Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 9

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Am Ende des Tages waren alle wichtigen Umbauten fertig. Auf dem Parkett lagen Dielenbretter und alle Wänden waren mit Leinwände bespannt. Sogar die Fenster - und Türumrandungen hatte man nicht ausgespart. Zum Abschied flüsterte Saly seinem Gehilfen zu, eine Flasche Cognac aus dem Reisegepäck zu holen. Er wollte gemeinsam mit den Männern anstoßen und die Verwandlung feiern. Erst, als sich Jean sich mit der Flasche näherte, wurde ihm jäh bewusst, dass er das nicht durfte. Es gehörte sich nicht dass er, als Künstler am Hofe des Königs, sich mit einfachen Handwerkern verbrüderte, selbst wenn er den ganzen Tag gemeinsam mit ihnen gearbeitet hatte. Der Standesunterschied war zu wahren. Saly beschloss, dem Meister die Flasche mit den besten Wünschen zu überreichen und fügte schelmisch hinzu, dieser müsse den guten Tropfen im Sinne aller verwerten. Die Männer lachten, bedankten sich formlos und verließen das Atelier. Saly und Jean blieben allein zurück.

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* * *

Am nächsten Morgen erwachte der Bildhauer erst recht spät. Er hatte gut geschlafen und fühlte beim Aufstehen neuen Tatendrang. Während Jean ihm in die Kleider half, fielen Saly die Dinge ein, welche noch zu erledigen waren. Um das Atelier zweckmäßig auszustatten, musste zunächst das Podest aufgebaut werden. Danach würde er sein Zeichenmaterial und das Werkzeug bereit legen. Einfachste Routine. Erst beim Pudern der Perücke, die etwas zerzaust wirkte, weil er sie gestern bei der Arbeit achtlos irgendwo abgelegt hatte, wurde ihm wieder gewahr, wo er sich befand und wer demnächst dort sitzen würde. Es traf ihn wie ein Schock. Mitten im Schloss Versailles würde sein Modell kein anderes sein als die wichtigste Dame im Lande, nämlich Madame de Pompadour, die Mätresse des Königs. Nur nicht in Panik verfallen. Einfach nur an die künstlerische Verrichtung des Auftrags denken. Er zwang sich, die Situation präziser zu durchdenken. Sonst würde es zu keinen weiteren Entscheidungen kommen.

Saly legte die Perücke zur Seite, erhob sich und durchmaß das Atelier. Es war ein schöner Morgen, mit einem sanften, hellgelben Licht, das durch die großen Fenster floss. Ideal, um sich einen Standpunkt auszusuchen. Er selber sollte das Licht halbwegs im Rücken haben. Das Modell hingegen müsste davon seitlich frontal beschienen werden. Die Lichteinfälle zu den verschiedenen Tageszeiten waren mit zu bedenken. Könnte er ihr zumuten, sich vor dem Mittag hier einzufinden? Die Leuchtkraft wäre dann am besten. Er stellte fest, dass er sich wenig mit dem Tagesablauf einer solchen Dame auskannte und nicht wusste, ob diese lange schlief oder etwas wichtiges am Morgen zu tun hatte. Trotz dieser Unwägbarkeit musste man sich für beide Standpunkte, den des Modells und den eigenen, entscheiden.

Das Podest maß, wenn es fertig aufgebaut dastand, ungefähr zwei Ellen im Quadrat. Darauf wurde dann mittig ein Sessel, Stuhl oder Chaiselongue postiert, auf dem das Modell Platz zu nehmen hatte. Dort sollte es, in gewisser Pose drapiert, möglichst lange unbeweglich verharren. So normalerweise das Vorgehen. Würde man es in diesem Falle revidieren? Saly wollte sich innerlich gegen unliebsame Änderungen wappnen und durchsetzen, dass man sich diesbezüglich nach ihm richtete. Selbstverständlich könnte er versuchen zu argumentieren und derlei ausgeklügelte Sätzen wie „die Kunst richtet sich nach dem Licht“ oder „das Künstlerauge muss die Silhouette umspielen dürfen“ einwerfen. Da es ihm aber an Wortkunst mangelte, hielt er es für vorteilhafter, wenn es gar nicht zum Schlagabtausch käme. Schon vor dem Betreten des Ateliers musste unumstößlich feststehen, wer wo seinen Platz hatte. Die Inszenierung sollte schon vor dem Auftritt perfekt sein. Diese Theatermetapher saß im Bildhauer fest. Wenn er eine Schauspielerin fände, eine Art Double sozusagen, das er zu Madames Anschauung bereits vor der eigentlichen Sitzung dort drapieren könnte, damit dann dieses Bildgefüge in der Madame und in den Köpfen ihrer Begleiter gewann... man würde keinen anderen Eindruck mehr haben wollen, weil man sich in den ersten verguckt hatte. Solche Dinge, resümierte Saly, waren wissenschaftlich belegt und passten durchaus zu seinen eigenen Erfahrungen.

