Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 17
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ОглавлениеSie stand bereits am Portal, als die Wagen eintrafen. Poisson beugte sich weit aus dem Abteil und winkte ihr zu. Er wollte nicht, dass sie das reiterlose Pferd sah und sich Sorgen um ihn machte. Die Kutsche hielt und Poisson sprang heraus, hastete um den Wagen herum, um für Adoree und Lisette den Schlag zu öffnen und ihnen heraus zu helfen. Inzwischen hatte sich auch Saly langsam aus dem Wagen gequält. Bisher hatte er nicht in ihre Richtung gesehen, hörte aber, wie herzlich Adoree und der Bruder von Madame empfangen wurden. Die Umarmungen und Küsse stellte er sich vor. Einfach heimlich die Bühne zu verlassen oder ohne Begrüßung an der Dame des Hause vorbei zu treten war schier unmöglich. So langsam, wie er auf die Marquise zu schritt so langsam hob er den Kopf, suchte ihre Gestalt und ihr Gesicht. Sie erwiderte den Blick, fest und sicher. Du brauchst keine Angst haben, sagten die Augen, es hat sich nicht geändert. Saly näherte sich ihrem Körper, verneigte sich tief und küsste ihren Handrücken. Als er sich aufrichtete, kam sie ganz dicht heran: „Mein Lieber Saly! Schön, dass ihr da seid! Wir werden erquickende Stunden miteinander haben!“ Jetzt umarmte sie ihn und behauchte beide Wangen. Zwangsläufig nahm er während des Begrüßungsrituals ihren süßen Geruch wahr und spürte die weibliche Körperwärme. Sein Herz setzte aus. Um die Lage zu überspielen, wandte er sich eilig an Jean:
„Lass beim Abladen der Gipsbüste äußerste Vorsicht walten. Und sollte sie beim Transport zu Schaden gekommen sein, muss ich es sofort wissen!“
So hatte er vor ihr auch gleich seine Stellung bekräftigen können. Er war der Bildhauer, der ihre Büste fertigen sollte. Poisson befreite indes Jean von dem Hengst, den dieser immer noch krampfhaft an der Leine hielt. Das Pferd glich einem großen, schwarzen Hund, der folgsam auf sein Herrchen wartete. Poisson ging freudestrahlend auf den Hengst zu und präsentierte das edle Tier seiner Schwester:
„Für dich, meine Liebe! Ein Geschenk aus Italien! Hier siehst du den neuen Stammvater deiner Zucht, Neapolitano!“
Als hätte es die Worte verstanden, wechselte das Tier sofort seinen Habitus. Stolz präsentierte es seinen makellosen Körper durch erhabene Aufrichtung und feurige Gesten. Offensichtlich wollte der Hengst der Dame gefallen! Eingenommen vom Adel und der Schönheit warf sie sich wortlos ihrem Bruder an den Hals. Nur langsam löste sie sich aus der Umarmung. Madame konnte das Bedürfnis nach Berührung des schwarz glänzenden Fells nicht unterdrücken. Behutsam trat sie auf den Hengst zu, ließ ihn an ihren Händen riechen, beobachtete seinen Gesichtsausdruck und berührte die samtenen Nüstern. Eine intime Situation, welche die Umstehenden faszinierte. Nach einer Weile der Ewigkeit, in der sich alle auf das Bild der schönen Frau mit dem schönen Pferd konzentriert hatten, unterbrach Poisson das Techtelmächtel und bat um die kurzfristige Entführung des Hengstes, da dieser dringendst zu verarzten sei. Der Zauber war verflogen, alles regte sich aufs Neue. Madame ging zu Adoree, hängte sich bei ihr ein und bat Saly in die Halle. Redselig schritten beide Frauen vor ihm. Adoree erzählte von aller Abenteuer im Wald, das konnte Saly wie durch einen Schleier hören. Er folgte und wankte orientierungslos, bis die Nebelbank von jemandem durchbrochen wurde, der nach dem Gepäck fragte. Saly gab die nötigen Anweisungen, während er sich nach Poisson umsah. In Gesellschaft eines Mannes hätte er sich jetzt weitaus wohler gefühlt. Dieser verschwand jedoch gerade als winziges Männchen an der Seite eines kleinen Pferdes im riesigen Park.
