Читать книгу Rayan - Im Auge des Sturms - Indira Jackson - Страница 26
November 2005 - Alessia - Nachdrückliche Überzeugung
ОглавлениеEs war zwei Wochen später, dass Taib auf dem Nachhauseweg eine unerwartete Begegnung hatte.
Als er das Haus erreichte, in dem er wohnte, packte ihn völlig unerwartet ein muskulöser Arm von hinten und drückte ihm die Luft ab. „Wenn es nach mir ginge, würde ich dir jetzt das Genick brechen für deine Respektlosigkeiten!“, hörte er eine hasserfüllte Stimme direkt an seinem Ohr.
Als vor seinen Augen bereits Sterne tanzten, ließ der Druck so schnell nach, wie er gekommen war und er wurde nach vorne gegen die Hauswand geschleudert. Hilflos knallte er gegen den Stein und benötigte einige Sekunden, sich wieder aufzurappeln.
Mühsam drehte er sich um. Hinter ihm stand Ibrahim und funkelte ihn bösartig an. Er war von oben bis unten in die schwarzen Gewänder der Tarmanen gekleidet, seine Augen glühten wie dunkle Kohlen.
„Was willst du?“, brachte Taib mühsam hervor. Er konnte nicht leugnen, dass ihm die ganze Erscheinung Ibrahims großen Respekt einflößte. Ihm war klar, dass sein Leben keinen Cent mehr wert war, sollte sich dieser entschließen, ihn zu töten. Er hätte keine Chance gehabt.
Trotzdem reckte er trotzig sein Gesicht nach vorne: „Schickt dich dein Herr, um mich zu töten?“ Ibrahim lachte leise. Es war ein derart kalter Laut, dass Taib ein Schauer den Rücken hinunterlief. „Wenn ich dich hätte töten wollen, wärst du jetzt schon bei Allah“, war die Antwort. „Ich hab ihm gesagt, dass ich dich langsam und qualvoll erledige, aber er hat gesagt, ich soll nur mit dir reden. Also? Gehen wir in deine Wohnung?“ Es war weniger eine Frage, als eine Aufforderung und Taib sah keinen Ausweg, als seinen abendlichen Besucher mit hinauf in sein Ein-Zimmer-Apartment zu nehmen.
„Was ist dein Problem? Warum machst du dir einen Spaß daraus, meinen Herrn permanent zu beleidigen?“, fuhr Ibrahim ihn an, als sie sich im Wohnzimmer einander gegenüber hingesetzt hatten. In seinen eigenen vier Wänden, mit entsprechender Beleuchtung gelang es Taib schließlich, sein heftig schlagendes Herz wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Einigermaßen ruhig antwortete er: „Es ist nicht meine Absicht, deinen Herrn zu beleidigen. Trotzdem nehme ich nicht einfach ein Angebot an, wenn ich die Bedingungen nicht kenne. Ich will mein eigener Herr bleiben und nicht in irgendwelche Abhängigkeiten geraten …“
„Rayan sagte schon, dass du ein misstrauischer Mensch bist … aber ob du es glaubst oder nicht, es gibt tatsächlich keine Verpflichtungen für dich. Er wollte dir lediglich helfen.“
Taib schüttelte ungläubig den Kopf: „Tut mir leid, aber das glaube ich nicht. Warum sollte er das tun?“
Mehr zu sich selbst antwortete Ibrahim: „Das frage ich mich auch! Ich hab ihm die ganze Zeit erzählt, dass das eine wirklich blöde Idee von ihm ist. Wenn es nach mir ginge, hätte ich dir schon in der Wüste den Garaus gemacht. Aber offenbar hat er an dir einen Narren gefressen. Was weiß ich, was für ein Wahnsinn ihn befallen hat …“ Nun war es Ibrahim, der den Kopf schüttelte.
