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„Von der Instruktion zur Konstruktion“ – Konstruktivismus

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Die Hinwendung zum Kind als Subjekt seines Lernens war keine sprachdidaktische Spezialität, sondern stellt sich von heute her betrachtet wie der Vorbote zu einer lerntheoretischen Neuorientierung dar, die international diskutiert wird: In den 90er Jahren erhielten Erkenntnistheorien eine neue Wertschätzung, die davon ausgehen, dass bei unserer Wahrnehmung von Welt nicht etwas Vorhandenes abgebildet wird, sondern dass jeder sie für sich neu konstruiert und deshalb individuell wahrnimmt. Auf das Lernen und die Schule bezogen heißt das: Sprachbilder wie Stoffvermittlung, Speicherung von Wissen sind falsch, weil sie Wissen verdinglichen – als würde zum bisherigen Wissen neues lediglich addiert. Der Konstruktivismus geht demgegenüber von der Grunderkenntnis aus, „dass Wissen ‚nie als solches von einer Person zur anderen übermittelt werden‘ kann, weil ‚die einzige Art und Weise, in der ein Organismus Wissen erwerben kann, darin besteht, es selbst aufzubauen oder für sich selbst zu konstruieren.‘“ (Glasersfeld in: Müller 1996, 62).

Inzwischen gibt es eine Reihe unterschiedlicher, konstruktivistischer Lerntheorien von radikal bis moderat, die aber hier nicht weiter skizziert werden (siehe z. B. Müller 1996, 24 ff.). Schulpädagogisch hat sich durch­gesetzt, was als „gemäßigter Konstruktivismus“ bezeichnet wird (vgl. Speck-Hamdan in: Bartnitzky u. a. 2009, 175). Hier interessiert der Zusammenhang mit der sprachdidaktischen Diskussion.

Die didaktischen Ansätze des Subjektivismus wurden durch die Konstruktivismus-Diskussion erheblich unterstützt und zusätzlich lernpsychologisch legitimiert. Insbesondere vier Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung:

 der Blick auf die eigenaktiven Lernprozesse der Kinder, die beim Schriftspracherwerb durch Forschung und Praxisentwicklung zu offenkundigen Neuorientierungen geführt haben;

 die Wichtigkeit von Begründungen für Kinder, eigenaktiv tätig zu sein, die z. B. Schreibprojekte und Interessenförderung, überhaupt: authentische Sprachhandlungssituationen ins Spiel bringen;

 die Notwendigkeit, vielfältig anregende Lernwelten zu schaffen, wie z. B. den Aufbau einer Schreib-Lese-Kultur und einer zum Schreiben und Lesen animierenden Lernumgebung (siehe z. B. Müller 1996, 81 ff.);

 die Meta-Ebene, also das Bewusstsein vom eigenen Lernen und die Metakommunikation, das bedeutet soziale Auseinandersetzungen und Selbstvergewisserungen über Erfahrungen, Sichtweisen, Lernprozesse und Lerndokumente (siehe z. B. Müller 1996, 103); von hier erhalten soziale Lernsituationen, wie Gesprächskreise, Klassenrat, Schreibkonferenzen, ihre auch sprachdidaktische Bedeutung, ebenso individuelle Lern­situationen wie das Schreiben von Lerntexten oder Lesetagebüchern.

Die gegenwärtige Diskussion macht folgende Fragen offenkundig: Wie können die individuellen Lernentwicklungen und Lernwege der Kinder verlässlich festgestellt und interpretiert werden? Welche unterschiedlichen Hilfen und Anregungen brau­chen Kinder auf ihren eigenen Lernwegen? Inwieweit muss eigenaktives Lernen durch direktiven Unterricht ergänzt werden? Mit anderen Worten: Inwieweit ist erfolgreicher Unterricht auf das Zusammenspiel von Instruktion und Konstruktion angewiesen?
Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage)

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