Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 18
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ОглавлениеAm nächsten Morgen schlich Saly die Treppe herunter, um unbemerkt nach draußen zu entkommen. Er wollte zum Gipsblock, weil er nachsehen musste, ob dieser unversehrt war. Außerdem sollte Jean das Werkzeug säubern und bereit halten, denn Saly wollte so schnell wie möglich mit seiner Arbeit beginnen. Sich in sein ureigenes Metier zu flüchten würde ihn stark und unangreifbar machen. Die Kunst würde ihm einen Grund geben, sich ihr ohne männliche Emotionen zu nähern. Unbemerkt schlug er den Weg zu den Stallungen ein. Dort war schon reges Treiben, Pferde wurden gestriegelt, Kutschen gesäubert und die Ställe gereinigt. Außerdem schienen Fanfans Leute aufbrechen zu wollen. Jean konnte er nicht sehen, wahrscheinlich war er in der der Scheune. Als Saly sich dorthin wandte, lief er promt Fanfan, der bereits zu Pferde saß, über den Weg:
„Ah, guten Morgen, Monsieur Bildhauer! Meine Person seht ihr – wenn das Schicksal es gut mit uns meint - erst gegen Abend wieder! Man hat noch Einiges zu erledigen!“
Ein Kehrt auf der Hinterhand und die Gruppe galoppierte davon. Zurück blieb eine Staubfahne. Saly konnte in der dunklen Scheune zunächst nichts erkennen. Er rief nach Jean, bekam aber keine Antwort. Um eine ungefähre Richtung zu haben, wandte er sich dem helleren Teil zu, dem eigentlichen Stalltrakt. Hier rief er erneut nach dem Jungen. Keine Antwort. Er fragte einen Knecht. Dieser kannte Jean nicht einmal. Saly kam die Idee, sich nach Poisson zu erkundigen, dessen Pferd offenkundig hier untergestellt war. Und richtig, der Stall des schwarzen Hengstes befand sich am Ende des Ganges und Poisson sei eben noch dort gewesen. Saly ging über das Kopfsteinpflaster der Stallgasse und lugt ab und zu in einen der Anbindeständer. Inzwischen hatte er sich an den Geruch des Mistes gewöhnt. Menschliche Ausdünstungen oder die Hinterlassenschaften von Katzen und Hunden waren weitaus unangenehmer. Er sah sich einen Haufen Pferdeäpfel genauer an. Offenbar hatten Pferde eine gute Verdauung, denn die Apfelform ihres Kotes war sinnvoller als der formlose Matsch von Kuhfladen. Saly schritt durch den Gang. Vorne mahlten Mäuler gleichmäßig das Futter. Auf der Kehrseite grüßten verschiedenfarbige Hinterteile, langes Schweifhaar oder kopierte Schwänze peitschten, um die lästigen Fliegen zu vertreiben. Denen wich er respektvoll in leichten Bögen aus. Ab und zu rasselte eine Kette, hörte man Schnauben oder Scharren. Friedlich, wie im Kirchenschiff. Als Saly der besagten Box näherte, vernahm er Stimmen. Offensichtlich ein Mann und eine Frau. Er trat etwas näher heran. Poisson sagte:
„Wenn ihr das Fläschchen kurz festhalten könntet? Verschmutzt euch nicht daran, die Tinktur riecht nicht gut.“
„Sollte man ihn nicht am Hals streicheln?“
Das war Adoree.
