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02.02.2015 - München - Showdown

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In diesem Moment gab Rayan alle Hoffnungen für sich auf. Die Zeit war einfach zu knapp.

Stattdessen überlegte er, was er tun könnte, um zumindest das Überleben von Tahsin und Carina sicherzustellen, aber auch dazu fiel ihm nichts ein.

Die Männer hatten sich taktisch geschickt platziert: Einer hielt seinen Sohn fest, eine Pistole an dessen Schläfe, der Zweite hielt Carina in der gleichen Weise umschlungen. Der dritte Mann, welcher der Anführer zu sein schien, mit dem er telefoniert hatte, stand ein Stück entfernt, ebenfalls eine Waffe in der Hand.

Fast überrascht fragte sich Rayan, ob es diese Pistole sein würde, die ihn tötete?

Reumütig dachte er an seine Wüste – er hatte immer gehofft, einmal dort zu sterben und begraben zu werden, nicht hier im kalten und grauen München.

Nebenbei registrierte er die Kälte des Bodens und die Feuchtigkeit des nassen Grases, die durch seine Hosenbeine drang. Wie gerne hätte er jetzt stattdessen heißen Sand unter seinen Knien gespürt.

Dann hatte der Mann seine finale Position erreicht. Er stand nun etwas mehr als zwei Schritte seitlich von Rayan. Selbst wenn dieser sich auf ihn hätte werfen wollen, aus der knienden Position hätte er keine Chance gehabt, rechtzeitig hochzukommen.

Dann hob der Anführer den Arm mit der Waffe. Er zielte genau auf Rayans Kopf und sein Gesicht verriet, dass die Zeit der Spielchen abgelaufen war, jetzt war er wie eine Maschine, die nur eines kannte: die finale Kugel abzufeuern.

In Sekundenbruchteilen würde sie den Lauf verlassen, mit einer Geschwindigkeit von 450 Metern in der Sekunde in Rayans Gehirn eindringen und ihn sofort töten.

Er würde nicht einmal mehr merken, dass sein Oberkörper auf den Boden sackte.

„Schöne Grüße von Senator Johnston B. Deering“, flüsterte der Killer heiser, dann krümmte sich sein Finger um den Abzug.

Rayan erwartete fast ein wenig neugierig den Einschlag. Würde er einen Schmerz spüren? Oder würde die Welt einfach in Dunkelheit versinken?

Doch statt des „Plopp“, das Rayan aus eigener Erfahrung von schallgedämpften Waffen her kannte, vernahm er ein undefinierbares Geräusch. Die anderen hatten es auch gehört und alle fünf sahen gemeinsam auf den Anführer der Attentäter.

Sekundenbruchteile lang konnte Rayans Gehirn nicht verarbeiten, was er da sah. Zu sehr hatte er sich auf seine eigenen letzten Sekunden, seinen Tod, konzentriert.

Der Blick des Mannes hatte einen überraschten Ausdruck angenommen. An seiner linken Schläfe schien etwas Rotes zu hängen.

Dann vernahmen sie nochmals das eigenartige Geräusch.

Aufgrund seines jahrelangen Trainings war Rayan der Erste, der die Situation erfasste. Er erkannte, dass das Rote Blut war – das Blut des Mörders selbst.

Und just in dem Moment, als dieser begann, langsam zu Boden zu sinken, war auch an seinem Hals ein roter Fleck zu erkennen, wo ihn die zweite Kugel getroffen hatte.

Dass es nur einen Schützen in der Nähe geben konnte, der mit solch einer Präzision sein Ziel traf, war Rayan klar: Hanif.

Alles musste nun schnell gehen – er hatte keine Zeit, Erleichterung zu empfinden, denn noch war die Gefahr nicht gebannt. Blitzartig flog er mit einer Art Hechtsprung förmlich auf den Mann zu. Er war der Einzige, der gewusst hatte, dass Jassim und Hanif auf dem Weg hierher waren, wohingegen die anderen Täter der Meinung waren, alleine zu sein. Was für Rayan die Erkenntnis, was da gerade vor sich ging, natürlich erleichterte. Er machte sich nicht die Mühe, dem sterbenden Mann die Waffe zu entreißen, sondern legte seine Hände über die des Anderen. Er suchte sein Ziel und traf den Mann, der Tahsin bedrohte, mitten ins Gesicht, noch bevor dieser begriffen hatte, dass sich die Situation gedreht hatte und nicht mehr sie die Angreifer waren.

Hanif streckte mit einem weiteren gezielten Schuss aus seinem M40A3 Scharfschützengewehr den Mann nieder, der Carina bedrohte.

Rayan prüfte, ob der Anführer wirklich tot war, indem er den Puls an dessen Halsschlagader fühlte: Nichts. Erst dann eilte er hinüber zu den anderen beiden Männern.

Um kein Risiko einzugehen, schoss er beiden kurzerhand nochmals in den Kopf, dann wischte er von der Waffe sorgfältig seine Fingerabdrücke ab und warf sie in den See.

Vermutlich würde die Polizei sie ohnehin finden, doch das war dann nicht mehr sein Problem. Ärgerlicher war der Verlust seiner eigenen Waffe, die der Angreifer vorher ebenfalls ins Wasser befördert hatte. So schnell würde er die nicht wiedersehen, denn als Beweismittel würden die Kriminalbeamten sie zunächst einmal sicherstellen. Wenn sie sie überhaupt fänden.

