Читать книгу Thanats Welten 1 - Tauros - J. Reiph - Страница 15

Оглавление

Der 18. Geburtstag

System: 1654-Z65-7559-MM08-2884

Interner Systemname: Tauros

Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 36. Woche

Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)

Es ist echt interessant, wie sehr meine beiden Boni und meine Freundschaft mit Thanat meinen Status an der Schule geändert haben. Von den Staatlichen sieht mich niemand mehr schräg an. Das Anfassen oder Rempeln hat ganz aufgehört. Selbst Aftan macht nun einen Riesenbogen um mich. Traurig bin deswegen nicht. Okay, wenn ein Zwei-Meter-Riese neben einem steht, dann wirkt das schon einschüchternd. Nur die Privaten scheinen mich mehr und mehr zu hassen. Die ersten Prüfungen haben wir hinter uns. Ich habe überall die höchste Punktzahl. Aber auch die Lehrer sprechen uns immer wieder an. Sie suchen förmlich das Gespräch mit uns. Wenn es scheinbar keine Lösung gibt, fasst Thanat meine Hand und das inzwischen lieb gewonnene Zwicken lässt uns einen Weg finden.

Richtig Spaß bereitet es mir, die Informationsinseln, die ich von Thanat bekomme, zu verknüpfen. Täglich steigt mein Verständnis für biologische, chemische, physikalische, ach, alle Zusammenhänge. Auch im Kampfsport besiege ich meinen Trainer in jedem Übungskampf. Nur Thanat ringe ich nie auf die Matte.

Meine Eltern lieben Thanat inzwischen wie einen Sohn. Zu erleben, wie nur eine Person es schafft, die einzige Tochter aus dem seelischen Tief zu holen, hat alle eventuell noch vorhandenen Bedenken weggespült.

Auch wenn ich in der Schule jetzt in Ruhe gelassen werde, Dani ist und bleibt meine einzige Freundin. Und mein Status mit Thanat? Schwierige Frage. Wir lachen viel, berühren uns, sind dicke Freunde. Wir vertrauen uns voll. Hängen ständig zusammen ab. Er macht mir Komplimente. Ist immer höflich und aufmerksam. Wir halten die Hände, auch ohne Zwicken. In seiner Nähe kann ich mich fallen lassen. Aber geküsst haben wir uns noch nie. Wenn er sich unbeobachtet fühlt, sieht er mich an. Dann erkenne ich in seinen Augen einen Ausdruck der Einsamkeit, den ich nicht deuten kann. Zu gerne möchte ich ihn umarmen, ihm diese Einsamkeit nehmen. Ich traue mich nicht.

Heute ist mein Geburtstag. Freundlicherweise ist heute der Achte. Morgen und übermorgen ist Wochenende. Und die nächste Woche ist unterrichtsfrei. Wir haben Projektwoche und sollen eigenständig Aufgaben bearbeiten.

Für den Nachmittag haben wir Dani und Thanat eingeladen. Zusammen mit meinen Eltern wollen wir feiern. Meine Mutter backt die besten Obstkuchen der Welt. Das ist empirisch bewiesen durch eine achtzehnjährige Testphase. Völlig subjektiv zwar, aber es stimmt.

Es klingelt an der Tür. Unsere Gäste sind eingetroffen. Dani springt mich förmlich an. Sie schlingt ihre Arme um meinen Hals. Nach mehreren Küsschen gratuliert sie mir zum Geburtstag. Dann steht Thanat vor mir. Einen Moment sieht er mich an. Sanft nimmt er mich in den Arm. „Alles Gute zum Geburtstag, Eyra. Ich wünsche dir von ganzem Herzen ein glückliches und erfolgreiches Jahr.“ Länger als nötig und deutlich länger als gesellschaftlich angebracht halten wir uns fest.