„Ja, gut! Und redet leise mit ihm, erzählt ihm etwas Schönes.“
Adoree begann zu murmeln, es raschelte im Stroh, der Hengst schnaubte und stampfte. Saly wollte das Tier nicht erschrecken und verharrte deshalb in sicherer Entfernung. Poisson:
„So geht das nicht, er reißt mir immer sein Bein weg. Ich kann die Medizin nicht auftragen. Gebt mir das Fläschchen, ich schütte ein wenig mehr auf die Gaze und versuche es noch einmal neu.“
Es raschlete, und Poisson trat aus der Boxentür, um die Medizin draußen abszustellen. Er sah Saly und rief:
„Sie kommen wie gerufen, Monisieur Saly! Bitte halten sie diese Flasche und geben sie mir ein paar Tropfen auf das Tuch, wenn ich es sage!“
Saly näherte sich der Box und erspähte die mutige Adoree neben dem aufgeregten Tier. Sie fragte Poisson:
„Soll ich ihn am Halfter halten?“
Poisson sah Saly an und dann das Mädchen:
„Einverstanden. Allerdings müsst ihr auf eure Füßchen achtgeben. Nehmt ein wenig Abstand und streichelt ihn mit der Linken. Unter dem Kinn hat er es gerne, dort könnt ihr kraulen. Und zieht seinen Kopf ein wenig zu euch heran, dann bremst ihn die Wand, falls er sich drehen will. So, ich nehme jetzt wieder das Bein hoch!“
Poisson bückte sich, hob das Vorderbein an und tupfte mit dem getränkten Tuch auf eine bestimmte Stelle. Alsbald wandte er sich an Saly, hielt diesem den Lappen entgegen und forderte ihn auf, noch etwas Tinktur darauf zu geben. Saly musste sich jetzt gezwungenermaßen dem Gebückten nähern. Er trat in die Box, machte einen Bogen um das Hinterteil des Pferdes und beugte sich mit dem Fläschchen in der Hand zu Poisson herunter. Das aufgehobene Vorderbein ruckte ab und zu gefährlich in dessen Griff. Adoree sprach beruhigend auf das Tier ein.
„Noch ein wenig mehr! Durchtränkt den Lappen ganz. Jetzt hält er gerade still!“
Saly kippte beinahe den ganzen Sud über die Gaze und brachte sich vorsichtig wieder in Sicherheit. Poisson drückte noch ein paar mal das Tuch auf die Stelle am Bein, dann setzte er dieses behutsam ab, richtete sich auf und klopfte das Pferd am Hals.
Adoree hatte von der mutigen Anstrengung rosige Wangen bekommen. Der Kontrast zu ihrem dunklen Haar! Das Heben und Senken ihrer Brust! Wunderschön sah sie aus.
„Ihr wart sehr mutig, Adoree! Eine ausgezeichnete Assistentin habe ich da. Allein mit mit eurem zart fühlendem Charme habt ihr ihn hypnotisieren können. Eine seltene Gabe!“
Saly stand immer noch mit der Fiole in der Hand auf der Stallgasse.
„Auch dank an euch, Saly, dass ihr so spontan zur Stelle wart. Dort drüben können wir uns reinigen.“
Alle drei gingen zu einem Wasserbottich. Erst jetzt hatte Adoree Muße, ihren väterlichen Freund zu begrüßen. Etwas unzulänglich klärte sie die Umstände:
„Monsieur Poisson und ich trafen uns heute früh auf der Treppe.“ Man wusch sich die Hände, Poisson reichte ein Tuch herum und fragte:
„Darf ich euch zu einem gemeinsamen Frühstück einladen?“
Saly sah Adoree an und konnte nicht mehr abschlagen. Er folgte den beiden jungen Leuten in das Gesindehaus. In der geräumigen Küche saßen Jean und Lisette. Sie hatten den riesigen Eichentisch in Beschlag genommen, darauf war ein üppiges Frühstück angerichtet. Es duftete nach frischem Brot und Käse. Schlichte Holzteller dienten als Unterlage, es gab nur zwei große Messer anstatt Besteck für jedermann. Eine dicke Köchin fuhrwerkte am Herd herum, Poisson umgriff sie von hinten und drehte sie zu sich herum:
„Anné, meine Liebe! Wie geht es dir?“
Er stellte den beiden die Köchin vor:
„Unsere Anné hier ist schon sehr lange in unserer Familie. Als wir Kinder waren, sorgte sie für uns wie eine Mutter. Zu ihr konnte man flüchten, wenn man etwas ausgefressen hatte. Das kam bei mir öfter vor, nicht wahr?“
Alle lachten. Saly fühlte sich wohl. Ein wenig Italien oder damals, am Tische des Meisters. Adoree erzählte Lisette vom Verarzten des Hengstes und Jean tat seine Bewunderung kund, denn schließlich wusste er um den Mut, so ein Pferd festzuhalten. Poisson scherzte weiter ob des Respekts gegen das harmlose Tier und meinte schließlich:
„Wartet nur ab, ich setze euch alle noch auf's Pferd!“
Nach dem reichhaltigen Frühstück ließ Saly sich von Jean den Gipsblock und das Werkzeug zeigen. Adoree und Poisson begleiteten sie. Alles stand noch gut verstaut im Wagen. Saly kletterte mit Jean hinauf. Sie öffneten die Kiste, in der sich das Gipsmodell befand, entfernten ein wenig Stroh und sahen hinein.
