Читать книгу Thanats Welten 1 - Tauros - J. Reiph - Страница 23
ОглавлениеDas Turnier
System: 1654-Z65-7559-MM08-2884
Interner Systemname: Tauros
Zeitrechnung: Jahr 24 nach der Ankunft (n.d.A.), 1. Woche
Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)
Das neue Jahr hat angefangen. Den Jahreswechsel habe ich mit meinen Eltern und Thanat auf Libertah gefeiert. Meine Eltern haben sich riesig gefreut, als ich ihnen meinen Notenschnitt zur Halbzeit vorgelegt habe. Alle Prüfungen mit Bestnoten abgelegt. Dazu die Boni in Biologie und Mathe. Sie platzten fast vor Stolz.
Noch heute sehe ich das grandiose Lichtspiel an der Kuppel des Schutzschirms vor mir. Resa und ihr Mann haben es entworfen. Gigantische Projektoren haben ein Feuerwerk aus Farben, Bildern und Lichtskulpturen an den Himmel gezaubert. Die gesamte Kuppel über der Insel erstrahlte. Es war irre.
Nun sitze ich - mal wieder - in der Aula der Schule. Zusammen mit den Schülern aller Abschlussklassen. Unsere Direktorin wird ihre gefürchtete „Motivationsansprache“ halten. Neben mir sitzt Thanat. Mittlerweile mein unverzichtbarer Begleiter. Auf der anderen Seite hat sich Dani hingesetzt.
Die Direktorin rauscht herein. Sie geht zum Rednerpult. Ich frage mich, ob sie nur diese eine Art Klamotten hat. Sie trägt die gleiche Kleidung, vom Schnitt und von der Farbe her, wie an meinem ersten Schultag. Egal.
Sie biegt das Mikrofon etwas zu sich heran.
„Liebe Schüler, nun startet der letzte Abschnitt eures Prüfungsjahres. Nur noch wenige Wochen und ihr beginnt mit eurem Studium oder eurer Ausbildung. Jetzt heißt es für euch, noch einmal alles zu geben. Denkt daran, welche Bedeutung gute Schulabschlüsse für euch, aber auch für eure geliebte Schule haben.“
Ich muss mir ein Auflachen verkneifen. Von wegen geliebter Schule.
„Ich weiß, jede und jeder von euch wünscht sich, einen Platz an der Eliteuniversität von Kaledora zu bekommen. In diesem Jahr hat die Universität allerdings mitgeteilt, dass es Einschränkungen gibt.“
Dani wird ganz nervös. Sie hat einmal erzählt, dass es ihr größter Traum wäre, auf die Uni von Kaledora zu gehen. Die Kunstfakultät dort hat etliche der besten Künstler hervor gebracht. Unter anderem war Resa dort.
„Wegen Baumaßnahmen an den Gebäuden ist die Zahl neuer Studenten für dieses Jahr eingeschränkt worden. Wegen meiner außerordentlich guten Verbindungen zu der Uni…“ Puh, Eigenlob. „… konnte ich uns zwei Plätze fest sichern. Der eine Platz ist im Bereich Kunst.“ Dani hält die Luft an. „Der zweite Platz ist nicht an eine Fakultät gebunden.“
Sie macht eine dramatische Pause.
„Es werden nur die oder der Beste aus der Kunstklasse und die oder der Beste aus den Klassen Wirtschaft oder Wissenschaft dorthin gehen können. Alle anderen werden sich woanders umschauen müssen.“
Wieder macht sie eine Pause, um die Spannung zu erhöhen. Ihr Blick schweift über die versammelten Schüler. Bei uns Dreien bleibt er hängen.
„Zur Halbzeit sind die Besten: In der Kunstklasse Danaida Mesru …“ Unsere Direktorin wird von Danis Jubelschrei unterbrochen. Erstaunlicherweise quittiert sie das mit einem leichten Lächeln statt eines eisigen Blicks. Hat die Frau doch so etwas wie ein Herz?
„In den Klassen Wirtschaft und Wissenschaft gibt es eine herausragende Schülerin: Eyra Dorba. Um Eyra noch einzuholen, werden sich die Schüler dieser beiden Klassen mächtig anstrengen müssen.“
Bedeutungsvoll sieht sie noch einmal alle Schüler an.
„Ich wünsche euch erfolgreiche Wochen. Nun geht bitte wieder zurück in eure Klassen.“
In nächsten Moment habe ich Dani schon am Hals hängen. „Kaledora, das wäre sooo toll.“
Ich lächle und streiche ihr über den Rücken, als plötzlich eine knurrende Stimme hinter mir ertönt. Kurd, natürlich. „Na, ihr Lesben, wollt ihr euch in Kaledora auch ein gemeinsames Zimmer nehmen? Aber freut euch nicht zu früh.“ Mit diesen gehässigen Worten rauscht er mit seinem Gefolge davon.
Dani und ich sehen uns einen Moment an. Gleichzeitig prusten wir los.
Zwei Tage darauf sind wir in der Sporthalle. Sport haben wir als eines der wenigen Fächer zusammen. Zu den Prüfungsrichtlinien gehört, dass wir in einer Mannschafts- und einer Einzelsportart Prüfungen ablegen. Meine Einzelsportart ist klar, Kampfsport. Nach dem Training mit Thanat rechne ich mir bei der Prüfung gute Chancen aus. Bei der Mannschaftssportart habe ich mich für Lochball entschieden.
Beim Lochball wird eine Holzplatte senkrecht aufgestellt oder irgendwo angeschraubt. In drei Metern Höhe ist ein Loch in dem Brett. Gespielt wird mit einem etwa kopfgroßen Ball. Der Ball muss in das Loch geworfen werden. Leider, für mich, darf man den Ball nicht hoch halten und über das Spielfeld tragen. Das wäre es. Bei meinen langen Armen und Beinen. Man muss den Ball mit der Hand dribbeln. Jede Mannschaft hat vier Spieler. Körperkontakt ist erlaubt, aber nur gegenüber dem ballführenden Spieler. In der Regel werden Turniere ausgetragen. Dabei dauert jede Begegnung 20 Minuten reine Spielzeit, also ohne Unterbrechungen.
Mein Vorteil ist, dass meine Gegenspieler meinen Ballwurf meist nicht abblocken können, weil ich den Ball zu hoch halten kann. Sie können mich eigentlich nur durch Anrempeln behindern. Für die Prüfung gibt es feste Mannschaften, die vorher zusammen trainieren können. Klar, wer mein Wunschpartner ist. Und klar, in welche Mannschaft er sich gewählt hat. Witzigerweise hat die kleine Dani auch Lochball gewählt. Beim Training habe ich aber immer wieder staunend erlebt, wie Dani Gegenspieler umwuselt und ausspielt. Sie ist ungemein flink. Das macht bestimmt der niedrige Schwerpunkt. Sagen darf ich ihr das aber nicht. Dann setzt es was.
Unser viertes Mannschaftsmitglied ist Thorb. Einer aus der Kunstklasse. Thorb ist weder besonders groß, noch besonders klein. Er ist nett. Hat mich akzeptiert. Und er versteht Spaß.
