Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 12
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ОглавлениеEs vergingen einige Tage, in denen der Bildhauer mit der Auswertung der Skizzen und dem Guss des Gipsblockes beschäftigt war. Endlich war der Rohling ausgetrocknet, aus ihm wollte Saly das Gipsmodell der Büste entstehen lassen. Dieses müsste später sowohl vom Auftraggeber als auch von der Marquise in abgesegnet werden. Erst danach würde man sich für ein Material entscheiden. Es käme am Ende zum Guss in Bronze oder aber zur Skulptur aus Marmor. Vom reinen Gefühl und Anstand her tendierte Saly zum Marmor. Dieser edle Stein würde trotz all seiner Härte umso mehr das Weiche der Madame zum Vorschein bringen. Außerdem ließe die Ausführung in Marmor weitaus genaueres und feineres Arbeiten in Folge zu. Aus einem Stein war mehr Individuelles herauszuholen, weil dieser seine eigene Seele besaß. Beide Seelen miteinander zu verbinden, das war die Kunst! Um den passenden Block zu finden, schickte der Bildhauer seinen Gehilfen in Paris auf die Suche. Vielleicht würde er bei einem Importeur fündig oder aber bei Künstlerkollegen, deren Lager oft reich gefüllt waren. Nur selten stellten die Akademien Blöcke aus ihrem Fundus zur Verfügung. Denn bei den dort gelagerten Steinen konnte es sich sehr wohl um wertvolle Reststücke handeln, die von den Arbeiten der Künstler aus dem vorigen Jahrhundert zurückbehalten worden waren. Der Wert dieser Stücke ließ sich nicht mit Gold aufwiegen, denn ein Stein, dem bereits die Seele der Kunst innewohnte, war ungeheuer kostbar. Auf so ein Stück hoffte Saly insgeheim. Er konnte sich gut vorstellen, dass es zur Zeit einen gewissen Überschuss an weißem Marmor aus Carrara gab, da dieser in der letzten Epoche in Frankreich eher unpopulär gewesen war. Zur Zeit Ludwig des Vierzehnten hatte man aus der Mode heraus bunte und gesprenkelte Steine den schlichten vorgezogen. So einen bescheidenen aber gleichsam beseelten weißen Stein stellte er sich für das Gesicht der Madame vor. Nur der König musste noch zustimmen. Sollte dieser seine ehemalige Mätresse demütigen wollen, ließe er sie in Bronze gießen. Die pure Missachtung einer vormaligen Wertschätzung. Ein tödlicher Affront gegen die Dame! Hegte die Marquise insgeheim die Befürchtung und war deswegen innerlich so unausgewogen? Bei der Bestellung hatte man nicht über das Material gesprochen, dennoch stand Salys Mädchenbüste im Raume – und diese war aus weißem Marmor gearbeitet. Die Marquise hatte unverhohlen ihre Begeisterung für das liebliche Stück kundgetan und dem König eine edle Interpretation des Bildnisses geliefert – so dass man im Kopfe davon ausgehen konnte, dass die Büste der Madame nur im gleichen Stoff entstehen würde. In Marmor bliebe die Pompadour im Herzen ihres Königs unsterblich.
Saly hatte trotz dieser Zweifel entschieden, den idealen Stein im Vorhinein zu suchen. Denn es konnte lange dauern, ihn zu finden.
Adoree leistete ihm einige Male Gesellschaft und erzählte ihm den neuesten Klatsch der Hofschranzen. Dieses tat sie mir einer gewissen, übertriebenen Ironie, denn sie, nun die engere Vertraute der Madame, wusste genauestens zwischen Lügen, Übertreibungen und Wahrheit zu unterscheiden.
Noch verschwieg die junge Frau dem väterlichen Freund den Gesundheitszustand der Pompadour - nicht nur der Anstand verbot ihr, über deren intime Frauenleiden zu sprechen. Anders würde es kommen müssen, wenn Salys Projekt durch die Krankheit der Dame gefährdet wäre. Dann, hatte sie mit Madame besprochen, müsste man ihm reinen Wein einschenken und die Arbeiten unter anderen Umständen durchführen.