So entschied er sich, zunächst den Paravant mittig auf die Diagonale zwischen rechter Fensterecke und linker Tür zu stellen. Wenn man nun den Raum betrat, sah man zunächst in einiger Entfernung die aufgebaute Wand. Erst im zweiten Anlauf würde der Blick das Modell finden. Möglicherweise entscheidende Sekunden. Das Podest wollten der Bildhauer auf verlängerter Achse, ungefähr zwei Ellen vom Arbeitsplatz des Künstlers entfernt, platziert haben. Dazu trug er mit seinem Gehilfen zwei große Reisekisten an die besagte Stelle. Wenn man deren Deckel aufklappte und die Zwischenräume mit zwei Holzplatten, welche normalerweise als Abtrennung der Fächer dienten, verstärkte, ergab sich eine ebene Plattform. Diese war ungefähr eine viertel Elle hoch. Saly wanderte um das Podest herum und kontrollierte die Stabilität. Danach begab er sich hinter den Paravant. Jetzt mussten er den besten Blickwinkel herausfinden. Einen, der ihn nicht zu Verrenkungen nötigte. Jean brachte ihm sein Arbeitspult. Es war in Höhe und Neigung verstellbar so dass man darauf zeichnen oder Werkzeug auf der Fläche ablegen konnte. Saly bat Jean, sich mit einem Stuhl auf das Podest zu setzen. Der Bildhauer rückte sich den Tisch auf Armeslänge zurecht. Jedes Mal, wenn er eine neue Position ausprobierte, fragte er Jean, ob man ihn hinter der Wand sehen könne. Ständig wurde alles neu justiert. Nach geraumer Zeit hatten sie endlich die passende Position ermittelt. Der Paravant musste zur Wand hin etwas verschoben stehen und dem Podest entgegen ein wenig geöffnet sein. Lichteinfall und Blickwinkel waren nun perfekt. Saly konnte nun direkt am Modell weiter arbeiten. Um dessen grobe Positur zu ermitteln, reichte zunächst die jungenhafte Figur Jeans. An ihr konnte Saly die Drehung und Neigung des Kopfes einstellen und den Winkel der Schultern zum Körper festlegen. Was er nicht konnte, war die Länge des Nackens bemessen oder den Ansatz der Brust einschätzen. Dazu war ein weibliches Modell notwendig. Saly machte einige Skizzen, die sich auf die Achsen und Winkel der Figur bezogen. Dazu setze er den Jungen immer wieder anders hin, bis er eine endgültige Stellung gefunden hatte. Nun konnte die Feinjustierung des Kopfes vorgenommen werden. Eine langwierige und anstrengende Sache, obwohl Jean ein erfahrenes Modell war. Zur Wahl standen schließlich drei Positionen, die dem Meister gefielen. Diese hielt er in exakten Zeichnungen fest. Aber erst bei der Nachstellung mit einer Dame würde er sich für die optimale Positur entscheiden. Erschöpft beschloss Saly, die Arbeit für heute zu beenden. Es war bereits später Nachmittag geworden und beide hatten noch nichts gegessen. An solche Kleinigkeiten hatte Saly bisher noch gar nicht gedacht. Wie würde man in einem Schloss essen? Vielleicht musste man außerhalb ein Wirtshaus suchen und dort speisen. Nach der Stadt Versailles war es ja nicht so weit und ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft würde ihnen gut tun. Zurück könnte man sich einen Mietwagen nehmen und sich den Fußweg sparen. Saly wies den Jungen an, ihm Ausgehkleider heraus zu legen.

