Читать книгу Thanats Welten 1 - Tauros - J. Reiph - Страница 9

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Noch ein Privater

System: 1654-Z65-7559-MM08-2884

Interner Systemname: Tauros

Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 25. Woche

Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)

Ich liege auf meinem Bett und presse mein Gesicht in mein Kopfkissen. Meine Eltern sollen nicht mitbekommen, dass ich weine. Es gab kein Wunder in der Schule. In meinem Jahrgang ist der jüngere Bruder von dem Privaten, dem ich im letzten Jahr gezeigt habe, wo seine Glocken hängen. Natürlich fingen er und seine Speichellecker gleich an, mich fertig zu machen. Ständig werde ich beleidigt, gestoßen, gekniffen oder befummelt. Wenn ich im Unterricht etwas sage, tuscheln oder kichern sie. Meine Tasche muss ich dauernd im Auge behalten. Sonst fehlen mir plötzlich Sachen oder ich habe neue darin. Unangenehm riechende. Ein Hausaufgabenheft fiel bereits der Zerstörungswut meiner ach so lieben Mitschüler zum Opfer. Ermahnungen der wenigen fairen Lehrer wirken nicht lange. Bestimmt, weil die stinkreichen Eltern der Privaten die Schulleitung gut geschmiert haben, damit ihren verzogenen Sprösslingen keiner in die Parade fährt. Bin ich gerade etwas verbittert? Ja, definitiv.

Ein Neuer aus der Kunstklasse, laut Dani heißt er Aftan, ein Staatlicher, ist besonders hinterhältig. Er ist recht groß, ausgesprochen kräftig, wahrscheinlich der Kräftigste des ganzen Jahrgangs, dabei tyrannisch, gemein und brutal. Jeden Tag lauert er mir auf und verpasst mir Schläge, in den Bauch, die Rippen oder die Nieren. Oder er tritt mir in die Kniekehlen. Immer schmerzhaft, aber nie so stark, dass ich zusammenbrechen würde oder Hämatome als Beweis bleiben. Und er wird stets gedeckt von den Privaten, mit denen er abhängt, so dass die Lehrer, würde es sie interessieren, nichts mitbekommen. Würde ich mich wehren, hätten sie Munition gegen mich in der Hand. Dann würden sie garantiert einen Schulverweis erwirken. In nur einer Woche hat er es geschafft, dass ich Angst habe, über die Flure zu gehen.

In diesem Moment geht meine Zimmertür auf. Natürlich hat der unfehlbare sechste Sinn einer Mutter ihr verraten, dass ihre baumlange Tochter heult. Sie setzt sich auf die Kante meines Bettes und streichelt meinen Kopf.

„So schlimm?“

Logisch, sie weiß, was meine „tollen“ Mitschüler tagein, tagaus mit mir machen. Neben Dani sind meine Eltern meine einzigen Vertrauten. Aber sie haben weder die Macht noch das Geld, mir ähnliche Freiräume wie den Privaten zu verschaffen. Aber ich weiß, dass sie vorbehaltlos hinter mir stehen. Müssen sie ja wohl auch, wenn die Kombination aus ihnen so etwas wie mich hervor gebracht hat. Stopp, jetzt werde ich unfair. Sie können ja nichts dafür. Sie haben mich schon immer unterstützt und mir geholfen, stark zu werden.

Ich trockne mein Gesicht im Kissen und drehe mich zu ihr um. „Hmm, ja. Es ist schlimmer, als im letzten Jahr. Sie beginnen jetzt sogar schon, die jüngeren Schüler gegen mich aufzuhetzen. Ich kann nirgendwo mehr hingehen, ohne dass gegafft, getuschelt, gekichert wird. Oder ich werde angerempelt, geschlagen, angefasst oder beleidigt. Nur die Lehrer für Biologie, Sport und Mathematik gehen überhaupt dazwischen. Alle anderen sehen einfach weg.“ Erneut laufen mir Tränen die Wangen herunter.