Dani, wie immer vollkommen dezent und zurückhaltend, räuspert sich. „Nehmt euch ein Zimmer oder hört auf. Ich will endlich mein Geschenk loswerden.“

Schade, dass Thanat so höflich ist. Denn kaum hat Dani geendet, lässt er mich los.

Dani grinst ihn ohne Reue an. Dann drückt sie mir ein bunt verpacktes Päckchen in die Hand.

Erwartungsvoll bedeutet sie mir, dass ich es öffnen soll. Vorsichtig entferne ich das bunte Papier. In der Schachtel befindet sich ein Armband. Dani hat es eindeutig selbst gemacht. Ihre Handschrift ist unverkennbar. Aufgereiht sind Modelle aller Planeten unseres Sonnensystems. Sie hat die Planeten aus Stein gearbeitet und aufgezogen. Jeden Planeten hat sie in einer anderen Farbe gewählt. Es ist fantastisch.

„Danke, Dani, das ist wundervoll.“ Ich drücke sie fest an mich.

Danis Augen strahlen. Sie ist so ein guter Mensch. Anderen eine Freude zu machen, ist ihr höchstes Glück. Neben der Kunst.

Als ich mich von ihr gelöst habe, räuspert sich Thanat. Er wirkt fast verlegen, als er sein Päckchen in der Hand dreht.

„Dani hat mit ihrem Geschenk die Messlatte ganz schön hoch gelegt. Das ist nicht zu toppen.“ Mit diesen Worten überreicht er mir sein Geschenk. Dabei hat er mir in den letzten Wochen so viele Geschenke gemacht, dass ich es nicht mehr zählen kann. Jedes Mehr an Wissen. Jede ruhige Stunde in der Schule. Jeder angstfreie Weg. Meine gesunden Eltern. Mein Leben.

Einen Moment sehe ich ihn an. Endlich reiße ich mich von seinem Anblick los und nehme sein Geschenk entgegen.

Es ist geschmackvoll in silbernes Papier eingepackt. Gespannt packe ich es aus. In der Hand halte ich eine schmale Schatulle. Auf schwarzem Samt liegt ein goldener Anhänger mit einem verschnörkelten eingravierten Schriftzug „Eyra“. An dem Anhänger ist ein Transponder befestigt. Auf dem Transponder ist das Zeichen der Firma Pirch zu sehen. Meine Augen werden riesig groß. Das ist der Transponder zu einem Galaxis.

Als ich aufsehe lachen seine Augen.

„Das ist der Zweitschlüssel zu meinem Wagen. Du kannst ihn dir jederzeit ausleihen.“

Ich bin sprachlos. Er vertraut mir diesen sündhaft teuren Wagen an. Dieser Beweis seines Vertrauens wärmt mich ganz tief innen drin. Mit einem langen Schritt bin ich bei ihm. Meine Arme legen sich um seinen Hals. „Vielen, vielen Dank.“, flüstere ich in sein Ohr.

Nachdem ich mich wieder gefasst habe, setzen wir uns an den Kahfetisch. Der Kuchen ist göttlich, wusste ich es doch! Gemeinsam lachen wir, scherzen mit- und übereinander. Natürlich dürfen Anekdoten aus meiner tollpatschigen Kindheit nicht fehlen. Sehr zur Erheiterung von Dani und Thanat. Danke, liebe Eltern, auf euch ist doch immer Verlass.

Wir sind gerade richtig ausgelassen, als es an der Tür klingelt. Erstaunt sehen wir uns an. Weitere Gäste erwarten wir nicht.

Mein Vater geht zur Tür und öffnet sie. Es stehen drei Männer davor. Einer ist vom Typ schmieriger Anwalt, die beiden anderen sind eher Rauswerfer. Der Anwaltstyp hat eine Tasche in der Hand und verlangt Zutritt.

