Читать книгу Rayan - Im Auge des Sturms - Indira Jackson - Страница 11
2005 - In der Wüste weit vor Alessia - Ein unhöflicher Gast
ОглавлениеWenn Rayan damit gerechnet hatte, in Taib einen dankbaren und entsprechend höflichen Gast vorzufinden, so hatte er sich getäuscht.
Als es Taib besser ging und er bereits kurze Zeit aufstehen konnte, stand er in der Nähe, als sich der Scheich zu seinem üblichen abendlichen Kontrollritt aufmachte. Erstaunt fragte er einen der Männer, wo ihr Anführer um diese späte Zeit hinreite?
Stolz berichtete der Gefragte, dass das Rayans übliche Routine sei. Er mache dies jeden Abend und Morgen, um ihnen so Ärger vom Hals zu halten. Denn die Wüste verrate ihm, sobald Probleme am Herannahen waren. Man sagte, sie spreche sogar mit ihm und er höre ihr zu.
Doch Taib war keineswegs beeindruckt, wie der Tarmane es erwartet hatte. Statt Ehrfurcht zu zeigen, lachte er trocken. Dann machte er eine eindeutige, kreisende Geste mit seinem Finger in der Höhe seines Kopfes und meinte: „Wenn ihr mich fragt, klingt das eher danach, als hätte er zu viel Sonne erwischt.“
Es war Ibrahim zu verdanken, dass der Krieger dem respektlosen Gast nicht auf der Stelle die Kehle durchschnitt. So über ihren Scheich zu sprechen, war nicht nur ungehörig, es grenzte an Selbstmord.
Später am Abend informierte Ibrahim Rayan über dieses Vorkommnis. Wie sollten sie darauf reagieren? Die Männer im Lager sprachen bereits darüber. Größtenteils waren sie geschockt, wie jemand es wagen konnte, sich derart respektlos zu verhalten. Doch der ein oder andere schien auch den Mut des Fremden zu bewundern. Wenn Rayan den Vorfall unbeachtet ließe, bestand die Gefahr, dass die Männer versuchen würden, ihn nachzuahmen. Auf jeden Fall wäre es ein nur schwer einzuschätzender Gesichtsverlust.
Offenbar war es auch nicht die erste Bemerkung dieser Art. Aber weder der Scheich noch sein Leibwächter konnten Taibs Beweggründe nachvollziehen. Was brachte den Mann dazu, sich so wenig dankbar und unhöflich zu verhalten?
Aufgrund der Verletzungen des Anwaltsgehilfen und des Angriffs hatte Rayan noch keine Gelegenheit gehabt, mehr als drei Worte mit ihm zu wechseln. Er beschloss, dass Taib zumindest so fit sei, ihn auf seine morgendliche Runde zu begleiten.
Also wurde der überraschend am nächsten Morgen noch weit vor Sonnenaufgang geweckt.
Einen Moment lang überlegte Rayan, was er tun sollte, wenn der Mann sich weigerte, mit ihm zu kommen, doch diese Befürchtung erwies sich als unbegründet. Die ersten Minuten ritten sie schweigend nebeneinander her. Der angehende Anwalt war kein erfahrener Reiter und hatte daher seine Mühe, das ihm zugewiesene Pferd zu kontrollieren.
Rayan hielt an und stieg ab. Er untersuchte einige Spuren, die er am Boden gesehen hatte. „Das waren nur wilde Kamele, ohne Reiter, keine Gefahr für uns“, kommentierte er und stieg wieder auf. Schweigend setzten sie ihren Weg fort, bis auf einmal die Sonne über dem Sand emporstieg.
Daraufhin hielt der Scheich inne, um das Schauspiel zu bewundern. Taib war ihm eigentlich nicht einmal so unsympathisch. Wie sollte er ihn aus der Reserve locken?
Es hatte auf jeden Fall keinen Sinn, solange er zu Pferd und entsprechend abgelenkt war und so hielt Rayan schließlich an. Beide stiegen ab und der Scheich zeigte ihm, wie er den Zügel über den Kopf des Pferdes ziehen musste. Ein Zeichen für die Tiere, an diesem Fleck stehenzubleiben.