Er sah, dass Tahsin zitterte und nahm ihn beruhigend in den Arm. Er hielt ihn eine ganze Zeit lang fest und murmelte beruhigende Worte ins Ohr des Jungen. Der weinte und stammelte immer wieder: „Es tut mir leid. Das wollte ich nicht.“ Rayan versicherte ihm, dass jetzt alles gut sei, niemand außer den Angreifern sei zu Schaden gekommen. Und dies seien die einzigen Schuldigen, die nun ihre Strafe bekommen hatten. Erst nach einigen Minuten ließ das Zittern nach.

Hanif und Jassim waren inzwischen auch herangekommen und aus den Augenwinkeln sah er, dass Hanif sich um Carina kümmerte.

Pragmatisch wie immer erinnerte Jassim trocken: „Wir müssen uns beeilen. Ich habe gesehen, dass eine Frau alles beobachtet und telefoniert hat. Sie hat mit Sicherheit die Polizei gerufen.

Doch erst als Tahsin versicherte, dass er in Ordnung sei, ließ Rayan ihn los. Er wechselte schlagartig in einen Status der höchsten Konzentration. An was mussten sie jetzt denken?

Innerhalb von Sekunden entwickelte er einen Plan.

Er holte aus dem Koffer von Hanifs Gewehr einige Beutel, Papier und ein Stempelkissen sowie eine kleine Schere hervor. Tahsin hatte inzwischen beschützend Carina in den Arm genommen. Beide beobachteten erstaunt, wie Rayan von einem Toten zum anderen ging, Proben von Haaren abschnitt, sowie die Fingerabdrücke der Leichen nahm.

Danach zog er das Gewehrreinigungsset hervor und rieb sich damit die Finger ab – er wollte die Schmauchspuren entfernen. Sicher war sicher und je weniger die Polizei wusste, umso besser.

Er schickte Jassim, um ihm sein Sakko zu holen, in dem sich noch immer sein Handy befand.

Sie konnten in der Ferne bereits Sirenen hören, da packte Rayan die kleinen Tütchen mit den Proben in den Koffer.

„Hört zu: Ihr müsst hier ganz schnell verschwinden, denn euch werden sie verhaften. Mir kann aufgrund meiner Immunität nichts passieren. Euch dagegen schon. Wenn ihr erst einmal in den Händen der Polizei wärt, müssten wir uns auf langwierige Prozesse gefasst machen. Dazu habe ich weder Lust, noch haben wir die Zeit dafür.“ Er hielt kurz inne und sah einen nach dem anderen mit festem Blick an, bis auf Carina, die er weiterhin ignorierte. Es fiel ihm schwer, doch war sein Stolz größer als seine Sorge. Und Tahsin kümmerte sich rührend um sie.

„Ihr werdet also mit dem Jet fliegen. Ich werde sie so lange wie ich kann beschäftigen und von euch ablenken, bis ihr abgeflogen seid.“

Er schrieb eine Nummer auf einen Zettel. „Sobald ihr euch im Flugzeug befindet, die Startfreigabe habt und zur Startbahn rollt – und keine Sekunde früher! – rufst du Hanif“, er schaute Hanif eindringlich an, „diese Telefonnummer an. Das ist ein wichtiger Kontakt im Innenministerium, der innerhalb kürzester Zeit für meine Freilassung sorgen wird.“

Dann wandte er sich Jassim zu. Er drückte ihm sein Handy sowie seine komplette Brieftasche inklusive Papiere in die Hand. „Du, Jassim, wirst zusammen mit Tahsin am Flughafen für mich einen Flug buchen, heute Abend geht ein Linienflug nach Dubai. Und reserviert mir ein Zimmer im Hotel am Flughafen, damit ich mich vorher etwas ausruhen und frischmachen kann. An der Rezeption hinterlegt ihr auch meine sämtlichen Papiere, Geldbörse und das Handy. Ich rufe euch dann an, sobald ich alles erhalten habe.“

Alle vier schauten ihn zweifelnd an, doch Rayan ließ sich nicht beirren.

„In Alessia angekommen, werdet ihr die Muster in den Beuteln im Koffer, sowie die Fingerabdrücke im Krankenhaus bei Doktor Murat Ibn Abdul Aziz abgeben. Der wird sie analysieren. Die Ergebnisse, sobald er welche vorliegen hat, gebt ihr Cho, der weiß, was damit zu tun ist.“

Keiner rührte sich, doch die Sirenen kamen unaufhaltsam näher. Rayan zog den Autoschlüssel aus der Hosentasche und drückte ihn Jassim in die Hand. „Fahrt schon! Beeilt euch!“ Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.

Hanif und Jassim tauschten einen Blick, zuckten mit den Schultern und wandten sich zum Gehen. Dabei fiel sein Blick auf Carina und er ergänzte: „Und die Frau nehmt ihr mit nach Alessia. Auch hinter ihr sind die Attentäter her, wenn sie hier alleine bleibt, ist sie so gut wie tot.“

Rayan - Im Auge des Sturms

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