Читать книгу Li - Isabella Maria Kern - Страница 17

Die Flucht

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Peter saß an seinem Schreibtisch. Vor ihm lag ein weißes Blatt Papier. Er hatte den Kopf in beide Hände gestützt und konnte nicht denken. Was erwartete man von ihm? Was wollte sein Chef? Er sollte die Story schreiben! Da musste er zuerst recherchieren. Wie sollte sein Chef denn wissen, dass er schon alles wusste? Peter nahm seine Jacke vom Kleiderhaken und schloss die Bürotür hinter sich. Draußen begegnete er ausgerechnet seinem Chef. Er konnte ihm nicht in die Augen sehen.

„Hallo Peter. Bist du schon dabei? Eine verlässliche Quelle hat mir eben mitgeteilt, dass dein Schwager in diesem Fall involviert ist. Hefte dich ihm gleich an die Fersen. Ich weiß zwar, dass du nicht gerade so auf deine Familie stehst, aber…“, er grinste breit und klopfte ihm dabei freundschaftlich auf die Schulter, „der Zweck heiligt die Mittel!“ Peter empfand in diesem Augenblick nur Abscheu für diesen Menschen, dessen Lebensinhalt es war, mit anderen Menschen und deren Gefühlen zu spielen. So hatte er sein Leben lang Geld verdient, und zwar nicht wenig. Und er? Er selbst war auch nicht besser! Peter wollte raus. Er hielt es in diesen Räumen nicht mehr aus. Im Hinausgehen versuchte er ein tapferes Lächeln.

„Alles klar, Chef!“, und draußen war er. Auf der Straße atmete er kräftig durch.

„Was hast du vor?“, fragte eine leise Stimme neben ihm. Peter fuhr herum. Ihm blieb wohl nichts erspart! Er dachte der Spuk wäre vorbei. Resignierend sagte er, während er die Augen verdrehte:

„Hi, Li.“

„Hi!“, sie lachte.

„Du hast geglaubt, ich weg bin?“

„Ja, Li.“ Peter ging ein paar Schritte, dann blieb er wieder stehen.

„Li, ich glaube ich brauche deine Hilfe. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“

Er wartete. Auf dem Gehsteig kam ihm ein Pärchen entgegen. Erst als sie an ihm vorbei gegangen waren, fragte er weiter:

„Können dich andere Menschen auch hören?“

Li kicherte: „Nein!“

„Und was ist daran so witzig?“, Peter war ein wenig ärgerlich.

„Du bist sehr, sehr nervös“, antwortete sie ernst.

„Ich weiß, dass ich sehr nervös bin“, sagte er in gedämpften Ton, denn eine alte Frau sah ihn etwas merkwürdig an, während sie an ihm vorüberging. Es war jetzt gegen elf Uhr vormittags und Peter stand noch immer einige Meter von seinem Bürogebäude entfernt und hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Da läutete plötzlich sein Handy. Klara!

„Hallo, Brüderchen. Ich habe eine Überraschung für dich!“ Peter stand zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht auf Überraschungen. Ungeduldig fauchte er ins Telefon:

„Klara. Sag mir, was es ist. Ich bin nicht für Spielchen aufgelegt!“

„Entschuldigung. Du hast eine Laune!“, sagte sie beleidigt.

„Wundert es dich? Jetzt hat mir mein Chef auch noch die Story über den Selbstmord aufgehalst. ICH soll sie schreiben. Keine Ahnung, wie er ausgerechnet auf mich kommt. Er wird doch nichts ahnen, oder?“

„Das ist sicher eine Herausforderung für dich. Willst du es verheimlichen? Wird schwierig werden“, sagte sie nachdenklich.

„Danke.“ Peter wurde übel.

„Aber ich rufe nicht deswegen an.“ Sie schwieg wieder. Peter war sehr ungeduldig, doch er versuchte ruhig zu bleiben.

„Sondern?“ Klara holte Luft.

„Ich habe den Brief von Li. Die Staatsanwaltschaft hat ihn schon geprüft und sie haben ihn an Theo ausgehändigt. Er hat in deinem Namen unterschrieben. Du kannst ihn dir bei uns abholen. Kommst du am Abend vorbei?“ Peter war jetzt aufgeregt.

