Читать книгу Rayan - Im Auge des Sturms - Indira Jackson - Страница 25
Anfang März 2015 - Hummers Haus in Alessia - Stolz und Unnahbarkeit
ОглавлениеCarina hatte den Diener kurzerhand zur Seite gedrückt und die Tür zu dem dahinterliegenden Trakt des Hauses geöffnet. Seinen Protest ignorierte sie einfach.
Sie war vorher noch nie hier in diesem Nebengebäude gewesen, obwohl sie nun schon einige Zeit mehr oder weniger freiwillig in Hummers Haus wohnte.
Sie war um 10 Uhr mit Rayan verabredet gewesen, inzwischen war es bereits 10 Uhr 15. Ihr war klar, dass er sie absichtlich warten ließ und sie war entsprechend empört. Seit ihrem letzten Gespräch Anfang Februar hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Das war fast vier Wochen her!
Mit Beharrlichkeit hatte sie es nun endlich erreicht, dass er einem Treffen zugestimmt hatte und dann war er noch nicht einmal pünktlich. Ein Diener hatte ihr mitgeteilt, dass der Herr noch nicht bereit sei. Und das hatte das Fass bei Carina zum Überlaufen gebracht.
Wutentbrannt enterte sie den großen Raum, nur um wie angewurzelt stehen zu bleiben. Mit offenem Mund sah sie sich um. Mit diesem Anblick hatte sie nicht gerechnet, denn offenbar handelte es sich um eine großzügige Badeanlage. Im Halbdunkel des Raumes konnte sie Fliesen in verschiedenen Brauntönen erkennen. Von hell-sandfarben bis zu elegantem Mahagonibraun. Modern, aber doch im Stil der alten Badeanstalten aus der Römerzeit. Was durch goldene Armaturen und Säulengänge unterstrichen wurde.
In der Mitte befand sich eine gigantische Badewanne, wobei dieser Begriff reichlich untertrieben war: ebenfalls gefliest und etwa vier mal vier Meter groß. Einige Treppenstufen führten hinein in das dampfend warme Wasser.
Und dort sah sie Rayan. Er stieg gerade aus dem wohlriechenden Schaumbad.
Carina traute kaum ihren Augen, als sie die fünf Badefrauen bemerkte, die sich sofort seiner annahmen. Sie waren alle vollständig bekleidet in edlen Seidengewändern und hübsch aufgemacht mit sorgsam frisierten Haaren und einem leichten Schleier vor ihrem Gesicht, der allerdings durchsichtig war.
Von beiden Seiten traten zwei der Mädchen an ihn heran und begannen, ihn an Armen, Beinen und dem Rücken abzutrocknen. Rayan selbst verharrte am Rand des Beckens und hob lediglich beide Arme ein wenig an.
Dann trat die dritte Frau von vorne an ihn heran und erkundigte sich, ob sie „ihrem Herrn auch den Rest seines Körpers abtrocknen dürfe“, was Rayan bejahte. Da dies ganz offenbar nicht nur seinen Bauch, sondern auch die Region zwischen seinen Beinen beinhaltete, schoss Carina das Blut ins Gesicht, während sie diese Szene heimlich mit beobachtete. Sie schwankte zwischen verschiedenen Emotionen: Peinlich-Berührt-Sein, über Empörung bis hin zu Bewunderung. Eigenartigerweise verspürte sie keinerlei Eifersucht.
Aber aufgrund der Bekleidung schlussfolgerte Carina richtig, dass die Frauen Rayan nicht im Wasser begleitet hatten, sondern sich erst außerhalb des Bades um das Wohlbefinden ihres Herrn kümmerten.
Keiner der sechs Personen schien Carina bemerkt zu haben, worüber sie inzwischen froh war. Denn ihr war nun klar, dass ihre Ungeduld sie wieder einmal in eine unangenehme Lage gebracht hatte. Sie beschloss, das Beste daraus zu machen und beobachtete einfach fasziniert weiter das Geschehen.
Kaum war Rayan an allen Stellen hinreichend getrocknet, kamen die beiden bisher untätigen Mädchen zum Einsatz: Mit sanften Bewegungen begannen sie, den muskulösen Körper ihres Herrn einzuölen.
Die ganze Situation war für Carina derart ungewohnt, fast surreal, dass sie beschloss, sich weiterhin nicht zu erkennen zu geben.