Alle drei betreten unser Wohnzimmer. Die Rauswerfer bleiben an der Tür stehen und verschränken die Arme vor der Brust. Sie schauen betont finster auf uns herunter. Thanat zieht ein Gerät aus der Hosentasche, tippt ein paar Zahlen ein und steckt es dann wieder weg. Ich erinnere mich. Das hatte er in der Industriebrache auch gemacht. Was ist das für ein Gerät?

Der Schmierlapp öffnet seine Tasche und holt ein paar Papiere heraus.

„Ich bin Anwalt des Konsortiums Termpolan. Sie sind Frau und Herr Dorba?“

Meine inzwischen blass gewordenen Eltern nicken.

„Gut, gut. Mit Bedauern muss ich Ihnen mitteilen, dass das Konsortium Termpolan wegen Umstrukturierungen Personal entlassen muss. Daher werden Ihre Dienste nicht mehr benötigt.“ Es klingt nicht die Spur von Bedauern aus seinem Mund.

In meinem Kopf dreht sich alles. Nur ein Gedanke kreist herum: Kurd hat es herausgefunden. Er hat doch noch einen Weg gefunden, mir und uns zu schaden.

„Da auch diese Wohnung dem Konsortium gehört, werden sie aufgefordert, sie bis zum nächsten Ersten zu verlassen.“

Meine Mutter hat Tränen in den Augen. „Das sind nur zwei Tage. Wohin sollen wir denn so schnell?“

„Das ist mir egal. Ich bin nur hier, um Ihnen die Entscheidung der Firmenleitung zu überbringen.“ Er schiebt die Papiere zu meinen Eltern. „Hier sind Ihre Kündigungsschreiben, sowie die Kündigung der Wohnung. Vorsorglich mache ich Sie darauf aufmerksam, dass wir Sie gewaltsam vor die Tür setzen werden, wenn Sie am Ersten die Wohnung nicht geräumt haben.“

Die Schläger grinsen dreckig. Dani will aufspringen, aber Thanat hält sie mit einem warnenden Blick und einem leichten Kopfschütteln zurück.

Die Unterlippe meines Vaters zittert, als er zu einer Entgegnung ansetzt. Der Anwalt kommt ihm zuvor.

Er sieht mich an. „Ach ja, deine Schulkarriere ist auch vorbei. Ohne Arbeit werden deine Eltern das Schulgeld nicht mehr aufbringen können. Wenn du willst, finde ich bestimmt eine Aufgabe im Haushalt der Familie Termpolan für dich. Ich hörte da etwas von einem Keller.“ Schmieriges Gelächter begleitet seine Worte.

Das Gesicht meines Vaters wird zornesrot. Jeden Moment wird er sich auf den Anwalt stürzen. Die beiden Schläger verändern ihre Position, um meinen Vater anzugreifen.

In dem Moment erhebt sich Thanat zu seiner vollen - beeindruckenden - Größe. Die Schläger zucken zusammen, als sie gewahr werden, wie riesig er wirklich ist. Er legt meinem Vater die Hand auf die Schulter.

Seine Stimme ist kalt wie ein Gletschersee.

„Ihre Firma lässt sich ja schön vor den Karren des dummen Sohns spannen. Weil er es in der Schule nicht bringt, soll die Konkurrenz nun mit miesen Tricks ausgeschaltet werden?“

„Was bildest du dir ein? So redest du nicht mit mir!“ Sein Versuch gegenüber Thanat bedrohlich zu wirken, scheitert daran, dass er sich fast das Genick verrenkt, um zu ihm aufzusehen.

„Ich wusste gar nicht, dass wir per Du sind. Aber bitteschön, ist mir auch recht. Wenn du glaubst, mit deiner Scharade hier dem faulen, intriganten Sohn eures Firmenpatriarchen den Arsch zu retten, bist du so etwas von schief gewickelt.“

Mir war bisher nicht klar, welch besorgniserregende Rottöne Haut annehmen kann. Der Anwalt bringt ganz neue Erkenntnisse darüber an den Tag.