Meine Mutter nimmt mich in den Arm. An ihrer Schulter kann ich mich ausweinen. Sanft streicht sie über meinen Rücken, während ich unter meinen Weinkrämpfen erbebe.

„Mein armer Schatz. Versuche, das Jahr durchzustehen. Konzentriere dich auf deinen Abschluss. Du bist so klug. Damit steckst du alle in die Tasche. Zeig ihnen, dass du dich nicht unterkriegen lässt.“

Ich schniefe. „Ja, Memi. Ich werde es versuchen.“

Später höre ich meine Eltern leise miteinander reden. Das Thema kenne ich genau. Und ich kann auch fast ihre Sorgen hören. Einmal habe ich mitbekommen, dass sie sich schämen, mir nicht besser helfen zu können. Aber wir sind nicht reich, haben keine Macht und kennen auch niemanden mit solchen Verbindungen. Noch schlimmer ist, dass meine Eltern beide in dem Konzern arbeiten, der dem Vater von dem Typen gehört, dem ich letztes Jahr … Sie wissen schon. Genauso, wie unsere Wohnung dem Konzern gehört. Wenn sie bei der Schuldirektion auf den Putz hauen, kann das Konsequenzen für ihre Arbeit haben. Verdammte Ungerechtigkeit. Ich hoffe nur, dass die Söhne nie herausfinden, dass meine Eltern für ihren Vater arbeiten. Nicht auszudenken…

So verbringe ich den Neunten und den Zehnten, unser freies Wochenende, zu Hause oder in der Sporthalle. Beim Training versuche ich meinen Frust abzubauen. Mein Trainer merkt, dass ich kurz vor der Explosion stehe. Er verpasst mir ein Programm, nach dem ich so erschöpft bin, dass in meinem Kopf kein Platz für etwas anderes ist, als um den nächsten Atemzug zu ringen.

Dummerweise endet jedes Wochenende und es folgt ein Erster, an dem ich wieder in die Tretmühle muss. Wenigstens haben wir in der ersten Doppelstunde Biologie. Meine Lehrerin, Frau Mondran, sorgt für etwas Ruhe mir gegenüber. Deshalb bin ich ihr auch dankbar, dass sie extra früh zur Stunde erscheint. Noch bevor ich komme. Dadurch kann ich mich ausnahmsweise in Ruhe auf meinen Platz setzen. Mein Platz! Noch so eine Absonderlichkeit in meinem Leben. Natürlich sitze ich ganz hinten im Raum. Denn hinter mir zu sitzen, ist nur für die gut, die im Unterricht in Ruhe schlafen wollen. Hinter mir wird niemand gesehen. Man sieht aber auch nichts. Einsneunzig. Klar, oder?

Also habe ich einen der üblichen Doppeltische ganz hinten stehen. Ganz für mich alleine. Denn natürlich geht kein normaler Tisch. Darunter bekomme ich meine Beine nicht gefaltet. Man hat den Tisch und zwei Stühle durch Holzklötze erhöht. Auf dem zweiten hohen Stuhl will logischerweise niemand sitzen, weil bei allen anderen die Füße dann in der Luft baumeln. Das sieht nach Kind auf einem Erwachsenenstuhl aus. Wer will das schon?

So hat der Freak auch hier wieder seine Extrawurst. Natürlich ist auch mein Stuhl Gegenstand von Spott und Hohn. „Hochsitz, Thrönchen“ sind noch die schmeichelhaften Beschreibungen.