Zum einen konnte sie sich von Rayans nacktem Körper nicht losreißen, den sie nun schon eine ganze Weile nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Obwohl sie lediglich die Rückseite mit den festen Pobacken und vor allem seine muskelbepackten Oberarme sehen konnte, erschien er ihr noch schöner als in ihren Träumen. Denn zu ihrem Leid musste sie sich gestehen, dass sie noch immer von ihm träumte. Alle ihre Vorsätze, sich endlich von ihm zu lösen, waren vergeblich.
An diesem Eindruck änderten auch keineswegs die grausamen Narben etwas, die seinen kompletten Rücken in weisen Linien durchzogen. Ein makabrer Kontrast zu dem tiefen Braun seiner Haut. Doch statt sie abzustoßen, vermittelte ihr dieser Anblick wilde Eleganz, was sie eher noch mehr faszinierte. Sie wusste, dass nicht viele Menschen das Geheimnis dieser Narben kannten und konnte einen gewissen Stolz nicht verleugnen. Stolz und Zuneigung. Am liebsten wäre sie zu ihm geeilt und hätte ihn tröstend in die Arme genommen. Doch das war nicht möglich. Wie hatte es nur so weit kommen können? Und wieso interessierte sie sich überhaupt noch für diesen Mann? Sie konnte dieses unglaubliche Gefühl, dass sie keine andere Wahl hatte, als ihn zu lieben, nicht mit Logik erklären.
Das umso mehr, als sie sich angesichts ihrer Lage als „Besucherin ohne Erlaubnis, das Grundstück zu verlassen“ - andere würden dazu „Gefangene“ sagen - vorgenommen hatte, ihn zu hassen. Sie schaffte es nicht. Es war, als unterliege sie seinem Bann, ohne Chance auf eigenen Willen.
Verstärkt wurde dieses Gefühl von der Gesamtsituation, die sich ihr im Moment darbot: wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt wurde sie sich im vollen Ausmaß seiner edlen Abstammung bewusst. In Zarifa war sein Haus zwar groß und durchaus gut ausgestattet, vor allem im Hinblick auf die neueste Technik, aber insgesamt doch eher „normal“ und keineswegs so opulent wie dieses Gebäude. Und auch bei ihren vielen Stunden in der Wüste hatten seine Männer Rayan zwar immer mit Respekt und Verehrung behandelt, aber er hatte keineswegs auf irgendwelchen Luxus bestanden.
Nun aber diese schönen, in zarte Gewänder gehüllten Frauen zu sehen, wie sie ihm in diesem königlichen Raum ehrfurchtsvoll dienten, das war in gewisser Hinsicht ein Augenöffner. Zum ersten Mal überhaupt nahm sie Rayan wahr, wie zum Beispiel Jassim ihn sah. Und ihr wurde klar, wieso der Leibwächter seit der Abfuhr, die sie seinem Scheich in München erteilt hatte, kein Wort mehr mit ihr gesprochen hatte. Wenn sie sich trafen, ignorierte er sie oder schaute sie derart verächtlich an, dass Carina inzwischen einen Bogen um ihn machte.
In welcher Welt hatte sie vorher eigentlich gelebt? Nun war ihr umso deutlicher klar, wieso sie sich immer wieder in Rayans Gegenwart so befangen fühlte. Auf einmal hatte sie Verständnis für seinen Stolz und schämte sich ein wenig, dass sie ihn immer derart herausgefordert hatte. Wer war sie, sich so etwas herauszunehmen? Musste sie nicht froh sein, wenn sie dieser Mann überhaupt eines Blickes würdigte? Er könnte statt ihrer eine Prinzessin haben. „Oder mehrere“, fügte sie ironisch hinzu.
Inzwischen hatten die Dienerinnen die Ölung beendet und kleideten Rayan an.
Er stand nach wie vor still und Carina wurde an eine dieser Steinstatuen der alten römischen Könige erinnert, die sie in Rom bewundert hatte. Ihr Mund war trocken und sie wagte kaum zu atmen. Schlagartig fühlte sie sich erneut wie ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hatte.
Doch zurück konnte sie nun auch nicht mehr. Also wartete sie, bis die Frauen ihre Aufgaben beendet hatten und sich zurückzogen. Jede von ihnen verneigte sich einzeln tief vor Rayan, wobei sie ihm die Hand küssten.
Mit stolzer Miene und völlig unbeweglich ließ Rayan es geschehen. Rückwärts zogen sie sich dann geräuschlos zurück und verschwanden durch eine Tür am anderen Ende des Raumes. Erst dann kam Bewegung in ihn, indem er sich umwandte und in Richtung des Ausgangs kam, durch den Carina den Saal betreten hatte.
Sie nahm all ihren Mut zusammen und trat aus dem Schatten der Säule.