„Warten wir doch noch ein paar Minuten. Dann wirst du sehen, was für ein armseliges Würstchen Kurd ist und wie wenig ihr ausrichten könnt.“

Der Anwalt winkt die beiden Schläger zu sich. Ich lehne mich zurück. Jetzt wird es lustig.

„Schmeißt diesen Lackaffen raus. Er stört hier meine Handlung.“

Thanat betrachtet die beiden Schläger. Ganz in Ruhe. Mit einer Miene, wie man etwas unter seiner Schuhsohle betrachtet, was man dort gar nicht haben will.

Jeder der Schläger packt einen Arm von Thanat. Ihre Gesichter sind eher angespannt als zuversichtlich. Zu Recht. Augenblicke später liegen sie wimmernd auf dem Boden. Unsere Augen konnten wirklich nicht verfolgen, was er gemacht hat, so schnell waren seine Bewegungen. In dem Moment wird mir klar, dass er sich im Training mit mir immer sehr, sehr zurück nimmt.

Aus dem tiefroten Gesicht des Anwalts weicht alle Farbe. Instinktiv tritt er einen Schritt zurück, als Thanat sich zu ihm umdreht. Dani, die Thanat noch nie im Kampf sah, starrt ihn fassungslos an.

Mit seinen Blicken nagelt Thanat den Anwalt förmlich an die Wand. Der windet sich und will am liebsten raus hier. Er hat aber keine Chance. Wie ein Berg ragt Thanat über ihm auf.

Erneut schellt es an der Tür. Ohne den Anwalt aus den Augen zu lassen sagt Thanat: „Eyra, machst du bitte die Tür auf?“

Als ich aufstehe und zur Tür gehe, greift einer der Schläger nach meinem Bein. Eher wie ein Reflex als eine bewusste Gegenmaßnahme trete ich seine Hand weg.

Vor unserer Wohnung steht ein nicht mehr ganz junger Mann. Ebenfalls Typ Anwalt, aber sauber und vertrauenerweckend. Mit blitzenden Augen sieht er zu mir auf.

„Guten Tag, Frau Dorba. Kann es sein, dass sich hier ein äußerst groß gewachsener Kerl herum treibt?“ Sein Grinsen spaltet sein Gesicht.

„Äh ja, der ist hier.“

„Darf ich dann bitte eintreten? Er hat mich gerufen.“

„Natürlich. Bitte.“ Ich trete zur Seite und lasse ihn in die Wohnung.

„Vielen Dank.“

Er betritt das Wohnzimmer. Mit einem Lächeln nimmt er die Situation in sich auf.

„Hallo Thanat, diesen Anblick habe ich lange vermisst.“ Thanat grunzt nur zur Antwort.

Der Mann wendet sich an meine Eltern. Mit einer formvollendeten Verbeugung reicht er meiner Mutter die Hand. „Frau Dorba, es ist mir eine Ehre und ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.“

Meine Mutter starrt ihn nur an, bevor sie sich wenigstens ein Nicken abringt. Er lässt die Hand meiner Mutter los und begrüßt meinen Vater.

„Guten Tag, Herr Dorba. Ich freue mich, Ihnen persönlich zu begegnen.“

Verwirrt begrüßt mein Vater den Mann.

Zuletzt wendet er sich an Dani. „Entschuldigen Sie bitte, junge Dame. Aber Sie kenne ich nicht.“

„Ich bin Danaida Mesru.“

„Ah, die Künstlerin. Hoch erfreut. Ich habe schon Fotos von einigen Ihrer Arbeiten gesehen. Sie haben ein großes Talent. Gerne würde ich mich einmal mit Ihnen unterhalten. Leider geht das nicht jetzt. Darf ich mich bei Ihnen melden?“

Dani kann nur verdattert nicken.

