Читать книгу Unter Käfern und Schlangen - Hermine Stampa-Rabe - Страница 13
Horror-Fahrt in den Rocky Mountains
ОглавлениеAls ich um 6.00 Uhr aufwache, sind meine Zeltwände von innen nass. Ich habe gestern Abend vergessen, die Lüftungsfenster zu öffnen. Als ich mich duschen will, funktioniert die Dusche nicht. Es gibt auch keinen Strom, aber fließendes Wasser und eine ganz brauchbare Toilette. Erst um 8.00 Uhr bin ich mit Frühstücken im Zelt und dem Abbauen und Bepacken meines Rades fertig. Draußen ist es kalt und feucht. Ich habe mir meine wärmsten Wintersachen angezogen. Die Regenjacke schützt über dem neuen, dicken Fließpullover gegen kalten Luftdurchzug.
So fahre ich vom Indianer-Campingplatz. Den Beinen habe ich morgens ordentlich gut zugeredet und ihnen gesagt, dass Krämpfe nichts nützen. Gefahren wird trotzdem, basta! Zuerst geht es noch einige Zeit aufwärts. Links finde ich ein Restaurant, in dem ich ein kalifornisches Omelett und Bratkartoffeln mit Begeisterung verdrücke.
Weiter geht es aufwärts. Aber irgendwann habe ich den höchsten Punkt erreicht und kann nach Pine Valley hinunterrollen. Gleich am Anfang des Ortes sehe ich links eine Bibliothek. Ich halte an, gehe hinein und darf am PC meine Emails aufrufen und beantworten.
Glücklich radle ich weiter und wieder bergauf. Das wiederholt sich noch einige Male. Die Abfahrten werden aber immer länger. Der Rückenwind von gestern bleibt mir treu und wird sogar noch stärker und angenehmer. Plötzlich rast bellend ein weißer Hund auf mich zu. Mit meinem Pfefferspray kann ich ihn schnell wieder vertreiben. Mir zittern alle Glieder, als ich meine Fahrt fortsetze. Diese beißenden Biester!
In Jacumba setze ich mich zum zweiten Mal in ein Restaurant und lasse mir Tomaten- und Putenscheiben mit gemischtem Gemüse vorsetzen. In dieser Gaststätte werde ich sehr eindringlich vor der Passabfahrt gewarnt, weil sich der Wind bald in Sturm wandeln wird und die Abfahrt 6% Gefälle aufweist. Da der Wind von hinten kommt und ich bergab fahren darf, denke ich nur, dass ein Sturm sogar noch besser ist. Dann werde ich noch schneller hinunter und an mein heutiges Ziel kommen.
Sehr gut gesättigt, steige ich ganz fröhlich wieder auf mein voll bepacktes Rad und setze meinen Weg fort. Diese Straße führt parallel zur mexikanischen Grenze gen Osten. Aber von einer Grenze ist überhaupt nichts zu sehen. Polizisten patrouillieren in ihren Autos hin und her. Sie winken und lächeln mir zu. Ich kann es gar nicht erwarten, zur Interstate zu kommen, auf der ich ja meine Zu-Tal-Fahrt genießen möchte.
Nach einiger Zeit sehe ich links in einiger Entfernung Autos auf dem Highway entlang sausen. Und dann endlich ist es soweit. Ich biege rechts auf die Interstate ab und fahre auf einem sehr breiten Randstreifen. Der Wind hat hier tatsächlich Sturmstärke erreicht. Ich sehe mich vor, halte den Lenker gut stramm fest und gehe positiv denkend die Abfahrt an.
Es wird tatsächlich eine Horror-Fahrt! Zwischen hohen Felsen geht es in großen Serpentinen bergab. Rechts neben mir kann ich in kurzer Entfernung in die Tiefe blicken. Da hinein will ich nicht vom Sturm gedrückt werden. Da der Sturm anfangs von hinten kommt, geht es noch. Aber später habe ich ihn aufgrund der Serpentinen mal von links und auch oft von rechts. Hin und wieder halte ich an und schiebe vorsichtshalber ein ganzes Stück, bis ich den Sturm wieder im Rücken spüre. Allein das Absteigen wird zum lebensgefährlichen Balance-Akt. Und beim Schieben muss ich das Fahrrad ganz schräg halten, um nicht doch noch rechts neben mir in die Tiefe gedrückt zu werden. Kommt der Sturm von rechts, laufe ich Gefahr, unter die Trucks gedrückt zu werden.