Natürlich gibt es eine Mannschaft rund um Kurd. Lauter Kerle. In Trainingsspielen zeichneten sie sich durch besondere Härte aus. Sie sind vom Ehrgeiz zerfressen. Sie wollen unbedingt als beste Mannschaft die Prüfung beenden. Denn bei der Mannschaftsprüfung gibt es eine Besonderheit. An unserer Schule gibt es zu wenige Mannschaften für ein ordentliches Turnier. Deshalb spielen die Mannschaften aller Schulen der Stadt den Gesamtsieg aus. Das Turnier ist inzwischen ein mediales Ereignis. Die Spiele werden im Tivi übertragen. Die Mitglieder der Siegermannschaft erhalten einen halben Bonus. Siegt die Mannschaft entweder ohne Gegenpunkte oder mit mehr als zehn Punkten Vorsprung, gibt es einen ganzen Bonus. Logisch, dass dieses Turnier nicht eben in freundschaftlicher Atmosphäre stattfindet. Es hat durchaus schon Verletzte gegeben. Die bluthungrigen Zuschauer lechzen danach. Aber der Bonus ist wichtig, also müssen wir da durch.
Heute ist unser letztes Training, bevor es zum Turnier geht. Das findet am nächsten Achten statt.
Wir vier trainieren unsere Spielzüge. Thanat macht den letzten Mann. Denn wenn er springt, kann er Bälle noch vor dem Loch abfangen. Er baut dann unser Spiel von hinten auf. Meist sind Dani und Thorb im Mittelfeld, während ich versuche, den Ball ins Loch zu befördern.
Neben den Privaten gibt es noch zwei weitere Mannschaften. Mein Eindruck ist, dass sie selbst für sich wenig Aussichten auf den Gesamtsieg sehen. Mit Thanat haben wir schon ein Pfund in der Verteidigung. Während die Privaten in der Härte ihre Chance sehen.
Unser Lehrer schaut uns zu und gibt noch ein paar taktische Tipps. Er hat sichtlich Spaß an unserer Strategie. Zwei so baumlange Spieler hat er auch noch nie in einer Mannschaft erlebt. Die häufigste Strategie ist eben Härte. Deswegen ist das Spiel beim Publikum auch so beliebt. Unsere Spielweise hebt sich deutlich ab. Wir versuchen es durch Schnelligkeit und lange Pässe. Mal sehen, wie weit wir damit kommen.
Am nächsten Tag sehe ich auf dem Flur des Schulgebäudes wie mehrere ältere Schüler ein Mädchen aus der untersten Klasse drangsalieren. Die Erinnerung, wie es mir früher ergangen ist, beißt mich regelrecht in den Magen. Und diese Erinnerung ist es, die mich mit großen Schritten zu der Gruppe führt. Ich packe zwei der größeren Jungs am Kragen und ziehe sie weg. Erbost drehen sie sich zu mir um. Als sie mich erkennen, werden ihre Augen riesig. Die Aktion ruft ihre Kumpels auf den Plan. Sie lassen von dem weinenden Mädchen ab und wollen ihnen helfen. Aber nur so lange, bis sie meine „Rückendeckung“ sehen. Denn es steht für mich ohne Zweifel fest, dass Thanat nicht weit weg ist. Verächtlich sehe ich die Gruppe an.
„Ihr seid ja wahre Helden. Fünf Kerle gegen ein kleines Mädchen. Toll. Ich bin beeindruckt. Warum sucht ihr euch keine gleichstarken Gegner? Ach nein, das geht ja nicht. Da würdet ihr ja vielleicht den Kürzeren ziehen.“ Bei den ersten Jungs zeigt sich Scham in den Augen. Nur der, der an meiner rechten Hand hängt, setzt einen rotzfrechen Blick auf. Bevor er auch nur ein Wort rausbringt, sehe ich ihm fest in die Augen.
„Hast du Geschwister?“ Verdattert von der Wendung nickt er.
„Jünger als du?“ Wieder ein Nicken.
„Würdest du es gut finden, wenn deine Geschwister von Älteren drangsaliert werden?“ So etwas wie Betroffenheit schleicht sich in sein Gesicht. Er senkt die Augen. Dann schüttelt er den Kopf.
Ich lasse die Beiden los.
„So, nun entschuldigt euch bei dem Mädchen. Wenn ich euch noch einmal erwische, lade ich euch zu einem Probetraining im Kampfsport ein. Dort könnt ihr zeigen, was ihr wirklich draufhabt. Mit mir oder mit Thanat als Trainingspartner.“ Entsetzte Blicke gehen an mir vorbei. Womit klar ist, dass meine Rückendeckung wirklich da ist. Die Tränen des Mädchens versiegen bereits. Mit staunenden Augen verfolgt sie das Geschehen.
Betreten wenden sich die Jungs an das Mädchen und entschuldigen sich kleinlaut. Einer zieht gar eine Münze aus der Hosentasche und gibt sie dem Mädchen, damit sie sich in der Kantine dafür etwas kaufen könne. Mit einem letzten Blick auf meine Reaktion trollen sie sich. Ich knie mich vor das Mädchen.
„Ist bei dir alles in Ordnung?“ Sie sieht mich mit großen Augen an. Nach einigen Sekunden beginnt sie zu strahlen und fällt mir um den Hals. Sie flüstert mir ein „Danke“ ins Ohr. Nachdem sie mich losgelassen hat, rennt sie zu ihrer Freundin, die ein paar Meter entfernt steht und immer noch entsetzt die Hände vor dem Mund hält. Sofort stecken beide die Köpfe zusammen und beginnen zu tuscheln. Als ich aufstehe, sehe ich Frau Mondran, die offensichtlich einen Teil meiner Aktion beobachtet hat. Anerkennend neigt sie den Kopf.
Als Thanat und ich weiter zu unserem Klassenraum gehen, drückt er meine Schulter leicht. Seine Augen leuchten, als er sagt: „Gut gemacht.“
Das Wissen, selbst jemandem helfen zu können, wärmt mich ganz tief. Das könnte mir gefallen. Vor allem mit IHM als Unterstützung. Ich schenke ihm mein schönstes Lächeln während wir den Klassenraum erreichen. Denn vor der Zeit mit Thanat hätte ich mich das nie getraut.
Tags darauf ist es so weit. Dani und ich fahren mit Thanats Galaxis zur Veranstaltungshalle. Thorb kommt mit seinen Eltern, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Danis Eltern kommen mit dem Bus.
Wir werden in die Katakomben geführt, wo es etliche Umkleideräume für die Mannschaften gibt. Nachdem wir uns umgezogen haben, gehen wir in die Halle. Es sind für die Vorrunde mehrere Spielfelder aufgebaut. Wenn eine Mannschaft verliert, ist sie direkt raus. Es wird im K.O.-System gespielt.
Die Halle tobt. Anfeuerungsrufe für Mannschaften von Mitschülern oder Eltern dröhnen durch die Halle. Schlachtrufe von Schulen mischen sich durcheinander. Fahnen und Tücher werden geschwenkt. Neben den Spielfeldern sind feste Kameras aufgebaut. Auch Kameramänner mit ihren beweglichen Aufnahmegeräten laufen überall herum. Als Thanat und ich die Halle betreten, richten sich gleich mehrere Objektive auf uns. Klar, wie immer fallen wir auf. Auf den Großbildleinwänden wird unsere Mannschaft gezeigt. Dani und ich bilden einen enormen Kontrast, wie wir so nebeneinander stehen. Der Regisseur findet das wohl auch so, denn er legt das Bild direkt für alle sichtbar auf die Hauptbildschirme. Für einen Moment möchte ich aus der Halle fliehen. Die Aufmerksamkeit ist mir zu viel.
