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2.2 Muttersprachliche Bildung in den 50er und 60er Jahren

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Welche Ziele verfolgt der Deutschunterricht? Und wie sind diese Ziele am besten zu erreichen?

Nach dem Zweiten Weltkrieg bis weit in die 60er Jahre hinein waren die Antworten auf diese Fragen unstrittig: Ziel des „muttersprachlichen Unterrichts“ war die sprachliche Persönlichkeit. Dabei hatte der Begriff der Muttersprache zentrale Bedeutung. Ansatzpunkt waren sprachphilosophische Überlegungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Wilhelm von Humboldts: Muttersprache ist demnach die Sprache der Menschen, die zu einer historisch entstandenen Sprachgemeinschaft gehören. Über die Jahrhunderte hinweg wurde die Muttersprache, wie sie sich heute darstellt, von den Angehörigen der Sprachgemeinschaft entwickelt. Damit wurde sie auch von Weltbild, Werten und Denkweisen der Sprachgemeinschaft geprägt; sie wirkt mit dieser Ausprägung auf die Angehörigen der Sprachgemeinschaft zurück. Das Kind wächst somit zugleich mit seiner sprachlichen Entwicklung in das Weltbild und die geistigen Möglichkeiten seiner Sprachgemeinschaft hinein.

Für die sprachliche Entwicklung ist nun folgender Gedanke wichtig: Die Sprache darf dem Kind nicht von außen aufgesetzt werden, z. B. in Wörtern, die in ihrer äußeren Form vokabelähnlich gelernt werden. Vielmehr muss das Kind die sprachlichen Möglichkeiten seiner Muttersprache für sich selbst entwickeln und dabei eine Stimmigkeit zwischen dem, was es sagen will, und dem sprachlichen Ausdruck dafür herstellen und empfinden. Diese Entsprechung zwischen Gemeintem und sprachlicher Form, zwischen „Sinngehalt“ und „Sinngestalt“, wurde mit einem Begriff Humboldts als innere Sprachform bezeichnet, als eine Sprachform also, die von innen heraus bestimmt wird.

Aus dieser idealistischen Sprachphilosophie des 19. Jahrhunderts konnte nicht unmittelbar eine Sprachdidaktik abgeleitet werden. Aber sie wurde zum geistigen Überbau für die Konzeption der Muttersprachlichen Bildung.

1927 griff Walter Seidemann den Gedanken der „inneren Sprachform“ auf und forderte für den Deutschunterricht, dass er „innere Sprachbildung“ sein müsse (vgl. Seidemann 1927). Leo Weisgerber führte diese Gedanken nach dem Zweiten Weltkrieg fort (vgl. Weisgerber 1949, 1963). Die Begriffe „Muttersprache“ und „innere Sprachbildung“ wurden zu didaktischen Leitsternen zahlloser Methodiken. Sie ergänzten den sprachphilosophischen Überbau durch didaktische und methodische Setzungen: Unter Muttersprache wurde die hochsprachliche Variante verstanden; die Äußerungsformen waren an Sprachvorbildern orientiert.

 Im mündlichen Unterricht repräsentierte vor allem der Lehrer durch sein Sprachvorbild Form und Wert der Muttersprache. Dieser Bereich wurde als Sprachpflege, als Gesprächs- und Sprecherziehung verstanden.

 Im Rahmen der literarischen Erziehung waren dichterische Texte wichtige Repräsentanten muttersprachlichen Kulturgutes, an denen die Stimmigkeit von „Sinngehalt und Sinngestalt“ erfahrbar war. Texte außerhalb dieses in Form und Inhalt als vorbildhaft verstandenen Schriftgutes wurden in den Unterricht nicht einbezogen, zum Teil fielen sie unter strenges Verdikt, etwa durch pauschale Abwertung als „Schundliteratur“, wie es u. a. mit Comics geschah.

 Dichterische Texte waren zugleich Vorbilder für die eigene „Stilpflege“ in der „Aufsatzerziehung“, beim „schriftlichen Sprachgestalten“.

 Die „Sprachbildung“ mit ihren Teilen der unbewussteren „Sprechübung“ und der bewussten „Sprachbetrachtung“ sollte sprachpflegerisch wirken: Die Schüler sollten einerseits Sprach- und Satzmuster der Hochsprache üben sowie ihr Gefühl für die hochsprachliche Norm entwickeln und festigen. Sie sollten andererseits „Einsicht in den Bau der Sprache“ gewinnen. Dadurch sollten sie fähiger werden, ihren Sprachgebrauch selbst zu kontrollieren, der hochsprachlichen Norm anzupassen und die Möglichkeiten der Muttersprache zu erkennen.

Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage)

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