Saly war ein wenig mulmig zu mute, aber Jean leitete ihn geschickt durch das Labyrinth der Flügel und Säle, so dass sie bald den Marmorhof erreichten. Von hier aus führten weitere Höfe zu den Ställen und zum Wirtschaftsgebäude. Erst dort begannen die Chausseen nach Versailles. Je näher man dem äußeren Rand des Schlosses kam, desto mehr Menschen, Wagen und Vieh stauten sich innen und außen an der Einfriedung. Aus dem Wirtschaftsgebäude eilten Menschen dem Schlosshof entgegen, von der Allee her näherte sich reger Verkehr und an den Ställen standen die Kaleschen Schlange. Jean strebte zum Wirtschaftsflügel, da er dort ein Nebentor vermutete, durch das sie aus dem Corps gelangen konnten. Und richtig. Aber auch dieser Durchlass war gut besucht. Es hatte sich eine Schlange gebildet, in der sie nun zusammen mit Mägden, Handwerkern und Händlern zu warten hatten. Man ließ nur einzelnes Volk hindurch und machte beim Ausführen der Waren Stichproben. Es war eng uns stickig. Mit einem Mal drängelte Jean sich vor, weil er einen der Handwerker entdeckt hatte, der am Tag zuvor beim Umbau dabei gewesen war. Saly selber konnte beide zwar miteinander sprechen sehen aber nichts verstehen, da es um ihn herum rumorte und drängelte. Er fühlte sich fehl am Platze und beinahe bedroht. Sicherlich war es nicht richtig, dass ein Mann seines Standes sich hier im Gedränge des Volkes aufzuhalten pflegte. Und da man am Ausgang die Leute kontrollierte, ging es sicherlich um Diebstähle jeglicher Art, von denen das Schloss wahrscheinlich täglich tausende Male heimgesucht wurde. Er griff nach seinem Geldbeutel, umfasste diesen fester und versuchte, Jean, der sich weit vor ihm im Gedränge befand, auf sich aufmerksam zu machen. Lieber wollte er unverzüglich zurück und hungern. Aber Jean drehte sich nicht um. Erst, als der Bekannte und er beinahe das Tor erreicht hatten winkte er, rief seinem Herrn etwas zu und schob sich gegen den Strom. Indes hatte Saly es geschafft, dem Gedränge seitlich zu entweichen. Immer noch angespannt wartete er abseits. Endlich erreichte ihn der Junge. Anstatt sich anzuhören, was dieser soeben erfahren hatte, blaffte Saly ihn an, ob er nicht bemerkt habe, dass sein Herr ihm nicht hatte folgen können. Jean wich nach hinten aus und entschuldigte sich verdattert. Am liebsten hätte er jetzt geschwiegen und den Meister ohne Mahlzeit zu Bett gehen lassen. So ungerecht fühlte er sich behandelt. Dabei hatte er doch nur mit dem Handwerker gesprochen. Und dieser hatte ihm erklärt, dass man den Corps von Versailles gar nicht verlassen müsse, um etwas zu essen. Es gäbe offene Tafeln für die Verkostung der wichtigen Hofbeamten und für diejenigen, die im Schloss wohnten, aber nicht an die Tafel des Königs gehörten. Man müsse sich nur zum Südflügel begeben, dort gäbe es gleich mehrere Speisemöglichkeiten für solche hohen Herren wie den Monsieur Bildhauer. Als der Junge endlich von dem berichtete, was er erfahren hatte, war Saly so erleichtert dass er, während er dem Jungen zurück zum Hauptschloss folgte, zugab, er habe ein wenig Angst in der Menge bekommen und sei deswegen so schroff gewesen. Jean ging nicht weiter auf die Entschuldigung ein und teilte seinem Herrn stattdessen mit, er könne ihn nur ein Stück weit begleiten. Er hatte nämlich auch zu hören bekommen, dass die Bediensteten der höheren Herren an den Hoftafeln allenfalls servieren aber nicht speisen durften. Leute wie er waren nur in den Wirtschaftsküchen willkommen. Saly wollte seine Launenhaftigkeit immer noch wieder gut machen und zückte sein Portemonaie. Er steckte dem Jungen ein paar Sous zu, obwohl dieser beteuerte, dass die Verpflegung dort ohne Entgeld sei. Am inneren Hof trennten sich dann beider Wege.