Thanat greift nach meiner Hand und drückt sie fest. Er grinst erst mich an, bevor er mit dem gleichen Gesichtsausdruck in die Kameras schaut. Er zieht meinen Arm nach oben. So stehen wir quasi in einer Siegerpose im Licht der Scheinwerfer. Wir scheinen Fans zu haben, denn der Tumult in der Halle wird gleich noch viel lauter. Als sich auch Dani und Thorb unserer Pose anschließen, wird es regelrecht frenetisch laut in der Halle. Gemeinsam gehen wir zu unserer Bank. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie mein Hintern im Großformat gezeigt wird. Muss das denn sein? Hat nicht jeder das Recht am eigenen Hintern? Thanat hat es wohl auch bemerkt. Er schiebt sich zwischen die Kameralinse und mein Heck. Sein Hintern ist nicht von schlechten Eltern. Findet auch der Kameramann und hält weiter drauf. Die vereinzelten, anerkennenden Pfiffe scheinen mir ausnahmslos von Frauen zu kommen, als er seine ansehnlichen Gesäßmuskeln, in der engen Hose gut sichtbar, ein paar Mal anspannt.
Die ersten Spiele beginnen. Laut Spielplan sind wir in der dritten Runde dran. Unsere Gegner kommen von einer anderen Schule. Unsere Privaten spielen bereits in der zweiten Runde.
Wir sitzen günstig, um unsere hauseigenen Gegner beobachten zu können. Bereits in der zweiten Minute checkt Kurd einen Gegenspieler. Als der ins Stolpern gerät, schlägt Kurd ihm noch auf die Nase. Der Gegenspieler bleibt mit blutender Nase liegen. Kamera drauf. Großformat. Kurd bekommt zwei Strafminuten. Der Gegenspieler wird am Spielfeldrand behandelt. Wahrscheinlich kommt der bis zum Ende des Spiels nicht wieder zurück. Ersatzspieler gibt es nicht. Bestimmt wollte Kurd durch seine Aktion erreichen, dass die gegnerische Mannschaft in Unterzahl spielen muss, sobald er wieder auf dem Platz ist. Die restlichen drei Spieler der anderen Schule sind nun verunsichert. In der Folge gehen sie unter. Kurds Team gewinnt mit vier Punkten Vorsprung.
Unsere Schule jubelt ihm zu. Nur meine Mannschaft nicht.
Dann sind wir dran. Wir gehen auf unser Spielfeld. In unserer Hälfte bilden wir einen Kreis, halten die Hände übereinander und feuern uns gegenseitig an.
Beide Mannschaften nehmen ihre Plätze ein. Alle sind normal groß. Ein Mädchen und drei Jungs sind sie. Dani grinsen sie verächtlich an, bei mir sind sie nachdenklich, Thanat schüchtert sie ein. Er kann aber auch so was von siegesgewiss grinsen. Das muss ich unbedingt üben. Findet auch der Regisseur, weil Thanats Gesicht im Großformat erscheint. Ob Libertah auch zusieht? (Nachtrag: Habe später erfahren, dass ganz Libertah vorm Bildschirm hing.)
Ich bin Mannschaftskapitänin. Deshalb lose ich mit dem Kapitän der anderen Mannschaft aus, wer Anstoß hat. Er gewinnt. Sie bekommen den Ball und beginnen ihren Angriff unter ihrem Loch. Respekt, sie verstehen es, sich die Bälle zuzupassen. Mich spielen sie aus. Thorb auch. Dani steht falsch. Zwei Spieler laufen auf Thanat zu, während Thorb hinterher rennt. Der Spieler links von Thanat passt zu seinem rechts mitlaufenden Kollegen. In dem Moment hechtet Thanat vor und fängt den Ball ab. Er rollt sich ab, springt auf und wirft mir den Ball über die anderen gegnerischen Spieler hinweg zu. Er spielt den Ball hoch, wie wir es trainiert haben. Mühelos kann ich ihn aus der Luft pflücken. Der Verteidiger bei mir versucht zwar, an den Ball zu springen. Schafft es aber nicht. Ich mache zwei Schritte und versenke den Ball dann im Loch. 1:0 für uns.
Auf den Rängen werden unsere Fahnen unter lautem Jubel geschwenkt.
Die Gegner bauen ihren nächsten Angriff auf. Dieses Mal gehen Dani und ich gegen den ballführenden Spieler. Ich schlage ihm den Ball aus der Hand. Bevor dessen Kumpel ihn sich schnappen kann, ist Dani unten und hat den Ball. Sie wirbelt herum, dribbelt ihren Gegner aus und steht frei vor dem Loch. Ein gezielter Wurf. Drin. 2:0. Und erst drei Minuten gespielt. „Dani“-Schlachtrufe erklingen. Das müssen ihre Fans aus der Kunstklasse sein.
Unsere Gegner sind deutlich verunsichert. Ihr dritter Angriff läuft. Thorb wird ausgespielt. Ich auch. Dani blockt zwar einen Gegner ab, doch der vierte Mann versucht es mit einem Fernwurf. Der kommt gut. Der geht rein. In dem Moment springt Thanat hoch und fängt den Ball vor dem Loch ab. Die Planer des Spiels haben definitiv nicht mit einem sprungstarken Zwei-Meter-Mann gerechnet. Sonst hätten sie das Loch höher vorgesehen. Thanat wirft mir den Ball über das gesamte Spielfeld zu. Drehen, zielen, werfen, drin. 3:0.
Am Ende gewinnen wir klar mit 9:2. Als unser Vorsprung uneinholbar wurde, haben wir einen Gang zurück geschaltet und versucht ein paar schöne Spielzüge zu zaubern. Unsere Gegner haben die ganze Zeit fair gespielt. Es kam zu keinen unnötigen Härten. Deswegen fällt es uns auch leicht, uns einzeln von ihnen zu verabschieden.
Wieder sind wir in Großaufnahme zu sehen, als wir uns zu viert umarmen. Es muss wohl besonders lustig aussehen, wenn wir beiden Riesen unsere kleineren Mitspieler drücken.
Nach einem weiteren Spiel sind wir unter den vier letzten Mannschaften. Kurds Truppe leider auch. Einer ihrer Gegner musste sogar mit der Trage hinaus gebracht werden.
Vor den letzten Begegnungen ist eine kleine Pause. Unser Gegner ist nicht Kurds Mannschaft. Wenn es schlecht läuft, stehen wir ihm im Endspiel gegenüber, wenn wir unsererseits gewinnen. Keine schöne Aussicht. Wir stärken uns etwas. Stecken die Köpfe zusammen und beraten unsere Strategie. Natürlich wissen die anderen Mannschaften nun auch, was unsere Stärken sind. Sie versuchen vor allem gegen Thanat und mich tiefe Bälle. Aber unsere Mischung aus kleinen und großen Spielern versalzt ihnen die Suppe. Unser Gegner hat einen bulligen Typen dabei. Der meint Thanat wegchecken zu können. Es sah schon lustig aus, als er Thanat rammte und dann selbst auf dem Boden saß. Das Publikum hat gegrölt vor Lachen.