In Erwartung des Schutzes durch Frau Mondran versuche ich möglichst unauffällig meinen Klassenraum zu erreichen. Das ist natürlich nicht ganz einfach. Warum ist klar, denke ich. Ich bin halbwegs erleichtert, weil ich auf den Fluren weder einen Privaten noch Aftan entdecke. Die Tür meines Raumes kann ich bereits sehen. In dem Moment explodiert der Schmerz in meinem rechten Bein. Erschrocken zucke ich zur Seite. Ich höre, wie etwas Metallisches auf dem Boden klimpert. Im nächsten Moment trifft mich etwas am Bauch. Und wieder flammt ein stechender Schmerz auf. Hektisch sehe ich mich um. An einer Ecke sehe ich den feixenden Aftan. Er hält eine Schleuder in seiner Hand. Mit einer vulgären Geste verschwindet er. Auf dem Boden sehe ich zwei Stahlkugeln rollen. Ich lege meine Hand auf die schmerzende Stelle auf meinem Bauch und humpele die letzten Meter zu meiner Klasse. Dabei frage ich mich, wann er so weit geht, auf meinen Kopf zu zielen. Wann fallen die letzten Hemmungen? Frau Mondran blickt mir lächelnd entgegen. Als sie sieht, dass ich humpele, verfinstert sich ihr Gesicht. In ihren Augen sehe ich machtlose Wut aufblitzen. Endlich an meinem Platz angekommen, reibe ich meinen Oberschenkel, wo Aftan mich getroffen hat. Das gibt bestimmt Blutergüsse. Scheiß Tag.

Frau Mondran hat gerade angefangen, das heutige Thema zu besprechen: „Spontane Abweichungen von normalen Entwicklungen bei Tieren“.

Klar, dass das Thema sofort Getuschel und hämische Blicke in meine Richtung nach sich zieht. Frau Mondran schaut entschuldigend zu mir. Aber was soll sie machen? Das Thema steht eben im Lehrplan.

Sie wird durch ein resolutes Klopfen an der Tür unterbrochen. Ohne auf eine Antwort zu warten, wird die Tür geöffnet. Unsere Direktorin betritt unser Klassenzimmer. Die Tür schließt sie hinter sich. Mit ihrer mausgrauen Fellfarbe und der strengen Brille verkörpert sie das Idealbild der Schuldirektorin. Viele Schüler kennen ihren beißenden Sarkasmus, wenn man vor sie zitiert wird. Wir stehen alle sofort auf. Sogar die Privaten zögern nicht. Sieh mal einer an. Gibt es für die tatsächlich so etwas wie Respektspersonen?

„Guten Morgen. Bitte setzt euch.“

Als sich die Unruhe wieder gelegt hat, wendet sie sich an Frau Mondran.

„Entschuldigen Sie bitte die Unterbrechung. Am letzten Achten hat sich noch ein Schüler angemeldet. So kurzfristig ist das ungewöhnlich, aber er hat alle Aufnahmetests mit Bravour bestanden. Deshalb habe ich seiner Aufnahme zugestimmt. Er wurde vorher privat unterrichtet.“

Innerlich verdrehe ich die Augen. Noch einer mehr, mit dem ich mich herum ärgern kann.

Die Direktorin wendet sich nun an die Klasse. „Euer neuer Mitschüler ist etwas ungewöhnlich.“ Es irritiert mich, dass sie dabei in meine Richtung schaut. „Ich bin aber sicher, ihr werdet ihm einen problemlosen Start ermöglichen.“

Nach ihren Worten hat sich eine fühlbare Spannung aufgebaut, was denn wohl für ein Typ vor der Tür steht. Sie legt die Hand auf die Türklinke und mit den Worten: „Ich möchte euch Thanat vorstellen.“, öffnet sie sie.

Ein kollektives Japsen geht durch den Raum. Ich merke, wie meine Augen kugelrund werden und mein Kiefer nach unten klappt. Durch die Tür tritt ein Junge (Mann?), der den Kopf beim Eintreten einziehen muss. Ich passe gerade noch so durch den Türrahmen ohne anzustoßen. Der Kerl, Thanat?, passt nicht mehr. Er ist noch größer als ich. Als er sich im Raum aufrichtet, steht dort ein Gott.