„ Alles in Ordnung, es ist nichts gebrochen. Wir sollten abladen und dann das Atelier suchen.“ Poisson hatte eine bessere Idee:
„Wir können als erstes gemeinsam euren Arbeitsplatz besichtigen. Es wurde im Seitenflügel des Haupthauses eingerichtet. Da, wo sich auch ihr Schlafgemach befindet, Monsieur Saly. Ich kann veranlassen, dass Jean und ihre Sachen mit dem Wagen dort hin gebracht werden. So ist es doch praktischer. Wenn ihr mir folgen wollt.“
Saly fühlte sich ein wenig bevormundet, aber andererseits auch entlastet, denn Abläufe zu planen war ihm schon von jeher unangenehm. Man ging durch den Park, Richtung Schloss. Dass dieser gerade erst neu angelegt worden war, war kaum zu erahnen. Nach englischem Vorbild hatte man den ursprünglichen Baumbestand, die meisten Hecken und Wiesenstücke mit in die Planung einbezogen. Selbst der Bachlauf war nicht verändert worden. Prunkbrunnen mit Fontänen, künstliche Lustgärten mit beschnittenen Hecke oder Terrassen und Parterre gab es nicht. Die Wege waren weder mit Kies bestreut, noch begrenzt, sondern natürlicherweise so geebnet, dass man trockenen Fußes und bequem spazieren konnte. Bunte Wiesenblumen dufteten auf ungeschnittenen Flächen, Insekten summten und flirrten zügellos umher. Schatten und Sonne wechselten sich ab, wundervolle Lichtspiele. Auch junge, exotische Pflanzen konnte man entdecken. Sie waren mit Namen und Herkunft betitelt und würden später in aller Pracht den Garten bereichern. Überall gab es etwas zu sehen, riechen und zu hören. Insbesondere seltene Vögel schienen sich in diesem neuen Paradies anzusiedeln, denn sie markierten ihre gewonnenen Reviere durch lautes Gezwitscher. Hier war die wilde Natur mit Natürlichem veredelt worden. Vor lauter Erbauung sprach man wenig. Damit der Mensch genießen konnte, gab es lauschige Plätzchen, an denen Bänke zum Verweilen einluden. Adoree spazierte von einem Entzücken zum anderen. Poisson führte sie. In der Ferne sah man eine kleine Hütte, die man nur überhaupt entdecken konnte, weil Rauch aus dem Schornstein aufstieg. Adoree fragte, wer dort wohne und Poisson erklärte, dort lebe der Lehrer. Es gäbe eine Schule für die Kinder der Bediensteten und Armen. Der junge Gelehrte sei ein sehr naturverbundener Mann, hätte die die Ideen Rousseaus studiert und sei dessen Anhänger. Madame habe ihm das Experiment an diesem Orte ermöglicht.
