Читать книгу Unter Käfern und Schlangen - Hermine Stampa-Rabe - Страница 21
Angst im Apachen-Reservat
ОглавлениеDie Wolken haben sich über Nacht wieder verzogen. Durch mein kleines Zeltfenster kann ich über mir Sterne strahlen sehen. Im Zelt mische ich mir mein Müsli zusammen und esse es. Danach verschwinde ich im Bad. Um 6.45 Uhr kommt die Sonne gerade über den Berghang, als ich bei verhältnismäßig warmem Wetter starte.
Es fährt sich ausgezeichnet und überwiegend bergab. Heute möchte ich unbedingt viele Kilometer wieder gut machen. Mit ordentlich viel Power halte ich mein bepacktes Rad in guter Geschwindigkeit. So brause ich durch Florence Junction und habe die Ehre, jetzt hoch über den Gonzales Pass radeln zu dürfen. Auch das geht ganz gut. Die Abfahrt ist super. In großen Schleifen rase ich zu Tal. Hin und wieder mal ein kleiner Berg, aber überwiegend abwärts. Herrlich!
Superior erscheint vor meinen Blicken. Dieser kleine Ort liegt vor einem großen Gebirgsmassiv. Hier hätte ich eigentlich gestern Abend ankommen müssen. Jetzt ist Mittagszeit. So suche ich mir ein Restaurant, setze mich hinein und bitte um etwas Essbares, das nicht zu lange Zeit der Zubereitung benötigt, weil ich mir dessen bewusst bin, dass jetzt ein sehr schweres Stück Arbeit vor mir liegt. Ich muss nämlich über ein hohes Gebirgsmassiv, das drohend direkt hinter diesem Ort steht.
Der Kings Crown Peak mit 5.541 Fuß ist nicht als harmlos anzusehen. Es schließen sich laut meiner Karte der Signal Mtn. mit 4.829 Fuß an. Dann soll noch ein Pass genommen werden. Das liegt also alles vor mir.
Auf den höheren Regalen in diesem Restaurant sind allerlei dekorative Gerätschaften aus der ehemaligen Silbermine zur Schau gestellt. In diesem großen Raum sitzen einige Gäste, die mich auf meinem Fahrrad bis hierher überholt haben und mich daher erkennen. Sie grüßen mich alle voll Hochachtung und lächelnd. Ich fühle mich wohl. Mit meinem Sprite spüle ich erst einmal den Staub aus meinem Schlund. Der Rest ist für den Durst. Auf die Frage, wie ich meine Spiegeleier haben möchte, sage ich: sunny side. Dieses bedeutet "sonnige Seite", also, dass sie in der heißen Pfanne nicht umgedreht werden sollen. Die Bratkartoffeln bestehen aus dicken Stücken mit der Schale daran. Aber ich ziehe sorgfältig jedem Stück die Schale über die Ohren. Glücklich satt verlasse ich das Lokal und gehe zu meinem Rad.
Ein freundlicher Mann spricht mich von weitem an und fragt mich, ob er mir einen Lift hinauf auf das Gebirge geben darf. Dieser Mann saß vorher auch in der Gaststätte. Jetzt lächelt er mich freundlich und aufmunternd an. Dieses tolle Angebot kann ich nicht ablehnen. Im Nu habe ich meine Packtaschen samt Fahrrad auf seinem Pick-up verstaut und sitze im Führerhaus auf dem Beifahrersitz. Hinten sitzt ein großer Junge. Der Junge heißt Sheldan und hat heute Geburtstag.
Und dann geht es bergauf. Wir fahren auf ein grandioses Gebirge. Er hält hin und wieder an, damit ich ein Foto machen kann. Wie glücklich bin ich, dass ich dieses harte Stück Arbeit durch diesen Lift ersetzt bekomme. Oben angelangt, es ist eben hinter dem Signal Mtn., fährt er rechts auf ein Grundstück, wo der Junge wohnt und er selbst auf dem nächsten Grundstück.
Geschwind habe ich mein Rad samt Gepäck vom Auto abgeladen. Kurze Zeit später steht mein voll bepacktes Rad fertig zur Weiterfahrt neben mir. Ich bedanke und verabschiede mich ganz herzlich und verspreche, ihm per Email zu schreiben. Er bezeichnet dieses Gebiet, auf dem er wohnt, als Top of the world. Sehr passend, finde ich.
Ich radle allein weiter. Mit einigen Unterbrechungen geht es durch ein großes Gebirge wieder zu Tal. Es ist verhältnismäßig früh, so dass ich mir vornehme, den Campingplatz am San Carlos Lake zu erreichen. Dann habe ich meinen verlorenen Tag hinter Phoenix wieder aufgeholt.
Schon seit längerer Zeit radle ich durch das San Carlos Apache Reservation. Alle Indianer besitzen ein Haus mit Grundstück und mehrere Autos, wie ich sehen kann. Sie leben meines Erachtens hier ganz prima.
Als ich von meiner guten Straße (70) rechts auf die (3) abbiegen muss, bereitet mir das Radeln keine Freude mehr. Die (3) erweist sich als eine ausgesprochen schlechte Straße. Der Straßenbelag ist überall aufgebrochen. Ich kann nur noch langsam vorankommen. Und dann geht es noch mehrmals bis auf 1.000 m in die Höhe. Das auf meiner Karte eingezeichnete Geschäft, in dem ich für heute Abend und morgen früh einkaufen möchte, finde ich tatsächlich. Und der erste Campingplatz liegt kurz davor tief unten am See. Den Weg möchte ich nicht hinunter fahren. Am nächsten Morgen hätte ich mein schweres Rad von dort wieder hochschieben müssen.