Unsere letzten Gegner fegen wir mit 7:3 vom Platz. Schade nur, dass auch Kurd gewinnt.
Unsere Schulkameraden und die Lehrer sind natürlich aus dem Häuschen. Ein Finale mit Teams einer Schule ist extrem selten. Sogar unsere Direktorin lächelt. Das gibt sicher wieder Sonderzahlungen für die Schule. Das bereitet ihr immer Spaß.
Uns ist klar, dass die Gangart jetzt hart wird. Ein Blick in die Gesichter der Privaten zeigt, dass sie überhaupt keine Zurückhaltung üben werden. Der Schiedsrichter ermahnt deshalb via Lautsprecher auch noch mal beide Teams, dass fair gespielt werden muss. Uns muss er das nicht sagen.
Zum letzten Spiel stellen wir uns auf. Ich gewinne die Auslosung für den ersten Angriff. Thanat ruft uns zusammen. „Wir machen einen Durchmarsch. Eyra rechts, ich links, ihr sichert hinten.“ Das bedeutet, Thanat will bis vorne vor dribbeln und mich dann anspielen. Diese Technik hatten wir noch nicht eingesetzt und hoffen die anderen damit zu überraschen.
Dani nimmt den Ball und stellt sich unter das Loch. Thorb baut sich in der Mitte auf. Thanat und ich nehmen unsere Positionen ein. Der Anpfiff kommt. Dani passt zu Thanat. Er dribbelt los. Der erste Gegner stürmt von der Seite auf ihn zu. Will ihn rammen. Thanat steppt zur Seite. Der Gegner verfehlt ihn, klatscht auf den Bauch und rutscht vom Feld. Das Publikum johlt. Thanat spielt mit dem Ball. Dribbelt ihn durch seine Beine. Der nächste Gegner greift ihn an. Thanat wirft den Ball in einer hohen Kerze über ihn. Der Gegner dreht sich von Thanat weg, weil er den Ball hinter sich sucht. Thanat stützt sich auf seine Schultern und springt über ihn. Bei der Landung fängt er den Ball und stürmt weiter. Das Publikum schreit vor Begeisterung. Jetzt hat er nur noch Kurd vor sich. Thanat täuscht links, täuscht rechts. In dem Moment kommt der zweite Gegner von hinten an. Thanat springt zur Seite, Kurd und sein Mannschaftskamerad stoßen zusammen, als Thanat plötzlich nicht mehr zwischen ihnen steht. Als Knäuel gehen sie zu Boden. Thanat passt im hohen Bogen auf meine Seite. Mein Gegner versucht noch, an den Ball zu kommen. Keine Chance. Ich schnappe ihn, laufe zwei Schritte in die Mitte. Perfekte Position. Wurf. Drin. 1:0.
Von allen Seiten wird stürmisch applaudiert. Ich glaube, die Brutalität von Kurd kam nicht bei allen so gut an.
Der Gegner greift an. Ich störe früh und binde damit zwei Gegner. Sie passen zu ihrem dritten Kameraden, Kurd. Thorb tritt ihm entgegen. Kurd dreht sich weg und kommt damit in die Reichweite von Dani. Sie reißt ihm den Ball aus der Hand, wieselt um den vierten Mann, wirft. Punkt! 2:0.
Dani läuft zurück, wir klatschen uns ab. Die „Dani! Dani!“-Rufe bringen die Halle zum Wackeln.
Der nächste Angriff bricht durch. Kurd versucht Thanat zu umspielen. Das gelingt ihm nicht. Also versucht er eine Bogenlampe. Aber zu ungenau. Der Ball geht ins Aus.
Thanat nimmt den Ball. Er sieht uns an. „Vor und zurück. Eyra und ich, Thorb nach vorne, Dani hängend.“ Noch eine Taktik, die wir bisher nicht ausprobiert haben. Thanat und ich spielen uns den Ball zu. Dabei laufen wir mal vor, mal zurück. Damit wollen wir möglichst viele Gegner auf uns ziehen und Thorb und Dani die Gelegenheit geben, sich vorne frei zu stellen. Es gelingt. Wir binden drei Gegner. Dani bindet den vierten, während Thorb sich durchmogelt. Als ich eine Lücke entdecke, passe ich zu Thorb. Der muss nicht viel mehr tun, als das Ei ins Nest zu legen. 3:0.
Das Spiel fängt an, mir Spaß zu machen.
Die Halle erbebt unter dem rhythmischen Stampfen hunderter Füße. Thorbs Name wird skandiert.
Nächster Angriff der Privaten. Dieses Mal stört Thanat früh. Und wenn er stört, dann richtig. Blitzschnell ist er bei dem ballführenden Spieler. Der versucht den Ball an Kurd zu geben. Thanat nimmt Kurd den Ball förmlich aus der Hand. Dreht sich um die eigene Achse. Mit dem Rücken zum Loch stehend wirft er. Während Kurd noch auf seine leere Hand starrt, senkt der Ball sich ins Loch. 4:0.
Einen Moment ungläubige Stille. Dann johlen, pfeifen, schreien die Zuschauer. Wir traben in unsere Hälfte.
Wieder stürmen die anderen voran. Dani versucht zu checken. Aber das ist nun wirklich eine schlechte Idee. Folgerichtig geht sie zu Boden. Ist aber nichts passiert. Seine Überheblichkeit wird Danis Gegner aber zum Verhängnis. Während er Dani höhnisch angrinst, schnappt sich Thorb von der anderen Seite den Ball. Er dribbelt los. Kurd will ihn aufhalten. Thorb passt zu mir. In dem Moment knallt Kurd Thorb den Ellbogen ins Gesicht. Thorb geht zu Boden. Ich bin einen Moment entsetzt. Augenblicklich kommt der Pfiff vom Schiedsrichter. Ich werfe den Ball ins Seitenaus und laufe zu Thorb. Der liegt auf dem Boden und hält sich die Hände vor das Gesicht. Dani und Thanat erreichen ihn kurz nach mir. Thorb wirkt ganz benommen. Sanitäter bringen ihn vom Spielfeld. Kurd bekommt zwei Minuten Zeitstrafe. Natürlich protestiert er laut. Das hilft ihm aber nichts, weil Thorb zum Zeitpunkt seines Angriffs den Ball nicht mehr führte.
Wir bekommen einen Freiwurf ab der Stelle des Angriffs. Dani nimmt Aufstellung. Thanat ist hinter ihr. Ich stehe weiter vorne. Dani deutet einen Pass zu mir an. Als alle glauben, sie wirft, stürmen sie in meine Richtung. Dani lässt den Ball aber nach hinten abtropfen und sprintet los. Thanat nimmt den Ball auf. Die verwirrten Gegner lassen gerade von mir ab und wollen Thanat angreifen. Da ist Dani in Position. Thanat spielt sie an. Bevor die Gegner sie erreichen, hat sie den Ball aufgenommen. Wumms. Drin. 5:0. Halbzeit des Spiels.
Eine Pause wird nicht gemacht. Thorb kommt zurück. Sein rechtes Auge hat ein wunderschönes Veilchen. Am Ersten wird er damit in der Schule der Star sein. Das Publikum ist nicht mehr zu bremsen. Unter „Thorb! Thorb!“-Rufen stellt er sich auf. Er winkt sogar lächelnd ins Publikum. Ich mag ihn.