„Gestatten Sie mir, mich vorzustellen. Mein Name ist Abert Conster. Meines Zeichens bin ich Anwalt. Mein Auftraggeber hat mich gebeten, Ihnen, Familie Dorba, ein paar Angebote zu machen. Können wir uns bitte setzen?“

Mein Vater bietet ihm einen freien Platz am Tisch an. Herr Conster öffnet seine Tasche.

„Wie ich sehe, haben Sie Probleme mit Ihrem Arbeitgeber und Vermieter. Mein Auftraggeber hat das kommen sehen und mich gebeten, geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten.“

„Welche Gegenmaßnahmen?“, lässt mein Vater sich hören.

„Nun, zuerst möchte ich Ihnen neue Arbeitsstellen anbieten. Danach eine neue Unterkunft. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass das Schulgeld für Ihre bezaubernde Tochter für das restliche Schuljahr in diesem Moment beglichen wird.“

Bezaubernd? Ich? Von welchem Planeten kommt der denn?

In dem Moment versucht einer der Schläger aufzustehen. Thanat richtet augenblicklich einen Zeigefinger auf ihn, ohne den schmierigen Anwalt aus seinem eiskalten Blick zu entlassen. Der Zeigefinger wackelt kurz zur Seite, wie eine Verneinung. Der Schläger versteht und verharrt in seiner Bewegung.

Meine Mutter hat sich aus ihrer Erstarrung gelöst. „Um welche Arbeit handelt es sich denn?“

Herr Conster lächelt sie an. „Danke, dass Sie mich fragen. Es ist so, mein Auftraggeber sucht eine Ärztin für medizinische Forschungsarbeiten. Ihr Aufgabengebiet wäre die Erforschung des Krebses. Sie hätten vollkommene Handlungsfreiheit. Außerdem stehen Ihnen modernste Bedingungen zur Verfügung. Sie wären Mitglied einer Gruppe namhafter Ärzte.“

Er dreht sich zu meinem Vater. „Ihre Aufgabe wäre die Planung neuartiger Gewächshäuser. Damit will mein Auftraggeber Kunden in aller Welt in die Lage versetzen, in klimatisch ungünstigen Regionen ausreichend gesunde Nahrungsmittel bei minimalem Platzverbrauch zu erwirtschaften. Auch Sie wären Mitglied einer Gruppe Technikmeister, die Ihnen gefallen würde.“

Forschung, das war schon immer der Wunsch meiner Eltern. Ihre Augen bekommen einen eigentümlichen Glanz.

„Sie bekämen zudem ein Haus mit Blick auf das Meer. Auch ein kleiner Garten gehört dazu.“

Der Schmierlapp sieht seine Felle davon schwimmen. Er fängt an zu zetern. Thanat knurrt ihn an. Im nächsten Moment zieht ein penetranter Uringeruch durch das Wohnzimmer. Er hat sich in die Hose gemacht!

Herr Conster sieht zu Thanat. „Meinst du nicht, mein zweifelhafter Standeskollege möchte langsam gehen. Er wirkt ein wenig unglücklich. Du weißt wohl nicht, wie unangenehm es sein kann, von dir so angesehen zu werden.“

„Pff. Aber wenn du meinst.“ Sagt es, packt den im Schritt feuchten Anwalt am Kragen und schiebt ihn zur Tür. Tür auf, Anwalt raus. Tür zu. Tür nochmal auf, Tasche hinterher. Tür ein drittes Mal auf, die Schläger schleichen wie geprügelte Hunde hinaus.

„Danke, Thanat, jetzt setz dich endlich zu uns.“ Thanat setzt sich.

„Ah, so redet es sich viel entspannter.“

Listig grinsend sieht er zu meinen Eltern. „Nachdem unser Langer endlich begriffen hat, wofür er zu gebrauchen ist, können wir ins Detail gehen.“

Dani akzeptiert die absurde Situation zuerst. Bekannt zurückhaltend wirft sie ein: „Ich wusste doch, dass der Lange zu irgendetwas nütze ist.“

„Vielen Dank auch.“, grollt es vom Langen.