Das Gesicht ist heller als normal, aber nicht so blass wie meines. Seine Gesichtszüge kann man nur als klassisch beschreiben. Ausgeprägtes Kinn, ein sinnlicher Mund, eine gerade Nase, Lachfältchen in den Augenwinkeln. Und diese Wangenknochen - ein Gedicht. Sein träges Lächeln entblößt ein perfektes Gebiss. Er wirkt kein bisschen verunsichert, weil wir ihn alle anstarren. Seine Schultern sind enorm breit. Deutliche Muskelstränge zeichnen sich unter dem Fell seiner Arme ab. Die Hüfte ist schmal. Die Oberschenkel - muskulös. Nicht einmal mein wirklich wohl proportionierter Kampfsporttrainer kommt an diese Figur heran. Und erst sein Fell. Es ist in einem glänzenden Silbergrau. Die Spitzen leuchten, als wäre jede einzelne Haarspitze silbern gefärbt. Um die Arme und die Oberschenkel winden sich schwarze Streifen. Traumhaft. Ich glaube, ich bin nicht das einzige Mädchen, das anfängt zu sabbern. Fast unbemerkt verlässt unsere Direktorin das Klassenzimmer.

Als die Stille fast peinlich wird, sagt Frau Mondran: „Willkommen in der Klasse, Thanat. Bitte setze dich hinten an den Tisch.“ Dabei deutet sie in meine Richtung. Er nickt ihr zu. Vollkommen beherrscht. Vollkommen selbstsicher.

Alle Blicke folgen ihm, als er durch den Raum geht. Nach hinten. Zu meinem Tisch! Trotz seiner Größe bewegt er sich mit kraftvoller Geschmeidigkeit. Seine Bewegungen sind fließend, beherrscht. Sie zeugen von Kraft, ohne unharmonisch zu wirken, wie bei den Steroid-Jüngern, die ihre Muskeln nur aufblasen ohne wirkliche Kraft zu haben.

Mit einem frechen Grinsen setzt er sich neben mich. Ich kann nicht anders als ihn weiter anzustarren. Seine Augen haben ein unglaubliches Blaugrau. Ganz klar. Amüsiert, unbeschwert, intelligent funkeln sie mich an.

„Hallo Eyra.“ Seine tiefe, samtweiche Stimme hallt in meinem Kopf. Er kennt meinen Namen. Woher kennt er meinen Namen?

Wie in Trance ergreife ich seine rechte Hand, die er mir zum Gruß hinhält. Mehr als ein „Hmmm“ bringe ich nicht heraus. Ich könnte mich selbst treten. Als sich unsere Hände umfassen, bekomme ich einen leichten Stich im Kopf. Wie ein kurzer Blitz. Seine rechte Augenbraue geht in die Höhe. Sein Blick wird übergangslos neugierig. Für einen Moment. Dann grinst er wieder und lässt meine Hand los. Viel zu früh.

Er dreht sich nach vorne. Damit bricht der Bann und ich beginne wieder klar zu denken. Mehr oder weniger.

Den Unterricht bekomme ich nur am Rande mit. Mindestens eine halbe Stunde lang ist es, als wäre jeder Zentimeter meines überlangen Körpers komplett in Aufruhr. Ständig ertappe ich mich dabei, wie ich ihn aus den Augenwinkeln mustere. Oder auf seine Hände starre. Diese langen, aber zugleich ungemein stark wirkenden Finger. Meine Handfläche scheint von dem Händedruck immer noch zu kribbeln. Um mich zu konzentrieren, nehme ich meinen Stift in die Hand und zeichne irgendetwas in meinem Heft. Als ich meine Zeichnung genauer ansehe, sieht es aus wie eine in sich verdrehte Leiter. Die Sprossen wirken, als wären sie gebrochen und wieder zusammen geklebt. Dabei erscheint keine Klebenaht wie die nächste. Komisch. In meinem Hinterkopf macht sich ein vages Erkennen breit. Es dringt aber nicht durch.

Mit dem Beginn der zweiten Stunde habe ich mich langsam daran gewöhnt, nicht mehr alleine an meinem Tisch zu sitzen. Auch nimmt mein überfordertes Gehirn seine Umgebung wieder wahr.

