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3.9.5Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
Оглавление72fBereits die erste Fassung des VwVfG (1976) enthielt Bestimmungen über den schriftlichen Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird (sog. Computerverwaltungsakt164). Durch das 3. VwVfÄndG165 wurden besondere Bestimmungen über die Voraussetzungen und Sicherung der elektronischen Kommunikation zwischen dem Bürger und der Verwaltung eingeführt. Auch in den folgenden Jahren ist das VwVfG weiter für elektronische Verfahren geöffnet worden. In einer Vielzahl von Vorschriften wird die elektronische Kommunikation bzw. Interaktion angesprochen.
Grundnorm für die für die elektronische Kommunikation der öffentlichen Verwaltung ist § 3a VwVfG. Sie ist ein wesentlicher Baustein für die Entwicklung der öffentlichen Verwaltung zu einer elektronischen Verwaltung.166 Diese Vorschrift gilt für Verwaltungsverfahren i. S. d. § 9 VwVfG, förmliche Rechtsbehelfsverfahren i. S. d. § 79 VwVfG (Widerspruchsverfahren) und alle weiteren Verwaltungstätigkeiten, die unter den Anwendungsbereich des § 3a VwVfG fallen.167 Handelt die Verwaltung auf dem Gebiete des Verwaltungsprivatrechts (Begriff siehe Rdnr. 76 ff.) wird § 3a VwVfG durch die §§ 126 ff. BGB ergänzt.
72gNach § 3a I ist die Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung mittels elektronischer Dokumente nur zulässig, soweit der Empfänger hierfür den Zugang eröffnet hat. Empfänger sind insoweit Bürger und Verwaltung. Die Widmung (subjektives Element) ist unter Beachtung der Verkehrsanschauung zu ermitteln.168
Für die Zugangseröffnung gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit, vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Grundlage. Damit kann zu dieser Zugangseröffnung eine Privatperson regelmäßig nicht verpflichtet werden. Dagegen kann es für die Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen eine Pflicht zur Zugangseröffnung geben. So bestimmt beispielsweise § 71c VwVfG, dass Verfahren über eine einheitliche Stelle (siehe §§ 71a ff. VwVfG) auf Verlangen in elektronischer Form abzuwickeln sind. So ist nach § 2 I EGovG jede Behörde verpflichtet, auch einen Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente, auch soweit sie mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, zu eröffnen. Die Zugangseröffnungspflicht besteht aber nur für diejenigen Behörden, die vom Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfasst werden (vgl. § 1 EGovG169). Dort wo eine verpflichtende Vorgabe fehlt, steht die Eröffnung des Zugangs im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Im Hinblick auf die dynamische Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft ist aber fraglich, ob eine moderne Verwaltung sich dieser Kommunikationsmedien verschließen kann.
Eine Zugangseröffnung kann auch nur partiell erfolgen.
Beispiele:
a) Bürger begrenzt den Zugang auf das aktuelle Verwaltungsverfahren.
b) Behörde eröffnet den Zugang nur für informelle – und nicht für rechtsverbindliche – Korrespondenz.
Die Zugangseröffnung kann ausdrücklich, aber auch konkludent erfolgen.170 Bei der Frage, ob eine wirksame Zugangseröffnung erfolgt ist, wird eine differenzierte Betrachtung geboten sein. So muss der Bürger seine Bereitschaft zum Empfang rechtsverbindlicher Erklärungen auf elektronischem Wege gegenüber der Behörde regelmäßig ausdrücklich zuvor kundtun. Ein Briefkopf mit der Angabe einer E-Mail-Adresse reicht für die Annahme einer Zugangseröffnung regelmäßig nicht aus.171
Beispiele für eine wirksame Zugangseröffnung:
a) Ausdrückliche Erklärung gegenüber der Behörde.
b) Elektronische Antragsstellung
c) Fortgesetzte elektronische Kommunikation
d) Veröffentlichung einer De-Mail-Adresse.
Im Vergleich zum Bürger wird man bei Unternehmen und bestimmten freiberuflich Tätigen (z. B. Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) geringere Anforderungen an die konkludente Zugangseröffnung stellen können. Hier reichen beispielsweise die Angabe einer E-Mail-Adresse im geschäftlichen Briefkopf und die Vorhaltung eines elektronischen Postfaches aus, um von einer (konkludenten) Zugangseröffnung ausgehen können.
Bei der Behörde wird dagegen grundsätzlich bereits in dem öffentlichen Internetauftritt und in der Aufnahme einer E-Mail-Adresse im Briefkopf die Zugangseröffnung für den elektronischen Verkehr zu sehen sein. Ein ablehnender Wille der Behörde muss ausdrücklich erklärt werden (z. B. entsprechender Hinweis auf der Homepage).172
Mit der Eröffnung des Zugangs haben die Beteiligten sicher zu stellen, dass (z. B.) die E-Mail-Postfächer regelmäßig abgerufen werden.