Jetzt, wo der Schmierlapp samt Gefolge weg ist, entspannen sich meine Eltern. Die Aussicht auf neue Arbeit hilft sicher auch.

„Ein Haus am Meer. Das kann aber nicht hier in der Stadt sein?“

„Nein, das ist richtig. Die neuen Stellen wären mit einem Umzug verbunden. Ihr neuer Arbeitgeber würde aber sämtliche Umzugskosten übernehmen.“

„Und wo wäre das?“, möchte meine Mutter wissen.

Einen Moment sieht Abert Conster meine Eltern an, dann lässt er die Bombe platzen. „Auf Libertah.“

Kollektives Luftschnappen ist zu hören. Nur Thanat sagt nichts. Ich sehe zu ihm rüber. Er beobachtet mich genau und nickt mir beruhigend zu. Unterschwellig wird mir immer klarer, dass er seine Finger bis zu den Ellbogen in dieser Geschichte mit drin hat. Er scheint meine Gedanken an meinem Gesicht ablesen zu können, denn seine Augen beginnen belustigt zu funkeln.

Mein Vater fasst sich als Erster. „Wir sollen nach Libertah umziehen? Aber das geht doch nicht. Was ist denn mit Eyra und der Schule?“

„Auch dafür hat mein Auftraggeber eine Lösung. Wir haben hier in der Stadt in der Botschaft von Runoa Räumlichkeiten. Darin sind Gästezimmer für Bewohner von Libertah, die beruflich oder privat vor Ort weilen. Ihre Tochter würde für den Rest ihrer Schulzeit dort leben können. Das Haus ist bewacht. Es würde ihr nichts geschehen. Meinem Auftraggeber liegt das Wohl Ihrer Tochter sehr am Herzen.“

Wieder schaue ich zu Thanat. Wer ist dieser ominöse Auftraggeber? Er aber verfolgt das Gespräch völlig entspannt. Als ob garantiert nicht von ihm die Rede ist. Täusche ich mich?

Meine Mutter sieht mich an. „Wir können dich doch nicht alleine hier lassen. Gerade jetzt. Nach allem, was passiert ist.“

„Ich bleibe ja auch hier, Yanica. Eyra wird nichts passieren.“ Thanat meldet sich zu Wort.

Nun ist es an dem Anwalt, erstaunt die Stirn zu runzeln, als er Thanat prüfend ansieht.

Mit dem Wunsch, meine Mutter zu beruhigen und ihnen die Zukunft nicht zu verbauen, nehme ich ihre Hand. „Das ist DIE Chance für euch. Ich weiß doch, dass ihr eure Arbeit nur gemacht habt, damit ich versorgt bin. Mit diesen Stellen könnt ihr euren Lebenstraum erfüllen. Ich bin nur noch ein paar Wochen hier. Also denkt zuerst an euch.“ Dankbar drückt meine Mutter meine Hand zurück.

„Sie werden zudem sehen, dass Ihre Bezahlung durchaus ordentlich ist.“, nimmt Herr Conster das Gespräch wieder auf. Er legt meinen Eltern ihre Arbeitsverträge vor.

„So viel.“ Meinem Vater entschlüpft der Ausruf, als er zum Punkt seiner Bezahlung kommt.

„Naja, es ist noch eine Zusatzaufgabe in Ihren Arbeitsverträgen enthalten. Libertah bereitet sich darauf vor, demnächst unsere Erkenntnisse offensiver anzubieten. Das wird geschehen, sobald unsere Botschafterin ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie sollen dann später zu ihrem Beraterstab gehören.“

„Wer ist denn die Botschafterin?“

„Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ihren Namen kennen wir noch nicht. Leider hat mein Auftraggeber manchmal seine Geheimnisse. Aber so ist er. Falls Sie Ihre Tochter besuchen möchten.“ Er sieht zu mir. „Oder Ihre Tochter Sie, steht Ihnen jederzeit der Flugdienst von Libertah kostenfrei zur Verfügung. Sie können den regelmäßigen Flugdienst in Anspruch nehmen. In begründeten Ausnahmefällen können Sie auch mit dem Kurierdienst fliegen.“

„Woher kennt Ihr Auftraggeber uns denn?“, möchte meine Mutter wissen.

