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2.4 Der zweite didaktische Umbruch:Subjektivismus und Konstruktivismus Von „kindorientiert“ zu „kindgeleitet“ – Subjektivismus

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Sowohl die Muttersprachliche Bildung als auch die Didaktik der sprachlichen Kommunikation nahmen für sich in Anspruch, „vom Kind aus“ zu denken. Dieser Ausgangspunkt vom Kind her „verleitet aber dazu“, wie Barbara Kochan urteilt, „nicht vom wirklichen Kind, sondern von einem Bild des Kindes auszugehen, das uns in der trügerischen Sicherheit wiegt, das Kind – auch das jeweilige Kind – zu kennen“ (Kochan 1998, 92).

Vom Ende der 70er Jahre an zeichnete sich in einigen Feldern der Grundschuldidaktik demgegenüber eine Umorientierung ab: Der Blick wurde auf die Kinder als Subjekte ihres eigenen Lernens gerichtet. Um es mit einer Formel Barbara Kochans zu beschreiben: „vom Unterricht für Kinder zum Unterricht mit Kindern“ (Kochan 1998, 86). Ein Einstieg in diesen Blickwechsel war die andere Sichtweise von Fehlern – nicht als „Verfehlung“, wie es der Blick von außen, sondern als Schritt im Lernprozess, wie es der Blick vom Lerner aus nahelegt. Pankraz Blesi wies schon 1979 an Leseproben nach, dass Fehler beim Lesen nicht als Versagen bewertet werden dürfen, sondern dass sie „ein Fenster auf den Lernprozess“ öffnen: „Verlesungen“ zeigen, welche Lesestrategien ein Kind bereits erworben hat, wie es mit ihnen experimentiert (vgl. Blesi 1986, 16 ff.). Barbara Kochan resümierte 1981 erste didaktische Ansätze zu einem kindgeleiteten Rechtschreibunterricht im Unterschied zum seinerzeit didaktisch vorherrschenden normgeleiteten. Fehler sind „nicht mehr voreilig und einseitig als Verfehlungen, sondern auch als Hinweise auf Lernaktivitäten und -strategien anzusehen, zu verstehen und zu würdigen.“ (Kochan 1981, 158)

Anregungen dazu waren aus dem angelsächsischen Sprachraum gekommen. Sie führten hierzulande zu einer wachsenden Zahl von Untersuchungen über den eigenaktiven Schriftspracherwerb von Kindern – eine Entwicklung, die bis heute anhält. Diese Hinwendung zu den Lernprozessen der Kinder stellte zum Teil bisheriges didaktisches Denken auf den Kopf:

 Auch Schulanfänger sind bereits Lernexperten, schließlich lernen sie täglich und intensiv bereits seit sechs Jahren. Sie sollten ihren Lernweg auch in der Schule weitergehen dürfen. Dies bedeutet z. B. für den Schriftspracherwerb: Er beginnt nicht in der Schule mit dem ersten Buchstaben, dem dann sukzessive weitere Buchstaben folgen, sondern es werden Schreibsituationen geschaffen, sodass die Kinder von Anfang an eigenaktiv ihren Weg in die Buchstabenschrift gehen und fortsetzen.

 Die Wege und Strategien der Kinder sind teilweise andere, als die bisherige Didaktik angenommen hat. So nähern sie sich über Entwicklungsstufen der normgerechten Schreibung, anstatt orthografische „Wort­bilder“ zu speichern; sie verwenden die Antiqua-Schrift (gedruckte Großbuchstaben) statt der vermeintlich prägnanteren Mischung von Groß- und Kleinbuchstaben.

 Fehler sind dabei nicht möglichst zu vermeiden, sondern zuzulassen und zu interpretieren, was sie als Lernleistung bereits offenbaren. Kinder, die zunächst lautentsprechend, möglicherweise nur mit Konsonanten schreiben („FT“ oder „FATA“ für „Vater“), beginnen damit keine Karriere als „Legastheniker“, sondern zeigen, dass sie auf eigenaktivem Weg in die Schrift sind, und sie zeigen, was sie schon können.

Besonders bekannt wurde der Ansatz des kindgeleiteten Schriftspracherwerbs durch Hans Brügelmanns Projekt „Kinder auf dem Weg zur Schrift“ (Brügelmann, zuerst 1983).

Zeitgleich wurde grundschulpädagogisch mit gleicher Blickrichtung über die Konzepte innerer Differenzierung weitergedacht. Bis dahin hatte der Lehrer oder die Lehrerin über die Differenzierung entschieden: wer von den Kindern mehr Aufgaben bekam (quantitative Differenzierung), wer leichtere oder schwierigere Aufgaben lösen sollte (qualitative Differenzierung). Mit der radikalen Orientierung am Kind wurde nun von den Kindern her differenziert: „Kinder differenzieren sich selbst“ wurde die Option. Konzepte freier Arbeit wurden diskutiert und verbreiteten sich in Schulen, auch als Ergänzung gegenüber der vom Lehrer durchgeplanten Wochenplanarbeit. „Freie Arbeit“ sollte helfen, „individuelle Interessen und selbstgesteuerte Aktivitäten“ der Kinder zu entwickeln (Lichtenstein-Rother/Röbe 1982, 208). Sprachunterrichtlich entsprechende Stichwörter dieser „subjektiven Wende“ waren freies Schreiben und freies Lesen, später Fantasiereisen mit ihrer subjektiven, inneren Vorstellungsbildung oder individuelle Lesetagebücher.

Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage)

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