Man steuerte auf eine natürliche Anhöhe zu. Darauf befand sich ein weißer Pavillon, getragen von dorischen Säulen. Die Kapitelle waren schlicht gearbeitet trugen ein unverziertes Fries. An den offenen Seiten wurde das Sechseck von einer einfachen Balustrade begrenzt, die einmal vollständig mit wilden Rosen berankt sein würde. An den Hängen des Hügels lagen einige Felsbrocken verstreut und beim näheren Hinsehen konnte man erkennen, dass die Steine behauen waren. Offensichtlich handelte es sich um Reste einer Ruine. Der Weg schlängelte sich aufwärts und führte auf der Waldseite zu einem schmalen Steg, der über den einstigen Burggraben führe. Jenseits der Brücke erhob sich der Rest einer alten Festungsmauer, darin ein Fensterloch auf Augenhöhe. Sah man ebendort hindurch, fiel der Blick geradewegs auf das neue Schloss. Als Bild in einem Rahmen. Poisson musste die Begleiter nicht erst auf dieses Phänomen aufmerksam machen, denn mit Entdeckerlust hatten der Künstler und sein Schützling diese Aussicht bereits aufgespürt. Adoree rief:
„Davon musst du eine Skizze anfertigen, Monsieur Künstler! Dieser Durchblick auf das Schloss ist unbeschreiblich!“
Der faszinierte Saly stimmte ihr zu. Poisson erklärte:
„Bellevue … macht seinem Namen also alle Ehre! Meine Schwester hat sozusagen die Sichtweise umgekehrt: Anstatt vom Schloss auf den Park hat man den schönsten Blick aus dem Park auf den Bau! Ein genialer Schachzug.“
Von oben erklang eine Stimme:
„Es hat mich Jahre gekostet, Architekten und Gärtner zu finden, die meine Ideen verwirklichen konnten. Es scheint geglückt!“
Madame sah zu ihnen herunter. Sie lehnte mit der Brust auf der Balustrade. Saly mochte nicht hoch schauen. Zu romantisch kam ihm die Situation vor. Adoree stupste ihn von der Seite an und flüsterte:
„Was soll ich jetzt tun? Ich will sie nicht sehen.“
Bevor Saly etwas antworten oder tun konnte, griff Poisson die Hand der Widerborstigen und zog sie mit sich, den Hügel hinauf. Saly konnte kaum folgen und war ganz außer Atem, als er als letzter das Ziel erreichte. Keuchend verbeugte er sich vor der Marquise. Sein Herz klopfte wild. Er schwitzte unter den Armen, sein Rock gab einen scharfen Geruch frei, wenn sein Körper sich bewegte. Ein Schweißperle tropfte von der heißen Stirn. Saly nästelte nach einem Schnupftuch.Während seines ungeschickten, fahrigen Suchens bemerkte er gar nicht, dass Madame ihm bereits ihr eigenes Tüchlein ritterlich entgegen hielt. Weil er diese Geste nicht bemerken wollte, begann sie penetrant damit zu wedeln. Justament fiel es ihm auf. Jetzt spielte sie mit ihm. Er griff nach dem Tüchlein, sie schwang es fort, lachte, reizte ihn erneut, er griff zu und sie ließ los. Dünnste Baumwolle, mit zarten Spitzen umgarnt roch so intensiv nach ihrem Parfum, dass er beinahe niesen musste. Saly stotterte seinen Dank und tupfte sich die Stirn. Unmittelbar kämpften essigartiger Körpergeruch und duftende künstliche Essenz gegeneinander. Verstärkt durch die Frische der der Natur. Nun nieste er doch noch. Madame lachte:
„Behaltet es, aber in Ehren!“
Saly lief noch roter an, und machte einen wortlosen Katzbuckler. Er steckt das Tuch schnell in die Rocktasche und wandte sich von ihr ab und blickte, um sich zu beruhigen, weit über die Baumkronen der Wälder, welche sie gestern durchquert hatten.
