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2005 - In der Wüste weit vor Alessia - Ein Verfolger

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Scheich Rayan und der Bandit Mahmoud saßen sich eine ganze Zeit lang schweigend gegenüber. Ab und zu tauschten sie Belanglosigkeiten aus, um ein wenig höfliche Konversation zu betreiben. Einer der Tarmanen reichte ihnen Tee. Ansonsten zog sich die Zeit wie Kaugummi dahin.

Nach etwa zwei Stunden klingelte Rayans Handy und er erhob sich, um das Telefonat ein Stück entfernt entgegen zu nehmen. Er selbst sagte nur wenig, hörte aber einige Minuten aufmerksam zu und beendete dann das Gespräch. Seine Miene verriet nichts darüber, welche Art von Nachricht er soeben erhalten hatte.

Mahmoud, der eher der Generation angehörte, denen moderne Technik fremd war, hatte entgeistert geschaut, als er das Klingeln gehört hatte. Was war das für ein ungewohntes Geräusch hier mitten in der Einöde? Natürlich kannte er Mobiltelefone an sich. Jedoch wäre er niemals auf die Idee gekommen, hier mitten in der Einöde eines zu gebrauchen. Ihm war nicht klar, dass heutzutage weite Teile der Wüsten inzwischen besser mit einem Funknetz ausgestattet sind, als so mancher Ort in Süddeutschland.

Als Rayan wieder in den Schatten des Zeltes trat, wechselte er einen Blick mit Ibrahim. Das war das vereinbarte Zeichen.

Im selben Moment, wo die Hand des Scheichs sein Messer mitten in Mahmouds Herz fuhr, sodass dieser noch nicht einmal mehr röcheln konnte, kümmerte sich Ibrahim um den Leibwächter des Banditen. Er schnitt ihm mit einer schnellen Bewegung die Kehle durch.

Die anderen Männer rechneten nicht mit einer so plötzlichen Veränderung der Situation und waren völlig überrumpelt. Diejenigen, die sich wehrten, wurden von den Tarmanen getötet, die restlichen entwaffnet.

Einer von Rayans Männern hatte sich bereits vor dem Eintreffen der Mädchenhändler außerhalb des Lagers in sicherer Entfernung verschanzt. Er war den beiden Reitern Mahmouds in erheblichem Abstand unauffällig gefolgt. Erst als er sich sicher war, dass sie tatsächlich in ihr eigenes Lager geritten und einen Mann, auf den Taibs Beschreibung passte, dort abgeholt hatten, hatte er Rayan mit dem Anruf entsprechend informiert. Die Beschreibung, die der Kundschafter über den schlechten Zustand des Gefangenen gegeben hatte, hatte das Schicksal des Fürsten besiegelt. Nun mussten sie nur noch die beiden Reiter abfangen, bevor diese bemerkten, dass ihr Anführer bereits tot war.

Rayan und Ibrahim hatten im Vorfeld alle Alternativen abgewogen. Doch die Chance, dass Mahmoud eine List plante, erschien ihnen durchaus real.

Außerdem hatte der Scheich Leila Vergeltung für den Mord an Sara versprochen. Ein Versprechen, das er nun ohne jegliche Gewissensbisse erfüllt hatte.

Bereits einige hundert Meter, bevor die ausgesandten Reiter etwa zwei Stunden später wieder das Lager erreichten, lauerten einige von Rayans Krieger ihnen auf. Sie wehrten sich erbittert, obwohl die Tarmanen ihnen versicherten, dass es besser wäre, sich zu ergeben und starben daraufhin an gezielten Treffern durch die überlegenen Waffen der Männer des Scheichs.

Der Mann namens Taib schien kaum zu verstehen, was um ihn herum vorging. Er war verwundet, stark geschwächt und kaum ansprechbar. Keine guten Chancen, ihn so noch lebend bis Alessia zurückzubringen.

Rayan ließ daher das Lager kurzerhand entsprechend befestigen und für Taib in einem der Zelte eine Lagerstätte einrichten. Der war dort noch nicht einmal ganz angekommen, als er erneut bewusstlos wurde.

