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Nachdem für Saly und Adoree die Führung beendet war, mussten sie der Einladung Bouchers folgen und diesen in seiner Wohnung besuchen. Madame Boucher lud zu einem kleinen Imbiss ein, man plauderte ein wenig über die letzten Umbauten am Louvre. Da die beiden Künstler nach dem Marmor sehen wollten, entschuldigten sich schon bald bei den Damen und ließen diese im Appartement zurück. Saly folgte Boucher in die Werkstätten. Ein Steinmetz begleitete sie in die Lagerräume. Auf Anweisung Bouchers ließ er sie dann allein:

„Dort drüben befinden sich die älteren Stücke, darunter sicherlich auch ein Carrara Marmor, wie ihn Meister Bouchardon verwendete. Das Modell des Reiterdenkmals von Ludwig XV. wurde aus diesem Stein hier gehauen.“ Saly nahm bei einigen Blöcken Augenmaß wegen der Größe, betrachtete die in Frage kommenden Stücke von allen Seiten und fuhr mit geschickten Fingern über deren Oberfläche. Außerdem achtete auf die Farbgebung des Marmors, denn er wollte unbedingt ein absolut weißes Stück ohne Einschlüsse. Man konnte zwar nicht in das Innere eines Marmorblockes sehen, aber ein Experte wie Saly hatte genügend Gefühl und Erfahrung, um sich dessen Reinheit gewiss zu sein. Schließlich entschied er sich für einen Quader, dessen Kanten beinahe durchsichtig schimmerten. Bouchardon beglückwünschte ihn zu seiner Wahl und interessierte sich für die Kriterien. Saly erklärte kurz und knapp:

„Wie er sich anfasst, wie er schimmert und riecht. Und das Gefühl, Monsieur, letztendlich entscheidet das Gefühl!“

„Wie bei einer Frau?“

„Ja, ich glaube wie bei einer Dame“.

Boucher beauftragte den Steinmetz, den ausgewählten Stein in seine Werkstatt zu bringen. Er würde ihn dort für Saly verwahren.

„Meint ihr nicht, Coypel fühlt sich jetzt übergangen? Marquise de Pompadour hatte ihn in ihrem Brief veranlasst, mich einen Stein aussuchen zu lassen, was er mir allerdings heute noch nicht gewähren wollte. Es bedürfe einiger Vorbereitungen und man würde mich bei gegebener Zeit rufen.“

Boucher lachte:

„Mein lieber Bildhauer, diese Spielchen habt ihr nicht nötig. Vertraut mir! Meine Marquise hat in unserer Kunstwelt das Sagen. Wenn die Pompadour sich einen Stein wünscht, bekommt sie ihn umgehend. Da hat ein Coypel nichts zwischenzuhandeln.“

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* * *

Die Berichterstattung fand im Schlafgemach der Madame statt. Saly fühlte sich etwas unwohl, er konnte nicht ganz verstehen, warum man sich im persönlichen Schlafzimmer einer hochgestellten Dame aufhalten durfte. Adoree hatte es ihm erklären müssen. Kaum vorstellbar, dass bei den intimsten Handlungen stets Damen des Hofstaates anwesend waren. Wie bei der Belagerung des Königs hielt man es auch im Umkreis der Pompadour für karriereförderlich, wenn man sich ihren persönlichen Kreis vorgearbeitet hatte. Heute jedoch waren nur Adoree und Saly zugegen. Deshalb konnte Saly frei berichten und schwärmen. Adoree hatte es sich neben der Madame auf dem Bett bequem gemacht, Saly setzte sich, nachdem er einige Zeit ungünstig gestanden hatte, zögerlich auf die Kante. Aller drei beugten sich über die Zeichnung des grünen Cäsar, die Madame in Händen hielt. Saly begann, die Figur zu erklären und machte darauf aufmerksam, dass die räumliche Erfassung nie in einer Zeichnung nachgeahmt werden könne. Deshalb gehe es nun um die besondere Plastizität dieser Büste:

„Bei diesem Kopf ist das Individuelle das Realistische. Der Künstler hat sich nicht bemüht, das Alter des Feldherren zu verschleiern, im Gegenteil, er hat dessen Lebensfalten sogar hervorgehoben! Wenn man mit dem Finger an den Augenlidern herunterfährt, stößt man sich an den Krähenfüßen in ihren Winkeln.“

Saly bat beide Frauen, die Augen zu schließen und es bei sich selbst auszuprobieren.

