Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 15
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ОглавлениеSeit einiger Zeit arbeitete er an der Grobform der Büste. Das Meißeln von Gips war anders heikel, als die Bearbeitung eines Steins. Der weiße Marmor würde spröde und ungleichmäßig zu behauen sein, dieser Gips hingegen widerstand dem Werkzeug mit harter Oberschicht und inwendiger Weiche. Innerlich fühlte er sich genauso: Sie hatte seine spröde Schale geknackt um ihn in all seiner Weichheit zu treffen. Sie hatte ihm den Dorn in die Fußssohle eingestoßen, um ihm die Unmöglichkeit der Flucht aufzuzeigen. Die abwartende Ruhe lag dabei auf ihrer Seite. Ihm entwich lediglich die hoffnungslose Geste. Ihn hatte die Angst ergriffen, an ihr zu scheitern.
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Seit Tagen hatte er nichts mehr von Madame Pompadour und Adoree gehört. Unruhig hatte er Mühe sich zu konzentrieren, machte er sich doch außerordentliche Sorgen um die Gesundheit der Angebeteten. Da er nicht glauben wollte, Madame bereue ihre letzten Worte an ihn und habe sich deswegen gegen eine erneute Zusammenkunft entschieden, redete er sich insgeheim ein, sie sei allein aufgrund ihres Gesundheitszustandes unabkömmlich. Dann wäre er gewiss nicht der eigentliche Grund, weswegen er keine Abkehr zu befürchten habe. Sie würde ihm erhalten bleiben, seine Liebe, an deren Bette er gerne säße um ihre Seele zu heilen.
Schon schämte sich Saly wegen seines anmaßenden Egoismusses. So durfte er nicht denken.
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Als er die Ungewissheit nicht mehr aushalten konnte, schickte der Bildhauer seinen Gehilfen, um Erkundigungen einzuholen. Jean kam mit einem Brief zurück.
Darin lud Madame den Meister in ihr neues Schloss Bellevue ein. Auch Adoree würde sie begleiten. Man sei bereits mit den Reisevorkehrungen befasst. Daher wäre es zumutbar, bis zur freudigen Zusammenkunft auf dem neuen Schloss auszuharren. Der Umzug sei entschieden worden, weil sie Versailles derzeit nicht ertragen könne. Sei es nicht geradezu offensichtlich, dass Saly ebenfalls eine starke Abneigung gegen diesen Ort hege? Demnach sei die unvergiftete, reine und freie Atmosphäre in Bellevue beider Wohlbefinden zuträglich. Sie werde dem Bildhauer ein großzügiges Atelier einrichten lassen, in dem er ungestört am Gipsmodell arbeiten könne. Weitere Sitzungen und Gespräche könnten also in gelöster Atmosphäre stattfinden. Man erwarte ihn in zwei Tagen.
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Unter Herzklopfen befahl Saly dem Jungen, unverzüglich alles zusammen zu packen. Man werde Versailles verlassen. Jean wagte nicht, nach den näheren Umständen zu fragen, die sicherlich aus dem Brief hervorgingen. Dass es sich bei dem Gefühlsausbruch seines Meisters um Freude handelte, war jedoch unübersehbar. Saly lief aufgelöst im Atelier herum und begann fahrig seine Werkzeuge zu reinigen. Der Gipsblock musste die Reise unbeschadet überstehen. Wie lang würde die Fahrt dauern? Wo befand sich dieses Schloss? Er hielt inne. Weder war sie krank, noch bereute sie ihren Dank. Statt dessen nahm sie ihn zu sich! Was konnte das bedeuten? Dringend musste er Adoree sprechen. Nur sie würde ihm weiterhelfen können.
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Die Marquise de Pompadour befand sich bereits auf dem Weg nach Meudon. Sie fuhr in Begleitung einiger Soldaten, zu ihrem Gefolge gehörten nur zwei Lakaien, die Tante und keine Hofdamen. Der Weg war nicht weit, aber gefährlich, denn es ging in Richtung Paris. Bellevue als Glied zwischen Versailles und Paris. Es sollte die kulturelle Mitte zwischen dem Zentrum der Macht und der Hauptstadt werden. An diesem besonderen Ort wollte sie den Parisern die Welt der Kunst eröffnen und die Mächtigen an das Volk erinnern. Bellevue sollte das geistige Zentrum einer neuen Zeit werden. So die Pläne zu Beginn.
