Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 19
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ОглавлениеPoisson stand ein ganzes Obergeschoss im Pariser Flügel des Schlosses seiner Schwester zur Verfügung. Er zog sich oft dorthin zurück, wenn er zeitnah Geschäfte in Versailles und Paris zu erledigen hatte. Bellevue war zu einer Art Dependance für ihn geworden. Er hatte sich seine Räume so eingerichtet, wie es ihm persönlich gefiel. Mitbringsel von seinen Reisen prägten das Motto zweier Wohnsalons, ein Durcheinander von Stilen und Artefakten. Hier fühlte er sich wohl und ließ sich oft inspirieren, wenn er Ideen für die Verschönerung von Gebäuden brauchte. Zwar setzte sich beim Bau der klassische Stil immer mehr durch, jedoch konnte man unauffällig Elemente aus fernen Ländern mit in die Gestaltung einfließen lassen. Ein pagodenhafter Aufbau war genauso möglich wie eine tempelartige Frontfassade.
Nach den Ereignissen im Park hatte er sich ermattet auf sein Canapee fallen lassen. Ihn plagten Kopfschmerzen, Gewissensbisse und große Zweifel. Er liebte Adoree, das stand außer Frage. Aber war er ihrer auch wert? Dieses unschuldige Geschöpf konnte er unmöglich mit den Eskapaden seiner Vergangenheit beschmutzen. Er musste sie unberührt halten und sich rein waschen. Vorher durfte er sich ihr keinesfalls körperlich nähern.
Seine Hände rochen immer noch nach Pferd und ihr Duft hing ihm in der Nase. Freiheit und Zauber. Er fühlte sich zerschlagen. Nie hätte er geglaubt, dass ihn die Verfehlungen aus der Vergangenheit als wilde Schattenspiele einholen würden. Obligatorische Attribute der Männlichkeit, Vorbilder machtbesessen, reich und geil. Nachbilder ungezügelter Weiblichkeit. Das war die Gesellschaft, in der er aufgewachsen war. Er hatte seine Rolle: Kavalier auf edlen Ross, Verführer der Damen, Herr der Begierde und aussichtsreicher Günstling. Frauen waren sein bester Spiegel. Die Urteilerinnen des Erfolgs. Die Richterinnen der Macht. Wie die Mätresse des Königs. Als sei er nun vom hohen Ross gestürzt. Seine Schwester hatte begonnen, ihn zu retten, und zwang ihn ohnmächtig zu seinem Glück. Sie stellte ihm Adoree als Heilige zur Seite. Zur schnellen Genesung. Bewachen und hegen würde sie ihn mit aller Inbrunst. Und er hatte sie zu lieben. Je enger sie ihn umgäbe, desto besiegelter sei dieser Vertrag. An den Reif der Zeit gefesselt und hilflos ausgeliefert. Wenn sie das das Rad zum Rollen brächte, würde das Winden beginnen. Die Fliehkraft setzte ein. Der Schwindel in wirren Gedanken. Auf dem Kopfe, auf den Beinen. Bilderfolgen durch die Speichen flimmern, schneller und schneller die rasende Handlung. Rückwärts – vorwärts. Aufstoßen - Erbrechen. Beinahe hatte er schalen Geschmack vergessen.