Saly kam sich augenblicklich völlig hilflos vor. Betrübt darüber, wie naiv er dieser Welt am Hofe und dem königlichen Auftrag gegenüber stand, folgte er einigen Damen und Herren in den Südflügel. Hier sammelten sich Höflinge und Hofdamen. Während man einen der hergerichteten Säle betrat, fanden rege Unterhaltung statt, man kannte sich. Tafel um Tafel war in langen Reihen angerichtet. Serviteure eilten geschäftig durch den riesigen Raum und bedienten die bereits Speisenden. Saly sah sich befangen um. Gab es hier eine Sitzordnung? Da sich die Gruppe, mit der er den Saal betreten hatte, ungezwungen irgendwelche freien Plätzen okkupierte, war zu schlussfolgern, dass man sich setzen konnte, wohin man wollte. Der Einfachheit halber steuerte Saly auf einen weiteren freien Sitz in der Reihe zu. Hier hatte er zwar keinen direkten Tischnachbarn, aber ein recht ansehnliches, weibliches Gegenüber. Man bat sicherlich darum, Platz zu nehmen, bevor man sich setzte:

„Sie gestatten, Mademoiselle?“

Saly deutete eine Verbeugung an.

„Bitte, bitte. Er tue sich keinen Zwang an!“ Sie lugte zur Tischnachbarin. Nonchalant wurde auf den freien Stuhl gewiesen. „Neu hier? Haben wir seinen Namen schon einmal gehört? Man helfe mir: In welcher Funktion am Hofe tätig?“ Das Weib unterschied kaum zwischen Worten und Bissen. Gerade geschluckt, entschlüpften ihr auch schon die Sätze. Immerhin besaß sie genug Anstand, nicht mit vollem Mund zu sprechen. Saly begann der Kopf zu schwirren. Und das nicht nur aus Hunger. Er musste dem Mädchen antworten. Wollte er überhaupt Konversation führen? Wenn nicht, würde eine knappe Entgegnung genügen. Falls doch, müsste man in die Rückmeldung wiederum eine Frage einbauen. Er hörte sich sagen: „Man ist erst gestern in Versailles angekommen. Mademoiselle haben Interesse an der Kunst? Saly, mein Name, in der Funktion eines Bildhauers. Man hat mich, hier am Hofe, mit einem Auftrag bedacht.“ Ein Page kam und verharrte geduldig an Salys Seite. Weil sie dessen Reaktion beobachtete, ging die junge Dame zunächst nicht weiter auf die Offenbarung ein. Satt dessen neigte sie sich zum neuen Gast hin und raunte:

„Ihr müsst mitteilen, welche Gerichte gewünscht werden. Ich schlage vor, zunächst eine Vorspeise zu wählen. Darf ich empfehlen? Die Flusskrebse sind herrlich. Jene Marinade dazu und von diesem Weißwein, vorzüglich. Sehen sie die roten Kartoffeln...“, ihr flüsternder Mund näherte sich seinem Ohr, „...Zerquetschen und den Brei mit der Flusskrebsmarinade vermatschen,“ sie kicherte, „wirklich ungeniert anzuraten!“ Dann bemerkte sie ganz nebenbei: „Der Monsieur, der die Marquise in Marmor abbilden soll. Darf man zusehen? Wir werden alle dabei sein, fürchte ich.“ Genüsslich führte sie den Löffel zum Mund, um das Dessert zu schmelzen.

Saly sah den hübschen Lippen dabei zu. Ein temperamentvolles Ding. Erinnerte ihn an die heißblütigen Italienerinnen. Nur, diese hier war gezierter, künstlicher. Aber unheimlich schön. Ihm wurde das Hors d'oeuvre auftgetan. Rhythmisch begann er, die Kartoffeln auf dem Teller zu zerdrücken. Sein Gegenüber bemerkte die Bemühungen:

„Ich sehe, sie befolgen meinen Rat. Köstlich, oder?“

Wir werden alle dabei sein...alle dabei sein...Abrupt sah er auf und fragte etwas dümmlich: „Wie?“ Die junge Dame ließ sich nicht irritieren: „Wir, ihr Gefolge. Sie ist stets in Begleitung. Madame wünscht. Madame möchte. Zerstreuung, Unterhaltung, Papperlapapp. Sie kann nicht allein sein.“ Ein versetztes Zögern.