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* * *
Nachdem man die Quartiere eingenommen und sich frisch gemacht hatte, traf man sich gegen Abend zum Déjeuner. Das Essen fand in einem Licht durchfluteten Gartensalon statt. Die Zugänge zur Terrasse waren geöffnet, die Abendsonne beschien die Gartenanlagen und die gedeckte Tafel orangefarben. Man sollte sich wie draußen fühlen, aber die kühl aufsteigende Abendluft nicht spüren. Poisson trat als letzter ein und Madame konnte endlich ihren Begrüßungstoast aussprechen. Hinreißend sah sie aus, in ihrem schlichten, blass grünen Gewand, das genau zu ihrer Augenfarbe passte. Entgegen der Mode trug sie keinen Reifrock, keine Rüschen und Spitzen. Ebenso schlicht war die Hochsteckfrisur ihrer natürlichen Haarpracht. Saly erinnerte die Aufmachung an die Sitzungen, als sie und Adoree die römische Stola für ihn getragen hatten. Durfte er sich anmaßen zu glauben, dass sie dieses Gewand als für ihn gewählte Verkleidung trug? Er schalt sich selbst ob dieses Gedankens. Sicherlich hatte das schlichte Äußere andere Gründe. Bevor man sich setzte, hielt Poisson eine kurze Rede, in der er den Überfall schilderte und den Mut von Fanfan und dessen Männern pries. Wie von Zauberhand erschien der Besagte auf der Bildfläche und wurde freundlichst von Madame de Pompadour empfangen. Sie erkundigte sich, ob seine Männer gut verpflegt und unter gebracht seien, dann begab man sich zu Tisch. Er war ihr an der Seite Fanfans gegenüber platziert worden. Sie saß neben ihrem Bruder, dieser neben Adoree. Beim Hors d'oeuvre erzählten Adoree, Poisson und Fanfan jeweils ihre Version des Abenteuers im Wald. Saly war mulmig zu Mute, erst jetzt hatte er Gelegenheit zur Angst bekommen. Obwohl man Adoree immer noch ein leises Unbehagen anmerkte, schilderte sie humorvoll die Situation in der Kutsche. Saly ahnte, worauf das Ganze hinaus laufen würde und lief rot an. Lachend brachte Adoree hervor:
„Und was meint ihr, tat Monsieur Saly? Er schlummerte in Seelenruhe weiter, während Lisette unter ihren Röcken nach dem Messer suchte!“
Allgemeines Gelächter, die Blicke trafen ihn. Das Mädchen bemerkte sogleich, dass sie ihn in Verlegenheit gebracht hatte und versuchte, die Schmach abzumildern:
„Hätten wir einen Meißel zur Hand gehabt, wäre Monsieur Bildhauer Saly gewiss der Mutigste unter uns gewesen!“
Wieder schallendes Gelächter und ein Santé. Saly wäre am liebsten im Boden versunken. Nur gut, dass seine Adoree so einfühlsam gewesen war und ihren Fauxpas bemerkt hatte! Zum Glück lag bald alle Aufmerksamkeit bei Fanfan, der nicht nur die Räubergeschichte aus seiner Perspektive zum besten gab, sondern auch einen Teil seiner Lebensgeschichte mit einfließen ließ. Hätte man das Abenteuer nicht am eigenen Leibe miterlebt und Fanfan als versierten Kämpfer kennen gelernt, hätte man meinen können, hier handle es sich um einen Troubadour, der Abenteuer und Märchen so spannend aufzubereiten wusste, dass er seine Zuhörer völlig in den Bann seiner Worte zog.
Fanfan beteuerte, er habe ehrenhaft als Husar im Dienste des Königs gestanden, bis ihn das widrige Schicksal ereilte, von dem er nun berichten wolle. Wie bei jungen Haudegen üblich habe ihn eines Tages die Liebe zu etwas gezwungen, was er eigentlich gar nicht wollte, nämlich sich selber dienstfrei zu geben, um in allerbester Absicht seine Braut zu entführen, um diese zu heiraten. Allerdings hatte seine Herzallerliebste ihm Beine gemacht und brieflich gedroht, einen anderen zu heiraten, wenn er sie nicht endlich zu sich nach Paris holen würde. So machte sich der kleine Husar auf in die Bretagne, wo er herkam und wo sein Liebchen sich recht langweilig vorgekommen war. Er hatte die Sache klären und beilegen wollen, was auf ein Versprechen und spätere Heirat hinausgelaufen wäre. Als er nach zwei Tagesreisen auf veschwitztem Gaul in seinem Dorf eintraf, musterten ihn alle erstaunt. Er habe doch seine Liebste nach Paris einbestellt, ihr Geld für die Reise und ein schönes Kleid geschickt! Daraufhin sei sie natürlich hoch erfreut und sehr verliebt unverrichteter Dinge dorthin abgereist! Ob sie denn dort nicht empfangen hätte? Fanfan traute seinen Ohren nicht! Wie hatte sie sich mit dieser Lüge aus dem Staub machen können? Wer war dieser Mann, der für ihn gegolten hatte? Gab es einen feigen Nebenbuhler dem sie durch Lügen angeschlossen war, oder war sie von jemandem in seinem Namen nach Paris gelockt worden?