„Was denn, wie redest du denn von deinem Herrn? Lässt er dich nicht auspeitschen für derart respektlose Worte?“, entfuhr es Taib sarkastisch.
Ibrahim wurde wieder wütend und presste mühsam beherrscht hervor: „Was weißt du überhaupt über Rayan? Du maßt dir schon die ganze Zeit an, dir über ihn ein Urteil zu bilden. Dabei kennst du ihn noch nicht einmal.“
„Ja schon gut. Ich habe von Leila schon gehört, dass er ein selbstloser Retter ist. Und ich bin ihm auch dankbar, dass ihr gekommen seid, um mich da rauszuholen. Wer weiß, wo ich sonst jetzt wäre …“, Taib hielt einen Moment lang nachdenklich inne.
Dann fuhr er fort: „Ich habe ihm ja schon geschrieben, dass es mir leidtut, dass ich ihn beleidigt habe, vor allem vor seinen Leuten. Das war nicht richtig von mir. Aber deshalb muss ich ihm ja nun nicht vertrauen, oder? In meinem Leben auf der Straße habe ich eben viel zu viele von diesen reichen Säcken kennengelernt, die noch nicht einen Tag in ihrem Leben hungern mussten.“
Ibrahim lachte an dieser Stelle wieder sein unangenehmes Lachen, das mehr klirrendem Eis glich, doch Taib ließ sich nicht beeindrucken und fuhr fort: „Als ich gehört habe, wie ihr beide Euch damals im Lager über meine Verwundung unterhalten habt, wie viel Glück ich gehabt habe, dass nur wenige Narben zurückblieben, es tut mir leid, aber da hat sich bei mir so viel Verachtung angestaut …“
Nun schaute Ibrahim ihn aufmerksam an: „Warum? Was war falsch daran?“
Taib lachte verächtlich: „Ach komm‘ schon! Als ob einer von Euch schon jemals auch nur einen Tag lang derartige Schmerzen erlitten hat, wie ich! Ihr ‚hohe Herren‘ teilt doch nur aus! Wir ‚kleinen Leute‘ müssen ...“
Weiter kam er nicht. Ibrahim hatte ihn mit einer derartigen Geschwindigkeit angesprungen, dass er den Angriff nicht hatte kommen sehen. Brutal packte er ihn mit einer Hand an der Kehle. Wutverzerrt brachte er sein Antlitz ganz dicht an das von Taib. Er stieß ihm seine Worte förmlich ins Gesicht: „Du hältst jetzt besser deinen Mund, bevor ich ihn dir für immer schließe! Denn du redest hier gerade schlecht von einem Mann, der durch die Hölle gegangen ist! Willst du wissen, was Schmerzen sind? Wenn dich dein eigener Vater zu Tode peitschen lässt! Du jammerst über deine paar Striemen auf dem Rücken? Dann solltest du seinen mal sehen! Zwölf Jahre lang hat er als Verräter, als Mann ohne Heimat, Freunde oder Familie gelebt. Immer in der Angst, jemand könnte ihn erkennen und hinrichten. Nein, Taib! Du bist jetzt still, denn du hast keine Ahnung, worüber du sprichst!“
Unvermittelt ließ er von ihm ab und stand auf. „Ach was soll’s. Ich verschwinde jetzt“, und er war schon auf halbem Weg zur Tür, als Taib sich mit schmerzendem Hals aufgerappelt hatte.
„Ibrahim! Warte – bitte! Es tut mir leid - das wusste ich nicht! Geh‘ nicht.“
Rayans Leibwächter sinnierte eine Sekunde lang darüber nach, ob er Taibs Bitte einfach ignorieren sollte. Dann fiel ihm auf, dass er sich mal wieder durch sein Temperament hatte dazu verleiten lassen, mehr zu sagen als ihm lieb war. Rayan hatte ihm ausdrücklich verboten, Taib den wahren Grund für seine Sympathien zu nennen: dass er viel von seinem eigenen Schicksal in ihm wiedererkannte.
