Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 6

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Die Gemächer der Madame waren belebt. Sie waren sozusagen voll und überlaut. Mätressen auf Chaiselongues, schnatternde Comtessen auf Sesselchen und Speisende Damen an Tischchen. Mittendrin eine hochgewachsene Frau ohne Perücke, hochtoupiert und unauffällig schön. Beschwingt bewegt glitt sie durch den Raum, mit Leichtigkeit und Elegance strebte sie mal dieser oder jener Szenerie zu, erhaschte hier und da ein Praliné oder eine Traube. Überall kicherndes Lachen, verschlucktes Hicksen oder unverhohlenes Gequieke. Langeweile im Überfluss, vom Neuesten zum Tratsch. Immer wieder, solange sie es wollte. Sie war die Herrscherin. Sie war Madame Pompadour.

Ein gelangweiltes Hündchen sprang vom Sofa, zuckelte zu seiner beschäftigten Herrin, welche sich gerade in einem verschwörerischen Gespräch befand und sah schwanzwedelnd zu ihr auf. Als diese das Tierchen nicht bemerken wollte, hüpfte es an ihren Röcken hoch, reckte sich auf krummen Hinterbeinchen an den Stoffbergen empor und leckte mit behendem Zünglein die edle Seide. Eine zuhörende Dame tat sichtlich irritiert, ließ ihren Blick an der Comtesse herunter gleiten und nahm das Hündchen ins Visier. Die Comtesse reagierte hysterisch. Schreiend sprang sie auf, raffte ihre Stoffe und beförderte das arme Tier mit einem behänden Fußtritt in die nächste Ecke. Dort blieb es, nach verklungenem Klagelaut, bewegungslos liegen. Augenblickliche Stille. Alle Augen auf Madame. Nicht auf das Hündchen, nicht auf die, die getreten hatte. Madame hatte inne gehalten, stand sozusagen in Bewegung eingefroren der Szenerie gegenüber. Starre Erwartung machte sich breit. Hektisches Kauen und Schlucken hinter vorgehaltener Hand. Hochrotes Hüsteln abseits. Madame senkte den Blick auf das Tier, das sich nicht mehr bewegte. Ließ diesen leidend auf ihm ruhen und wandte sich der Verursacherin zu. Immer noch sagte sie nichts. Nur durchbohrte sie die zitternde Frau, wies mit sparsam gefühlvoller Neigung des Hauptes auf das Hündchen in der Ecke. Die Comtesse sah sich um, als suche sie Hilfe bei den Zuschauern. Diese senkten schamlos ihre Blicke. Langsam drehte sie sich um, wandte sie sich ihrem Unglück entgegen, bewegte sich in Trance darauf zu. Gnadenlos verfolgt von der in sich ruhenden und in ihrer Stellung verharrenden Madame. Die Comtesse vibrierte nun nicht mehr, hatte ihr Schicksal angenommen und beugte sich zum Hündchen hinab. Das Zögern ihrer ängstlichen Hand blieb Madame nicht verborgen. Nachdem die Frau sich überwunden hatte, das leblose Geschöpf zu berühren, sprach die Pompadour sie an: „Und?“ Das Hündchen lag nun auf den Armen der Mörderin, wurde von dieser herangetragen, vorgewiesen und als Opfer dargebracht. Nachdem Madame mit gefühlvollem Finger das seidige Fell gestreichelt hatte, wies derselbe der Comtesse den Ausgang. „Alle könnt ihr gehen!“ Die Anwesenden erhoben sich sofort. Raschelnd defilierten sie vor Madame in Verbeugung und verließen den Ort.

In völliger Stille blieb sie zurück. Nachdenklich und bekümmert fühlte sie sich schuldig und weich. Wie hatte es soweit kommen können? Wurde sie unachtsam? Aber eher das Gegenteil fühlte sie, eine Art von gesteigerter Sensibilität, von innerer Offenheit für alles am Rande. Ihr bisheriges Streben hatte nur dem Wichtigen gegolten, all das Unnütze war aussortiert oder gar nicht bemerkt worden. Ihr Gespür hatte sich gänzlich auf diese Fähigkeit hin ausgerichtet – Trennen von Wichtigem und Unwichtigem. Dadurch hatte sie sich ihre Macht aufgebaut und gesichert. In den Adelszirkel einzutreten, eine Stellung zu erobern, ihn zu erobern, das waren ihre Ziele gewesen. Jetzt, auf dem Zenit ihrer Macht, in der Blüte ihrer Jahre, im Glanze vollkommener Schönheit, fühlte sich das Erreichte leer und falsch an. Alles wirkte sinn- und belanglos. Ist es Schwäche? Ihr Körper hatte gelitten und wohl ihre Seele auch. Die große Sünde kam zum Vorschein und alle bisherigen gingen darin auf. Je mehr Sünde, desto verletzlicher die Seele. Ein Preis, den sie zu zahlen hatte, im Nachhinein, das wusste sie jetzt. Und das war gefährlich. Sie durfte kein Gewissen haben. Etwas, das sie keinesfalls gebrauchen konnte. Denn die Macht lag in der Überzeugung vom eigenen Handeln. Offensichtliche Unberechenbarkeit sicherte sie ab, Willkür hatte ihr den Weg gebahnt. Dazu benötigte man kein Inneres. Man legte sich dem König ins Bett und begann mit dem Liebkosen und Züchtigen, mit dem Küssen und Beißen. Man erzeugte bewundertes Einerlei und erschuf Abhängigkeit. Er war abhängig von ihr gewesen, hatte sie vergöttert. In ihrem gemeinsamen Reich hatte es niemals Sünde gegeben, denn sie selber waren das Maß des Göttlichen. Und diejenigen, die einen Funken davon erhaschen wollten, hatten sich zu einzupassen in ihr Ganzes, reibungs- und lückenlos, von oben nach unten und von unten nach oben. Sie war die Herrscherin. Noch hörte man auf Madame Pompadour, auch, wenn man sie nicht verstand.

Ludwig der XV. hatte sich am Ende ein Bildnis von ihr gewünscht. Dazu hatte er einige Künstler bestellt. Ein Abbild ihrer besten Jahre. Wozu, das hatte sie damals noch nicht geahnt.

Saly hatte den Kopf seines Mädchens mitgebracht, den er feierlich vor dem König und der Mätresse enthüllte. Ihr war die wunderbare Kindesbüste bereits bekannt und der König konnte gar nicht davon lassen. Darum bekam Saly den Auftrag zugesprochen. Er bedankte sich sehr umständlich, was im allgemeinen Trubel unter ging. Dennoch erinnerte sich Madame Pompadour, dass sie gedacht hatte, wie es sein konnte, dass ein solch unsicherer und unscheinbarer Mann dieses Kunstwerk hatte schaffen können. Deswegen hatte sie insgeheim befürchtet, dass dieser zweitklassige Bildhauer gar nicht der richtige für den Auftrag sei. In ihrer jetzigen Lebensphase hätte es ihr außerordentlich widerstrebt, wertvolle Stunden beim Sitzen für etwas Wertloses wie eine misslungene Büste zu vergeuden. Denn Stunde um Stunde würde sie diesem Minable gegenüber sitzen müssen. Verstellt, unbeweglich, ausgeliefert. Für einen ungewissen Ausgang.

Dieser Saly ließ sich gewiss weder gerne bei der Arbeit über die Schulter schauen noch würde er sich wortstark seines Könnens vor Publikum rühmen. Dazu wirkte er zu ängstlich und angestrengt. Es würden nicht nur langatmige sondern auch zermürbende Stunden werden, hatte sie befürchtet.

Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

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