„Auch das kann ich Ihnen nicht sagen. Auf Libertah nennen wir ihn nur den Gründer. Direkten Kontakt hat niemand von uns. Seine Anweisungen ergehen immer schriftlich. Es hat aber seit zwanzig Jahren noch keinen Fall gegeben, an dem er sich in einer Person geirrt hat. Deshalb habe ich an Ihnen und Ihrer Qualifikation keinen Zweifel.“

Meine Eltern sehen sich an. Ich kann förmlich sehen, wie es in ihren Fingern zuckt, die Verträge zu unterschreiben. Fragend schauen sie zu mir. Ich nicke ihnen zu.

Sie wenden sich an den Anwalt. Mein Vater ergreift das Wort. „Auch wenn ich nicht weiß, was uns erwartet. Aber das Angebot ist zu verlockend. Außerdem haben wir kaum eine andere Chance. Ich möchte wetten, dass wir im ganzen Land auf schwarzen Listen stehen.“ Bestätigend nickt meine Mutter. Leider haben sie Recht. Wer in einem der großen Konzerne in Ungnade fällt, ist meist ruiniert. Er wird zur unberührbaren Person und findet keine adäquaten Jobs mehr. Meine Eltern haben es schon richtig erkannt, dass sie mit diesem Angebot die einzige realistische Gelegenheit haben.

Sie nehmen sich den bereit gelegten Stift und unterschreiben die Verträge. Herr Conster nimmt seine Exemplare an sich und schüttelt ihnen die Hände. „Willkommen in der großen Libertah-Familie. Ich freue mich wirklich sehr, dass Sie sich für uns entschieden haben.“

Erleichtert, eine Entscheidung getroffen zu haben, fallen sich meine Eltern in die Arme.

Nun finden ihre Gehirne Freiräume, auch an andere Fragen zu denken.

Mein Vater legt einen Finger in die Wunde als er fragt: „Sie waren gar nicht erstaunt, Thanat hier zu sehen. Warum ist das so?“

Der Anwalt lässt sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort. „Sie, Eyra, haben ja schon den Wissenschaftsmeister Koriat kennen gelernt. Ihn und mich verbindet eine Gemeinsamkeit. Wir haben versucht, uns gegen das Establishment aufzulehnen. Das ist uns nicht gut bekommen. Wenn die Mächtigen einen auf dem Kieker haben, können sie einem schwer schaden. Sie haben es heute selbst erlebt. Ich hatte auch eines Abends ‚Besuch‘ bekommen. Allerdings wäre es bei mir nicht bei einer Kündigung geblieben. Ich hatte das Messer nicht nur sprichwörtlich schon an der Kehle.“

Meine Eltern schlucken und sehen entsetzt zu dem freundlichen Mann, der wirkt, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun.

„Sagen wir mal so. Als ich endlich realisierte, was passierte, lagen meine potenziellen Mörder bewusstlos auf dem Boden. Zwischen ihnen stand ein junger Mann, den ich vorher noch nie gesehen hatte. Er meinte nur, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, genau jetzt zu gehen. Dieser Logik konnte ich mich nicht entziehen. Er brachte mich zu einem Flugzeug, während eine ganze Gruppe Leute damit begann, meine Wohnung auszuräumen. Ein paar Stunden später landeten wir auf Libertah. Seitdem bin ich dort als Justitiar tätig. Ich lebe in Frieden und darf gelegentlich Aufträge wie diesen hier übernehmen. Der junge Mann, der mir damals das Leben rettete, ist bei fast jedem meiner Einsätze auch dort, wo Leuten geholfen werden soll. Meist hat er das Grobe bereits erledigt. Was mir meine Arbeit ungemein erleichtert. Sie ahnen sicher schon, wen ich meine.“

Natürlich sehen mittlerweile alle Thanat an. Ich werde nie verstehen, wie jemand so gleichmütig schauen kann, wenn einen alle anstarren. Er kann das. Frecherweise zuckt er nur mit der Schulter.