Das Schloss war unlängst fertig geworden. Eigentlich hätte sie das freuen sollen, aber nun fühlte sie sich unendlich müde, fehlte ihr doch momentan jegliche Energie für das allzu große Projekt. Da nicht auffallen sollte, wie ihr zu Mute war, musste sie standhalten. Hatten nicht hinlängliche Erfahrungen gezeigt, dass man durch das Bezwingen seiner selbst Kraft schöpfen kann? Schon allein der Gedanke an eine Phase neuen Enthusiasmusses behagte, der natürlicherweise entstehen würde, wenn sie sich mit wegweisenden, aufregenden Dingen beschäftigte. Sie beabsichtigte, Rousseau einzuladen, neue Pläne mit Voltaire zu schmieden und Monsieur Saly in die Gesellschaft der Dichter und Denker einzuführen. Dergestalt gedachte sie sich weiter am Projekt zu verwirklichen.
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Salys wenige persönliche Dinge waren bereits am Abend in den Kisten und Koffern verstaut. Der Bildhauer und sein Gehilfe kümmerten sich gerade um das Verpacken des Gipsblockes, als eine Botschaft von Adoree eintraf. Darin wurde mitgeteilt, dass Madame bereits nach Meudon unterwegs sei und Adoree am nächsten Tag zusammen mit ihnen folgen sollte. Die Wagen würden am Morgen vor dem Ausgang des Corps bereit stehen, für das Beladen stünden Leute bereit und außerdem habe man Begleitung. Weiter nichts. Eine seltsame Flucht.
Saly schlief unruhig. Spontane Wechsel passten nicht in sein Gemüt. Lieber mochte er alles reibungslos und gleichförmig. Er hasste Überraschungen. Und das hier war eine deftige. Durfte er so anmaßend sein und es wagen anzunehmen, dass sie diese Flucht geplant hatte, um mit ihm und beider Kunst allein zu sein? Das Herz raste vor Wonne, selige Hoffnung machte sich in ihm breit. Wie sollte er seinen Verstand dagegen antreten lassen? Die Gefühlswallungen überwältigten ihn einfach. So etwas war ihm noch nie passiert, ihm, der sich noch immer selbst hatte räsonieren können. Er ein Liebender? Sein Herzblut gehörte doch der Kunst. Wie es mit seiner Fleischeslust stand? Die wenigen bisherigen Liebschaften waren eher Zwang oder Alibi gewesen. In jungen Jahren hatte ihn die Neugier auf den Beischlaf zum weiblichen Geschlecht geführt und er war irgendwann bei einer Dirne aufgewacht.
Später hatte er mitbekommen, dass man sich in Künstlerkreisen oft der Modelle, die für einen saßen, bediente. Diese Damen waren keine professionellen Dirnen von der Straße, sondern Mädchen, die sich zum Metier der Künstler hingezogen fühlten. Da durch die Sitzungen bereits eine gewisse Vertrautheit zwischen Künstler und Modell bestand, ergab sich der Akt dann meist von selbst. Mit dieser Frau blieb man darüber hinaus zusammen, man lebte und arbeitete eine zeitlang mit ihr. Eine derartige Liäson war er das erste Mal als Student eingegangen. Jung und einsam war er damals im großen Paris gewesen. Instinktiv hatte er sich jemanden zum Anlehnen gesucht, jemanden, bei dem er sich geborgen und sicher fühlen konnte. Ein barockes Modell hatte er sich ausgesucht. Üppig und pausbackig. Ihr weiches Fleisch hatte ihn eingeladen, sich an sie zu pressen. Große Brüste als mollige Kissen, auf denen hatte sein Kopf gelegen. Schmiegsames, harmonisches Schwelgen. In selbstverständlich dargebotener Fülle. Samtig hineingeglitten, inwendig unendlich. Reiben und gleiten, gedankenlos gen Himmel schweben.
Die Spalte zwischen ihrem Busen. Über sie gebeugt. Weißes Fleisch, ihre Konturen. Streng umrissen und dennoch zart. Ein Kuss auf die feste Warze, hinab zum Nabel, zum nächsten Hügel... Madame, ich komme.
Mitten in der Nacht wachte Saly auf, seine Bettstatt war zerwühlt und nass. Ihn fieberte kalt. Er konnte sich an nichts erinnern was gewesen war aber sein Herz erschrak, als er an das Kommende dachte. Jetzt hatte sich die Zukunft mit Gefühlen gefärbt, deren Anstrich ihn nie wieder verlassen würde. Abdrücke am Körper und im Geist. Küsse der Liebe oder Spuren der Tritte. Bei Tage quälten ihn von nun an Zweifel. In jeder Nacht die Gewissheit der Liebe.