Seine Wut legte sich so schnell, wie sie gekommen war. Woher sollte Taib denn auch ahnen, was sein Freund und Herr durchgemacht hatte?
Also setzte er sich wieder hin, als wäre nichts geschehen und begann ohne jegliche Vorrede, Rayans Geschichte ausführlich zu erzählen:
Von dessen ehrgeizigem Vater, der ihn als Kind zu immer besseren Leistungen gezwungen und regelmäßig verprügelt hatte, wenn er an die hohen Erwartungen nicht heranreichte. Von Rayans Flucht in die Wildnis bis zu ihrem Treffen. Den gemeinsamen Jahren als Rebellen, bis sie schließlich gefasst und Rayan, als ihr Anführer, gefoltert worden war. Von den Männern seines eigenen Vaters! Dann sein angeblicher Tod und seine Flucht in die Fremde, ganz alleine, abgestempelt als Verräter, ohne Freunde oder Geld.
Je länger er sprach, desto betroffener wurde Taibs Gesicht.
Ibrahim schloss mit den Worten: „Ich weiß nicht genau, was er all die Jahre, in denen er fort war, gemacht hat, aber er hat sich von ganz unten hochgearbeitet. Im richtigen Moment, als es den Tarmanen schlecht ging, ist er gekommen und hat uns gerettet. Deshalb verehren wir ihn so sehr. Nicht weil er als Prinz geboren wurde, sondern weil er unseren Stamm vor dem sicheren Untergang bewahrt hat. Und uns seitdem Anerkennung und Respekt bei allen anderen Stämmen verschafft hat. Nur ihm ist es zu verdanken, dass unser Name heute mit Ehrfurcht genannt wird!“
Dann schwiegen beide eine lange Zeit. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Irgendwann sagte Taib: „Was bin ich nur für ein ungerechter, voreingenommener Idiot gewesen! Schon wieder! Es tut mir sehr leid, bitte Ibrahim, nimm meine Entschuldigung an! Ich habe sowohl dich als auch deinen Herrn beleidigt!“, einen Moment überlegte er, doch ihm fiel nicht ein, was er noch sagen könnte. Dann fragte er Ibrahim: „Was kann ich tun, um das wieder gutzumachen? Gibt es keine Möglichkeit, dass ich mit deinem Herrn persönlich sprechen kann?“
Ibrahim schüttelte den Kopf: „Nein. Denn wenn er erfährt, dass ich dir das alles erzählt habe, kriege ich Ärger. Er hat es mir explizit verboten!“, doch er grinste dabei. Ibrahim war mehr als nur ein Leibwächter oder Diener. Er war Rayans Freund, er wusste genau, dass sich der Ärger für ihn in Grenzen halten würde. Trotzdem war es ihm lieber, wenn ihr Austausch unerwähnt blieb.
„Das Beste, was du tun kannst, ist das Angebot noch anzunehmen. Gib‘ dein Äußerstes, um gute Leistungen bei diesem Studium zu erzielen und krieg vor allem, bis es losgeht, dein Englisch auf Vordermann.“
Taib nickte langsam. Ibrahim hatte alle seine Zweifel und Bedenken zerstreut. Ihm war nun klar, dass er wirklich das Glück hatte, einen Mentor gefunden zu haben, der ihm helfen wollte. Ohne dafür etwas für sich zu fordern.
„Sag‘ ihm, dass es mir eine Ehre ist, das Studium anzutreten. Ich werde ihn nicht enttäuschen“, sagte er feierlich.
„Und dir, Ibrahim, danke ich für deine Offenheit. Ich weiß es zu schätzen, dass du mir die Wahrheit erzählt hast. Der Scheich kann sich glücklich schätzen, einen Freund und Leibwächter wie dich zu haben.“
Und so kam es, dass Taib einige Wochen später nach Boston, Massachusetts flog.