Читать книгу Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden - Inka Benn - Страница 8

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Jean war außer Atem und aufgeregt, als er zu Salys zukünftigem Atelier zurück kam. Saly empfing ihn ungehalten. Jean bemerkte, dass sein Meister zum Glück noch nicht weiter ausgepackt hatte. Schüchtern begann er mit seinem Bericht, den er damit mit einer halben Entschuldigung einleitete: Er habe recht eigenmächtig entschieden, sich auf die Suche nach Material für den Atelierumbau zu begeben. Dabei sei er auf zwei wichtige Herren gestoßen, die ihm Hilfe zugesagt hätten. Diese beiden, ein gewisser Monsieur Boucher und der Directeur Poisson, ließen ihm, Monisier Saly, ausrichten, der Umbau als kleine Aufmerksamkeit anzunehmen.

Saly wollte kaum glauben, was er gerade gehört hatte. Er wusste nicht, worüber er ungehaltener reagieren sollte, über die Eigenmacht des Jungen oder deren Auswirkungen. Aufgeregt legte er Jean dar, dass der Quartiermeister ihm hätte etwas anderes besorgen sollen, denn er wolle ja gar nicht in diesen Räumen bleiben, im Gegenteil, er wolle hier weg, weswegen sich der Umbau auch nicht lohne. Jean wüsste doch, dass er hier, im Hofstaatgewimmel, nicht richtig arbeiten könne. Und jetzt seinen auch noch die für ihn als Künstler wichtigsten Zuständigen am Hofe, nämlich der Oberhofdekorateur und der Direktor für das Bauwesen, auf sein Dilemma aufmerksam geworden. Und nach deren großzügiger Geste ließe sich nun kein Umzug mehr arrangieren ohne das Gesicht zu verlieren. Was habe sich der Junge nur dabei gedacht?

Jean sah sich gezwungen, seine Tat als Fehler anzunehmen und sich für seinen Alleingang zu entschuldigen. Er war sehr traurig. Als Saly dies bemerkte, lenkte er schnell ein. Eigene Ideen seien an sich ja nichts schlechtes und er habe ihn ja immer dazu angehalten, seinen Kopf zu benutzen, aber das hier, das gehe zu weit. Wichtige Entscheidungen habe immer noch er zu treffen.

Im selben Moment schämte sich auch schon seiner Härte. Aber hatte er dem Jungen, den er beinahe wie seinen eigenen Sohn behandelte, vielleicht nicht doch zu viel durchgehen lassen? Schließlich war dieser nur sein Gehilfe. Allerdings...es bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen ihnen. Dieses hielt bei beiden die Illusion von Familie aufrecht. Und in Saly erzeugte es eine Art Sicherheitsschild, welches sein inneres Gleichgewicht schützte. Er wunderte sich darüber, dass Jean ihm unentbehrlich geworden war und bemerkte voller Skepsis, dass er in der derzeitigen Situation länger über den Jungen nachdachte, als über das Dilemma. Er hätte angenommen, dass seine Lage in ihm Panik auslösen würde. Aber stattdessen fühlte er im Hinblick auf die neuesten Entwicklungen eine gewisse Erleichterung. Jetzt war es also endgültig und offiziell, dass er, der Bildhauer Saly, hier in Räumen vor den Toren der Macht residierte, um an der Madame zu arbeiten. Man würde es herum erzählen und bald würde es jeder wissen. Dann wäre man erpicht, dem Akt beizuwohnen, um mitreden zu können. Nun denn, er musste sich der Situation so gut es ging stellen. Nachdenklich fragte er fragte Jean, ob die beiden Herren noch weiteres gesagt hätten. Der Junge versuchte, den Wortlaut des Gespräches zwischen den Monsieurs wider zu geben, traf jedoch nicht den Ton, so dass Saly sich den Sarkasmus und die Ironie hinzudenken musste. Konnte man der Rede Bouchers in Bezug auf die Geduld der Madame eine versteckte Warnung entnehmen? Saly wusste, falls er überhaupt etwas nach seiner Rückkehr in das Königreich Frankreich lernen musste, war es das Lauschen auf den Sinn zwischen den Worten. Ein Umstand, dem er sich nicht gewachsen fühlte. Denn das Zuhören im Durcheinander bedeutender Leute strengte ihn nicht nur während wichtiger Anlässe ungemein an, sondern auch in den unerlässlichen Einzelgesprächen mit repräsentativen Persönlichkeiten, in denen es meist um Aufträge ging. In diesen, für sein Fortkommen wichtigen Situationen, fühlte er sich meist überfordert und in Rede und Antwort ungelenk. Wie sollte so jemand mit Madame Konversation führen können? Vielleicht war es ja sogar gut, wenn der gesamte Hofstaat die heilke Dame ablenken würde, während er selber nur im Hintergrund blieb, sozusagen unsichtbar. Ja, unsichtbar. Ihm kam eine Idee: Man müsste vor ihm und dem Werkstück einen Paravant aufbauen. So könnte er selber ungestört seine Blicke schweifen lassen, aber kein Zuschauer sähe seine künstlerischen Tätigkeiten oder gar den Zustand des Werkes in einem ungünstigen Augenblick. Wäre das vermessen? Oder würde es als exzentrisch und einer Künstlernatur gebührend gelten? Je länger Saly über diesen ungewöhnlichen Einfall nachdachte, desto greifbarer erschien ihm die Verwirklichung. Alsbald teilte er Jean mit, dieser könne seinen Fehler wieder gut machen, indem er einen großen, robusten Paravant besorge und diesen hier im Saal aufstelle. Der Gedanke, dass man ihn, den Bildhauer Saly, als außergewöhnlich kapriziös einstufen und ihm das Versteckspiel deshalb durchgehen lassen würde, begann ihn zu entzücken. Und er war sich, was das geheimnisvolle Entstehen seines Kunstwerkes betraf, der Neugier der Anwesenden sicher. Fesselndes Theater für anspruchsvolles Publikum – und er selber musste dabei noch nicht einmal auf der Bühne stehen! Genial! Trotz seiner Euphorie erzeugte der Coup in gewisser Hinsicht einen unliebsamen Beigeschmack, nämlich dass ihn die berühmten Kollegen Boucher und Bouchardon verachten würden. Bouchardon könnte vermuten, dass sein ehemaliger Schüler Saly sich in der Fremde Italiens zum Nachteil verändert hatte und eitel geworden sei. Und was Boucher betrifft, der sehe in ihm möglicherweise einen feigen Emporkömmling geringen künstlerischen Wertes. Er konnte nur hoffen, dass sie, gnädig gestimmt durch das Ergebnis, später über sein Theater hinweg sähen. Und wenn er Glück hatte, würden sie seine merkwürdigen Anwandlungen sogar nachvollziehen können. Hatte Boucher nicht für sich selber arrangiert, in Paris zu wohnen und im Louvre zu arbeiten? Es schien Saly nicht nur hinsichtlich der Warnung mehr als wahrscheinlich, dass Boucher ebenfalls die Stille zum Arbeiten bevorzugte. Es musste ein befreiendes Gefühl sein, nach den langwierigen Besuchen am Hofe in eine ausgelagerte Arbeitsstätte entfliehen zu können. Saly wagte es kaum, sich ein ähnliches Arrangement für seine eigene Zukunft auszumalen.