Nach unendlich langer Fahrt habe ich als Radfahrer die Interstate zu verlassen und rechts auf den alten Highway 80 abzubiegen. Langsam verschwindet die Sonne links hinter den hohen Bergen. Ich hoffe, noch bei normaler Beleuchtung in Ocotillo anzukommen. Die Hoffnung kann ich begraben. Es wird richtig finster. Ich fahre schon lange mit Beleuchtung. Zum Glück funktioniert sie noch – trotz des Fluges Hamburg – Los Angeles!
Als ich links auf die kleine Straße abbiege, um nach Ocotillo zu gelangen, kommt der Sturm mit voller Kraft von der linken Seite. Ich muss schieben und habe damit große Probleme. Glücklicherweise finde ich auf dieser einsamen Straße eine offene Tankstelle. Dort schiebe ich gleich hinauf und frage das Ehepaar, das hinter dem Tresen steht:
„Wissen sie jemand, der mich mit einem Pick-up-Wagen zum Campingplatz fahren kann?“
Die beiden sehen mich erst überrascht dann eindringlich an und sind sprachlos. Nach längerer Zeit erklärt mir der Tankstellen-Inhaber:
„Siehst du da drüben auf dem beleuchteten Parkplatz den Pick-up? Schiebe dein Fahrrad dahin. Meine Frau wird dich bald mit dem Auto dorthin bringen.“
Das ist für mich Hilfe in der letzten Not. Ich kann nicht mehr schieben und sehe überhaupt nichts mehr aufgrund der Finsternis. Rasch ist das Fahrrad abgeladen und alles auf dem hinteren Teil des Autos verstaut. Ich darf auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Dann geht es schweigsam ab zum Campingplatz.
Wenn ich bis da hinten und die ganzen Abzweigungen hätte schieben müssen, wäre ich aufgrund des Sturms mindestens eine Stunde später angekommen.
Auf dem Campingplatz lade ich mein Rad ab und verabschiede mich von der hilfreichen Frau. Der Sturm schüttelt die Palmen über mir. Bei dem Sturm mein Zelt aufbauen? Nein, das wird sofort weggeblasen. Ob ich hier vielleicht in einem leeren Caravan schlafen kann? Mal den Campingplatz-Besitzer fragen. Aber erst muss ich ihn finden.
Aber ich kann die Anmeldung nicht finden und klopfe deshalb an die Türscheibe eines großen Urlauber-Caravans. Ein älterer, freundlicher Herr öffnet seine Tür und hört mir interessiert zu.
„Falls der Campingplatz-Besitzer schon schläft, kannst du zu mir zurückkommen. Du kannst dann in meinem Caravan schlafen. Ich setze mich in der Nacht auf meinen Sessel und du kommst in mein Bett.“
„Vielen Dank. Aber das kann ich doch nicht machen! Ich habe meine Schlafunterlage und meinen Daunen-Schlafsack mit. Damit kann ich hier auf dem Fußboden schlafen.“
„Das kannst du auch machen, wenn es dir lieber ist.“
Er lächelt mich verständnisvoll an. Ich bin über sein Angebot froh und erleichtert. In seinem Wohnwagen hüllt mich nämlich kuschelige Wärme ein. Er zieht sich eine Jacke über und wandert mit mir zu einem Haus, in dem der Besitzer wohnt. Wir müssen uns stark gegen den Sturm beugen. In der Stube ist noch Licht. Der Mann klopft an die Fensterscheibe. Kurz darauf kommt der Besitzer heraus und hört dem Mann zu. Er schaut mich freundlich und verständnisvoll an und sagt von allein ganz bereitwillig:
„Du kannst in unserem Aufenthaltsraum auf dem Fußboden schlafen. Komm mal mit.“
Auf dem kurzen Weg dorthin läuft eine Maus zwischen seinen Füßen durch.
„Auch die hätte mich heute nicht mehr gestört“, stelle ich in Gedanken vollkommen erledigt fest.
Der Mann aus dem Caravan verabschiedet sich.
Mir wird die breite Glastür zu einem größeren Saal geöffnet und der elektrische Heißluftwerfer aufgrund der Kälte angestellt.
Kurz darauf habe ich meinen Schlafsack auf der Unterlage auf dem Fußboden ausgebreitet, mein schmales Abendessen verdrückt und nehme mir noch dieses Tagebuch vor. Mir fallen dauernd die Augen zu. Draußen heult der Sturm um das Haus.