Gerade fragt unsere Lehrerin, wer denn eine Idee hat, warum sich in manchen Tierpopulationen spontane Veränderungen ergeben. Hat natürlich keiner. „Thanat, kannst du uns dazu etwas sagen?“

Mein Nachbar erhebt sich. „Darf ich nach vorne kommen? Ich möchte meine Idee an der Tafel verdeutlichen.“

„Bitte, gerne.“ Wieder starren alle hinter ihm her, als er sich durch den Gang bewegt. Wenigstens ein Privater würde versuchen, mir ein Bein zu stellen. Aber bei Thanat? Nein, das wagt keiner. Obwohl er freundlich wirkt, traut ihm jeder zu, dass er niemanden fürchten muss. Er verbreitet ganz einfach diese Aura.

Er geht nach vorne und beginnt seine Idee von den Aminosäuren auszubreiten. Frau Mondran hört ihm interessiert zu. Die Mädchen stieren eher auf seine Muskeln und die Jungs klinken sich bald aus.

Ich erstarre, als er plötzlich sagt: „Darf Eyra nach vorne kommen? Ich glaube, sie hat eine Idee, wie sich diese spontanen Änderungen ergeben.“

Frau Mondran nickt in meine Richtung. Thanat sagt noch: „Bring bitte dein Heft mit.“

Verdutzt blicke ich auf mein Heft, aus dem mich diese merkwürdige Leiter ansieht. Was will er damit?

Ich schaffe es diesmal nach vorne, ohne gestört zu werden. Trauen sich die Kotzbrocken nicht, wenn Thanat in der Nähe ist und sie beobachtet? Denn dass er das macht, ist unübersehbar.

Vorne angekommen, entwickelt er seine Theorie mit den Aminosäuren weiter. Er malt T-förmige Elemente an die Tafel. Die senkrechten Striche enden in unterschiedlichen Mustern. Langsam begreife ich. Fügt man die Teile zusammen, ergeben sie meine Leiter.

So entwickeln wir während der nächsten halben Stunde ein Konstrukt sich selbsttätig zusammensetzender Leitern aus T-Elementen. Wir entwerfen die Theorie, dass sich in den T-Elementen Informationen befinden, die die Entwicklung eines Lebewesens steuern. Durch zufällige Paarungen entstehen Abweichungen von der Norm. Mit jeder Minute wird es mir immer klarer. Genauso muss es sein. Der Artikel von Meister Koriat fällt mir wieder ein. Jetzt verstehe ich, was seine Theorie von der Vererbungslehre bedeutet.

Die Tafel ist mit T-Elementen, Leiterstücken und gedrehten Leitern übersät, als wir fertig sind. Thanat nennt die gedrehten Leitern Doppelhelix. Warum auch immer, aber als er den Begriff nannte, passte er komischerweise haargenau.

Als wir in die Klasse sehen, merken wir, dass wir alle kilometerweit abgehängt haben. Frau Mondran dagegen schaut eher fasziniert. Gerade will sie etwas sagen, als es zur Pause klingelt. Thanat nimmt sich einen Stift der Lehrerin und ein Blatt Papier. Darauf schreibt er eine Telefonnummer.

„Bitte, rufen Sie diese Nummer an und besprechen Sie den Entwurf mit dem Gesprächspartner am anderen Ende. Bestellen Sie ihm einen schönen Gruß von mir. Und vielleicht zeichnen oder fotografieren Sie das Tafelbild ab. Es könnte ihn interessieren.“

Völlig verdutzt lässt er Frau Mondran zurück. Und mich auch.

Nach der nächsten Doppelstunde, Geschichte, habe ich mich mit Dani zur Mittagspause verabredet. Ich verlasse den Raum. Thanat spricht noch mit unserem Geschichtslehrer. Verstohlen werfe ich ihm einen Blick zu. Als hätte er das gespürt, sieht er auf und lächelt mich an. Bei dem Lächeln beginnt mein Magen zu flattern. Schnell raus hier.