Saly erzählte weiter über Italein – inzwischen waren sie in Rom angelangt.
Dort interessierte sich Adoree für den Charakter und das Auftreten der Römer. Sie hatte von deren Schönheit und ungezwungener Heißblütigkeit gehört und wollte erfahren, ob dieses nur für die Frauen zuträfe. Saly amüsierte sich über die Naivität, mit der sich das junge Mädchen das fremde Leben in einer anderen Kultur vorstellte. Er klärte sie darüber auf, dass die Römer ein ziemlich armes Volk seien und deswegen teilweise ein derart ungehobeltes Verhalten an den Tag legten, worüber ein Franzose sich entsetzen würde. Für ihn, als Künstler sei jedoch am schlimmsten gewesen, dass man die wertvollen Kulturschätze der Antike nicht ehre sondern zerstöre. Dem Volke fehle der Sinn dafür und wenn nicht die Kirchenväter sich dieses Problems angenommen hätten, sähe es noch viel desolater im alten Rom aus. So habe man zumindest kostbare Kulturschätze, die man dort an den antiken Stätten eher zufällig bei Bauarbeiten oder Pflügen fände, retten können. Ein gutes Beispiel hierfür sei die Cäsarbüste in grünem Schiefer, die man bei Bauarbeiten in der Nähe des Forums gefunden habe. „Ich kam dazu, als man den Fund barg. Mitten zwischen umher streunendem Vieh kletterten wir über Gebäude- und Säulenreste um zur Fundstelle zu gelangen. Man war beim Ausheben eines Kanals auf eine Grundmauer aus altrömischer Zeit gestoßen. In einer unversehrten Höhlung unterhalb befanden sich der Kopf und andere Stücke. Du glaubst gar nicht, Adoree, welche Wirrungen in mir statt fanden! Hier erblickte Cäsar nach fast achtzehn Jahrhunderten erneut das Licht der Welt! Und ich war dabei. Vorsichtig bargen wir die Büste und transportierten sie in den Vatikan. Und du sollst wissen: Mir wurde sie anvertraut!“ Saly musste Luft holen, schon lange hatte er nicht mehr so ausführlichst darüber gesprochen. Adoree sah den Bildhauer plötzlich mit anderen Augen. Dieser Mann hatte Ideale. Das Schöne war für ihn wirklich wichtig und keine bloße Attitüde. „Und wie erging es deinem Cäsar?“
„Nun, ich habe ihn restauriert, wie man diesen Vorgang bezeichnet. Man befreit das Objekt vom Schmutz, bessert grobe Unreinheiten vorsichtig aus und gibt dem Stück den letzten Schliff. Verwunderlich war, dass der Kopf aus überaus seltenem, weil sprödem Schiefer, beinahe unbeschadet die Zeit überdauert hatte. Ich denke, diese Büste wird die einzige aus grünem Schiefer auf der Welt sein und bleiben. Ein unbeschreibliches Glück! Hast du Interesse, sie dir anzusehen? Der grüne Cäsar, wie wir ihn tauften, ist hier in Paris!“ Adoree strahlte und umarmte den Meister.
„Darf ich Madame Pompadour darüber informieren und sie um Begleitung bitten? Ich denke, ihr würde die Teilhabe an der Entdeckung dieses Schatzes gut tun!“ Saly stimmte der Idee zu und als Termin wurde der nächste Tag ins Auge gefasst. Dieser gemeinsame Besuch passte ihm gut ins Konzept. Da der grüne Cäsar in den Räumen des Louvre ausgestellt war, ließen sich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Vor einigen Tagen hatte er erfahren, dass sich im Fundus der Akademie Marmorstücke befanden, die mit seiner Arbeit harmonieren könnten. Sollte die Marquise de Pompadour sie begleiten, böte ihr Besuch einen höchst offiziellen Anlass, für ihre Büste einen Stein auszusuchen. Niemand konnte ihm diesen dann noch verwehren. Saly fühlte sich ob solcher Pläne regelrecht verwegen. Er wartete auf Antwort.