Sie bleibt die Mätresse des Königs und eine mächtige Frau.
Entgegen der Gewohnheit stand Saly, kaum, dass es hell geworden war, als erster auf. Er weckte Jean, wies ihn an, die letzten Reisevorbereitungen zu treffen und nahm sich ein Glas Wasser. Sein Mund war trocken und der Kopf fühlte sich inwendig taub an. Die Gedanken kreisten. Jetzt, jetzt genau musste er abbrechen und entkommen. Bevor es zu spät war. Die Büste schnell und einfach irgendwo fertig stellen und dann verschwinden. Dein Ruf als Künstler ist gleichgültig, nur das Seelenheil zählt. Sagte der Verstand. Innerlich aber brannte sein Herz. Angefeuert durch die unendliche Erwartung, als Vorstellung von ihr. Weit entfernt von sich agierte er in ihrem Bann. Alles unter ihren Blicken, alles tat er wie für sie. Am Ende dieses Tages würde er sie wieder sehen.
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An die Stunden bis zu Abreise konnte er sich nicht mehr erinnern, erst als er ein Stück gegangen war und Adoree bei den Kaleschen sah, wachte er er auf. Sie war die Mittlerin, irdisch und real. Nichts wollte er sich anmerken lassen. Kein Verdacht durfte aufkommen. Das Mädchen wäre damit überfordert. Und er auch. Sie war das Bindeglied zwischen ihm und ihr. Ihrer beider Vertraute.
Davon wusste sie nichts. Auf welche Weise sollte er Adoree von nun an begegnen? Wie ein Vater der Tochter? Dann würde sie einfühlsam seine Marter spüren und alles herausfinden.
Jetzt, da Adoree freudig vor im stand, drohte ihr Lächeln all diese Gedanken zu vertreiben. Saly umarmte das Mädchen väterlich und erhielt einen Kuss auf die Wange. Freudestrahlend tat sie recht geheimnisvoll:
„Wir warten noch auf einen wichtigen Herrn, der uns begleiten wird. Incognito sozusagen.“
An sich stand schon alles für die Abfahrt bereit. Jean bewachte das Gepäck im offenen Wagen, Lisette saß neben ihm. Saly und Adoree hatten zusammen im Coupé Platz genommen. Da saßen sie sich gegenüber, jeder mit seiner Erwartung. Adoree versuchte der Stimmung zu entkommen:
„Wer mag wohl der Begleiter sein?“ Saly wusste darauf keine Antwort.
„Gleichgültig, mein Kind. Hauptsache wir haben uns wieder. Habe dich sehr vermisst, war direkt einsam und allein mit meinem Gipsblock. Unsere Gespräche gingen mir ab. Wagte ich mich gar nicht so recht vor bei der Büste...“
Adoree beugte sich hinüber, legte ihre Hand auf seinen Arm und meinte scherzhaft:
„Oh, das darf nicht sein! Eine derartige Abhängigkeit ist fatal, konntest du doch vorher ohne Andenken an mich arbeiten!“
Sie hatte ihn nicht ganz ernst genommen und seine Offenbarung als humorige Übertreibung verstanden. Das kam wohl daher, weil Saly, was er sich eingestehen musste, gar nicht Adoree gemeint hatte. Zum Glück wurden er an dieser Stelle in seinen Gedanken unterbrochen. Ein Reiter hatte sich genähert, hatte sein Pferd direkt neben der Kutsche pariert und war gerade dabei, seinen Dreispitz zu ziehen:
„Mademoiselle, Monsieur. Stehe zu Diensten. Poisson, mein Name.“
Er verbeugte vom Sattel aus, dass er es eben schaffte, durch das Fenster des Coupés in Adorees Gesicht zu gaffen. Deren hübsches Gesicht war äußerst beschämt rosé angelaufen. Es folgte ein unmittelbarer Frabwechsel zu tiefrot. Ärger und Wut schossen in ihr hoch. Unruhig begann das Pferd unter dem Schamlosen zu tänzeln, so dass er sich, um es zu zügeln, wieder aufrichten musste. Adoree nutzte diese Gelegenheit dazu, sich rasch wieder zu fassen um schnippisch festzustellen: „Ein temperamentvolles Ross, das da mit euch durchgeht! Es ist zu hoffen, dass ihr es im Zaume habt! Sonst wird einem die Reise dann doch zu beschwerlich, da man immer acht geben muss, ob er sich noch auf seinem Gaul befindet...!“