Dann forderte er Taib auf, sich mit ihm gemeinsam hinzusetzen. Als beide im Sand Platz genommen hatten, begann er damit, genau zu erklären, was er bei seinen morgendlichen Runden machte und warum. Der Aushilfsanwalt hörte staunend zu. Anschließend fragte Rayan unvermittelt: „Wieso provozierst du meine Männer? Hast du solche Todessehnsucht?“
Taib sah ihn einen Moment lang trotzig an und entgegnete dann: „Ich provoziere keineswegs deine Männer, sondern dich.“
Rayan war nicht entgangen, dass sein Gegenüber ganz bewusst nicht die höfliche Anrede gebrauchte, die ihm aufgrund seines Ranges eigentlich zustehen würde. Doch er ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.
Er lachte stattdessen trocken über die direkte Aussage seines widerspenstigen Gastes. „Tut mir leid. Um mich zu provozieren, musst du schon schwerere Geschütze auffahren.“ Er war wirklich amüsiert, denn der Mut des Fremden beeindruckte ihn.
In den Augen von Taib blitzte es wütend auf. Er legte Rayans Lächeln als Arroganz aus und das brachte ihn in Fahrt. Und auf einmal brach es aus ihm hervor und er fuhr den Scheich an:
„Du bist kein Deut besser, als dieser Bandit, der meine Sara getötet hat! Auch du spielst mit der Angst deiner Männer. Nein eigentlich bist DU sogar schlimmer! Denn du bist mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Ich wette, du hast keine Ahnung, wie es ist, Hunger zu erleiden. Schon dein ganzes Leben lang versteckst du dich hinter einer ganzen Armee von Dienern und Leibwächtern und was weiß ich nicht alles. Wenn ich schon sehe, wie alle in Ehrfurcht erstarren, sobald du auch nur näher kommst – zum Kotzen finde ich das! Wie das Leben wirklich ist, für uns, die wir auf der Straße leben, davon hast DU doch keinen Schimmer! Und du sagst, du hast mich gerettet? Das glaube ich erst, wenn ich es sehe. Vermutlich hast du auch nichts anderes vor, als mich an irgendwen weiterzuverkaufen. Welchen Grund sollte ein Egoist wie du sonst haben, sich für mich einzusetzen? Was springt für dich dabei heraus?“
Herausfordernd starrte er Rayan an. Der hatte bei diesen anklagenden Worten jeglichen Humor verloren. Er musste schlucken, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Was fiel diesem Mann eigentlich ein? Das Bild, welches er sich vom Scheich offenbar selbst gemalt hatte, war so falsch und seine Vorwürfe derart ungerecht, dass Rayan das Blut in den Adern kochte. Wie es schien, hatte Taib keine Ahnung von seinem Gegenüber. Aber der Tarmanenführer würde ihm nicht den Gefallen tun, sich zu rechtfertigen, oder gar von den Erlebnissen in seiner Vergangenheit erzählen. Dafür war er zu stolz.
Er bemühte sich, seine Stimme neutral klingen zu lassen, als er entgegnete: „Du scheinst dich ja bestens über mich erkundigt zu haben. Ich nehme deine Haltung zur Kenntnis. Aber es ist tatsächlich so, dass dein Verhalten weniger mich, als vielmehr meine Männer beleidigt. Sie waren es, die ihr Leben für dich eingesetzt haben – bereits zweimal! Damit sind sie nach unseren Gesetzen für dich verantwortlich. Wenn du dich also als Gast nicht benehmen kannst, schlägt das auf sie zurück. Das solltest du in Zukunft im Hinterkopf haben, wenn du weitere Unverschämtheiten versprühst.“
Damit stand er auf, es war alles gesagt.
Nachdenklich sah Taib den Scheich an, als er sich ebenfalls erhob. Er spürte, dass dieser ihm die Wahrheit gesagt hatte.
Und was ihn ebenfalls verblüfft hatte, war, dass dieser die Beleidigungen einfach so hingenommen hatte, ohne sich zu rechtfertigen. Er hatte wortreiche Erzählungen oder Erklärungen erwartet, doch eigentlich war er nun genauso schlau wie vorher. Zudem war Taib nicht dumm. Ihm war völlig bewusst, dass sein Leben auf Messers Schneide gestanden hatte. Denn hätte der Tarmane beschlossen, ihn gleich hier für seine Unverschämtheit zu töten, er hätte es sicher nicht verhindern können. Vielleicht steckte doch mehr in diesem Scheich, als es zunächst den Anschein gehabt hatte.