Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 4
Prolog
ОглавлениеAm 2. März 1768 hatte man sich bei der Holmen Kirche getroffen und war zum Kanonengießhaus am Nytorv gegangen. Spät mittags, um ein Uhr, war das Reiterdenkmal König Frederiks in Bronze gegossen worden.
Nur wenige, eingeladene Personen durften bei der Prozedur anwesend sein. Andere warteten vor dem Gießhaus. Drinnen hätte es für alle Zuschauer nicht genügend Platz gegeben.
Man sagte, das Dabeistehen könnte sehr gefährlich werden. Denn falls nur die geringste Feuchtigkeit auf das Metall träfe, was mit Sicherheit nicht auszuschließen sei, könne man keine Verantwortung übernehmen, wenn das glühend heiße Metall den Umstehenden um die Köpfe flöge.
Die Geladenen waren etwas vorzeitiger eingelassen worden. Monsieur Gor, der Meister und Generalkriegskommissar in Vertretung der Direktion der Königlich-Ostasiatischen-Kompanie auserkoren, leitete den Vorgang. Obwohl er um das Unvorhersehbare beim Guss wusste und vom Gelingen seinen Ruhm abhängig sah, wahrte er mit Anstand die Contenance und erklärte den Anwesenden alles. Seine Frau hingegen, eine französische Schauspielerin und Tänzerin, dramatisierte vor der Direktion. Wie leicht es geschehen könne, dass das prächtige Kunstwerk, welches so wertvoll für die Herren der Königlich-Asiatischen-Kompanie sei, dem Ruin anheimfalle. Nicht nur für die Ehre ihres Mannes, sondern obendrein wegen der bereits entstandenen Kosten, sei zu hoffen, dass ihrem Gatten der überaus präzise, von langer Hand vorbereitete letzte Akt gelänge.
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Wer nicht an Angst vor der Tiefe litt, durfte sich auf das Gerüst über dem Graben begeben. Darin befand sich die Form, welche selbst, da ummantelt mit dickem Lehm und anderen Schichten, nicht mehr sichtbar war. Man stand rund um ein ziemlich großes, tiefes abstoßendes Loch. Daraus staken Rohre und Schlote nach oben. Monsieur Gor erklärte, dass es sowohl Kanäle gäbe, in die man das glühende Metall hineingösse als auch Röhren, aus denen der Dampf der vom Metall verdrängten Luft entweiche. Wenn aus bestimmten Öffnungen der überflüssige Bronzerrest auslaufe, habe sich das geschmolzene Metall gänzlich in der Form verteilt, was als sicheres Zeichen gelte, dass der Guss geglückt sei.
Die gesamte Umgebung hatte man überall dort, wo Spritzer des Metalls auftreffen könnten, vorher gründlich ausgetrocknet, damit sich nicht mehr nur die geringste Feuchtigkeit mit dem glühenden Metall verbinden konnte. Auf diese Art vermied man Explosionen und Brände.
Über mehrere Stunden war das Metall flüssig gemacht worden und hatte die überhaupt größtmögliche Hitze erreicht. Der Ofen war nah am Bassin, von wo aus das Metall geradezu in die beschriebenen Kanäle fließen konnte. Vorderseits am Ofen befand sich eine kleine Tür oder besser eine kleine, dünnwandige Stelle, die durchstoßen werden musste, um die Bronze fließen zu lassen. Gor selbst sollte den Stoß machen, wofür er eine ziemlich lange und schwere Eisenstange, welche an Seilen in direkter Verlängerung zur Achse des Ofens hing, benutzen würde. Folglich musste er bloß das Ende der Stange nehmen und diese mit Kraft und Schwung in Gang setzen. Ihre Spitze würde genau auf die Stichstelle zuschnellen und diese durchstoßen.
Da Bassin und Loch sehr dunkel waren und dadurch die einzustoßende Stelle am Ofen nicht richtig sichtbar, hielt man eine gleichlange Silberstange mit einem inwendig brennenden Wachslicht davor, um das Ziel zu erleuchten.