Adoree und ihr väterlicher Freund mussten den Ausflug allein unternehmen. Madame de Pompadour ging es nicht gut. Sie war geschwächt, man hatte ihr Ruhe verordnet. Nichtsdestotrotz hatte Adoree ihr versprochen, alles genau zu berichten. Als er von ihrer Unpässlichkeit hörte, hatte Saly sich sofort dazu bereit erklärt, der Madame eine Zeichnung, die er in Rom von seinem Cäsar angefertigt hatte, zu verehren. Ob er den Messieurs der Akademie von seinem Auftrage berichten und ihn in ihrem Namen um die Besichtigung der Steine bitten dürfe? Adoree brachte ihm die Antwort in Form eines Briefes, der an Monsieur Coypel, den Leiter, gerichtet war. Die Pompadour, die als dessen Gönnerin galt, schätzte ihn als Künstler und Intellektuellen. Sie hatte sich schon mehrmals von Coypel portraitieren lassen und besaß einige ausgezeichnete Gobelins nach dessen Entwürfen. Dass dieser Mann zum Directeur der Akademie und Hofmaler des Königs aufsteigen konnte, war der Madame und ihren finanziellen Unterstützern zu verdanken. Von dieser direkten Alliance hatte Saly nichts gewusst. Wieder einmal zeigte sich seine unschuldige Naivität die ihn mit der Gesellschaft am französischen Hofe verband. Dem Bildhauer wurde deutlich, dass er die eigentliche Madame de Pompadour nie kennen gelernt hatte. Er schämte sich seiner offensichtlichen Informationslücken. Waren daraus für seine Arbeit Nachteile entstanden? Es sollte dabei ganz auf die Madame ankommen. Die Atmosphäre bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte doch trotz der emotionalen Ausbrüche entspannt und vertraut geendet. Gern würde er seiner eigenen Erfahrung und Menschenkenntnis trauen, die ihn einen Vorteil ahnen ließen. Noch ging dieses Gefühl allerdings eher vage mit seinen künstlerischen Idealen um. Man würde sehen, weitere Sitzungen standen ja bevor.
Adoree war noch nie im Louvre gewesen, da für die Öffentlichkeit die Ausstellungsräume nicht zugänglich waren. Und auch Saly selber fühlte sich orientierungslos, denn zu seiner Studienzeit waren die Ateliers in anderen Teilen des riesigen Gebäudekomlexes untergebracht. Zwischenzeitlich musste hier viel umgebaut worden sein. Die Gemäldegalerie bildete jetzt eine Art Zentrum. Um den grünen Cäsar zu finden, musste man sich durchfragen. Saly fühlte sich sehr unbedeutend und ohnmächtig. Obwohl er der Entdecker der einzigartigen Büste gewesen war und sie nach Paris vermittelt konnte, hatte man es nicht für nötig befunden, ihn darüber zu unterrichten, wo sich der Schatz zur Zeit befand. Saly entschloss sich, direkt das Büro des Akademieleiters aufzusuchen. Dort würde man ihnen den Brief abnehmen und könnte weiter helfen. Auf der Treppe zum Hauptflügel begegnete ihnen ein älterer Herr. Saly wollte, ihn nach dem Kontor fragen. Bevor er den Mund öffnen konnte, traf ihn ein leichter Rempler von Adorees Ellenbogen. Er sah aus dem Augenwinkel, wie sie ihm auffällige Blick zuwarf. Trotzdem musste Saly jetzt reagieren und den Mann, der bereits stehen geblieben war, ansprechen:
„Pardon, Monsieur. Kann er uns den Weg zum Kontor des Maitre Coypel weisen?“
Der Herr ging nur knapp und nebenbei auf die Frage ein:
„Selbstverständlich.“
Adoree hatte ihn offensichtlich abgelenkt, fasziniert konnte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen:
„Ich kenne euch, mein schönes Kind. So ein formvollendetes Antlitz ist nicht leicht zu vergessen. Helfen sie mir: Ein Modell meiner früheren Arbeiten?“
Adoree stockte der Atem, er hatte sie erkannt. Ob der Bekanntschaft schien Saly irritiert. Adoree übernahm das Wort:
„Ja, Monsieur Boucher, man kennt sich. Ich durfte ihnen letztlich beim Ausstaffieren des Salons der Madame behilflich sein. Ihr fragtet mich, wo meiner Ansicht nach die neuen Teppiche am besten zur Geltung kämen.“
Saly hatte bei der Erwähnung des Namens gezuckt. Gute Adoree! Sie hatte ihn vor seiner Dummheit gerettet. Boucher wandte sich nun direkt an Saly und bezog ihn in das Gespräch mit ein:„Sie müssen wissen, wir wählten schließlich das Schlafgemach, so dass Madame während ihrer Ruhezeiten die Motive betrachten kann.“
Saly wollte etwas entgegnen, aber Adoree übernahm das Wort:
„Monsieur Bildhauer Saly begleitet mich im Auftrage der Marquise.“
Beide Herren gaben sich die Hand.