Neuer Angriff. Wir sind noch in der Überzahl. So gelingt es uns relativ einfach, den Ball zu ergattern. Thorb spielt zu mir. Ich habe freie Bahn. Sprung. Wurf. Punkt. 6:0.
Auf einer der Leinwände sehe ich mein lachendes Gesicht in der Großaufnahme. Dani spingt mir an den Hals und drückt mich. Riesengejohle beim Publikum. Thanat drückt mich auch kurz, aber herzlich. Als das Bild im Großformat angezeigt wird, spielt der Regisseur kurz einen Jingle ein. Von einem Hochzeitslied! Oh, Mann. Brüllendes Gelächter im Publikum.
Kurd kommt zurück auf den Platz. Einige Buhrufe erklingen.
Seine Mannschaft greift an. Einer schlüpft durch. Gerade als er einwerfen will, rammt Thanat ihn. Eine Dampfwalze wäre wahrscheinlich gesünder für den Kerl gewesen. Er ist platt und der Ball im Aus.
Thanat nimmt den Ball. Er streckt den Arm in die Höhe und zeigt einen Finger. Okay, der Mann will ein Solo spielen. Wir sollen ihm den Weg frei räumen. In Dreierformation stürmen wir vor. Thanat folgt uns ein paar Schritte später. Wie geplant ziehen wir Verteidiger mit. Dadurch kann Thanat relativ frei durchlaufen. Als die Gegner merken, dass er gar nicht abspielen will, ist es zu spät. Thanat zielt kurz. Wurf. Perfekt. 7:0.
Jetzt muss auch dem Dümmsten unserer Gegner klar sein, dass wir das Spiel machen. Sogar alle Zuschauer haben es kapiert. Es werden nur noch unsere Namen gerufen. Die Halle dröhnt. Kurd und seine Genossen machen entsprechend verdrießliche Gesichter. Ich sehe wie Kurd auf Dani weist. Mir schwant Übles.
Und richtig. Beim nächsten Angriff rammt der Ballführer Dani unnötig hart. Sie geht zu Boden. Da der Angriff regelkonform ist, wird nicht unterbrochen. Dani liegt noch.
Thanat blockt den Angreifer. Hart. Der legt sich ebenfalls hin. Thanat übernimmt den Ball. Spielt zu Thorb. Der dribbelt los. In dem Moment tritt Kurd ihm von hinten in die Knie. Mit einem Aufschrei geht Thorb zu Boden. Der Ball entgleitet ihm. Kurd nimmt ihn auf, will sich gerade in Richtung unseres Lochs drehen, da wird auch er platt gewalzt. Thanat ist jetzt echt sauer. Er stürmt zum gegnerischen Loch. Mit Wut im Bauch schleudert er den Ball ins Ziel. 8:0.
Das Spiel wird unterbrochen. Thanats erster Gegner steht nicht mehr auf. Er wird vom Platz getragen. Aber auch Dani und Thorb sind außer Gefecht. Das Publikum ist einen Moment still. Erst als Dani und Thorb müde winken, klatschen sie ihnen Beifall. Kurd lacht hämisch, als er sieht, dass sich unsere Mannschaft schlagartig halbiert hat.
Er weiß, dass er nicht mehr gewinnen kann. Jetzt will er uns vernichten. Man kann die Mordlust in seinen Augen sehen. Sein Blick wird im Großformat gezeigt. Manch einer atmet entsetzt scharf ein. Noch sind es zwei Minuten.
Thanat und ich sehen uns an. Wir klatschen unsere Hände aneinander. Jetzt erst recht. Das ganze Publikum steht hinter uns. Eigentlich müsste der Schalldruck der Anfeuerungsrufe die Hallendecke wegsprengen.
Wir machen hinten dicht. Die drei Gegner passen sich vor uns den Ball zu. Sie suchen eine Lücke, um an uns Riesen vorbei zu kommen. Der Linksaußen schafft es irgendwann. Er stürmt vor, spürt aber den Atem von Thanat im Nacken. Da hätte ich auch Angst. Er holt aus, will werfen und hat plötzlich eine leere Hand. Thanat hat den Ball. Ich sprinte vor. Jetzt kommen meine langen Beine voll zum Einsatz. Mein Sprint erscheint im Großformat. Thanat wirft den Ball. Er senkt sich im Bogen in meinen Lauf. Meine kurzbeinigeren Gegner habe ich abgehängt. Der Ball kommt runter. Ich fange ihn. Ziele kurz. Exakt ins Schwarze. 9:0. Noch eine Minute.
Thanat und ich umarmen uns. Wieder Großformat. Wieder Jingle. Gut, dass mein Gesicht schon von der Anstrengung rot ist.
Letzter Angriff der Privaten. Kurd hat den Ball. Seine zwei Kumpels spielen Rammbock. Sie stoßen mich beiseite. Nicht regelkonform, aber der Schiedsrichter kommt kaum zum Abpfeifen. Da ist Kurd an Thanat heran gekommen. Er will mit Gewalt durchbrechen. Blitzschnell geht Thanat in die Hocke. In dem Sekundenbruchteil, als Kurd ihn berührt, schnellt er hoch. Kurd wird über ihn hinweg geschleudert. Mit einem satten Klatscher landet er auf dem Gesicht. Blut fließt aus der Nase. Der Ball kullert ins Aus. Die Uhr wird gestoppt.
Kurd wird vom Platz geführt. Wir haben den Ball. Noch acht Sekunden. Thanat steht an unserer Auslinie. Ich werde im gegnerischen Bereich von zwei Gegnern gedeckt.
Wiederanpfiff.
Thanat hebt den Ball.
Noch sieben Sekunden.
Holt aus.
Noch sechs Sekunden.
Der Ball fliegt.
Der Ball beschreibt eine laaaange Kurve. Atemlose Stille im Publikum.
Der Ball ist auf dem Zenit seiner Kurve.
Noch fünf Sekunden.
Der Ball senkt sich.
Noch vier Sekunden.
Der Ball hält genau auf das Loch zu.
Noch drei Sekunden.
Der Ball trifft das Loch.
Noch eine Sekunde.
Der Treffer wird bestätigt.
Null Sekunden. Der Schlusspfiff. 10:0 gewinnen wir.
Wie aus einer Kehle brüllen die Leute. Sie schreien, pfeifen, springen herum. Klopfen ihren Nachbarn auf die Schultern. Die Halle kocht.
Ich laufe zu Thanat. Wir liegen uns in den Armen. Millionen Zuschauer an den Bildschirmen sehen unsere ausgelassene Freude. Das ist mir in dem Moment egal. Wir hüpfen herum. Dani und Thorb kommen dazu gehumpelt. Zu viert tanzen wir auf dem Spielfeld. Die Privaten schleichen wie geprügelte Hunde vom Platz.
Schulkameraden und Lehrer stürmen auf uns zu. Wir sind im Zentrum einer riesigen Menschentraube. Sie klopfen auf unsere Schultern, beglückwünschen uns. Schreien uns ihre Freude in die Ohren. Zuletzt heben sie uns auf ihre Schultern und tragen uns im Triumphzug einmal durch die Halle. Alle Zuschauer sind aufgestanden. Wir bekommen stehend einen frenetischen Applaus. In Wellen reißen sie die Arme in die Höhe. Der Jubel nimmt kein Ende. Noch nie hat es so lange anhaltenden Beifall für die Gewinner gegeben.