Der Reiter zog seinen Degen und rief:
„Touché, Mademoiselle! Lasst uns aufbrechen!“
Die beiden Wagen setzten sich in Bewegung, der Reiter führte den Trupp an. Adoree war aufgebracht. Zwar hatte sie gut pariert und ausgeteilt, war aber völlig durcheinander ob der Frechheit dieses Menschen. Jemand, der es wagte, sich so zu benehmen, musste schon eine sehr hochgestellte Person sein. Dass sie diesen Angeber nicht zuordnen konnte, plagte sie. Weshalb hatte Madame gerade diesen Kerl als Begleitung ausgesucht? Saly, der ihre gedrückte Stimmung gar nicht bemerkte, dachte laut:
„Poisson, Poisson – den Namen hörte ich schon. Ich kann mich nicht entsinnen – Poisson...“
„Ist doch einerlei, um wen es sich handelt, er ist ein Aufschneider, sonst nichts!“
Halbherzig versuchte Saly das Mädchen zu beruhigen, er war nicht ganz bei der Sache. Immer wieder klang der Name nach und suchte eine Verbindung. Entnervt rumpelten sie über das Kopfsteinpflaster der Hauptallee nach Versailles. Salys Kopfweh nahm wieder zu. Adoree schwieg angestrengt. Sie passierten gerade das äußere Tor des Schlossbereichs, als Salys Blick auf das Gerüstwerk an der Fassade fiel. Schon damals bei der Ankunft war ihm die Baustelle aufgefallen und Jean hatte ihm einige Fragen dazu gestellt. Viel hatte sich am Bau seitdem nicht getan...
„Der Baumeister, Adoree, es ist der Generalbaumeister des Königs!“
Adoree tat desinteressiert:
„Mit Manieren eines Arbeiters!“
Sie hatte nicht begriffen, oder wusste es nicht.
Saly klärte auf:
„Das ist der Bruder von Madame! Hörst du, ihr Bruder!“
Erst langsam kam es Adoree:
„Der, der in Italien war?“
Nachdem das Geheimnis gelüftet war, tauschte man sich über Monsieur Poisson aus. Zunächst hielt Saly fest, dass Monsieur Poisson so großzügig gewesen sei, ihm zusammen mit Boucher das Atelier im Schloss einzurichten. Er berichtete von den Umständen und konnte mit gutem Gewissen sagen, dass er eine gute Meinung von ihm gehabt hätte. Dieser Mann habe nach dem Bericht von Jean sehr zuvorkommend auf ihn gewirkt. Auch der Handwerksmeister hätte gut über ihn gesprochen.
„Das passt aber gar nicht zu seinem Benehmen...“
Adoree schien ratlos. Als Saly sich die Absicht Madames vor Augen führte, rutschte sein Herz erneut in den Magen:
„Es war von der Marquise sicherlich nur lieb gemeint. Sie wollte uns die Reise bloß so angenehm wie möglich machen. Da sie ihrem Bruder sicherlich besonders vertraut, eignet sich dieser doch ganz gut...“
Was redete er da für einen Unsinn sobald er an sie dachte? Er musste sich zusammen reißen.
„Sich ungehobelt zu benehmen, hat sie ihm bestimmt nicht aufgetragen!“
Saly schlichtete weiter, indem er den Mann anpries:
„Man hatte erwähnt, dass Poisson in seinem Handwerk nicht nur sehr kompetent sei, sondern auch gut ausgebildet. Er versteht etwas von der Baukunst. Coypel hat ihn gefördert und zum Kenner gemacht. Hast du unlängst die Ausstellung im Palais du Luxembourg gesehen? Die war nach seinem Konzept. So schlecht kann dieser Mensch gar nicht sein, Adoree!“
Das Mädchen war immer noch beleidigt und schmollte. Sie sah aus dem Fenster. Die Reise, auf die sie sich so sehr gefreut hatte, war ihr vergällt. Dass die Wagen gerade durch den belebten Ort Versailles fuhren, bemerkten beide Insassen gar nicht. Normalerweise hätten sowohl Adoree als auch Saly ihre Eindrücke von den Gebäuden, dem Treiben und den Menschen aufgesogen und über sich ihre Beobachtungen ausgetauscht. So drohten sie in ihren trotzigen Gedanken zu versinken. Beide stierten aus dem Fenster und Saly nickte nach einer Weile schaukelnden Wiegens ein.