„Warum erst am Abend? Kann ich ihn mir nicht gleich holen?“ Klara überlegte.

„Ich habe um vierzehn Uhr noch einen Termin, den ich auf keinen Fall absagen kann, aber um sechzehn Uhr können wir uns in der Stadt treffen. Im Cafe Central, ja?“

„Ich werde dort sein“, sagte er. Klara wartete noch einen Augenblick und sie wartete nicht umsonst.

„Danke, Klara. Danke für alles.“ Sie wusste, dass er es ernst meinte. Als er sein Handy wieder eingesteckt hatte, meldete sich die Stimme wieder, die er für einen Moment völlig vergessen hatte.

„Brief von Li?“, kicherte sie.

„Ja.“ Peter ging in Richtung U-Bahn. Aber er hatte keine Ahnung, wohin er wollte. Dann blieb er wieder stehen.

„Li. Du kannst mir auch erzählen, was du geschrieben hast. Dann brauche ich nicht darauf zu warten.“

„Lese Brief!“, befahl sie.

„Warum?“

Wieder ging ein Passant an ihm vorbei und warf ihm einen fragenden Blick zu. Peter beschloss etwas vorsichtiger zu sein.

„Li kann sich nicht erinnern.“

„Was? Wirklich?“ Er wartete auf Antwort. Doch sie kam nicht. „Kannst du dich nicht an das erinnern, was geschehen ist?“, fragte er sie. „Nicht an alles. Brief ist schön. Musst du selbst lesen.“ Gut. Peter wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihr zu diskutieren. Plötzlich fühlte er eine große Angst in sich. Das Gefühl ging ihm bis unter die Haut.

„Li. Was ist das?“, fragte er instinktiv.

„Wir müssen zu Beatrice,“ sagte Li und ihre Stimme klang besorgt. Peter begann zu laufen. Er musste drei Stationen mit der U-Bahn fahren und stand nach zwanzig Minuten auf der gegenüberliegenden Straßenseite des „La Nuit“.

„Was soll ich hier, Li?“, fragte er besorgt. Li gab ihm keine Antwort. Panik machte sich in ihm breit.

„LI!“, rief er laut.

„Wieso du so schreist? Leute schauen schon“, flüsterte Li. Peter schloss die Augen.

„Warum erschreckst du mich derart? Ich dachte schon, du wärst nicht hier“, schimpfte er.

„Du mich vermisst?“, scherzte Li. Peter merkte, dass er sich bereits an ihre Anwesenheit gewohnt hatte. „Ich dich nicht verlassen“, setzte sie hinzu.

„Gut!“, war alles, was er sagen konnte.

Auf der anderen Straßenseite ging die Tür auf. Erwin erschien mit einem Aktenkoffer. Nervös blickte er nach rechts und dann nach links, ehe er die Tür hinter sich zuschlug und eilig zu einem Auto ging, den Aktenkoffer achtlos auf den Rücksitz schleuderte und schnell davonfuhr. Peter sah dem Auto nach und versuchte noch schnell das Kennzeichen zu entziffern, das er sich auf einem kleinen Zettel, den er zusammengeknüllt in seiner Jackentasche fand, notierte.

„Li. Können wir hineingehen?“, wollte er wissen.

Er musste ein wenig schmunzeln, weil er „wir“ gesagt hatte. Aber ihm fiel auch nichts anderes zu ihrer gemeinsamen Situation ein. Vorsichtig um sich blickend ging er zu der großen Tür mit den goldenen Türgriffen. Er läutete bei der Glocke und lauschte. Als auch nach einem weiteren Läuten niemand öffnete, ging er an das am nächstliegenden Fenster und starrte erfolglos durch das rote Milchglas. Er ging noch zwei Fenster weiter nach rechts. Dort musste eigentlich die Bar sein. Er klopfte. Zuerst zart, dann etwas fester. Doch auch da rührte sich nichts. Er klopfte noch einmal. Diesmal rief er „Beatrice! Ich bin es, Peter!“

Da meinte er im Inneren einen Schatten huschen zu sehen, klopfte wieder und rief ihren Namen. Drinnen rannte Beatrice bereits zur Tür und machte sie vorsichtig auf.