Irgendwann werden wir zur Tribüne getragen, wo der Stadtpräsident mit den Pokalen für den Sieger und den Vize wartet. Unsere Direktorin steht neben dem Präsidenten. Wie ungewohnt es ist, sie so echt Lachen zu sehen. Wirklich, sie lacht. Wir werden herunter gelassen.
Kurd und seine Truppe stehen schon an der Tribüne. Kurd mit einer wunderschönen roten Nase. Das gibt morgen eine tolle Knolle.
Der Jubel verstummt.
Der Präsident nimmt sich ein Mikrofon.
„Heute haben wir eine besondere Mannschaft mit einem historischen Ergebnis gesehen. Einen zweistelligen Sieg ohne Gegenpunkte hat es in der Geschichte dieses Turniers noch nie gegeben. Gewonnen zudem von einer Mannschaft, die fair gespielt hat, verdient hohe Anerkennung. Deshalb hat das Komitee beschlossen, diesen Sieg mit anderthalb Bonuspunkten zu belohnen.“
Donnernder Applaus unterbricht den Präsidenten. Dani, Thorb, Thanat und ich klatschen uns ab.
„Es gehört sich, dass wir auch den Verlierern gratulieren. Ich darf den Mannschaftsführer zu mir bitten.“
Kurd tritt mit zerknirschter Miene vor.
„Sie haben ein gutes Turnier gespielt. Sind im Finale aber an der besseren Mannschaft gescheitert. Ich überreiche Ihnen den Pokal für den zweiten Platz.“
Mit angewidertem Gesicht nimmt Kurd den Pokal entgegen. Er sieht ihn einen Moment säuerlich an. Mit wutverzerrter Miene schmettert er ihn auf den Boden und verlässt mit zornigen Schritten die Halle. Begleitet wird er von einem gellenden Pfeifkonzert.
Der Präsident sieht ihm verdattert hinterher.
Er räuspert sich. „Naja, kann wohl nicht gut verlieren.“ Gejohle von den Zuschauern quittiert die Äußerung.
„Ich möchte nun die Spielführerin der siegreichen Mannschaft zu mir bitten.“
Ich trete vor. Meine Mannschaft folgt mir dicht auf.
„Sie haben wunderbar gespielt. Ich möchte wetten, einige Profimannschaften lecken sich schon alle zehn Finger nach Ihrem Team. Ich werde mir das Vergnügen bereiten und mir das Spiel heute Abend noch einmal ansehen. In Zeitlupe!“ Seinen letzten Satz unterstreicht er mit einem Lachen. Das wird von der Tribüne unterstützt.
Er reicht mir die Hand, um mir zu gratulieren. Anschließend gratuliert er Dani, Thorb und Thanat. Auch unsere Direktorin schüttelt uns mit breitem Lachen die Hände.
Der Präsident überreicht mir den Pokal. Wir vier scharen uns einen Moment um den Pokal. Lachend drehen wir uns um und recken ihn gemeinsam in die Höhe.
Ohrenbetäubender Applaus erschüttert die Halle. Minutenlang werden wir gefeiert. Wir laufen eine Ehrenrunde durch die Halle. Beifallswellen schwappen durch das Rund. Alle Kameras sind auf uns gerichtet. Meine Eltern sagen mir später, dass ganz Libertah eine Partyzone war. Dort wurde auf den Straßen gefeiert.
Nach fast einer Stunde des Jubelns, der Interviews, der Gratulationen legt sich der Trubel und die Halle leert sich.
Wir gehen in unsere Umkleidekabine. Dort duschen wir und machen uns fertig für unsere private Siegesfeier. Thorbs und Danis Eltern haben einen Tisch in einem Restaurant reserviert.
Als wird in dem Lokal eintreffen, steht das Personal Spalier. Sogar die anderen Gäste stehen auf und klatschen uns Beifall. Wir werden an unseren Tisch geführt. Den Pokal stellen wir in die Mitte des Tisches. Der Wirt lädt uns auf einen Schaumwein ein.
Wir lachen, wir feiern, wir schwatzen, einzelne Spielzüge werden bis zum Gehtnichtmehr durchgesprochen. Wir sind glücklich.
Thorb und seine Eltern verabschieden sich als Erste. Wir bleiben mit Dani und ihren Eltern sitzen. Dani ist immer noch selig.
„Das war ein Riesenschritt auf dem Weg zur Besten in der Kunstklasse. Damit habe ich eine Voraussetzung für ein Studium in Kaledora geschafft.“
Ihre Eltern freuen sich wohl für ihre Tochter, man kann ihnen aber eine gewisse Wehmut ansehen. Sie sind nicht reich. Und Kaledora ist eine Eliteuni. Dort sind die Nebenkosten sehr hoch. Das werden sie sich wahrscheinlich nicht leisten können. Und ein Stipendium ist schwer bis gar nicht zu bekommen.
Überrascht sehen wir auf, als eine Stimme fragt: „Guten Abend. Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?“
An unserem Tisch steht Herr Conster. Distinguiert wie immer. Ich stehe auf, und schüttele ihm die Hand. „Herr Conster, was treibt Sie denn hierher? Bitte nehmen Sie Platz.“
„Danke sehr. Nun, natürlich möchte ich Ihnen zu Ihrem grandiosen Sieg gratulieren. Eigentlich sehe ich mir Sportwettkämpfe selten an. Aber Ihr Spiel hat mich begeistert.“
Ich wende mich an Danis Eltern. „Entschuldigt bitte. Das ist Herr Conster. Als meine Eltern damals gekündigt und aus unserer Wohnung geworfen wurden, brachte Herr Conster uns die neuen Arbeitsverträge. Er ist fast so etwas wie ein guter Engel für uns.“
Herr Conster winkt ab. „Nein, nein. Ich handele doch nur im Auftrag. Aber danke für den Vergleich.“
„Darf ich Ihnen die Eltern von Dani vorstellen?“
Die Eltern und Herr Conster begrüßen sich.
„Tatsächlich bin ich wegen Dani hier.“ Dani schaut ihn verwirrt an. „Meinetwegen?“
„Ja. Ein gemeinsamer Freund hat Fotos einiger Ihrer Werke auf Libertah ausgesprochenen Fachleute gezeigt.“
„Welche Fachleute?“ Dani platzt fast vor Neugierde.
„Resa zum Bespiel.“
„RESA? Resa hat meine Kunstwerke gesehen? Oh, wie peinlich.“
„Warum peinlich? Sie fand Ihre Werke ausgesprochen gut. Sie sagte, Sie hätten unglaubliches Talent. Außerdem würde sie Sie gerne kennen lernen. Wenn Sie es einrichten können, mal nach Libertah zu kommen, würden sich Resa und ihr Mann sehr über einen Besuch von Ihnen freuen.“
„Ich kann Resa treffen?“ Dani ist fassungslos. Verwirrt schaut sie zu ihren Eltern. Ihre Mutter und ihr Vater strahlen über das ganze Gesicht, als sie die Freude ihrer Tochter sehen.
„Ja. Es muss auch nicht bei nur einem Besuch bleiben. Wenn ich Resa richtig verstanden habe, würde sie gerne ein oder zwei Kunstwerke mit Ihnen zusammen machen.“
Dani klappt der Unterkiefer herunter. Es wäre wahrscheinlich jetzt der passende Zeitpunkt, sie zu kneifen, damit sie merkt, dass sie nicht träumt.