Adoree verweilte auf der gegenüber liegenden Seite des Tempels. Von hier aus hatte man eine wunderschöne Aussicht auf die Seine. Dort, in der Ebene, musste Paris liegen. Im Dunst konnte man es nur erahnen. Poisson, der sich zwischen Adoree und seiner Schwester gestellt hatte, starrte auf das Schloss. Dringend suchte er nach einer Lösung. Die Verstimmung der beiden Damen musste beseitigt werden. Dachte Adoree etwa, er habe sie absichtlich hier mit der Madame zusammen bringen wollen? Das würde ihre zarten Bande zweifelsohne kappen. Hatten sie sich doch gerade erst in den frühen Morgenstunden einander vorsichtig angenähert. Als man sich zufällig im Salon begegnet war. Da hatte er sich ein Herz genommen und ihr seine Befindlichkeit dargelegt. Ohne große Einleitung und Vorwarnung hatte er das ausgesprochen, worum seine Gedanken die ganze Nacht gekreist waren. Eigentlich habe er ihr da seine Liebe gestanden, meinte er. Romantisch war das nicht gewesen, allein die Tat war ihm so vorgekommen. Wie tief hatte Adoree begriffen? Jedenfalls hatte sie sich geschmeichelt gefühlt ob seines Gefühlsausbruchs und ihm gestanden, dass auch sie eine schlaflose Nacht in Grübelleien verbracht habe. Sie habe viel an ihn gedacht und versucht, seine Person von der Sache mit Madame zu trennen. Im Dunkel sei ihr Bild von ihm noch zwiespältig gewesen. Jetzt, bei Sonnenaufgang, habe seine Offenheit ihre Sympathie eingefangen. Sie habe ihn nun von einer anderen Seite kennen lernen können, da er sich ausgesprochen habe, ohne Madame als Anwältin und oder Zuschauerin. Wolle er sie, Adoree, besser kennen lernen, ohne Bilder, die Madame ihm im Vorhinein eingepflanzt habe? Sein Herz hatte wegen dieser Aussicht laut geklopft. Sie brauchte nur etwas Zeit.
Seine Überlegungen wurden abrupt unterbrochen. Die Marquise hatte sich aufgerichtet und begonnen, in die Landschaft zu sprechen:
„Ja, wir alle sind Seelenverwandte. Wer dieses Werk mit Entzücken empfindet, die Schönheit erkennt und die Natur liebt, der ist besonders. Nur wenige haben eine Idee davon. Für die Herkömmlichen besteht Freiheit in der Unterdrückung der Natur. Ein Trugschluss, denn bändigt man die äußere, schlägt die innere zurück. All die Widerlichkeiten, die Menschen sich antun, entstehen so.“
Sie drehte sich nun um:
„Vergleiche meine Landschaft mit dem Garten in Versailles. Landschaft und Garten. Gegensätze wie Geliebte und Ehefrau. Eine Landschaft wird entdeckt, erkundet und genossen. Ein Garten beschnitten, gehegt und benutzt. Soll es dir auch so gehen, Adoree? Willst du im Garten lustwandeln oder die Liebe genießen?“
Adoree traf ein Stich im Herzen. Wie konnte diese Frau ihre ureigenen Gedanken von heute morgen in diese passenden Worte bringen? War sie als heimliche Lauscherin immer zugegen? Konnte sie in die Seelen der Menschen blicken? Das Mädchen wusste die Antwort: Erfahrung und Instinkt hatten Madame de Pompadour zur Schicksalsgöttin gemacht. Adoree drehte sich zur Sprecherin um. Tränen standen in ihren Augen.
„Ihr fühlt es doch Alle! Wir sind miteinander verbunden. Du mit Saly, er mit dir, du mit meinen Bruder ich mit ihm...wer da wen ins Spiel gebracht hat ist doch gleichgültig! Du liebst mich, mein Kind, und empfindest Liebe für Saly. Doch die zu Poisson ist die beste. Sie ist wie eine Landschaft.“
Den letzten Satz hatte sie sehr leise gesprochen, aber mit aller Inbrunst. Da hielt es Adoree nicht mehr, sie stürzte auf die tränenblasse Silhouette zu und umarmte den fraulichen Körper. Über Adorees Schulter hinweg blickte ein tiefgrünes Augenpaar auf Saly. Vollkommene Güte. Poisson stand gerührt ganz dicht dabei.
In dieser aufgewühlten Stimmung brachen die vier Menschen zusammen auf. Man redete kein Wort und Adoree hatte sich freundschaftlich bei der Pompadour eingehakt.
Die beiden Männer folgten schweigsam. Jeder hing seinen Gedanken nach.
Saly dachte an Madames Güte und starke Hingabe. Er fühlte sich von nun an dazugehörig, wertgeschätzt und geliebt. Ganz unmissverständlich hatte sie von Liebe gesprochen und ihn einbezogen. Sie liebt mich. Saly schwebte auf Wolken.