„Nicht jetzt, in diesen Zeiten.“

Was für fatale Andeutungen. Langsam zerdrückte er das Mus im Gaumen. Sollte er ihr Gerede ignorieren und einfach weiter speisen oder die Gelegenheit beim Schopfe packen und diese Person ausfragen? Er schluckte den Brei hinab, betupfte mit der Serviette den Mundwinkel und lehnte sich bedächtig vor: „Ganz im Vertrauen, Mademoiselle: Ihr seid so gut über die Verhältnisse informiert, dass ihr mich aufklären könntet? Das würde entscheidend helfen.“

„Ich könnte, wenn ich wollte, Monsieur Bildhauer. Zwar gehöre ich nicht zum inneren Zirkel, bin aber meistens zugegen. Ich habe keinerlei Einfluss, aber immer etwas zu sagen. Des Rätsels Lösung: In meiner Person steckt eine winzige Begleitdame einer mehr oder weniger bedeutenden Komtesse. Soll ich dieses Amt aufs Spiel setzen seinetwegen? Ihm Geheimnisse ausplaudern, die doch schon alle kennen? Hört er doch einfach selber hin. Hier nebenan“, der Löffel zeigte auf ihre Nachbarin, „da vorn. Immer wird man die Bissen aufschnappen, welche böse Münder verschmähen. Ich rate ihm, wachsam zu sein. Man kann sich nicht einfach heraus halten, wenn man mitten unter ihnen weilt.“

Er war überrascht. Hatte sie ihn zu Beginn absichtlich durch Koketterie getäuscht? Denn an diesem Punkt des Dialogs zeugte ihr Reden von gehobener Intelligenz und scharfem Denken. Saly beschloss, sich näher auf die junge Dame einzulassen.

„Als Künstler ist man auf innere und äußere Ruhe angewiesen, sonst wird man nicht arbeiten können. Es scheint alles so fremd hier. Mademoiselle müssen wissen, dass ich mehrere Jahre in Italien verbrachte. Kennen sie Italien? Dort ist es ganz anders – ich kann sagen: Dort lebt man die Kunst und nicht das Künstliche.“

„Wohl gesprochen, Monsieur Bildhauer! Ich verstehe mich auf das, was sie mit dem Künstlichen meinen. Hingegen Italien! Das Land meiner Träume! Wissen sie, ich habe italienische Vorfahren. Aber ich war noch nie dort. Ist das nicht traurig?“ Ihr hübsches Gesicht bekam einen sehnsüchtigen Ausdruck. Jetzt konnte die römischen Züge in ihrem feinen Antlitz erkennen. Stellte man sie sich ohne Puder und Perücke vor, war sie von klassischer Schönheit. Dass er noch nicht viel über ihr Inneres wusste trübte das Bild ein wenig. In ihm keimte ein Gedanke und er führte das Gespräch weiter:

„Die römischen Frauen sind schön. Sie präsentieren ihren natürlichen, erhabenen Charakter. Man verkleidet sich nicht. Masken trägt man nur zum Karneval.“

Die junge Dame war begeistert:

„Genau so stelle ich mir die Menschen dort vor!“

Ihre Tischgenossin lauschte amüsiert. Saly sah sich auf dem richtigen Weg:

„Madame, verratet ihr mir euren Namen?“

„Nur unter einer Bedingung!“

Saly versuchte salopp zu wirken:

„Die da wäre? Verlange sie nicht zu viel von mir!“

Sie lachte:

„ Je veux simplement... Er muss mir alles über Italien erzählen! Abgemacht?“

Erleichtert und fast beglückt stimmte er zu: „Gern, Mademoiselle. Aber ich möchte euch nicht kompromittieren...“.

„Oh, dass lässt sich vermeiden. Wir sollten einfach offiziell Umgang pflegen. Man trifft sich in der Öffentlichkeit, geht spazieren, fährt aus...ich meinerseits bin da ganz offen...“

„Mademoiselle haben keinen Gatten oder Verehrer?“

„Weder den einen noch den anderen ernstzunehmenden. Ich bin sozusagen vogelfrei.“

Mit diesen allzu augenscheinlichen Avancen wollte sie ihn prüfen und herausfinden, ob es sich bei Saly um einen verkappten Schwerenöter handelte. Dieser ging ebenso wenig darauf ein, wie ein Großvater.

„Ich wollte keinesfalls indiskret sein, Mademoiselle. Meine Frage hat durchaus einen tieferen Sinn. Wenn ihr ablehnt, werde ich trotzdem von Rom erzählen“, unsicher fuhr er fort, „ich wage kaum, mich zu äußern. Aber darf ich sagen: mir ist eure Schönheit aufgefallen. Und deshalb möchte ich euch - rein als Künstler - fragen: Würdet ihr mir Modell sitzen?“

Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

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