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Man hatte getrunken. Einige Genossen aus den Versailler Kreisen. Üble Schürzenjäger. Marquis de soundso und Comte soundso in Begleitung ihrer Mätressen und er. Ein Etablissement. Schwül aufgeheizte Stimmung. Trinken und Vergnügung. Die Säfte drängen und streben nach Erleichterung. Der Einfall ein Spiel, bei dem jeder Verlierer einen erotischen Tribut zu entrichten hat. Unter den Augen der Anderen. Es wird sich auf Tontine geeinigt. Die Regeln stehen schnell fest. Die Herren stiften ihre Gehstöcke. Der Negerpage darf sie halten. Einige Damen protestieren frivol. Begierig beginnen die Herren mit dem Setzen. Jetons gibt es nicht, nur die Kleidung hat ihren Wert. Der erste Einsatz drei Stücke. Schon häufen sich die Teile, ein Berg aus Bändern, Kravatten und Schals. Harmloses Beiwerk. Gieriges Gekicher. Die Karten entscheiden. Behängte Damen und spärlich Bekleidete, aufgetakelte Herren und welche in Unterhosen. Runde um Runde. Immer mehr Durchblicke, Anblicke, Ausblicke. Berge aus Unterröcken, Beineinkleidern und Korsetts. Gelächter beim Entblößen. Zugriffe beim Entwirren verschlungener Schnürungen. Grabende Finger beim Öffnen der Ösen. Bloßer Busen, ungebändigtes Gehänge. Nackter Hintern tut es auch. Eine erste Tote. Hüllenlos. Kreischen der Begierde.
Die Bilder laufen: Beim schwarzen Mann ein Stock gewählt, reich verziert mit großem Knauf. Triumphgeheul und Raserei, wer denn der Besitzer sei? Es meldet sich ein geiler Herr, das Loch zu treffen sei nicht schwer. Eingelocht und sie sei frei, ansonsten wäre er dabei. Zum Billard zieht man jetzt hinüber, nun lehnt sie sich schon selber drüber, hält das Zepter in den Händen, geht's daneben, ist sie zu schänden. Setzt an zum Stoß und schießt vorbei, lauter, greller das Geschrei, packt sie bei den Hüften schon, der Herr will den verdienten Lohn. Man hält sie fest, lässt sie nicht gehn, will ihr Geschlecht geschändet sehn. Er greift jetzt gierig nach dem Stock, poliert den Knauf an seinem Rock, spuckt auf das Ding und setzt dann an, tastet sich erst langsam ran, man spreizt die Schenkel, sieht das Geschmeide, unsanft streichelt es die Scheide, legt sie offen, bohrt sich rein, jetzt ist er drin, tief muss es sein. Rein und raus, der dicke Knauf, bald auch schon liegt er obenauf, festgesaugt an ihrem Munde, wartet auch noch die Sekunde, bis er sich erleichtern kann, der Schleim von ihren Hüften rann, dann kam schon sein letzter Stoß, ihr Geschrei ward riesengroß, man hielt sie immer weiter fest, und gab ihr dann den letzten Rest.
Als die Gendarmen kam, war er schon fort. In Unterhosen und Hemd durch die Gassen geflüchtet, zusammen mit dem Künstler Van Loo. Mehrmals hatte er halten und sich übergeben müssen, dann war er weiter geschleift worden. Am nächsten Morgen fand man ihn Dreck verschmiert vor seiner Türe. Hinterher hatte der Page ihn gebadet und ins Bett verfrachtet.
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Dorteben wachte er gegen Nachmittag auf. Man habe ihn vor Stunden in seinem Arbeitszimmer gefunden, ihm sei wohl übel geworden, er hätte sich übergeben und man habe ihn nach dem Besuch des Arztes ins Bett gebracht. Ober er gestern vom Pferd gefallen sei? Er konnte sich an nichts erinnern. Mademoiselle Adoree hatte darum gebeten, sich persönlich um den Kranken kümmern zu dürfen. Madame habe dem zugestimmt. Die junge Mademoiselle habe die ganze Zeit seine Stirn gekühlt und seine Hand gehalten. Poission fragte irritiert:
„Und wo ist die Mademoiselle jetzt?“
Eine besorgte Stimme von nebenan antwortete:
„Ich bin hier, mein Lieber!“
Adoree eilte herbei und drückte dem Kranken einen Kuss auf die Stirn.
„Warum habet ihr nichts von eurem Sturz erzählt? Ihr müsst euch nicht schämen! Dass der Hengst im Sprung über den Stamm hängen blieb und strauchelte, war ein schlimmes Unglück. Der beste Reiter hätte sich in dieser Lage nicht halten können! Und nun habt ihr eine ordentliche Gehirnerschütterung.“
Poisson fühlte sich ertappt und unendlich schwach.