„Mir war das Erste lieber, als das Letzte, das könnt ihr mir glauben!“
Er fragte hier und da, bei Verwandten und Freunden, im Nachbarort und in der größeren Stadt, niemand hatte sie je mit einem anderen gesehen. Als ihre Mutter endlich zugab, sie habe das Mädchen dazu angestiftet, ihm den Drohbrief zu schreiben, wobei beide Frauen belustigt über den Formulierungen gesessen und sich seine Gesicht ausgemalt hatten, war für ihn die Sache klar: Man hatte sein Mädchen nach Paris gelockt, sozusagen entführt. Sogleich habe er sein Pferd gesattelt und sei bis zur Erschöpfung gen Paris geritten. Zwischendurch habe er in den Poststationen nach ihr gefragt, einmal das Reittier getauscht und sei dann in die Hauptstadt galoppiert:
„Mein erstes Ziel war die Station, wo der Wagen mit ihr angekommen sein musste. Im Stall fragte ich nach ihr, bei den Kutschern und in der Post. Vergebens! In die Schänke traute ich mich erst zuletzt, denn wenn man sie hier gesehen hätte - Gott bewahre!“
Und richtig, hier habe er Einiges von der Wirtin erfahren. Ja, so eine wie sie habe hier gesessen, Wasser getrunken und glückliche Andeutungen von ihm gemacht, dass er sie abholen werde und so weiter. Alleinreisende junge Damen würden sich immer schnell von ihren Zielen erzählen, um nicht für eine Andere, man wisse schon, gehalten zu werden. Und schließlich habe er sie dann doch selber hier abgeholt, er, der Husar! So sei es gewesen, seine Braut habe hier auf ihn gewartet, dann sei er ja gekommen, der Husar, und hätte sie mit genommen.
„Ihr glaubt nicht, wie mir zu Mute war! Offensichtlich hatte ein Kamerad sie entführt!“
Ob den Wirtsleuten etwas an dem Mann oder seiner Uniform aufgefallen sei? Nein, nichts. Plötzlich habe eine eine brüchige Stimme aus der Ecke des Schankraumes gerufen: 'Er war kein Reiter! Ein Husar, der Kein Reiter ist...' Er sei zu dem Alten hingesprungen, habe ihn mit Fragen bomardiert und als einzige Antwort erhalten: 'Er trug keine Sporen und statt Schaftstiefeln grobe Stulpen'. Ich gab dem aufmerksamen Alten ein Geldstück, konnte mich aber nicht weiter um seine Geschichte kümmern, obwohl diese mich interessiert hätte. Sicherlich handelte es sich bei ihm um einen berittenen Helden der spanischen Kriege... Sogleich wollte ich aufbrechen, um den falschen Reitersmann zu finden, als mit etwas einfiel: Ich fragte die Leute, ob sich öfter hier junge Damen mit ihren Husaren treffen würden. Und richtig, der etwas schwerfällige Wirt bestätigte meine Annahme! 'Ja,das sei öfter der Fall, Mädchen vom Lande würden von ihren Husaren abgeholt...' Von ihren Husaren! Ich habe mir gut vorstellen können, wie das von statten ging: Man musste nur heraus finden, welches Liebchen vom Lande mit einem der Unsrigen verbandelt war! Dann würde man es per Eilbrief in den Sündenpfuhl locken und sonst was mit ihm anstellen!“
Fanfan holte traurig Luft und steigerte die Spannung:
„Kurz und gut, mir stand eine schwierige, dringende Suche bevor. Und – ich hatte mich unerlaubt von der Truppe entfernt! Ich war ein Deserteur!“
Er nahm einen großen Schluck:
„Ich will euch nicht länger mit meiner Geschichte vom Speisen abhalten, Marquise, lassen sie mich den Rest doch lieber nach dem Dinér beim Café erzählen!“
Die Zuhörer bedauerten die Verzögerung, gaben sich aber jetzt ganz der Spannung und dem Genuss des vorzüglichen Mahls hin.
