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„Fünf Finger sind eine Faust“ – kritische Didaktik

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Mit dem sozialistischen Sprachbild der Faust wird in Sprichwörtern wie diesem die Macht der Solidarität verdeutlicht.

Die von den Universitäten Ende der 60er Jahre ausgehende Politisierung des Denkens und Handelns, die aufklärende Bedeutung der „kritischen Theorie“ erfasste weite Teile der Intellektuellen. Für den Bildungsbereich prägte, zumindest aber beeinflusste dieser emanzipationsbewusste Aufbruch die Lehrerbildung, die Curriculumdiskussion, die Medien sowie die jüngere und jüngste Lehrergeneration. Veränderung der Gesellschaft in Richtung auf Demokratisierung in allen Bereichen und Emanzipation des Individuums durch politisches Handeln erschien möglich, wenn dies im Erziehungs- und Bildungsbereich „von Grund auf“ angelegt würde. Für die Deutschdidaktik gaben die 1970 gegründete Zeitschrift „Diskussion Deutsch“ (Frankfurt am Main) und die Veröffentlichungen des „Bremer Kollektivs“ wichtige Orientierungen (Bremer Kollektiv 1974 a und b).

Didaktisch-methodische Konsequenz für den Bereich der Grundschule war eine verstärkte Thematisierung von kindlichen Lebenssituationen und der sie bedingenden Hintergründe, z. B. Wohnsituation auf dem Hintergrund von Mietwucher, Elternverhalten auf dem Hintergrund von Abhängigkeiten am Arbeitsplatz der Eltern, Manipulation durch Werbung, durch Boulevardzeitungen. Was soziolinguistisch zunächst als „restringierter Code“ der Unterschicht bewertet worden war, das wurde hier nicht als Defizit verstanden, sondern als Differenz zur Sprache der Mittelschicht. Der Eigenwert dieser Sprache für die Solidarität der Angehörigen dieser Schicht wurde besonders herausgestrichen. „Hochsprache“ als Ziel war daher zumindest fragwürdig.

Unmittelbare Breitenwirkung erreichte diese politische Didaktik des Deutschunterrichts in der Grundschule nicht. Zum einen erschwerte der intellektuelle Anspruch die kindgemäße Verwirklichung im Unterricht der ersten Schuljahre. Kindgemäße Unterrichtsmodelle dieses Ansatzes, die nicht Meinungen aufzwangen, waren selten. Zum anderen aber zeigte sich in den Folgejahren, dass eine exponiert politische Didaktik keinen gesellschaftlichen Konsens findet. Ein Anlauf, auf Lehrpläne einzuwirken, scheiterte (Hessische Rahmenrichtlinien); Unterrichtswerke, die auch nur in der Nähe zur politischen Didaktik standen, gerieten ins tagespolitische Kreuzfeuer.

Bedeutsam allerdings waren die Auswirkungen dieses Ansatzes auf das didaktische Denken allgemein: Die Grundorientierung am Anliegen zunehmender Emanzipation, der Einbezug von sozialen Situationen und Texten aus dem Lebensalltag der Kinder, Ziele wie eigene Interessen erkennen und wahrnehmen, Texte kritisch lesen können – diese Intentionen wurden von der „Didaktik der sprachlichen Kommunikation“ aufgegriffen und integriert.
Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage)

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