72hSofern die Schriftform gesetzlich angeordnet ist173, kann die Schriftform durch ein elektronisches Dokument mit einer qualifizierten Signatur ersetzt werden (§ 3a II1). Nach Art. 3 Nr. 12 eIDAS-Verordnung (siehe Rdnr. 72 n) ist eine qualifizierte elektronische Signatur eine fortgeschrittene Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht.174 Das Erfordernis einer qualifizierten Signatur soll sicherstellen, dass das Dokument der einzelnen Funktionen175 einer gesetzlich angeordneten Schriftform entspricht.
Nach § 3a II 4 kann die Schriftform auch ersetzt werden durch
– Abgabe einer Erklärung in einem elektronischen Formular (Nr. 1).
Erforderlich ist hier, dass der Vordruck unmittelbar am Computer ausgefüllt wird. Damit muss die Behörde das auszufüllende Formular in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze (z. B. Internet) zur Verfügung gestellt haben. Für die Eingabe über öffentlich zugängliche Netze hat ein sicherer Identitätsnachweis nach § 18 Personalausweisgesetz oder nach § 78 V Aufenthaltsgesetz zu erfolgen.
– elektronische Übermittlung von Anträgen und Anzeigen an die Behörde mit der Versendeart nach § 5 V De-Mail-Gesetz (Nr. 2)
– Versendung einer De-Mail-Nachricht durch die Behörde nach § 5 Abs. 5 De-Mail-Gesetz, bei der die Bestätigung des akkreditierten Diensteanbieters die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lässt. Erfasst werden elektronische Verwaltungsakte sonstige elektronische Dokumente (Nr. 3)
– sonstige sichere Verfahren, die durch Rechtsverordnung festgelegt werden (Nr. 4).
Mit § 3a hat der Gesetzgeber eine Generalklausel geschaffen, die grundsätzlich auch für das besondere Verwaltungsrecht gilt (z. B. § 10 BImSchG). Abweichungen von der Grundentscheidung des § 3a bedürfen einer ausdrücklichen Regelung.176 Abweichungen sind in unterschiedlicher Richtung denkbar. So kann von dem Erfordernis einer qualifizierten Signatur „nach unten“ abgewichen werden, wenn dies im Normtext durch die Formulierung „… oder elektronisch …“ zum Ausdruck gebracht worden ist.177 In diesen Fällen kann bei der elektronischen Kommunikation auf die elektronische Signatur verzichtet werden. Auch wenn ein höheres Sicherheitsniveau gefordert wird, ist eine ausdrückliche Regelung erforderlich.178 Ferner gibt es einzelne Bereiche, wo durch Rechtsvorschrift bestimmt ist, dass die gesetzlich angeordnete Schriftform nicht durch die elektronische Form ersetzt werden kann.179
72iDamit die elektronische Form die (gesetzlich vorgesehene) Schriftform (§ 3a II) ersetzen kann, müssen die folgenden Voraussetzungen vorliegen:
– Empfänger hat Zugang eröffnet
– erforderliche Signatur wurde angebracht bzw. es wurde eines der nach § 3a II angebotenen Ersatzsicherungssysteme genutzt
– entgegenstehende Rechtsvorschriften sind nicht vorhanden
Nicht zulässig ist dagegen die Signierung mit einem Pseudonym, das die Identifizierung der Person des Signaturschlüsselinhabers nicht unmittelbar durch die Behörde ermöglicht (§ 3a II 3).
Technische Kommunikationsprobleme gehen grundsätzlich zu Lasten des Absenders. § 3a III fordert aber von den Beteiligten die aktive Mitwirkung bei der Bewältigung der Probleme.
72jZwischenzeitlich ist auch die öffentliche Bekanntmachung im Internet gestärkt worden. Ist durch Rechtsvorschrift eine öffentliche oder ortsübliche Bekanntmachung angeordnet, soll die Behörde deren Inhalt zusätzlich im Internet veröffentlichen (§ 27a I 1).180 In welchem Umfange Unterlagen veröffentlicht werden sollen, ergibt sich auch aus § 27a I 3. In der öffentlichen oder ortsüblichen Bekanntmachung ist die Internetseite anzugeben (§ 27a II). Dabei ersetzt die Internetbekanntmachung nicht die traditionelle Form der Bekanntmachung und Auslegung der maßgeblichen Unterlagen. Auswirkungen hat diese Vorschrift zunächst für Planfeststellungsverfahren. Aber es gibt auch Bezüge zu § 41 IV und ggfs. § 10 II VwZG. Die Sollvorschrift soll verhindern, dass bei nicht erfolgter oder aber fehlerhafter Internetbekanntmachung ein selbstständiger Verfahrensfehler das Verfahren belastet.181
72kDie §§ 71a bis 71e regeln die Verfahren, die über eine einheitliche Stelle (siehe RdNr. 80 f.) abgewickelt werden. Nach § 71e 1 werden diese Verfahren auf Verlangen in elektronischer Form abgewickelt.182 Damit entscheidet hier der Betroffene, in welchem Medium die Verfahrensabwicklung zu erfolgen hat. Diese Vorschrift dient der Umsetzsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie (hier Art. 8), der die elektronische Verfahrensabwicklung für dienstleistungsrelevante Verfahren sowohl über den einheitlichen Ansprechpartner als auch die zuständige Behörde verpflichtend vorgibt.