„Ihr müsst wohl oder übel ein paar Tage das Bett hüten. Die kurze Nacht, das Verarzten des Pferdes, der Spaziergang und das alles war viel zu viel gewesen. Ihr seid aber auch unvernünftig!“
Sie beugte sich über ihn und zog die Kissen gerade. Poisson konnte direkt in die weiche Spalte zwischen ihren Brüsten sehen. Der Busen wölbte sich ihm entgegen und verbreitete einen vanilleartigen Duft. Er sog sie ein. Kurz schloss er seine Lider. Als er die Augen wieder aufschlug, hielt sie ihm einen Becher mit einem heißen Tee unter der Nase.
„Ihr trinkt das jetzt aus. Das Gebräu beruhigt euren Magen und gibt Kraft!“
Artig tat er, was ihm befohlen.
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Madame und Adoree waren zuerst im Atelier angekommen. Jetzt, zur sommerlichen Mittagszeit war der Veranda artige Raum in Gänze ausgeleuchtet. Das Licht floss von allen Seiten und von oben in den Anbau. Auf der an der Wand lehnenden hölzernen Dachkonstruktion befanden sich Glasplatten anstelle einer gewöhnlichen Abdeckung, zum Wald hin waren die Glasfronten nur durch Türrahmen unterbrochen. Jede Tür ließ sich öffnen. Das brachte ein wenig Durchzug. Madame schritt auf die Glasfront zu und entriegelte einen Flügel. In diesem Moment betrat Saly den Raum und sah eine durchschienene weibliche Gestalt im Lichtfluss wehen. Der leichte Stoff umspielte transparent Hüfte und Knie. Die Wölbung ihrer Brust wellte in weichen Schatten einen atemberaubenden Faltenwurf. Meine strahlende Göttin in weißem Marmor. Gemeißelt und dennoch bewegt. Das schimmernde Profil der perfekten Kontur. Universelles Antlitz der Schönheit. Diesen Eindruck würde er nie vergessen, ein geprägtes Ideal für die Ewigkeit. Schimmernde Allegorie der schönen Gestalt. Nach einer halben Ewigkeit wandte sich die Madame sich ihm zu:
„Und, wie gefällt euch die Atmosphäre? Das Licht dieser Glasveranda? Die Engländer haben sich das einfallen lassen.“
Saly sah sich benommen um.
„Die Konstruktion nennt man Lean – To- Gewächshaus. Später wird hier ein tropischer Garten Einzug finden.“
Saly stutzte geblendet– das war also nicht sein Atelier, sondern ihr Gewächshaus. Dieses durfte er eine Zeit lang zum Atelier entfremden. Entgegen seiner Hoffnung hatte sie es nicht eigens für ihn bauen lassen. Später, wenn das Werk vollbracht war, würde er also gehen müssen. Saly durchmaß den Raum mit wackeligen Schritten, um die Größe zu messen. Dann begutachtete er die Deckenhöhe. Hier könnten wahrhaftig größere Dinge entstehen. Traumhafte Illusionen. Beim Hochblicken wurde ihm schwindelig.Es war so heiß in diesem Glaspalast. Aus allen Poren brach der Schweiß hervor, rann den Rücken hinab, durchfeuchtete den Stoff. Wieder der erbärmliche Geruch. Saly tupfte sich die Stirn mit ihrem Tuch. Ihr Duft war beinahe verflogen. Wie sollte man hier arbeiten? Hinter dem Glas war es heißer als unter freiem Himmel, es ließ die Sonnenstrahlen durch und schirmte zugleich die Luft ab. Diskret versuchte er, diesen Umstand anzusprechen: „Madame bemerken selber, es ist um die Mittagszeit bei sonnigem Wetter ein wenig heiß hier.“ Adoree nickte zustimmend und fächerte sich mit einem Tüchlein Luft um den Busen. Die Pompadour lächelte:
„Recht habt ihr! Deswegen wurde vorgesorgt. Ich konnte einige Stoffbahnen bestellen, ein ganz besonderes, neues Gewebe. Es heißt Bobinet Tüll, ist leicht und luftig, aber beschattend. Mit einer Schnürenkonstruktion werden die Stoffbahnen waagerecht unter den Glashimmel gespannt. Man kann die Gardinen dann von unten über Seilzüge verschieben und so jene Felder abdecken, die Schatten werfen sollen. Würde das die Lichtverhältnisse trüben?“ Saly war überrascht:
„Nein, keineswegs, Madame. Man wird hier perfekt arbeiten können und sich hier wohl fühlen. Meinen Dank für diesen Komfort, der einen ja nur beflügeln kann.“
Innerlich konnte er jedoch nicht vor sich verbergen, dass er sich weiter gegen diesen Glaskasten wehrte. Der Raum war kein Zimmer. Er war einfach zu durchsichtig. Nicht sicher genug. Es fehlte sozusagen der Paravant, der ihn abschirmte. Auch das Modell durfte nicht von außen sichtbar sein. Es würde Voyeure anziehen, die an den Scheiben klebten. Allein diese Vorstellung reichte aus, ihm klarzumachen, dass er niemals mit ihr allein sein würde. Noch nicht einmal so wie in Versailles. In ihrem Schlafzimmer, unter der Aufsicht von Adoree... Am liebsten hätte er ihren Großmut verspottet und sie für ihre besten Absichten mit Füßen getreten. Weil sie ihn als Künstler zufrieden stellen wollte und ihn als Mann verachtete. Dem König hatte sie gedient. Unerhörte Szenen blendeten sich ein. Eine Ohrfeige vor Allen, ihr Hinterteil. Erschrocken über sich selber und seine rissige Phantasie schämte er sich der Bilder der Bestrafung, die ihm in den Sinn kamen. Er hüstelte, hielt sich das Tuch vor den Mund und schnappte nach Luft. Adoree befreite ihn, indem sie nach draußen drängte: „Oh, was sehe ich dort?“
Sie eilte über die Terrasse zum Park. Saly musste mit der Linken seine Augen vor dem grellen Licht schützen, um weit blicken zu können. Dort, im Garten, stand eine Gestalt. Freudig erregt stellte Madame fest:
„Nun, ihr habt sie schon entdeckt. Dann werden wir justament Bekanntschaft mit ihr schließen.“ Offensichtlich eine lebensgroße Figur. Man ging auf die Statue zu. Saly erfasste sofort das Kleid. Der Faltenwurf, der Fluss des Stoffes, seine Leichtheit. Und auch den Körper. Den hatte er nachgerade im gleißenden Lichte bestaunen können. Es war die Madame selber, die dort stand. Die Gesichtszüge waren kaum ähnlich. Dennoch betörte dieses Werk. Nicht durch das Antlitz, sondern in der Geste. Allein die Haltung des Körpers, unterstützt durch die offenherzige Neigung nach vorn, lud selbstlos und vertrauensvoll zum Verweilen ein.
Das rechte Spielbein war unbedeckt ebenso preisgegeben wie die linke, bare Brust. Die Geste fand ihren Höhepunkt im Ausdruck der anderen Extremitäten. Leicht stützte die rechte Hand den Busen, der linke Arm strebte auffordernd dem Betrachter zu. Eine einladende Geste, wie sie der Freundschaft innewohnt. Zusammen mit der Hand an der Brust, dachte Saly, ein wenig zu überladen. Einfach falsch. Hier war eine Zwittergestalt dargestellt, eine Melusine. Das Platonische, welches darin steckt, schreckt ab. Mein ist das Erotische. Frauliches gegen alles Erotische. Das ist nicht sie. Das ist ein Gedanke von ihr. So will sie werden und geliebt sein. Sein Herz sprang. Nicht mehr Mätresse des Königs. Nur noch eine Frau.
