel NK 1989, 37 und 1990, 624; DVJJ (Hrsg.), 1990, S. 419, 485 und 663; DVJJ-Kommission, DVJJ-J 1992, S. 4 und Regensburger Jugendgerichtstag, DVJJ-J 1992, S. 290; Dünkel in: DVJJ (Hrsg.) 1996, S. 609; Albrecht 2002; Kurzberg 2009, S. 253). Außerdem sollte durch eine Heraufsetzung der Bestrafungsmündigkeit Jugendstrafe gegenüber 14- und 15-Jährigen vermieden werden (Albrecht/Schüler-Springorum 1983; 2. DVJJ-Kommission, DVJJ-J Extra Nr. 5, 2002; skeptisch gegenüber dem Modell „Bestrafungsmündigkeit“ Streng DVJJ-J 1997, S. 385). Die Bundesregierung hält den Vorschlag für „noch nicht ausreichend diskutiert“ (BT-Drucks. 16/13142, S. 66). Bis der Gesetzgeber tätig wird, bleibt die Möglichkeit einer inneren Reform von der Basis her durch eine restriktive Interpretation der Voraussetzungen von § 17 Abs. 2.

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