„Peter. Hier!“, sie fuchtelte aufgeregt mit den Händen. Er hatte sie bereits bemerkt und lief zur Tür.

„Erwin war hier! Peter, ich muss verschwinden. Es ist nur eine Frage der Zeit bis Mario hier auftaucht. Ich habe Angst.“ Peter nickte.

„Ich habe den Dicken hinauslaufen gesehen. Hat er dich bemerkt?“ Beatrice schüttelte den Kopf, während sie die Arme vor ihrer Brust verschränkt hielt und unaufhörlich mit den Händen ihre Oberarme rieb, wie um sich warm zu halten.

„Ich habe mich versteckt. Gott sei Dank hat er mich nicht gefunden, aber er hat nach mir gesucht. Er war fuchsteufelswild, weil alle Mädchen weg sind. Sie haben gestern Abend alles aus Marios Büro mitgenommen, was sie zu Geld machen können. Ich muss hier weg!“ Beatrice blickte verstört um sich.

„Wo willst du hin?“, fragte sie Peter. Ihr Blick blieb auf ihm kleben. Ihre Augen sahen ihn weit aufgerissen an.

„Ich weiß es nicht“, sie zuckte die Achseln. Mutlos ließ sie sie wieder sinken. Peter überlegte einen kurzen Augenblick.

„Du kommst mit mir. Ich werde dich für eine Weile verstecken, bis wir eine andere Lösung finden.“

„Würdest du das wirklich für mich tun?“, Beatrice sah ihn verwirrt an. Peter nickte. Er sah sich ängstlich um. Er hatte keine Ahnung, warum er das tat. Man würde ihn dafür vielleicht sogar töten … Es musste schnell etwas geschehen. Beatrice schien nicht dazu fähig zu sein.

„Komm“, er nahm sie bei der Hand und zog sie die Treppen hinauf.

„Wo ist dein Zimmer? Pack ein paar Sachen. Wir müssen so schnell wie möglich weg hier.“ Sie wühlte in ihren Sachen, während Peter nervös zur Tür sah.

„Ich habe nicht einmal einen Koffer. Wo soll ich alles hingeben“, fragte sie mutlos. Peter sah sich kurz um und lief zum Bett. Er warf das Bettzeug zu Boden und nahm das Leintuch vom Bett. „Mach schon. Gib alles hier hinein“, sagte er und bemühte sich, nicht ungeduldig zu wirken. Beatrice verstand. In Windeseile hatte sie ihre Jeans und den Rollkragenpullover angezogen. Ein Paar Lieblingsschuhe und zwei Handtaschen legte sie auf das Leintuch. Dann warf sie zwei Röcke und ein paar Tops auf den Haufen und nahm ein Negligé in die Hand, was sie aber angeekelt wieder in den Kasten zurückschleuderte. Sie riss die Schubladen heraus und gab noch ein paar Sachen, die ihr wichtig erschienen in das Leintuch, ehe es Peter zusammenschnürte und sich das Bündel über die Schulter warf.

„Hast du nichts vergessen? Dokumente?“

Beatrice schüttelte den Kopf. Eilig liefen sie wieder die Treppen hinunter. Ein Wagen hielt mit quietschenden Reifen vor dem Haus und nachdem zwei Autotüren zuknallten, hörten sie aufgeregte Männerstimmen näherkommen. Peter hielt den Finger an die Lippen und zog Beatrice zu sich hinter den großen roten Samtvorhang, der direkt neben dem Eingang vor der Garderobe hing. Die Tür ging auf und Mario stürmte herein.

„Beatrice!“, brüllte er und Beatrice erschauderte beim Ertönen seiner Stimme. Peter hielt sie am Oberarm fest und sah sie ermahnend an. Hinter ihm lief Erwin schwer schnaubend herein.