Poisson hingegen empfand die weibliche Erwartungshaltung als bedrückend. Hier war eben ein Pakt geschmiedet worden, in welchem ihm die schwierigste Rolle zukam: Bedingungslose Liebe zu Adoree. Eine Liaison nach der nächsten, rauschhafte sexuelle Begierde bis zur Selbstaufgabe, all das hatte er gekostet. Selten nur war er verliebt gewesen und wenn nur für kurze Zeit. Bei heißen Abenteuern in Italien oder Kabale und sexuellen Ausschweifungen in Versailles. Er war jung, begehrenswert, eine gute Partie und in passender Stellung. Ein Adelstitel stand auch in Aussicht. Die Weiber am Hof hatten sich auf ihn gestürzt. Auswahl, Einsatz und Gewinn. Erfolgreich gegeben und vortrefflichst gespielt. Mit Charme, Esprit und einer Priese Verruchtheit. Selbst in dieser Hinsicht hatte der König schon von ihm gehört. Eine zweifelhafte Frage der Ehre. Die meisten Dinge durfte Adoree nie erfahren.
Adoree hingegen wandelte glückselig neben ihrer Freundin. Frei und dennoch geborgen. In einer Familie. Sicherheit ohne Angst. Beendet, das Ausgeliefertsein. In dieses neue Gefühl verliebte sie sich. Unter dessen Obhut würde sie sich der Emotionen und all dem, was diese nach sich zöge, hingeben. Das war ihr Umweg, auf dem sie Poisson zu lieben begonnen hatte. Inniger und tiefer als irgendetwas jemals zuvor. Die Erinnerung an das Schlimmste ihres Lebens würde verschwinden wie das Trugbild eines vorigen Seins. Und bliebe ein Geheimnis.
Und in der Marquise de Pompadour hatte sich in den letzten Minuten eine Verjüngung vollzogen. Sie glänzte, ohne jemandem zu schaden. Allein durch Liebe und Güte. Derer hatte sie sich bedient, nach etlichen Jahren, das erste Mal durchschlagend. Ungeheuerliche Waffen gegen die bestehende Welt. Vernichtung aller Intrigen und Ränkespiele. Zerstörung der Macht. Eine neue Welt würde geschaffen werden. Und sie könnte mit aller Kraft sich dafür einsetzen.
Man erreichte das Schloss. Madame de Pompadour wollte ihnen gerade das Atelier zeigen, dass sie eigens für Saly hatte einrichten lassen, als Poisson verlauten ließ, dass er sich nicht anschließen werde. Adoree war ein wenig irritiert, als er sich mit Handkuss von ihr verabschiedete:
„Liebste Adoree, bitte entschuldigt mich. Ich habe noch einiges zu tun. Heute Abend werden wir uns wiedersehen!“
Er verbeugte sich leicht und schenkte ihr ein offenes Lächeln. Dann nahm er den anderen Ausgang und verschwand. Er hatte starkes Kopfweh.
Salys Herz klopfte. Freudige Erwartung gepaart mit Unglauben an das Glück. In jenen Räumen, die er gleich zu Gesicht bekommen würde, würde er die nächste Zeit verbringen und an ihr arbeiten. Wie oft würde sie ihn aufsuchen? Die Gespräche müssten weiter gehen, Spaziergänge im Park, Zweisamkeit... Jemand rief 'Halt!' Abrupt blieb Saly stehen und sah sich um. Ein Schlag vor die Stirn. Kein sichtbarer Gegner weit und breit. Er schwankte. Die Stimme warnte eindringlich: Du gibst gerade deine Kunst einer aussichtslosen Liebe preis. Du, der Verräter deiner selbst. Dich droht die falsche Muse zu küssen. Du darfst ihr nicht verfallen wollen. Wehre dich! In diesem Moment griff Adoree einen Arm und zog ihn vorwärts:
„Poisson geht nicht mit! Sicherlich wird er dich bald in deinem Kunsttempel besuchen kommen!“ Rüde riss sich Saly los. Beinahe schlug er um sich. Adoree kicherte:
„Du bist eifersüchtig auf ihn!“
Sie drehte sich um und lief mit fliegenden Röcken Madame de Pompadour hinterher, die schon auf der Treppe wartete.