Читать книгу Li - Isabella Maria Kern - Страница 14

Der „ungläubliche“ Peter

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Peter saß auf seiner Couch. Der Fernseher lief wie immer, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Er starrte durch das Bild hindurch. Plötzlich hatte er das Gefühl, als würde er keine Luft mehr bekommen. Er sprang von der Couch auf und öffnete hektisch das Fenster. Peter beugte sich ein wenig hinaus und sog die wohltuende Abendluft ein. Die Frische dieser Jahreszeit mischte sich mit den Abgasen der vorbeifahrenden Autos und es erinnerte ihn an die Spaziergänge, die er als Kind mit seinem Vater gemacht hatte. Er liebte die Frühlingsluft. Es waren schöne Erinnerungen. Er beruhigte sich allmählich und atmete langsam ein und aus. Besorgt dachte er an den nächsten Tag. Er war Journalist. Wenn jemand diese Geschichte aufgriff, war es um seinen Ruf geschehen. Nun fühlte er sich als „Gejagter“, als Opfer. So mussten sich die Leute fühlen, die er sonst immer versuchte in gewissen Situationen zu erwischen, um eine gute Geschichte zu liefern. Jetzt spürte er selbst, wie es sich anfühlte und er fühlte sich miserabel. Peter lehnte sich mit der Stirn an das kühle Fensterglas, wohl wissend, dass er einen hässlichen Fettfleck auf der polierten Scheibe hinterließ, und schloss die Augen.

„Geht wieder besser?“ hörte er ganz deutlich eine Stimme. Erschrocken riss Peter die Augen auf. Er sah sich um. Wie war jemand in seine Wohnung gekommen? Hatte er nicht abgesperrt? Natürlich fiel ihm auf, dass er seit zwei Tagen nichts mehr so machte, wie in seinem bisherigen Leben: Er ließ die Zahnpastatube offen, vergaß abzusperren, richtete den Fußabstreifer nicht gerade, ließ den Kaffeefilter in der Maschine und machte sein Bett nicht. Heute vergaß er sogar seine Schuhe zu putzen. Es konnte doch nicht alles auf einmal anders sein? Was war mit seinem geordneten Leben? Peter ging zur Tür.

„Geht dir gut?“, hörte er abermals ganz deutlich diese feine Frauenstimme. Peter kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Das bildete er sich bestimmt nur ein. Er öffnete erneut die Augen. Das war doch Lis Stimme! Fing er jetzt an zu halluzinieren? Sein Herz klopfte wild. Was hatte das zu bedeuten? Er hörte sie lachen.

Das WAR Li!

Sein Puls ging schneller als je zuvor in seinem Leben. Er ging eilig von der Küche ins Bad und wieder ins Wohnzimmer. Er wollte wissen, ob jemand in der Wohnung war. Doch alle Räume waren leer. Er ließ sich auf die Couch fallen und hielt die Hände vors Gesicht. Jetzt war es soweit! Er war ein Fall für die Psychiatrie. „Warum du nicht glauben, was du hörst?“, fragte die Stimme wieder. Es war ganz deutlich, so als stünde jemand direkt hinter ihm. Abrupt drehte er sich um. Panik ergriff ihn. Sollte er einen Arzt rufen?

„Wo bist du?“, rief er und seine Stimme überschlug sich schrill.

„Ich bin bei dir. Immer“, antwortete die Stimme.

„Li?“, fragte er zaghaft und suchte mit den Augen das Zimmer ab.

„Ja.“ Sie lachte leise. Er raufte sich die Haare. Dann zwickte er sich in den Arm. Gut, das schmerzte. Aber er wollte sicher gehen. Am Tisch lag ein Küchenmesser. Peter biss die Zähne zusammen und tat einen kleinen Schnitt in den linken Zeigefinger. Das Blut fing sofort an zu fließen. Schnell steckte er den blutenden, schmerzenden Finger in den Mund. Offensichtlich schlief er nicht. Es war kein Traum. Li lachte wieder: „Warum tust du das?“ Peter nahm den Finger aus dem Mund, um eine Gegenfrage zu machen.

„Träume ich wirklich nicht?“, fragte er und sah in die Richtung aus der die Stimme kam. Sofort tropfte das Blut auf seine Jeans. Er steckte ihn wieder in den Mund. Der süßliche, vertraute Geschmack beruhigte ihn irgendwie.

„Nein. Du nicht träumst!“, ihr schallendes Lachen war das eines Kindes.

„Warum bist du hier?“, nuschelte er und ließ diesmal den Finger im Mund.

„Du mich versprochen zu helfen, weißt du noch?“, sagte sie.

„Klar, das wollte ich auch, aber du hast nicht darauf gewartet.“ Li sagte nichts. Peters Herz schlug noch immer schnell. Er konnte es nicht fassen, dass er auf seiner Couch saß, den blutenden Finger im Mund, und mit einer Stimme sprach, die es eigentlich nicht geben durfte. Es machte ihn nervös. Auf der anderen Seite spürte er aber keine Angst.