Er hörte Adoree sprechen. Es war, als würde sie seine Gedanken wiedergeben:
„Das seid ihr, nicht wahr? Gut getroffen in der Haltung. Eure Großzügigkeit und Herzlichkeit kommt zum Ausdruck. Und eure Liebe“, sie hielt kurz inne und verbesserte sich, „nein, eure Mutterliebe. So fühle ich mich von euch geliebt, in aller Freundschaft und bedingungslos.“
Adoree sah die Madame huldvoll an. Die wirkliche Pompadour hatte sich bisher im Hintergrund gehalten und den Betrachtern Zeit gelassen. Saly zwang sich gerade, das handwerkliche Können des Kollegen zu beurteilen, als er schon nach seiner Meinung gefragt wurde. Er fühlte sich ertappt und versuchte nüchtern zu antworten:
„Man darf euch, Madame, als Künstler antworten? In diesem Sinne halte es ich für eine gelungene Arbeit meines Kollegen, Monsieur Pigalle, wenn ich richtig liege? Handwerklich geschickt in Szene gesetzt, besonders Faltenwurf und Tektonik des natürlichen Sockels sind hervorragend umgesetzt. Und bei der Auslegung kann ich nur der jungen Adoree folgen, es handelt sich um eine perfekte Amitié Szene!“
Er schluckte. Hatte sie mehr Begeisterung von ihm erwartet? Hielt sie ihn für neiderfüllt gegen den Auftrag des Kollegen? Er durfte sich nicht ausmalen, wie sie Pigalle Modell gestanden hatte. Barbusig, halbnackt hatte sie die Unverführende gespielt. Darauf sich einzulassen und zu beherrschen – ihm unmöglich. Irr und besessen hätte er sich in sie gestürzt, die Ergüsse der Arbeit. Im Beiwohnen den Keim der Venus gepflanzt. Verführerischer als jemals zuvor. Danach ein tödlicher Stoß. Ihr Wunschbild verfehlt. Er wäre dazu nicht im Stande gewesen. Er musste den Kopf geschüttelt haben. Sie berührte ihn zart am Arm:
„Von euch verlange ich etwas anderes. Unsere Arbeit soll besonderer sein. Individueller, markanter, unverkennbarer. Ganz ich. Ein wenig grüner Cäsar, das Gefühl vom Dornauszieher, ein Hauch Nymphe und das Lächeln der Venus – so seht ihr mich, nicht wahr?“
Er nickte einfach nur. Sie drehte sich um und führte ihn mit sich:
„Dort vorne, wo bereits der Sockel steht, wird er sich erheben. Mein Freund, mein König, mein Leben. Er ist schon in Auftrag gegeben. Pigalle ist dabei, ihn zu fertigen.“
Saly wollte weiterhin pragmatisch bleiben. Er beschloss, nicht um sich hervorzutun, sondern um ihr ein passendes Beispiel für ein gelungenes Denkmal zu geben, die Madame auf einen anderen Louis XV. hinzuweisen:
„Kennt ihr das Denkmal in Valenciennes? Man ist erstaunt von dessen Einfachheit und erhabener Würde. Das Gesicht unseres Königs ist einnehmend freundlich. Aufrecht und geradlinig steht er da. Ein Mann den man zu schätzen meint.“
War das ein Fauxpas? Die beiden Frauen lachten. Adoree verkündete stolz:
„Ein Meisterwerk des Herrn Saly! Ich habe Zeichnungen gesehen.“
Die Pompadour nahm ihn zur Seite:
„Ich muss euch nicht erklären, in welche Rolle ich hier schlüpfe. Nur eine Allegorie. Ein Zeichen der Freundschaft zu meinem König, dem ich immer noch diene. Nur nicht mehr im --- Bett!“ Sie seufzte:
„Ein Denkmal, wie ihr es zu schaffen versteht, wäre für diesen Anlass selbstredend unpassend.“
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Um sich zu erfrischen, schlug Madame vor, sich in den Salon zu begeben. Sie bestellte kalte Limonade. Saly und die Hausherrin setzten sich in die hintere Kühle des Zimmers, Adoree sah sich die Wandgemälde an. Verschiedene mythologische Szenen waren dargestellt. Der Stil gefiel ihr nicht sonderlich. Die Gestalten wirkten überzeichnet, ihre Gewänder und Gesten waren übertrieben und zu künstlich abgebildet. Es fehlte dem Ganzen an angepasster Ruhe und Größe.