Jean war gerade gegangen, als es laut vor der Flurtür rumorte. Wegen der penetranten Art des Klopfens fühlte sich Saly genötigt, schnellstmöglich zur Türe zu springen. Er wollte den unhöflichen Störenfried bei seinem Vergehen stellen und riss die Tür auf. Vor ihm stand jedoch nicht nur eine einzelne Person, sondern ein ganzer Haufen. Offensichtlich handelte es sich um Handwerker, denn die Männer waren nicht nur entsprechend gekleidet, sondern schleppten schweres Werkzeug und Baumaterial mit sich. Saly war perplex. So unbürokratisch ließ es sich also auch bei Hofe handeln. Äußerst ungewöhnlich. Schon marschierte der Anführer, ohne überhaupt sein Anliegen vorzutragen, geschäftig in den ersten Saal hinein. Saly fühlte sich nachgerade überrumpelt und versuchte rasch zu erklären, dass er nicht den ersten Raum, sondern gerne den zweiten als Atelier nutzen würde und dass zunächst die Möbel aus diesem entfernt werden müssten, bevor an irgendetwas anderes zu denken sei. Der Handwerker schüttelte unwirsch den Kopf fuchtelte mit seinem Notizbuch herum und teilte aufgebracht mit, dass er für das Entfernen der Möbel nicht zuständig sei. Dafür müsse man den Quartiermeister holen lassen, der dann irgendwelche Kammerdiener damit beauftragen könne. Saly sah sich in der Zwickmühle. Die Leute hatten wenig Zeit und wollten mit ihrer Arbeit beginnen. Deshalb entschloss er sich kurzerhand, einen der Handwerker anzuweisen, den Quartiermeister zu holen. Offensichtlich ein grober Fehler. Denn unvermittelt hielt der Anführer seinen Mann zurück und gab stolz kund, dass ein ehrlicher Handwerker kein Lakai sei. Saly war nun gezwungen, selber auf den Flur hinaus zu treten, um nach einem Hofdiener zu rufen. Zweifelsohne war der Umgang mit dem Schlosspersonal eigentlich Jeans Aufgabe. Da sich dieser jedoch gerade auf der Suche nach dem Paravant befand, sah sich Saly in der Rolle, den vom Nebengang heran eilenden Lakaien selber zu beauftragen. Recht eilig und unterstrich er mehrmals die Dringlichkeit der Angelegenheit. Er dulde keinen Aufschub. Und verlange, sobald die Nachricht an den nächst Zuständigen überbracht worden sei, sofortigen Bericht. Der Diener verbeugte sich und eilte davon. Offensichtlich war er wichtigtuerisch und umsichtig genug gewesen. Denn die für den Umbau bereit stehenden Handwerker hatte Saly absichtlich nicht erwähnen wollen. Zeugte es nicht von selbstverständlicher Autorität, wenn man einen Befehl ohne offensichtlichen Sinn und Zweck erteilte?