„Wo bist du?“, fragte er sie noch einmal und sah sich um.

„Kannst du mich nicht sehen?“, fragte Li erstaunt.

„Nein.“ Er sah in die Richtung, aus der er meinte, die Stimme zu hören.

„Ich bin direkter Nachbar von Fernseher“, erklärte sie. Peter musste lachen. Er fand ihr Deutsch komisch.

„Du meinst, du stehst neben dem Fernseher“, verbesserte er sie. „Ja“, lachte sie fröhlich.

„Aber warum kann ich dich hören, und nicht sehen?“, wollte Peter wissen.

„Weiß nicht. Vielleicht du nicht wirklich an mich glaubst?“, antwortete Li. Peter dachte nach. Es war abnormal. Er sprach in die Richtung des Fernsehers mit einer Stimme, die von einer Toten kam. So etwas gab es nur in schlechten Filmen. Wahrscheinlich träumte er so intensiv, dass er meinte, es wäre Wirklichkeit. Er hatte schließlich auch schon einmal geträumt, dass seine Schwester bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Er war damals ganz sicher gewesen, dass das tatsächlich passiert war.

„Li, hör auf damit! Es gibt dich nicht!“, sagte er energisch. Er hörte nichts mehr. Gut. Der Spuk war vorbei. Er versuchte es noch einmal. „Li?“ Keine Antwort. Grinsend und kopfschüttelnd ging er in die Küche und machte sich einen Kaffee. Als er den ersten Schluck getrunken hatte, schaute er verärgert die Tasse an. Wie konnte er nur am Abend einen Kaffee trinken! Dann konnte er wieder nicht einschlafen. Er stellte die Tasse in das Spülbecken und ließ sie stehen. Am nächsten Morgen würde sich ein dicker Kaffeerand gebildet haben, den man nur mit Schrubben wieder wegbrachte. Er blieb stehen und überlegte, ob er die Tasse gleich abwaschen sollte. Dann wurde ihm klar, dass er über so etwas nie nachgedacht hatte. Immer hatte er sofort abgewaschen, weil er eingetrocknete Speisereste und dergleichen mehr hasste, als den unsympathischen, dicken Kontrolleur in der U-Bahn, der ihn schon zweimal gestraft hatte. Aber dann ging er weiter ins Wohnzimmer. Es war nicht wichtig. Es war egal.

Die Stimme ging ihm nicht aus dem Kopf. Peter hatte schon einmal ein Buch gelesen, das von übernatürlichen Wesen und dergleichen handelte. Aber er tat es als Humbug ab. Auch mit seiner Schwester ging er nicht konform, die an Wiedergeburt glaubte. Karma. Bah! Engel? Ja, natürlich! Haha! Peter musste laut lachen. Alles Blödsinn! Für weniger intelligente Menschen konnte solches Gedankengut schon hilfreich sein, um ihr mieses Leben etwas aufzupeppen, aber wenn man ein wenig Grips im Hirn hatte, dann sollte man sich nicht unnötig verunsichern lassen. Peter machte sich schwerfällig auf den Weg ins Badezimmer. Er schwor sich, diesen Vorfall keinem Menschen gegenüber zu erwähnen, um sich nicht lächerlich zu machen. Es war alles ein wenig viel für ihn gewesen in den letzten zwei Tagen. Und das mit Li war eine blöde Geschichte. Es belastete ihn.

Die Zahnpastatube lag offen neben dem Wasserhahn. Den Stöpsel konnte er nirgends finden. Seltsam? Der war doch in der Früh noch da gewesen.

„Schau unter Handtuch“, flüsterte jemand über seinem Kopf.

Peter erschrak dermaßen, dass ihm die Zahnbürste aus der Hand flog und in der Badewanne, die gleich neben dem Waschbecken war, landete. Das konnte doch nicht wahr sein! Das mit dem Spuk war doch erledigt! Nein, er wollte das nicht! Er glaubte nicht an solche Sachen. Resigniert setzte er sich auf den Badewannenrand, hob langsam den Kopf und suchte den Plafond nach irgendwelchen „Wesen“ ab. Nichts! Er starrte auf das Handtuch, das unordentlich neben dem Waschbecken lag, so, wie er es am Morgen hingelegt hatte. Langsam hob er einen Zipfel des Handtuches hoch. Tatsächlich! Darunter lag der Stöpsel.

„Zufall! Wo sollte er denn sonst sein“, murmelte Peter ärgerlich. Li lachte.

„Du ungläublicher Thomas!“, kicherte sie.

„Das heißt UNGLÄUBIGER, nicht ungläublicher!“, meckerte Peter ärgerlich. Schweigen. Jetzt redete er schon mit sich selbst!