Ismael, ein Tarmane, der für die ärztliche Versorgung zuständig war, kümmerte sich sofort um ihn. Offenbar hatten sich die Banditen nicht viel darum geschert, ob Taib lebte oder starb.

Er war völlig ausgetrocknet, seinen Körper zierten zahlreiche blaue Flecke und Abschürfungen. Es schien, als hätte Mahmoud seine schlechte Laune an ihm abreagiert. Vor allem war er offenbar mehrfach ausgepeitscht worden, denn die Haut auf seinem Rücken war an vielen Stellen mit rötlich-bläulichen Striemen versehen. Zudem hatten sich bereits einige davon heftig entzündet. Anscheinend hatte sich niemand die Mühe gemacht, diese Wunden zu versorgen. Viel länger hätte Taib diese Behandlung nicht mehr überlebt.

Nachdenklich starrte Rayan auf Taibs Rücken und seine eigene Vergangenheit stand ihm wieder vor Augen. Ibrahim, der vor so vielen Jahren Zeuge der Misshandlungen seines Herrn geworden war, verstand, was in ihm vorging. Rayans Leben hatte damals an einem seidenen Faden gehangen. Doch zumindest hatte Rayan keine Entzündungen erlitten, da sich seine Großmutter bereits kurz nach der Bestrafung um ihn hatte kümmern können.

Ismael hatte allerdings heutzutage erheblich bessere Mittel zu seiner Verfügung. Er reinigte die Wunden gründlich, verabreichte dann dem Verletzten etwas gegen seine Schmerzen und trug Salbe mit antibiotischer Wirkung auf. Zusätzlich brachte er ihn dazu, einige Tabletten einzunehmen. Es hatte Rayan anfangs einige Überzeugungskraft gekostet, bis die „Heiler“ die modernen Medikamente anerkannt hatten. Doch hatten sie an den Erfolgen von Doktor Scott in Zarifa gesehen, zu was die Medizin heutzutage fähig war. Ismael wich dem Doktor regelmäßig kaum von der Seite, wenn er in ihrem Tal war und sog dessen Wissen förmlich in sich auf.

Er informierte seinen Scheich, dass sie einige Tage hier an Ort und Stelle würden verbleiben müssen, denn das Wichtigste für den Patienten war nun Ruhe, damit die Medikamente ihre Wirkung entfalten konnten.

Rayan nutzte die Zeit, um die Gegend ausführlich zu erkunden. Er liebte die Wüste, deren Geheimnisse er wie kein Zweiter verstand. Manchmal sagte man ihm nach, dass er mit ihr sprach und noch wichtiger: Dass sie ihm auch antwortete.

Vor allem hielt er Ausschau nach Anzeichen, ob die Männer Mahmouds einen Racheakt planten. Von den zwanzig Männern, die bei ihrem Treffen dabei gewesen waren, waren acht den Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen. Die verbleibenden Zwölf hatte Rayan laufen lassen. Zwar hatten sie ihm als Dank, dass er ihnen das Leben schenkte, versprochen, nicht mehr zurückzukehren. Doch hielten die Tarmanen die Ehre der Banditen für wenig vertrauenswürdig und hatten daher berechtigten Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Zusagen.

Allen wäre deshalb ein sofortiger Abzug aus der Region am liebsten gewesen. Das hätte Taib jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit das Leben gekostet. Der Ritt vom Lager der Banditen hierher hatte ihm die letzten Kräfte geraubt.

Ibrahim hatte daher eine Verdopplung der Wachen angeordnet.

Als Rayan am fünften Tag von einem seiner üblichen Kontrollritte abends ins Lager kam, war Taib zum ersten Mal für kurze Zeit ansprechbar.

Verständlicherweise war er entsprechend misstrauisch. Er hatte keinen seiner Retter jemals zuvor gesehen. Warum sollten diese so viele Mühen auf sich nehmen, um ihm, einem Straßenjungen, beizustehen?

Weder kannte er Rayan, noch dessen Vergangenheit und aufgrund der Misshandlungen der letzten Wochen war er entsprechend verunsichert. Er zweifelte daher an der Aufrichtigkeit der Tarmanen und an Rayans ehrlichem Wunsch, ihm zu helfen.

Rayan - Im Auge des Sturms

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