Mein Blick muss noch leicht glasig sein, denn Dani bemerkt ihn sofort.

„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als wäre dir ein Weltwunder begegnet.“

„Hmm, ganz falsch liegst du nicht.“

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich die Privaten zu mir umdrehen und feixend in meine Richtung schauen. Ich bin leicht irritiert, will aber Dani gerade von Thanat erzählen. In dem Moment spüre ich, wie mich zwei Hände an den Po fassen und fest zudrücken. Wütend wirble ich herum und schaue in das freche Gesicht eines jüngeren Schülers. Der grinst, dreht sich um, rennt den ersten Schritt los … und knallt gegen eine Wand.

Die Wand ist zwei Meter hoch. Silbergrau. Steht auf zwei Beinen. Stemmt gerade die Hände in die Taille und sieht sehr, sehr böse auf den mittlerweile auf dem Boden sitzenden Bengel herunter. Um uns herum verstummen alle Gespräche. Frau Mondran hat das Betatschen mitbekommen und eilt mit wütendem Gesicht auf uns zu.

Der Blick des Knilchs wandert fassungslos an den Beinen und dem Traumkörper entlang nach oben, bis er in die Augen von Thanat sieht. Er wird kreidebleich und seine Augen fallen ihm fast aus dem Kopf.

„Bist du der Meinung, das wäre ein angemessenes Verhalten gegenüber einer jungen Frau, die dir nicht den geringsten Grund gegeben hat zu glauben, dass du sie anfassen darfst?“ Seine tiefe Stimme ist absolut ruhig, aber eisig. Dennoch dringt sie bis in die letzte Ecke des Flurs. Obwohl er nicht ansatzweise die Stimme erhebt, hört jeder den stahlharten Willen darin, Widerspruch sofort zu unterbinden. Der Junge schluckt mehrfach, bevor er versucht zu antworten. Es kommt aber nur ein Krächzen heraus, deshalb schüttelt er seinen Kopf, so dass ich fast Angst habe, er fällt ihm gleich ab. Frau Mondran ist neben mir stehen geblieben. Dani hält meinen Arm fest umklammert.

„Ich sehe, wir verstehen uns. Es wäre jetzt wohl höchste Zeit, dass du dich bei Eyra entschuldigst.“

Der Junge sieht Thanat entsetzt an. Dessen Blick ist aber unerbittlich. Mit hochrotem Gesicht steht der Junge auf und dreht sich zu mir um. Verlegen schaut er auf seine Fußspitzen.

Unverständlich murmelnd kommt etwas aus seinem Mund, das bei viel Wohlwollen eine Entschuldigung sein kann. Aber damit kommt er nicht davon. Frau Mondran fasst ihn am Kragen. „Ich kann dich nicht verstehen und Eyra bestimmt auch nicht.“

„Entschuldigung“, kommt es nun verständlicher aus seinem Mund.

Frau Mondran dreht sich um und schleift den Jungen mit. „Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.“

Als ich mich zu Thanat drehe, sehe ich, wie er die Gruppe der Privaten mit einem Blick ansieht, der leicht zu einer Fehlfunktion der Schließmuskeln führen könnte. Sprich, man neigt dazu, sich in die Hose zu machen. Denen vergeht auch gleich das Lachen. Schnell drehen sie sich weg und suchen das Weite.

Der Blick verschwindet und macht einem Lächeln Platz, als er sich mir zuwendet.

„Ich entschuldige mich im Namen aller männlichen Bewohner des Planeten für das ungebührliche Verhalten des Jungen. Ich hoffe, du weißt, dass nicht alle meine Geschlechtsgenossen so sind.“

Seine Augen sehen mich dabei offen und ehrlich an. Ich kann gar nicht anders, als laut los zu lachen.

„Danke, in letzter Zeit scheint es aber nicht viele zu geben, die anders sind.“ Sein Lächeln verblasst für einen Moment. So, als versteht er, was ich andeuten will. Schnell kehrt es aber zurück.