Im Saal warteten die Männer derweil ungeduldig auf Arbeitsanweisungen. Wo sollte man anfangen? Vielleicht mit dem Verhängen der Wände? Saly wandte sich an den Anführer und erklärte umständlich, dass die wertvollen Dekorationen des Herrn Boucher vor dem Staub, der während der Arbeit entstünde, die er, der Bildhauer, hier zu verrichten habe, geschützt werden müssten. Dazu wäre es sinnvoll, die Wände einstweilig mit Tuch zu verhängen und zwar so, dass man dieses später wieder schadlos entfernen könne. Als sich niemand rührte, begann Saly eigenhändig, die nächst stehende Kommode von der Wand zu rücken. Er deutete mit einem Kopfnicken auf das wertvolle Stück und sah dann einen der Handwerker eindringlich an. Ohne Zweifel eine Aufforderung, ihm beim Tragen zu helfen. Bald standen alle Möbelstücke weit genug von den Wänden entfernt oder befanden sich in der Raummitte. Man konnte mit der Arbeit beginnen. Nebenbei und unaufdringlich lauschte Saly den Anweisungen des Meisters. Alles, was der Mann anwies, so klug durchdacht, dass Saly sich von der quirligen Arbeitsatmosphäre anstecken ließ und überall mit anpackte. Wie die Tätigkeiten ihn entspannten! Bald schon scherzte er mit den Männern wie ein Kollege. Es war das erste Mal nach seiner Rückkehr aus Italien, dass er sich nicht fehl am Platze vorkam. Er wurde gebraucht und konnte sich beweisen. Wie sehr beglückte ihn, dass seine Vorschläge vom Meister berücksichtigt und von den Kollegen umgesetzt wurden! Die Arbeitsabläufe fügten sich von selber. Man erkannte ihn an. Saly fühlte sich wohl.

Er wusste nur, dass nicht allzu viel Zeit vergangen war, als Jean wieder auftauchte und berichtete, dass im Zuge der Abholung der Möbel auch der Paravant geliefert würde. Hatten die Auftraggeber etwa dermaßen großen Einfluss bei Hofe, dass ihnen jeder Wunsch umgehend erfüllt wurde? Unbedingt musste er noch mehr über die beiden Herren erfahren. Wenn der Junge begänne, noch einmal von seiner Begegnung mit Poisson und Boucher zu erzählen, würde sich der Meister sich sicherlich nicht zurückhalten können und seinerseits etwas über die beiden Künstler preisgeben wollen. Und richtig! Schon nach den ersten Sätzen unterbrach der ehrliche Mann die Rede. Stolz gab er zum Ausdruck, dass er beide Herren sehr wohl kenne und würdige. Boucher und Poisson verhielten sich den Handwerkern gegenüber stets sehr wohlwollend. Da ihr Ruhm von deren Arbeitsqualität abhängig sei, würden sie die höfischen Konventionen oft vernachlässigen und sich nicht einmal scheuen, mit anzupacken. Außerdem könne man als Meister sehr von ihnen profitieren. Der Baudirektor Poisson verstünde viel von Konstruktion und könne seine Pläne immer exakt darlegen. Und Boucher sei ein großer Künstler, dem Fragen zu seiner Arbeit allzeit willkommen sind. Künstlerisches Interesse würde er mit langen Ausführungen und besonderen Aufgaben belohnen. Er selber, als Malermeister, wäre schon häufiger damit beauftragt worden, die Wandcarrés in den prunkvollsten Sälen mit einem besonders wertvollen Goldputz zu versehen. Allerdings habe er nie mit dem Monsieur Dekorateur zusammen arbeiten dürfen, denn dieser ließe sich nicht gern bei der künstlerischen Ausführung seiner Ideen über die Schulter blicken. Dieses vermeide er wohl, damit seine besondere Kunstfertigkeit ein gut gehütetes Geheimnis bleibt.

Saly hatte genug gehört. Dieser Herr Boucher war ihm sympathisch. Er fühlte sich in seinen Vermutungen bestätigt.

Sie machten sich wieder an die Arbeit und waren gerade dabei, eine Bahn Stoff zu straffen, als die Diener für den Möbeltransport erschienen. Ein ganzer Schwarm lächerlich austaffierter Lakaien strömte in den Saal, bemächtigte sich der Möbelstücke und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Während der Operation hatten die Handwerker amüsiert inne gehalten. Einer von ihnen hatte es gewagt, die Uniformierten scherzhaft als gehirnlose Ameisen zu bezeichnen. Es war gelacht worden. Erst nach einer Weile hatte man verdutzt festgestellt, dass im Zuge der Verrichtung auch der Paravant geliefert worden war. Unauffällig stand er in der hinteren Ecke des Saals.

Die Verlorene Form - wie zwölf dänische Königspferde zu einem Guss wurden

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