„Nun, das könnte damit zusammen hängen, dass sie sich vergewissern will, ob das Geld gut angelegt ist.“ Herr Conster hat inzwischen tausende Lachfältchen um seine Augen.
„Geld? Wovon sprechen Sie?“
„Ach so, das habe ich noch gar nicht gesagt. Resa hat mit einem Freund über Ihr Talent gesprochen. Ich glaube, es war der Freund, der ihr die Bilder gab. Und gemeinsam haben sie beschlossen, dass es doch nicht schaden könnte, Talent zu fördern. Also haben sie einem gemeinsamen Freund davon erzählt. Der soll wohl auch ganz angetan von der Idee gewesen sein. Schließlich hat der Freund der Freunde seine Geldbörse aufgemacht und hinein gesehen. Er hätte wohl nur ‚Okay‘ gesagt. So wurde es mir vom Freund von Resa berichtet. Selbst war ich nicht dabei.“
Seine Mundwinkel zucken verdächtig. Dani hat inzwischen kugelrunde Augen und hektische rote Flecken auf den Wangen.
Ich sehe misstrauisch zu Thanat. Freund, ja?
„Nun, also haben die Freunde beschlossen, einen Fonds ins Leben zu rufen. Daraus sollen besonders talentierte Studenten gefördert werden. Einer der Freunde kannte Ihre herausragenden Schulnoten und bestätigte, dass Sie gute Aussicht auf einen Studienplatz in Kaledora hätten. Er war seeehr angetan von Ihnen. Also haben die drei Freunde beschlossen, dass Sie erste Nutznießerin des Fonds sein sollen.“
Dani stiert ihn nur an. Die kleine Münze ist noch nicht gefallen. Endlich dämmert es ihr.
„Der Fonds? Das Geld? Ich bekomme ein Stipendium?“
Herr Conster grinst breit und nickt. „Genau das ist der Plan. Wenn Sie es schaffen, nach Kaledora zu kommen, wird aus dem Fonds dort Ihr Aufenthalt bezahlt. Zudem erhalten Sie ein angemessenes Taschengeld.“
Dani holt einen Moment tief Luft. Muss das erst verarbeiten. Laut jubelt sie los. Sie fällt erst ihren Eltern, dann Herrn Conster, danach Thanat und mir um den Hals.
Während sie sich langsam wieder fasst, sehe ich zu Thanat. Er schaut mich an und blinzelt. Ich greife seine Hand und drücke sie fest. Ein „Danke“ hauche ich ihm zu. Ganz sicher hat er das eingefädelt. Geld von einer Person hätte Dani aus Stolz nie angenommen. Aber aus einem Fonds. Damit kann sie leben.
Herr Conster zieht einen Umschlag aus der Jackentasche. Den reicht er Dani. „Hier stehen noch einmal alle Daten drin. Außerdem finden Sie ein zweites Schreiben mit der Zusage des Stipendiums. Das werden Sie benötigen, wenn Sie sich an der Uni anmelden.“
Dani öffnet ehrfürchtig den Umschlag. Als sie die Höhe der Beträge, auch des Taschengeldes sieht, bleibt ihr die Spucke weg. Zitternd reicht sie die Zettel an ihre Eltern weiter. Auch deren Augen werden riesengroß.
„Mit dem Stipendium geht einher, dass Sie nichts erstatten müssen, wenn Sie das Studium erfolgreich abschließen.“
Dani nickt nur. Sagen kann sie immer noch nichts.
Herr Conster erhebt sich. Er nickt uns allen zu und verabschiedet sich. Thanat winkt ihm zu. Ich stehe auf und bedanke mich. Dani und ihre Eltern machen es ebenso.
Danis Vater meint nur. „Darauf muss ich etwas trinken.“ Wir lachen. Er ruft nach der Bedienung.
Dani sieht weiterhin ungläubig auf das Schreiben. Nach Minuten nimmt sie uns wieder wahr. Ein unglaublich glückliches Lächeln erhellt ihr schönes Gesicht. Jetzt ist ihr Lebenstraum greifbar nahe.
Wir bleiben noch eine Weile. Als die letzten Gäste gegangen sind, machen wir uns startbereit. Den Pokal hatte Thorb bereits mitgenommen. Er wollte ihn noch professionell fotografieren, bevor er in die Vitrine der Schule kommt.
Der Kellner fragt, ob es uns etwas ausmachen würde, den Hinterausgang zu nutzen, da vorne bereits abgeschlossen sei. Thanat runzelt die Stirn. Stimmt etwas nicht?
Wir sind aber viel zu guter Stimmung, um uns über den Umweg um das Restaurant zu ärgern. Wir verlassen das Gebäude. Thanat vorne weg. Ich dahinter. Dani und ihre Eltern bilden den Schluss. Eine kleine Treppe führt in den Hinterhof. Wir sind gerade ein paar Schritte gegangen, als Thanat herum wirbelt. Er stößt mich zu Boden und ruft: „In Deckung!“
Er springt zu Dani. Mit einer Armbewegung stößt er erst ihre Mutter um. In dem Moment explodiert die Welt. Am Eingang des Hinterhofes erblühen Lichtblitze. Eine endlose Kette Poff-Poff-Poff erklingt. Ich sehe zu Thanat. Sehe, wie Löcher im Rücken seiner Jacke aufreißen. Das sind Schüsse. Sie treffen Thanat. Er stößt Dani und ihren Vater weg. Dani schreit auf. Ihr Vater gibt einen schmerzhaften Grunzlaut von sich, bevor er zu Boden geht. Thanat wirbelt herum.
Das kann nicht sein. Ich habe die Einschüsse in seinem Rücken gesehen. Warum geht er nicht in Deckung? In meinem Kopf dreht sich alles. Thanat, geh in Deckung! Bitte!
Aber er rennt auf die Schützen zu. Er läuft mitten in den unablässigen Strom der Kugeln hinein. Hinter mir beginnt Dani zu schreien. Ihr Schrei geht in einem schrecklichen Brodeln unter. Ihre Mutter wimmert und ihr Vater stöhnt vor Schmerzen. Und Thanat? Er rennt weiter auf die Typen zu. Drei oder vier Männer stehen dort. Sie schießen und schießen und schießen. Thanat wird getroffen. Immer und immer wieder. Mein Blick verschwimmt, weil mir Tränen in die Augen treten. Ich strecke die Hand nach Thanat aus. Als könnte ich damit das Unmögliche aufhalten.
Er rennt zu den Mördern, um sie von uns abzuhalten. Er opfert sich für uns. Dann ist er bei ihnen. Wie Puppen fliegen sie durch die Luft. Ich höre Knochen brechen. Die Mörder liegen still. Ganz still. Thanat kontrolliert die Straße. Er dreht sich um, zieht sein Mobi aus der Hosentasche und bellt ein paar Zahlen hinein. Er hat es schon wieder weggesteckt, als er bei mir ankommt. Sein Blick ist wild, aber besorgt.
„Geht es dir gut? Bist du verletzt?“
Ich verstehe nicht. Warum fragt er mich? ER wurde getroffen. SEINE Jacke ist vorne regelrecht zerfetzt. Erstaunlicherweise ist sein Hemd schmutzig, aber nicht kaputt. Und er macht sich Sorgen um mich? Bevor ich antworten kann, hat er meine Aura geprüft. Ich bin nicht verletzt.