Als dies alles fertig hergerichtet war, nahm Gor mit leicht zitternder Hand die Eisenstange und stieß einige Male auf die Stelle, wo das glühende Metall austreten sollte. Allerdings nicht, so wie man es sich vorgestellt hatte, mit allzu viel Kraft, sondern vielmehr mit Geschick und Gefühl. Beim dritten Mal glückte es und das Metall kam sofort herausgelaufen wie ein glühender Strom. Dieser floss mit einer Klarheit, Pracht und Hitze, wie man zuvor noch nie etwas gesehen hatte. Selbst diejenigen, die schon einmal beim Gießen von Kanonen dabei gewesen waren, gaben Laute der Bewunderung von sich. Der Glanz war heller als die Sonne, so dass man die Augen zum Blinzeln schließen und ab und an wegblicken musste. Der allergrößte Teil ergoss sich in die Kanäle, wobei schnell aus den anderen Schloten der Dampf aufstieg und sich stets vermehrend das Bassin einhüllte. Die aufsteigende Hitze brannte in Gesicht und Augen derart heftig, dass man in der Hölle zu sein meinte und sich so weit entfernen wollte, wie es eben nur ging. Einige wandten sich ab und strebten weg vom Dampf, andere hielten sich Tücher vor das Gesicht und versuchten, bis zum Ende auszuhalten. Nachher hörte man, den alten Gouverneur Graf Ahlefeld habe das Ganze so inkommodiert, dass er einige Tage das Bett hüten musste. Dabei hatte das Gießhaus eigens eine ansehnliche Deckenhöhe bekommen, damit der Dampf besser aufsteigen konnte.
Zwischendurch hatte ein glühender Auswurf die Silberstange mit dem Licht getroffen und hatte diese im selben Augenblicke weggeschmolzen. Sie konnte nicht mehr gerettet werden. Später erfuhr man, dass der wertvolle Silberstab als Opfergabe für das Gelingen des Gusses eingeplant gewesen sei.
Endlich kam die überschüssige Bronze aus dem wichtigsten Rohr, welches Gor die ganze Zeit scharf beobachtet hatte, aufgestiegen. Der Meister nahm es als Zeichen, dass alles geglückt sei und zeigte große Freude. Nur einen Augenblick später trat die Bronze auch an den anderen Stellen hervor.
Sofort kam seine Madame gelaufen und flog ihm an den Hals. Die Arbeiter, die offensichtlich mehr Angst vor dem Misslingen gehabt hatten als er, liefen herbei und küssten dem Meister die Hände. Von den Offiziellen wurde er umgarnt und der Minister gratulierte.
Das überflüssige Metall war immer noch dabei, in das Bassin zu fließen. Einige befürchteten, der Graben könnte zu voll werden, überlaufen und die Bronze würde sich dann über ihre Füße ergießen. Diese Angst war allerdings unbegründet, da der Graben viel zu tief war und all die Gerüste und Röhren zusätzliche Barrieren bildeten.
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Am 15. März hatte man begonnen, die Statue des Königs mit seinem Pferd aus der Verschalung zu nehmen. Die Eisenmanschetten, Steine und Rohre wurden entfernt und der Lehm abschlagen. An den meisten Stellen sah die Bronze schön glatt aus, andere Partien hingegen waren sehr uneben und dünn. Dieses könne aber, wie Gor versicherte, durch Feinschliff und Polieren leicht beseitigt werden. Das fehlende Stück am Arm sei intakt und werde einfach angesetzt und er beteuerte, es sei selten, dass der Guss einer so großen einteiligen Statue, derartig vollkommen gelänge wie dieser.
Saly jedoch war wenig zufrieden mit dem Resultat, denn insbesondere am Kopf des Pferdes und des Reiters gab es Fehler, die viel Arbeit bei der Ziselierung nach sich ziehen würden.
Diese Klagen bekam Gor zu hören, und da er einen heftigen Charakter besaß, verprügelte er Saly am 4. Juli 1768 auf öffentlicher Straße. Das war ein Skandal und man schrieb:
Es trug sich nämlich zu, dass Monsieur Gor seinen Landsmann Monsieur Saly, öffentlich wegen dessen Verleumdungen, er habe die Statue schlecht gegossen und man benötige nun sehr viel Zeit, um die Fehler wieder zu korrigieren, diesen wie einen Matrosen mit einem Tampen öffentlich prügelte. Der französische Bildhauer hatte sich daraufhin mit seinem Gehstock gewehrt. Die Herrn Juristen tolerierten es zwar nicht, dass Herr Gor sich als Richter in eigener Sache aufgespielt habe, gaben Monsieur Saly jedoch eine gewisse Mitschuld. Nach der gerichtlichen Einigung gewann Herr Gor der Begebenheit etwas Lustiges ab: Bei ihm, Salys ergebenem Diener, der ja bei seinem Herrn Künstler für alles gerade zu stehen habe, hätte es lediglich dazu gereicht, wie ein Hund mit einem Stock geprügelt zu werden, anstatt ehrenvoll wie ein Seemann mit einem Tampen.
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Frei übersetzt nach: J.- F.-J. Saly i den Københavnske Presse 1754-1768 (Uddrag af Berlingske Tidende og Adressavisen/ Emma Salling i Københavns Bymuseum 1976)