„Du redest nicht mit selber. Redest mit Li!“, erklärte sie in heiterem Tonfall. Peter sah wieder nach oben.

„Kannst du Gedanken lesen?“, fragte er die weiße Holzdecke.

„Ja“, war die knappe Antwort. Peter drehte den Stöpsel nachdenklich zwischen seinen Fingern. Er wusste nicht, was er von der ganzen Sache halten sollte.

„Warum bist du hier?“, fragte er plötzlich.

„Du gesagt, dass du mir helfen!“, Lis Stimme klang trotzig.

„Aber wie soll ich dir helfen? Du bist doch schon tot!“

Er stand auf, den Blick noch immer nach oben gerichtet. Keine Antwort. Er wartete eine Weile. Doch nichts.

„Wo bist du?“, fragte er in die Stille.

„Hier!“ Die Stimme kam nun von der Tür.

„Komm!“, sagte sie und er spürte einen leichten Lufthauch. Peter verließ das Badezimmer. Der Fernseher lief im Wohnzimmer. Er hatte ihn doch ausgeschaltet, bevor er ins Badezimmer ging. Doch plötzlich horchte er auf.

„ … gestern Abend verübte vermutlich eine der Prostituierten Selbstmord. Sie war minderjährig. Die Polizei ermittelt noch in diesem Fall. Es wurde ein Abschiedsbrief gefunden, der von der Staatsanwaltschaft überprüft wird. Die Prostituierte war illegal in Österreich eingereist und hatte auch keine Genehmigung. Es wird wieder schärfere Kontrollen in diesem Milieu geben, meint Polizeisprecher Heinz S…. Und nun: zum Wetter…“

Der Fernseher wurde wieder wie durch Zauberhand ausgeschaltet. „Wie machst du das?“, fragte er die Couch.

„Hier bin ich“, lachte Li. Die Stimme kam vom Fenster.

„Ich weiß nicht. Einfach so.“ Peter setzte sich. Er dachte nach.

„Was erwartest du von mir?“, fragte er das Fenster.

„Ich weiß nicht. Ich muss einfach hier sein.“ Sie klang glaubwürdig. Peter wollte eigentlich ins Bett gehen. Er war sehr müde. Doch irgendwie hatte er keine Lust, einzuschlafen, wo er wusste, ein „Geist“ oder was auch immer war in der Nähe.

„Ich tu dir nichts. Warum du hast Angst?“, fragte Li sanft. Peter fühlte sich ertappt.

„Ich habe keine Angst vor dir, aber es ist ein seltsames Gefühl, weil ich weiß, dass du da bist, und du aber nicht da bist. Warum kann ich dich hören, aber nicht sehen?“ Es war still. Peter wartete.

„Das weiß ich auch nicht“, sagte Li.

„Gut, ich werde jetzt ins Bett gehen. Tust du mir den Gefallen und bleibst im Wohnzimmer, dann fühle ich mich wohler.“ Li kicherte.

„Angstkaninchen!“

„Das heißt Angsthase!“, verbesserte er sie. Er fand es irgendwie witzig, aber schräg! Einfach abgefahren! Peter wälzte sich im Bett hin und her. Vielleicht sollte er einen Arzt aufsuchen. Einen Psychiater. Es war wahrscheinlich alles zu viel für ihn gewesen. Er bildete sich die Stimme doch bestimmt nur ein. Was war sie denn?

Ein Geist?

Ein Engel?

Ein Gespenst?

Was war nun eigentlich der Unterschied zwischen Geist und Gespenst überlegte Peter und gab sich gleich selbst die Antwort. Ein Gespenst spukte und war gemein. Ein Geist konnte die Welt erst verlassen, wenn er eine bestimmte Aufgabe erledigt hatte, oder so ähnlich. Aber er kannte niemanden, der je mit einem Geist gesprochen hatte. Oder doch? Hätte man es ihm erzählt? Mit dem Risiko, dass er denjenigen doch nur ausgelacht und verhöhnt hätte. Niemals! Er hätte denjenigen fertig gemacht, ganz bestimmt, ohne Gnade! Vielleicht hat jeder außer ihm schon einmal mit einem Geist gesprochen? Und er war der Letzte, dem dieses Erlebnis zuteilwurde. Nur weil er ein UNGLÄUBLICHER war???

Peter musste schmunzeln. Er sah sich im Zimmer um. Die Nachttischlampe wollte er in dieser Nacht nicht ausschalten. Irgendwie war ihm doch unheimlich zumute. Obwohl? Ein Geist konnte einem nichts antun. Das war rein physikalisch nicht möglich. Oder doch? Sie hatte auch den Fernseher ein- und ausschalten können. Wie machte sie das nur? Irgendwann schlief Peter ein. Die Nachttischlampe brannte auch noch, als der Wecker ihn zum Ausstehen zwang.

Li

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