Saly hatte kaum Appetit. Zu aufgewühlt und unsicher kreisten seine Gedanken. Aus dem Augenwinkel beobachtete er sie zwischendurch, wie sie gelöst und glücklich mit ihren beiden Liebsten plauderte. Dem Gespräch konnte er nicht folgen. Sogar Fanfan ließ ab und zu eine Bemerkung fallen, so dass alle vier in die Plauderei eingebunden waren. Saly fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen. Einige Male versuchten die Personen ihn einzubeziehen und er konnte sich in Phrasen retten. Fiel es nicht auf, wenn er in seinen Antworten 'ja und nein' vertauschte? Irgendwann legte Madame ihr Besteck abrupt und klimpernd zur Seite, stützte ihre Ellenbogen auf die Tischplatte, legte ihr Kinn auf die verschränkten Hände und starrte Saly herausfordernd an. Dann stellte sie ihm eine Frage:
„Und, Monsieur, wie weit sind sie mit dem Gipsmodell gekommen? Werden wir noch viele Sitzungen benötigen?“
Saly fielen die Erbsen, die er dabei war zum Mund zu balancieren, von der Gabel auf das Tischtuch: „Madame verzeihen. Ich, äh, man fühlt sich etwas müde und angeschlagen. Doch, doch, der Gipsblock ist gut angekommen, besser als man selber, fürchte ich...“
Das Gestotter amüsierte nicht. Sie fixierte ihn und brachte einen unergründlichen Kommentar:
„Den, der sich Zeit erhofft, wird man drängen. Und der sein Urteil zu spät erhält, wird bereits verkannt sein.“
Was meinte sie damit? Salys Hirn raste. Hilflos sah er zu Adoree hinüber, die vor den beiden Männern kokettierte und nichts mitbekommen hatte. Was war gemeint, mit Zeit und Urteil? War er zu langsam? Schnell beenden? Und auf der anderen Seite: Musste er ihr und des Königs Urteil fürchten? Ihm war heiß und schlecht. Sie beugte sich zu ihm hinüber, ließ ihre Hand Schlangenkopf am velängerten Arm hinüber gleiten und berührte seine Hand. Der Affekt wollte ihr die seine entziehen, aber sein Kontrolle mahnte ihn zu verharren. Ich bin ihre Beute, hilflos. Soll sie mich doch töten, dann ist alles vorbei. Ein Biss und das Herz bleibt stehen. Sie begann, seine kalten Finger zu ummanteln. Ihre Augen blitzten ungestüm. Dann züngelte sie:
„Unser Gespräch, über den Cacus, seid ihr das? Der Bewacher in seiner Höhle, der verführt wurde vom vorgeführten Schönen? Ihr tut alles für eure Kunst, Nicht wahr? Lasst euch sogar erschlagen, wenn es darauf ankommt. Weshalb habt ihr die schönsten Rinder gestohlen? Um der Ästhetik willen! Schöne Schatten an der Höhlenwand bezaubernd für ewig! Es ist mehr das Höhlengleichnis, was ich meine. Ihr versteht, Saly?“
Saly war getroffen, mitten im Herzen. Sie hatte endlich für ihn ausgesprochen, was er fühlte, drinnen in seiner Höhle, fern der Realität, vor seinem Schattenspiel. Sie hatte ihn enttarnt. Im Moment dieser Erkenntnis musste er sie so flehentlich angesehen haben, dass sie zärtlich seine Hand zu drücken begann. Ganz langsam verstärkte sie den Druck, die Wärme, die Sicherheit. Als würde sie sein Herz umspannen und das Schlagen mit dem eigenen Pulsieren zurückstrahlen. Nun modellierte sie seinen Ringfinger, im Rhythmus dieser Worte:
„Für immer sind wir sind Seelenverwandte.“
Dann ließ sie ab.