„Sie wollen also Coypel aufsuchen?“
Man kam ins Gespräch über den grünen Cäsar und Boucher zeigte sich ebenso begeistert wie Saly selber. Er kam auf dessen Arbeit zu sprechen:
„Der König war ja ganz vernarrt in den Kopf ihres kleinen Mädchens. Madame Pompadour hatte wieder mal das richtige Näschen. Nicht nur eure Kunstfertigkeit imponierte, sondern auch euer Stil. Wirklich eine ästhetische Erhebung! Die Schlichtheit macht das Objekt zum Individuum! In Anklängen findet man dieses auch beim Cäsar. Ein guter Schachzug, die Klassiker aus Italien wieder zu beleben. Ihr habt intensivst dort studiert? Soweit ich weiß, seid ihr Mitglied der wichtigsten Akademien Italiens und Träger des Prix de Rome?“
Saly fand Gefallen an diesem Gespräch und fühlte sich das erste Mal gewürdigt. Das Interesse dieses wichtigen Herren tat ihm gut. Frei begann er von seinem Romaufenthalt zu erzählen. Nach einigen Sätzen wurde Boucher nachdenklich und unterbrach ihn:
„Wissen, sie, lieber Saly, dass man mir damals den Prix de Rome versagt hatte und mir dadurch Rom verleidete? Was nutzte mir der Preis ohne Geld? Damals war ich noch jung und hatte mich verstrickt in allerlei Beziehungen mit, wie ich meinte, wichtigen Leuten. Bald ging es um Ruhm, dann um Gelddinge. Das entsprach eigentlich gar nicht meiner Natur, wollte ich doch nur meiner Kunst nachgehen. Ich musste damals in meinem Unglück sehen, wie ich in Italien den Lebensunterhalt bestritt und bildete mich zum Dekorateur. Ich muss zugeben, ich hätte mich lieber auf euren Weg begeben, ihr hattet genügend Zeit und Muße euch zum Bildhauer zu bilden.“
Saly dachte, er habe zu selbstgefällig geklungen. Wenn man es wollte, konnte man ihm seine Euphorie leicht als Angeberei auslegen. Weshalb hätte Boucher ihn sonst unterbrechen und auf sich verweisen sollen? Adoree erfasste die Lage sofort:
„Sie müssen damals sehr gelitten haben. Und man hat das ausgenutzt.“
„Andere hatten schon immer weniger Skrupel und weitaus größeren Ehrgeiz als ich.“
Adoree beteuerte, dass die Madame de Pomapdour ihn, Monsieur Boucher, wegen seiner Rechtschaffenheit schätze und unterstütze. Schließlich würden sich diese Eigenschaften in seinen Werken widerspiegeln und eine angenehme Atmosphäre schaffen. Zum Schluss stellte sie fest:
„Die pompösen Künstlichkeiten eines Van Loo blenden wohl den König blenden, aber keinesfalls unsere Madame.“
Boucher richtete sich auf:
„Ihr habt recht, Mademoiselle Adoree. Und ihr, Monsieur Saly, seid wohl auserkoren. 9