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02.02.2015 - München - Eilige Abreise

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Überraschenderweise schaffte Carina es, sich an die vereinbarten fünfzehn Minuten zu halten und kam mit einer kleinen Reisetasche schnell wieder zum Vorschein, die Tahsin für sie trug, der sie nach oben in die Wohnung begleitet hatte.

Sie hatte es sogar noch geschafft, ihren Ersatzschlüssel zusammen mit einem kleinen Brief bei ihrer Nachbarin einzuwerfen, in dem sie diese bat, sich um ihre Post und ihren Kühlschrank zu kümmern. Dann setzte sie sich zufrieden neben Tahsin hinten ins Auto. Auf ihre Freundin im Apartment nebenan konnte sie sich verlassen.

Jassim und Hanif hatte in der Zwischenzeit wie auf Kohlen gesessen und die Umgebung genau im Auge behalten. Die Erleichterung bei der Rückkehr der beiden war ihnen deutlich anzusehen.

„Was habt ihr denn? War doch gar nicht so schlimm?“, fragte Carina harmlos, was Tahsin zu einem Lachanfall verleitete. Hanif musste daraufhin ebenfalls kurz lächeln. Lediglich Jassim konnte nichts Lustiges an ihrer Situation finden. Trotz Rayans Versicherung, dass er schon klarkomme, machte er sich Sorgen um seinen Herrn. Und mit jeder Minute, die sie später abflogen, verzögerte sich auch die Nachricht an den Mann, der Rayan auf freien Fuß setzen sollte.

Während sie auf Carina warteten, hatten sie dem Piloten die Abflugzeit bestätigt, sowie vier Passagiere angekündigt. Er würde sie an der Sicherheitskontrolle erwarten.

Den Koffer mit dem Gewehr aus dem Flugzeug zu bekommen, war einfach gewesen, denn beim Aussteigen und Verlassen des Sicherheitsbereiches gab es keine Kontrollen des Handgepäcks.

Der Pilot hatte Hanif auf dessen Bitte hin, den Koffer an sein Ankunftsgate gebracht, bevor sie sich vor der Türe ein Taxi gesucht hatten.

Jassim hatte beinahe noch einen Streit mit einem anderen Reisenden gehabt, weil sie sich an der Warteschlange für Taxis schlichtweg vorgedrängelt hatten. Sie wussten, dass Minuten entscheidend sein konnten. Doch Jassims eindrucksvolle Erscheinung hatte den Ausschlag gegeben, dass der Mann nicht auf seinem Vorrecht für das nächste Taxi bestanden hatte. Es gab ja schließlich noch weitere wartende Fahrzeuge.

Jetzt allerdings den Koffer wieder ins Flugzeug zu bekommen, schien ein Ding der Unmöglichkeit. Aber eine Lösung war schnell gefunden: sie packten kurzerhand die Proben alle in Carinas Reisetasche, die zwar angewidert ihr Gesicht verzog, jedoch nicht weiter protestierte, weil sie selbst ja auch die Notwendigkeit einsah.

Dann gaben sie den Gewehrkoffer samt Inhalt zusammen mit Rayans Wertgegenständen im Hotel ab. Er hatte einen Diplomatenausweis, sein Gepäck war für Kontrollen tabu.

Sie unterschrieben gestresst die Bestätigung der Mietwagenfirma, dass das Fahrzeug NICHT wieder vollgetankt worden war – als hätten sie keine anderen Probleme! Und erneut musste Hanif den aufgebrachten Jassim zurückhalten, einen Streit mit dem Mitarbeiter anzufangen, der offenbar der Meinung war, den Lack des VW besonders gründlich auf eventuelle Kratzer in Augenschein zu nehmen. Dann waren sie endlich an der Sicherheitskontrolle, wo der Pilot sie schon ungeduldig erwartete.

Innerhalb von zwanzig Minuten hatten sie das Terminal hinter sich gelassen und befanden sich sicher an Bord. Alle vier sanken erleichtert in die Ledersitze und schnallten sich an.

Als sich daraufhin das Flugzeug in Bewegung setzte, hob Hanif den Hörer des im Flugzeug eingebauten Telefons ab. Dann wählte er, wie durch Rayan angeordnet, die Handynummer, die er auf dem Zettel aufgeschrieben hatte. Der Reiterführer sprach im Gegensatz zu Jassim Englisch, weshalb ihm die Aufgabe des Anrufs zugefallen war.

Einen Moment lang hatte Hanif Angst, es würde niemand antworten, doch bereits nach dem dritten Klingeln wurde sein Anruf entgegengenommen.

Nachdem er sein Anliegen erklärt und von Rayans Verhaftung erzählt hatte, war es einen Moment still an der anderen Leitung. Dann fragte der Mann: „Das ist ein Witz, oder?“

Als Hanif dies höflich, aber mit Nachdruck von sich wies und gemäß Rayans Vorgaben darauf hinwies, dass diese Telefonnummer schließlich in keinem Telefonbuch zu finden sei, bekam er als Antwort lediglich einige Worte auf Deutsch, die er als Fluch interpretierte, dann wurde aufgelegt. Ein wenig verunsichert sah Hanif das Handy weiter an. Hatte er alles richtig gemacht?

Jassim, der ausnahmsweise nicht die Rolle des Copiloten einnahm, denn Rayan war ja ohne ihn mit einer Zwei-Mann-Besatzung in München angekommen, zuckte die Achseln, lehnte sich entspannt zurück und schloss die Augen, um zu schlafen. Sie hatten alles genau nach Plan durchgeführt, wie Rayan es ihnen aufgetragen hatte, mehr konnten sie nicht tun. Es lag nicht in seinem Charakter, sich jetzt noch weitere Gedanken zu machen. Sie würden schon sehen, was weiter passierte.

Tahsin dagegen fragte ungeduldig: „Und was machen wir jetzt?“ Hanif lächelte ihm beruhigend zu: „Jetzt warten wir. Mehr können wir nicht mehr für ihn tun. Dein Vater hat uns ja versichert, dass er uns anrufen wird, sobald er im Hotel ist und sein Telefon wieder hat.“ Er sagte es mit mehr Zuversicht, als er selbst verspürte, denn auch in ihm blieb ein Restzweifel bestehen.

Er sah auf die Uhr und begann zu rechnen. Etwa um 12 Uhr 20 waren sie am Seehaus aufgebrochen. Das war auch die Zeit, als die Polizei dort eingetroffen war. Jetzt war es 15 Uhr.

Also zweieinhalb Stunden plus die Zeit, die der mysteriöse Kontaktmann noch benötigen würde, um Rayan herauszuholen. Hanif schätzte, dass sie noch mindestens eine Stunde auf Rayans Anruf warten mussten, trotzdem starrten sie zu dritt – mit Ausnahme von Jassim - in diesem Moment wie gebannt das Telefon an der Wand des Learjet an, als könnten sie den Anruf herbeizaubern.

Hanif grübelte, wie es ihrem Herrn in dieser Zeit wohl ergangen sein mochte. In einem arabischen Gefängnis konnte diese Zeit sehr lang und durchaus unangenehm werden. Aber er wusste, dass in Deutschland wohl eher moderatere Befragungsmethoden zu erwarten waren. Vermutlich machte sich Rayan gerade ein Spaß aus seiner Situation – das hoffte Hanif zumindest.

Rayan - Im Auge des Sturms

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