„Irgendwie zu maniriert. Besonders dieser hässliche Cupido dort!“
Adoree zeigte auf einen aus dem Wandbild hinausfliegenden fettes, nacktes Engelchen. Symbolischen überladen stellte er den Armor der Verschwiegenheit dar.
„Eher passen diese Anspielungen in ein Lustschloss! Wer hat diese geschmacklosen Metaphern gemalt? “
„Grässlich, nicht wahr? Und diese gewisse Ähnlichkeit ... Ich musste Van Loo an meinem Salon lassen. Eine, sagen wir, alte Absprache. Dieser Heuchler. Vor dem Fest wird Boucher das Ganze übermalen.“
Es überraschte, dass sie sich dermaßen echauffierte. Etwas war wohl gegen ihren Willen gewesen. Saly war aufgestanden und ging nicht darauf ein. Zu viele Eindrücke hatte er zu überdenken. Er wollte sich zur Mittagsruhe begeben. Madame hielt ihn zurück:
„Wie wollen wir es mit euren Utensilien halten? Ihr wollt doch sicherlich baldigst das Atelier einrichten.“
Saly antwortete, dass er davon ausgehe, Poisson habe den beladenen Wagen bereits hierher beordert. Adoree versprach sofort, sich danach zu erkundigen und eilte in den Seitenflügel. Madame Pompadour ruhte indess auf ihrem Canapee.
Ein wenig atemlos stand Adoree vor der Tür von Poissons Arbeitszimmer. Der Vorwand kam ihr wie gerufen. Natürlich wäre es schicklicher gewesen, einen Dienstboten zu schicken... Sie klopfte.
Keine Antwort. Sie klopfte noch einmal. Nichts. Vorsichtig lauschte sie an der schweren Holztür. Da war doch jemand. Leises Stöhnen und Keuchen. Was konnte das sein? Ein scheußlicher Gedanke traf sie mitten ins Herz. Hatte er etwa … Damenbesuch? Sie lauschte intensiver. Röcheln, als bliebe jemandem die Luft weg. Das war kein Liebesspiel, eher Mord! Adoree eilte zur Treppe zurück und rief nach Lisette. Als diese nicht promt erschien, weckte sie kurzerhand die Madame.