„Willst du mir deine Freundin nicht vorstellen, die fast deinen Arm zerquetscht?“

Erst jetzt bemerke ich, dass Dani immer noch meinen Arm umklammert hält.

„Äh, ja klar. Dani, das ist Thanat. Thanat, meine beste Freundin, Dani. Thanat ist neu hier an der Schule. Aber das hast du sicher schon erkannt.“

Dani schaut Thanat immer noch mit riesengroßen Augen an.

„Ich wollte dir gerade von ihm erzählen, als wir unterbrochen wurden.“

Dani sagt immer noch nichts. Langsam fange ich an, mir um meine Freundin Sorgen zu machen.

Thanat rettet die Situation. „Macht es euch etwas aus, mir die Kantine zu zeigen? Vielleicht könnt ihr mir auch ein wenig über die Schule erzählen.“

Thanat an meinem Mittagstisch? Mein Magen ballt sich zu einer Kugel zusammen. Nach einem Moment löse ich mich von der absurden Vorstellung, mit einem Gott ganz ordinär in der Kantine zu sitzen. Mit sichtlicher Verzögerung bringe ich ein „Ähh, ja, klar, komm mit.“ heraus. An meinem Wortschatz muss ich definitiv noch arbeiten, wenn Thanat in meiner Nähe ist. Dani löst sich aus ihrer Erstarrung und folgt uns wortlos.

Als wir die Kantine betreten, verstummen schlagartig alle Gespräche. Ausnahmsweise mal nicht meinetwegen. Wir gehen zur Essensausgabe. Beobachtet von hunderten Augenpaaren.

Thanat lächelt mich an. „Darf ich euch als Dankeschön für die Begleitung zum Essen einladen?“

Dani und ich nicken synchron. Thanat bestellt drei Portionen des Tagesgerichts. Die Teller balanciert er auf einem Tablett und folgt uns zu einem Tisch in der Ecke. Inzwischen ist die Stille einem allgemeinen Gemurmel gewichen. Wetten, ich kenne das einzige Gesprächsthema an allen Tischen?

Der Gott mit der Außenseiterin. Und er trägt ihr Essen. Und er setzt sich zu ihr an den Tisch. Und das überirdische Wesen spricht mit ihr. Lacht mit ihr.

Wir lachen wirklich. Nachdem Dani sich gefasst hat, bringt sie uns mit witzigen Bemerkungen über Thanats und meine Größe tatsächlich zum Lachen.

Schon lange habe ich mich in der Kantine nicht mehr so entspannt gefühlt. Nachdem wir uns von Dani verabschiedet haben (sie hat mir noch verschwörerisch zugezwinkert), begleitet mich Thanat zu unserem Klassenraum. Und wirklich niemand rempelt mich an, beleidigt oder begrabscht mich. Es ist, als spannt Thanat einen unsichtbaren Schutzschirm um uns herum auf. Unmerklich oder offensichtlich weicht uns jeder aus. Auch als wir die Klasse betreten und zu unserem Tisch gehen, werde ich in Ruhe gelassen. Ich glaube es fast nicht.

Nach zwei weiteren Doppelstunden endet der Schultag. Thanat begleitet mich wieder. Er bringt mich bis zur Bushaltestelle. Das hat noch nie jemand für mich getan.

Als ich unsere Wohnung betrete, ist meine Mutter schon da. Sie kommt um die Ecke, besorgt, wie es mir ergangen ist. Meine Weinattacke vom Wochenende steckt ihr noch in den Knochen.

„Mein Schatz, wie war dein Tag?“

Ich sehe zu ihr hinunter … und lächle. „Toll.“

Das bringt meine Mutter komplett von der Rolle. „Wie jetzt?“

Ich ziehe sie in die Küche und wir setzen uns an den Tisch. Dann erzähle ich ihr von meinem Tag. Von Thanat.

Thanats Welten 1 - Tauros

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