„Selbst ein junges Gesicht lässt Fältchen in den Augenwinkeln zu. Sie kommen vom Humor und von der Sorge. Was meint ihr hat einen Cäsar mehr geprägt?“

Man einigte sich auf die Sorgen und berührte die Falten zwischen den Augen zur Nasenwurzel hin. „Diese sind bei unserem Cäsar sehr ausgeprägt – ein starker und weiser Mann. Was gehört noch zu einem Diktator?“

Das eigene Kinn und die Mundwinkel wurden betastet und Saly beschrieb den unerbittlichen Zug um Cäsars Mund mit dem energischen Kinn. Er wies auf das Blatt:

„In meiner Zeichnung habe ich aber noch etwas zu erfassen gesucht. Könnt ihr es sehen?“

Die Pompadour versetzte sich in das Antlitz und meinte eine gewisse Resignation bei dem Mann zu spüren. Und eine Art Angst vor dem Verlust der eigenen Autorität und so etwas wie Ahnung vom Niedergang oder Tod. Auch Adoree sah diese Gefühle aufblitzen:

„Jetzt wirkt er noch viel älter.“

Saly war beglückt, so intensiv hatte er mit noch keinem Kunstkollegen über ein Werk sprechen können. Frauen schienen ihm doch sensibler und ernster bei der Kunstbetrachtung. Er äußerte mit Hochachtung:

„Meine Damen, sie durchdringen Kunst und Gefühl!“

Das Gespräch über Kunst wurde weiter geführt, denn man hatte ja noch ein weiteres Werk im Louvre bestaunt. Ganz begeistert berichtete Adoree vom Dornauszieher. Ob Madame ihn kenne? „Sehr bewundere ich diese kleine Figur. Ich habe ein Abbild davon in meinem Schloss in Meudon aufstellen lassen. Ich kann nur sagen, eine meiner Lieblingsgesten! Jene Mühe in der Körperverrenkung und dabei diese Leichtigkeit! Bewegtes in der Ruhe konzentriert! Gesenktes Antlitz erstrahlend in jungendlicher Verbissenheit und schierer Hoffnung. Wird es dem Jüngling gelingen den ekligen Dorn seinem weichen Fleische zu entreißen? Ich hoffe und bange! Ich, der Voyeur!“

Dieser impulsiven Auslegung pflichtete Saly fasziniert bei und versuchte noch einmal, den Ausdruck der Ruhe im Gegensatz zur unmöglichen Pose hervorzuheben. Adoree wirkte während des Austausches über den Doranauszieher etwas irritiert. Sie stellte schließlich unsicher eine Frage: „Warum wurde des Jünglings Geschlecht in der Spreizung des Beines so bloß, gleichsam im Zentrum, liegen gelassen?“

Madame antwortete:

„Die Verletzlichkeit der Jugend und die Sünde der Entmannung. Stell dir vor, es wäre ein Mädchen...“.

Adoree nickte. Saly wandte sich diskret ab. Es entstand eine kurze Pause in der Adoree merkte, dass die Pompadour müde wirkte. Man bat Saly um Rücksicht. Madame erklärte abschließend, sie sei an weiteren Gesprächen, welche bezüglich ihrer eigenen Büste Entscheidungen bringen sollten, äußerst interessiert. Ob er seinen Stein bekommen habe? Adoree versprach, ihr nach der Sieste vom Besuch bei Boucher und der Marmorauswahl zu berichten. Bevor Saly sich ordentlich verabschieden konnte, geschah etwas seltsames, das ihn noch lange beschäftigen sollte - die Mätresse bedankte sich bei ihm:

„Merci, Monsieur Bildhauer. Schade, dass sie mich nicht frischer kennengelernt haben. Wir hätten uns gut verstanden.“

Saly errötete und verließ in angedeuteter Verbeugung das Schlafzimmer.

Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

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