„Du suchst im Erdgeschoß. Ich schau oben nach. Irgendwo muss dieses Luder ja sein. Sie kann sich nicht in Luft aufgelöst haben. Und sie hat viel zu viel Schiss davor, dass sie das Haus verlässt. Dafür habe ich schon gesorgt.“

Mario lief die Treppe hoch und Erwin eilte schwer atmend in Richtung Bar. Es blieben Beatrice und Peter nur ein paar Sekunden, um hinter dem Vorhang hervorzukommen und durch die noch offene Haustüre zu verschwinden. Sie liefen so schnell sie ihre Beine trugen. Hinter der nächsten Hausecke blieben sie kurz stehen. Panisch sah sich Peter um. Bis zur U-Bahnstation war es zu weit. Falls die beiden Männer die Gegend mit dem Auto abzusuchen begannen, würden sie sie sicher entdecken. Peter versuchte die Eingangstüre zu einem Wohnhaus zu öffnen und zu seinem Erstaunen gab diese auch nach. Schnell schlüpften sie in das kühle Treppenhaus. Beatrice ließ sich auf eine Stufe sinken und begann zu weinen. Es war einfach zu viel für sie. Peter griff nach seinem Handy und rief ein Taxi. Die Hausnummer hatte er sich gemerkt, bevor sie eintraten. Zehn Minuten später saßen sie im Taxi auf dem Weg zu seiner Wohnung. Niemand sagte ein Wort. Nicht einmal Li. Peter war froh. Er wollte nichts hören. Er schielte zu Beatrice. Was hatte er sich da eingebrockt? Andererseits hätte er sie unmöglich zurücklassen können. Peter beschloss, dass Beatrice vorübergehend sein Schlafzimmer beziehen sollte, da er ohnehin beinahe jede Nacht vor dem Fernseher einschlief. Er machte Platz für ihre Sachen und zeigte ihr die frischen Handtücher. Während sie eine Dusche nahm, die sie als sehr beruhigend empfand, machte er einen starken Kaffee. In der Spüle stand noch die halbvolle Kaffeetasse vom Vorabend. Und tatsächlich hatte sich ein dicker Rand gebildet, den er nun wegschrubben musste. Doch es war ihm egal.

„Danke!“, flüsterte ihm jemand ins Ohr.

„Oh, Li! Dich habe ich fast vergessen“, sprudelte es aus ihm hervor.

„Wirklich?“, sie klang beleidigt.

„Nein! Wie könnte ich!“, lachte Peter belustigt. Li freute sich. Sie hatte ihn noch nie lachen gehört.

„Danke, dass du hast geholfen. Sie ist meine Freundin“, erklärte sie in wichtigem Ton.

„Na toll! Nette Freunde. Ich hoffe, ich geh nicht drauf, mit euch!“

Beatrice kam aus dem Badezimmer. Sie blickte schüchtern nach links und rechts.

„Wer ist da?“, fragte sie ängstlich.

„Niemand. Ich rede oft mit mir selbst. Ist eine dumme Angewohnheit“, meinte er achselzuckend und freute sich, dass ihm sofort eine Erklärung eingefallen war. Sie tranken schweigend Kaffee. Um sechzehn Uhr war Peter mit seiner Schwester verabredet. Er hatte noch etwas Zeit.

„Ich werde dir ein paar Klamotten von meiner Schwester mitnehmen, wenn du willst“, meinte er. Beatrice nickte dankbar.

„Warum machst du das für mich?“, fragte sie nach einer Weile und sah ihn forschend an. Ihr Blick war Peter unangenehm, denn er konnte ihn nicht deuten. Er kannte diese Frau gar nicht und er wusste selbst nicht, warum er so selbstlos handelte. Es war nicht seine Art und es war auch nicht wirklich sein Wille. Er war da in etwas hineingerutscht, das sich seiner Kontrolle entzog. Er hatte das Gefühl, jetzt nicht mehr zurück zu können. Wohin ihn das führte, wusste er noch nicht. Also antwortete er ehrlich: „Ich weiß es nicht.“

„Soll ich wieder gehen?“ Sie sah ihn aufrichtig und tapfer an.

„Nein“, meinte er ungeduldig. Nun war sie hier und er würde eine Lösung suchen und finden.

Li

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