Auf meiner Streckenkarte sehe ich noch drei weitere Campingplätze weit hinter dem Geschäft. Zuerst kaufe ich ein. Mit dem Inhaber komme ich ins Gespräch. Er ist ein Apache, ein Nachkomme des berühmten Apachen-Häuptlings Geronimo. Das Leben der Apachen hat sich sehr gewandelt. Sie sind alle durch die amerikanische Schule gegangen und haben Berufe erlernt. Dieser Inhaber ist ein richtiger Geschäftsmann geworden. Ich darf ihn beim Geld zählen fotografieren. Vor Ehrfurcht vor ihm vergesse ich, hier meine ganzen Wasserflaschen neu aufzufüllen, die leer sind.
Mein weiterer Weg für heute Abend geht über Berge, Berge, Berge und Berge westlich um den See herum und gen Osten weiter. Es wird schon 18.00 Uhr und noch immer habe ich keinen dieser drei nächsten Campingplätze gefunden. Ich nehme meine Karte heraus und studiere die Rückseite. Da steht, dass nur der Campingplatz beim Geschäft zu empfehlen ist. Bei den anderen kann ich nichts kaufen und auch nicht duschen. Und da es hier ab 18.00 Uhr anfängt, dunkel zu werden, sitze ich jetzt in der Klemme.
Seit einiger Zeit fahren gut gekleidete junge Apachen in zwei Autos abwechselnd von vorne oder von hinten langsam an mir vorbei. Sie lachen über mich. Ich lächle sie an und radle weiter. Was soll ich auch sonst machen? Nur keine Angst zeigen!
Irgendwo muss ich mich zur Ruhe legen. Die Sonne wird innerhalb einer Stunde untergehen. Und weit und breit ist kein Campingplatz in Sicht. Also entschließe ich mich, hier im Apachen-Reservat wild zu zelten. Nur dürfen die Indianer in ihren Autos nicht mitbekommen, wo ich mich häuslich niederlassen werde.
Ich entschließe mich kurzerhand und notgedrungen, zwischen den kleinen gerade grün werdenden Sträuchern mein Zelt aufzuschlagen. Aber möglichst so, dass ich auf einer geraden Fläche schlafen und von der Straße aus nicht gesehen werden kann.
Ich denke an die Skorpione, Schlangen, Coyoten und Füchse. Mir ist recht mulmig zumute. Ich finde ein Plätzchen, das ich von den groben Steinen befreie, mein Fahrrad horizontal dicht unter einen Busch lege, die Lampe mit Strauch bedecke, damit sie bei einem ankommenden Auto nicht reflektiert und beeile mich, mein Zelt notdürftig ohne Stangen fertig zu machen. Jedes Mal, wenn ein Auto in der Nähe auf der Straße ankommt oder etwa zu mir hochkommt, ducke ich mich. Ich breite die Unterlage auf dem pieksigen und leicht steinigen Untergrund aus und lege das nicht aufgestellte lockere Zelt darauf. Schnell schiebe ich durch den Eingang meine ganzen roten Packtaschen ins Zelt, öffne die drei Lüftungsklappen, krabble selbst noch dazu hinein und schließe den Reißverschluss.
Mein Zelt besitzt dieselbe Farbe wie das Laub der Büsche. Und da ich es nicht aufgestellt habe, ist es als solches nicht zu erkennen und fällt nicht in der Landschaft zwischen den Büschen auf.
Durch das kleine Netzfenster in Richtung Straße kann ich die Indianer-Autos wieder kommen und in einiger Entfernung an mir vorüber fahren sehen. Sie kommen ziemlich schnell wieder und kurven in meiner Gegend herum. Ich merke, dass sie mich suchen. Sie wollen wohl wissen, wo diese verrückte Fahrrad-Frau schlafen will und nun geblieben ist. In einer Entfernung von ca. 10 m fährt ein Auto auf der anderen Seite des Busches vorbei. Sie sehen mich nicht. Mein Herz rast. Wahnsinnige Angst hat mich erfasst.
Früher habe ich als kleines Mädchen die Cowboy-Hefte meines ältesten Bruders Hermann gelesen. Darin kamen Cowboys, Banditen, Sheriffs und Indianer vor. Wie habe ich diese Romane verschlungen! Später hat mein Bruder mit anderen Jungs und mir Cowboy und Indianer gespielt.
Dieses fällt mir nun eben ein und ich muss darüber halbwegs lächeln. Es kommt mir nun zugute.
Wie schwitze ich in meinem ungemütlichen Aufenthalt. Die Zeltplane liegt dicht auf mir drauf. Von innen ist sie schon ganz nass geschwitzt. Die Feuchtigkeit kommt durch meine dünne Fahrradgarderobe bis auf die Haut. Unangenehm! Aber ich muss ausharren.
Die Sonne ist schon lange untergegangen und der Vollmond steht genau über mir. Als nun in der völligen Dunkelheit kein Auto mehr nach mir sucht, wage ich es, aus meinem Versteck zu krabbeln und mein Zelt im Vollmondschein aufzubauen. Die Indianer sind in ihren Schlupflöchern verschwunden und werden morgen sicher lange schlafen.
Der Mondschein fällt genau durch mein kleines Zeltfenster und erhellt mir das Innere genug zum Abendessen. Sogar meine Vitamine kann ich für den nächsten Tag hervorholen und abzählen. Heute ziehe ich mich nicht mehr aus, sondern lege mich einfach so hin. Ans Tagebuchschreiben bei Stirnlampenschein ist aus Sicherheitsgründen nicht zu denken. Das muss bis morgen warten.
Langsam beruhigt sich mein Puls. Das ist noch einmal gut gegangen. Ich bin ganz stolz auf mich.