„Sie werden auf Libertah sicher noch ein paar haarsträubende Geschichten über den Langen hören. Glauben Sie sie ruhig. Sie sind fast alle wahr.“

„Nun ist es aber gut. Du untergräbst ja meinen Ruf hier völlig.“ Gespielt entrüstet meldet sich Thanat zu Wort.

„Ach, du hast einen Ruf?“ Das kann nur Dani fragen.

„Äh, ja. Oder nicht?“

„Hmm, lass mich mal nachdenken.“ Dani kraust die Stirn und sieht ihn zweifelnd an.

Ich stubse gegen ihre Schulter. Irgendwie habe ich das Gefühl, Thanat beistehen zu müssen. Dani grinst mich reuelos an.

Herr Conster schaut auf seine Uhr. „Vielleicht sollten Sie anfangen, Ihre Sachen zu sortieren. Ihr Umzugsunternehmen kommt in einer Stunde.“

„So schnell?“

„Leider ja. Eyra, bitte suchen Sie heraus, was Sie im Botschaftshaus benötigen. Den Rest bringen wir nach Libertah.“

„Kann ich denn erst mit nach Libertah? Ich möchte gerne sehen, wo meine Eltern nun wohnen und arbeiten werden.“

„Davon war ich ausgegangen. Natürlich können Sie Ihre Eltern begleiten. Sie werden passend zum Unterrichtsbeginn wieder zurück gebracht.“

Damit stehen wir auf. Herr Conster verabschiedet sich von uns.

Meine Mutter sieht mich an. „Was für ein Geburtstag. Es tut mir schrecklich leid, dass das ausgerechnet heute alles passiert.“

„Ich gehe jede Wette ein, Kurd hat veranlasst, dass diese Aktion genau heute über die Bühne gehen soll. Bestimmt sitzt er in irgendeiner Ecke und lacht sich kaputt.“ Dani nickt mir bestätigend zu.

Meine Mutter drückt meinen Unterarm zum Zeichen der Zustimmung. Sie lächelt. „In allem Schlechten ist auch immer ein Neuanfang. Dann lasst uns mal loslegen.“

Zusammen mit Dani und Thanat beginnen wir, unser bisheriges Leben einzupacken. In einem unbeobachteten Moment nehme ich Thanat beiseite.

„Du steckst doch dahinter, oder?“

Er sieht mich schweigend an. Schließlich nickt er. „Ich bin gerne auf alle Eventualitäten vorbereitet.“

„Hat das was mit den Zahlen zu tun, die du auf dem Ding getippt hast?“

„Ja, ich habe Notfallcodes hinterlegt. Die landen in einer Zentrale und werden entsprechend umgesetzt. Zum Beispiel bedeutet ‚100‘ Verstärkung an meiner Position erforderlich. Für die Aktion heute hatte ich einen eigenen Code vorgesehen. Er bedeutete, dass Abert in Bereitschaft sein sollte. Außerdem sollte sich ein Umzugsteam bereithalten.“

„Das planst du alles voraus?“

„Jepp. Besser ist das. Ich hatte eine Ahnung, dass irgendetwas im Busch ist.“

Lange sehe ich ihn an. Ich spüre eine Träne im Auge aufsteigen. Werde ich je aufhören, mich über diesen Mann zu wundern? Überwältigt nehme ich seine Hand und lege sie an meine Wange.

„Danke.“

Thanats Welten 1 - Tauros

Подняться наверх