Sofort erhob sich diese und eilte den beiden anderen Frauen nach oben. Dort klopfte energisch an Poissons Tür, rief nach ihm und trat dann ein. Adoree und Lisette folgten. Gegenüber des Fensters, gleich neben dem Schreibtisch, lag Poission mit dem Oberkörper auf dem Boden und den Beinen auf dem Divan. Er atmete schwer und röchelte. Erbrochenes klebte an seinem Mund und an seiner Kleidung. Adoree stürzte auf den Bewusstlosen zu. Sie kniete nieder, hob Poissons Kopf an und tätschelte seine Wangen. Die Pompadour schickte Lisette nach Wasser und beugte sich ebenfalls zu dem Liegenden hinunter:
„Vielleicht atmet er noch Erbrochenes. Wir müssen ihn auf die Seite drehen und versuchen, dass er hustet!“
Die beiden Damen hoben die Beine vom Canapee und betteten den verkrampften Körper um. Poission stöhnte und blinzelte. Adoree sprach sanft auf ihn ein und streichelte seine heiße Stirn. Als das Wasser kam, versuchte die Madame ihrem Bruder möglichst viel davon einzuflößen. Sie kippte regelrecht den Becher in seinen geöffneten Rachen. Sofort hustete der am Boden Liegende mehrmals kräftig, was seinen ganzen Körper erschütterte. Einige Verdauungssäfte wurden hochgespült. Er schien jetzt besser Luft zu bekommen. Auf Madames Wunsch hoben die drei Frauen den schlaffen Körper hoch und betteten ihn auf dem Divan. Dann sollte Lisette den Arzt holen lassen und Poissions Pagen herschicken. Der Leidende musste gewaschen und zu Bett gebracht werden. Die aufgelöste Adoree reinigte Mund und Stirn ihres Lieben und half ihrer Freundin, Poisson Jacke und Weste auszuziehen. Hemd und Hosenbund wurden aufgeknöpft. Nur einen winzigen Moment beschlichen Adoree entsprechende Gedanken, dann gab sie sich ganz der Fürsorge hin. Obwohl es warm war wurde eine Decke über den Körper gebreitet und das Fenster geöffnet. Frische Luft war jetzt wichtig. Adoree fragte ängstlich:
„Wie kann das Sein? Heute morgen war er doch noch ganz lebendig. Hat er etwas falsches gegessen?“
Sie überlegte. Saly und sie hatten doch das gleiche zu sich genommen, dort im Gesindehaus, nach dem Besuch im Stall. Madame war ebenfalls ratlos:
„Warten wir ab, was der Arzt sagen wird. Du bleibst so lange bei ihm.“
Sie verließ den Raum, um sich frisch zu machen. So konnte sie den Arzt nicht empfangen.
Inzwischen zogen Poissions Page und der Küchenjunge den Kranken aus. Lisette und Adoree hatten die kupferne Badewanne bereits mit warmem Wasser gefüllt. Adoree wollte gerade den Raum verlassen, als Poisson die Augen öffnete und ihren Namen flüsterte. So konnte sie nicht umhin, seine Hand zu halten, als der nackte Körper ins Wasser sank. Geniert sah sie fort. Man brachte ihr einen Stuhl, so dass sie, direkt neben die Wanne sitzend, Kopf und Schultern mit einem Lappen massieren konnte. Dazu benetzte sie die Haut mit dem warmen Nass und rieb ein wenig über die harten Muskeln am Nacken. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass dies gut tat. Sie betrachtete ausgiebig Poissons entspanntes Gesicht, seine ebenmäßigen Züge, seine makellos gebogene Nase und die hohe Stirn. Er war schön. So wie er jetzt da lag. Ihr Herz öffnete sich, eine Welle der Zuneigung spülte alle Sehnsüchte und Wünsche heran. Wenn er so nach dem Akt daliegen würde, hätte sie während des selben nichts zu fürchten. Dieser Mann konnte nur zärtlich sein. Die Augen des anderen waren danach widerwärtig leer und starr gewesen, der Mund triumphal verzerrt. Adoree überlief ein Schauer. Der Lappen entglitt ihren Händen und fiel in die Wanne. Automatisch sah sie dem abtauchenden Stoff nach. Ihr Blick saugte sich an seinem Geschlecht fest. Eine kleine Aufstülpung, die im Wasser trieb. Weich gebettet zwischen den Hodenfalten. Völlig ausgeliefert und harmlos. Wie bei einem kleinen Amor. Nicht wie beim Satyr. Davor konnte man keine Angst haben. Gern würde sie das Ding liebkosen. Sie schob ihre Ärmelrüschen ein wenig hoch und angelte nach dem Lappen. Dabei berührte die zarte Haut ihres Unterarms seinen Schenkel. Ein sanftes Vorbeigleiten im warmen Nass. Beinahe nur ein Streifen der Härchen. Wie ein Liebeshauch unter Wasser. Eingenommen von all der Sinnlichkeit, küsste sie den Geliebten auf den Mund. Lisette und der Page verließen den Baderaum.