Ich wache schon um 5.00 Uhr auf. Von draußen höre ich keinen Sturm mehr um das Haus fegen. So schnappe ich mir meine Waschutensilien und gehe in das Bad. Schnell habe ich meine Packtaschen fertig und mir einen Müsli-Riegel von John samt der zwei letzten kleinen Bananen als Frühstück hervorgeholt.
Durch die große Fensterscheibe sehe ich draußen die Sonne hinter Palmen am wolkenlosen Himmel aufgehen. Das will ich unbedingt aufnehmen und gehe hinaus. Da merke ich erst, wie sich die Palmenwipfel im starken Wind biegen. Sollte es heute wieder Sturm geben? Du meine Güte! Wie soll ich denn da wieder zur (98) kommen? Wieder schieben, weil mich der Sturm aushebeln will?
Kurz entschlossen frage ich meinen Gastgeber:
„Fährt hier ein Greyhound-Bus auf der Straße durch, der mich Richtung Osten mitnehmen kann?“
Ihm schräg gegenüber sitzt sein erwachsener Sohn beim Frühstück. Er fragt ihn:
„Kannst du sie nicht in deinem Pick-up nach El Centro mitnehmen? Da stehen doch die Greyhound-Busse.“
Er lässt sich beim Essen nicht stören, nickt und sagt: „In zwanzig Minuten fahre ich los. Bis dahin musst du dein Fahrrad samt Gepäck im Auto haben. Schaffst du das in dieser kurzen Zeit?“
„Ich habe schon gefrühstückt. Alle Taschen sind gepackt. Das schaffe ich leicht.“
Ehrensache. In Windeseile staple ich meine Sieben-Sachen in seinen geschlossenen Pick-up-Wagen und ab geht es auf der Interstate (8) nach El Centro. Wir sausen zwischen flachen Feldern mit verschiedenen Gemüsepflanzen dahin.
In El Centro setzt er mich auf dem Platz der Greyhound-Busse ab und fährt weiter zu seiner Arbeitsstelle. Er ist Elektro-Mechaniker. So stehe ich nun im Sonnenschein und stelle fest, dass es hier nicht mehr stürmisch ist. Mir wird gesagt, dass das daher kommt, dass dieser Ort weiter von den Rockys entfernt liegt. Der Sturm kommt nämlich von den Bergen herunter.
Und bei diesem schönen Wetter will ich mit dem Bus fahren? Das wäre ja Sünde gewesen.
Ein sehr schwarzhäutiger Mann stoppt mit seinem Fahrrad vor mir und steigt ab. Wir unterhalten uns recht lange. Er staunt über meine sehr gute Figur und schätzt mich auf 25 Jahre. Das gibt mir wieder ordentlich viel Auftrieb und Selbstbewusstsein.
So starte ich dort wieder per Fahrrad und nehme meine Strecke nach Brawley unter die Räder. Es fährt sich gut. Aber außerhalb der Häuser erfasst mich der kalte Wind. Darum halte ich an und ziehe mir wärmere Sachen über. Weiter geht es gen Norden durch Imperial. So erreiche ich heute ziemlich früh mein Tagesziel.
In einem Geschäft esse ich einen sehr guten Thunfisch-Salat mit recht viel Gemüse, kaufe noch für den nächsten Tag ein und suche mir die Bibliothek. Es sind wieder Liebesbriefe eingetroffen. Bald habe ich sie beantwortet und frage die junge Angestellte: „Wissen sie, wie ich zu meinem Campingplatz kommen kann?“
Sie lässt sich meine Streckenkarte zeigen. Gemeinsam stellen wir fest, dass er ca. 8-9 km außerhalb meiner Streckenführung liegt.
Sie schaut mich ernst an und meint: „Ich gebe dir einen Tipp, wie du günstig in einem Gebäude in der Nähe schlafen kannst. Rufe diese Nummer an und melde dich an.“
Ich rufe sofort an und buche mich telefonisch ein. Kurz darauf bin ich dort und lege mich sofort nach dem Duschen schlafen. Um 17.00 Uhr weckt mich mein Wecker. Fein angezogen schiebe ich mein Rad mit allen schmutzigen Sachen zum Waschautomaten. Es wird draußen schon wieder dunkel. Starker Wind ist aufgekommen. Wenn mein Trockner fertig ist, gehe ich noch einmal zum Einkaufen und werde zu Abend eine Pizza essen.