Saly fühlte sich sogleich unendlich befreit. Wie nach einer Hypnose. Jegliche Zweifel sind überwunden, da meine Seele die Erkenntnis gespiegelt bekam, von ihr. Sicher ist mir diese, für immer. Er suchte ihren Blick, nahm ihn gefangen, schloss seine Lider darüber und flüsterte: 'Ich liebe dich.' Langsam entließ er beider Gefühl im Augenaufschlag und übergab es dem Himmel. Schmetterlinge stoben aus dem Dunkel der Höhle in die sonnige Freiheit.
Von den Anderen hatte niemand etwas bemerkt. Sie waren außen geblieben, außerhalb, in ihrer Welt. Abrupt und wechselhaft wie Madame sein konnte, richtete sich auf, nickte zu Adoree und ihrem Bruder hinüber und stellte überlaut fest:
„Sind sie nicht ein schönes Paar, Monsieur Saly?“
Alle drei wurden rot. Fanfan machte sich ein Späßchen daraus:
„Ihr müsstet ein wenig mehr Puder auftragen, um euch zu verstecken...“
Ich habe es gewusst, dachte Adoree. Eine Mischung aus Wut und Gekränktheit überkam sie. Wie hatte Madame sich anmaßen können, dieses Ränkespiel so einzufädeln? Hier war man nicht am Hofe, sie war frei und brauchte keine Kupplerin. Schnippisch hielt sie dagegen:
„Wir fühlen uns ungezwungen, Monsieur Fanfan. Frei und nicht gezwungen!“
Fanfan holte aus:
„Vogelfrei, so wie ich und meine Leute?“
„Jawohl, Freiwild für den Verrat! Aber lieber sterbe ich!“
Poisson griff nach ihrer Hand:
„Meine Liebe, ihr übertreibt. Es ist doch nichts dabei, wenn zwei Menschen aufeinander losgelassen werden, deren Schicksal sich sonst vielleicht nie begegnet wäre! Glaubt mir, unser Kennenlernen geschah nach meiner lieben Schwesters bester Absicht. Ich will euch nicht brüskieren, aber ich behaupte, wir konnten auch schon einige Augenblicke Sympathie füreinander aufbringen. So falsch lag die Kupplerin also nicht mit uns!“
Amüsant sollte die Feststellung klingen und ein wenig die Wahrheit provozieren. Adoree riss sich los und sprang auf:
„Ich will nicht bevormundet werden!“
Tränen lösten sich.
„Lasst mich doch alle in Ruhe!“
Sie eilte hinaus. Alle sahen betreten auf ihre Teller, Madame sprach als erste:
„ Da verbirgt sich wohl mehr hinter der Tür des südländischen Temperaments, als wir ahnten. Finde den Schlüssel, lieber Bruder, und ihr beide werdet glücklich sein!“
Mit diesen Worten erhob sie sich, löste die Tafel auf und verabschiedete sie sich für die Nacht. Im Fortgehen sagte sie noch:
„Und ihre Geschichte, Fanfan, erzählen sie uns morgen, wenn die Überreiztheit gestern war!“
Den allein gelassenen Herren hatte man das Dessert serviert. Mit gefüllten Kaffetassen war man anschließend nach draußen in die Abendluft gegangen. Die Blumen in den Vasen und Amphoren dufteten noch einmal, bevor sie ihre Kelche gegen die dunkle Nacht schlossen. Kühle wehte herüber und aus der Ferne hörte man Pferde wiehern. Fanfan unterbrach das männliche Schweigen:
„Gut, dass unsereins keine Stuten reiten muss! Zickig und ungeduldig sind die und launisch obendrein. Und, wie geht es ihrem Hengst?!“
Er lachte. Poisson stimmte ein, und Saly kam sich erneut überflüssig vor. Stuten ritt man also nicht. Das hatte er nicht gewusst. Bisher waren für ihn Pferde eher geschlechtslose Zugtiere gewesen. Irgendwie elegantere Ochsen ... im Kopfe taumelte er in die Höhle schwarzen Kaffees der halb leeren Tasse ... Platon sprach zu ihm, von Satyr war die Rede. Nur noch den letzten Teil des Satzes, hörte er:
„... Fell gestreichelt und die Proportionen seiner rassigen Männlichkeit erkannt. Traut ihr es euch zu, eine kleine Statue in Bronze von ihm zu machen?“ Von Satyr? Er sagte einfach:
„Ja, durchaus.“
Damit war die Sache zunächst für ihn erledigt. Er vertrage keinen Kaffee und werde sich jetzt zurück ziehen. Saly stellte seine Tasse irgendwo ab und wankte zu seinem Schlafgemach.