„Komm mit, ich brauche dich!“
Er springt auf und rennt zu den anderen. Kurz prüft er Danis Mutter. Sie ist geschockt und wimmert, aber unverletzt. Danach ist der Vater dran. Er blutet am Bein. Seine Gesichtsfarbe ist aschfahl.
Ich erreiche die Stelle. Alles Blut sackt aus meinem Kopf, als ich Dani sehe. Sie liegt auf dem Rücken und presst sich die Hände auf die Brust. Dort tritt Blut aus. Mit verständnislosen, entsetzten Augen sieht sie mich an. Vor ihrem Mund stehen schaumige Blasen. Ihre Augenlider beginnen zu flattern. Ihr Blick fleht mich an. Versteht nicht, was mit ihr passiert. Zuckend schließen sich ihre Augen. Ihr Kopf sackt zur Seite. NEIN! Bitte, sie darf nicht sterben!
„Eyra!“, blafft Thanat mich an. „Komm her! Du musst Danis Vater heilen! Ich übernehme Dani. Los, beeil dich!“
Ich funktioniere wie in Trance. Knie mich neben den Vater. Ich soll ihn heilen?
„Lege deine Hand auf die Wunde. Gib mir deine andere Hand. Ich versorge dich mit Energie.“
Sagt es und fasst meine Hand. Endlich reagiere ich. Meine Hand legt sich auf die stark pulsierend blutende Beinwunde. Eine Verletzung der Arterie. Scheiße. Sofort fängt meine Hand an zu kribbeln.
Neben mir höre ich ein reißendes Geräusch. Ein Blick sagt mir, dass Thanat die Bluse von Dani aufgerissen hat. Er legt seine Hand auf ihre Brustwunde. Übergangslos wird es hell.
Thanat pumpt so viel Energie in Dani, die er sich gleichzeitig aus der Umgebung wieder holt, wodurch Lichtströme sichtbar werden. Auch meine Hand glüht regelrecht. Nach einigen Minuten merke ich, wie das Kribbeln in meiner Hand nachlässt. Danis Vater starrt mich an. Er versteht nicht, was passiert. Endlich ist seine Beinwunde geschlossen.
„Eyra, bring die Beiden weg. Mindestens fünf Meter. Los!“
Ich lasse seine Hand los und ziehe Danis Eltern weg. Die Mutter ist apathisch. Der Vater weiß immer noch nicht, was passiert, folgt mir aber. In dem Moment biegen Leibwächter des Gästehauses um die Ecke. Sie sichern den Hof. Stellen sich schützend vor uns. Sie wollen auch zu Thanat.
Ich rufe: „Nicht! Halten Sie Abstand!“
Gott sei Dank, hören sie auf mich.
Thanat legt beide Hände auf die Brust von Dani. Im nächsten Moment glüht er auf. Aus seinen Armen fließt eine ungeheure Menge Energie in Dani. So viel Energie. Stirbt sie? Bitte, bitte nicht! Nicht Dani. Ihre Eltern halten sich fest umklammert und sehen verständnislos dem Schauspiel zu.
Nach zwei oder drei Minuten verblasst das Licht. Was ist mit Dani?
Thanat nimmt sie auf den Arm. Sie atmet. Ich sacke erleichtert zusammen.
Der Kommandeur der Sicherheitsleute tritt zu uns. Thanat sieht ihn an.
„Bergen Sie die Mörder. Schnappen Sie sich den Kellner aus dem Restaurant. Der steckt in dem Anschlag mit drin. Holen Sie mir einen Wagen. Ich bringe alle ins Gästehaus. Los, Ausführung.“
Der Mann nickt und gibt seinerseits Anweisungen. Binnen Sekunden fährt ein Bus vor. Thanat drängt uns rein. Zum Fahrer sagt er: „Zum Gästehaus, aber schnell.“
Die Türen knallen zu und wir rasen los. Während wir durch die Straßen jagen, kann ich endlich einen klaren Gedanken fassen.
Ich schaue in Thanats grimmiges Gesicht. „Dani?“
„Kommt durch. Die Wunden sind geschlossen. Im Gästehaus mache ich weiter.“
„Was ist mit dir? Du wurdest doch auch getroffen?“
Er zeigt ein erstes grimmiges Grinsen. Kurz präsentiert er seine Brust. Unversehrt. Wie ist das möglich?
„Ich habe ein dickes Fell. Keine Angst.“
Nach wenigen Minuten erreichen wir das Gästehaus. Das Tor ist auf. Bewaffnete stehen daneben. Wir werden erst langsamer, als der Bus auf dem Gelände ist. Hinter uns fällt das Tor ins Schloss. In der Tiefgarage stehen mehrere Personen. Eindeutig ein Arzt und Hilfspersonal.
Thanat steigt aus. Dani immer noch auf dem Arm. Er wendet sich an den Arzt.
„Der Mann hatte einen Oberschenkeldurchschuss mit Verletzung der Arterie. Eyra hat ihn geheilt. Prüfen Sie ihn. Die Frau hat einen Schock. Eyra ist unverletzt. Um diese junge Frau kümmere ich mich. Ich bin auf dem Dach. Los!“
Ohne mit der Wimper zu zucken, führen die Leute die Befehle von Thanat aus. Ich folge ihm.
Auf dem Dach legt Thanat Dani auf eine Liege, die dort steht. Dani hat die Augen geschlossen. Aber sie atmet. Thanat gleitet mit den Händen über ihren Brustkorb.
Erleichtert atmet er auf. „Alle Wunden sind geschlossen. Ich stärke jetzt noch ihren Körper. Trete bitte etwas zurück. Nicht, dass ich dich noch anzapfe.“
Wieder glühen seine Hände auf, als er Dani erneut mit Energie vollpumpt. Nach einigen Minuten wacht Dani auf. Ungläubig sieht sie auf Thanats glühende Hände. Er fährt die Energiezufuhr zurück. Das Glühen erlischt.
Mit seiner Hand voll getrocknetem Blut, Danis Blut, streicht er ihr über den Kopf. „Willkommen zurück, Dani.“
Dani kann nichts sagen. Ich trete an die Liege und knie mich daneben. Mit feuchten Augen nehme ich ihren Kopf in die Hand und küsse sie. Meinen Tränen lasse ich freien Lauf.
Dani schlingt ihre Arme um mich. Sie wispert in mein Ohr: „Meine Eltern? Was ist mit ihnen?“
Unter Schluchzen sage ich ihr, dass sie in Ordnung sind und unten behandelt werden.
Wir halten uns noch einen Moment fest. Thanat legt seine Hand auf meine Schulter. Ich spüre, wie er meine Prellungen heilt.
„Kommt, lasst uns wieder rein gehen. Ich denke, jetzt sind ein paar Erklärungen nötig.“
Wir nicken. Thanat wickelt Dani in eine Decke und nimmt sie wieder auf den Arm. Mit unseren zerrissenen, blutigen Sachen gehen wir ins Gästehaus.
Dort werden wir von besorgten Sicherheitsleuten erwartet. Sie lassen uns wortlos passieren. Wir gehen in den Gemeinschaftsraum. Einige andere Bewohner haben sich versammelt. Sie wurden durch den hektischen Aufbruch geweckt.
Als sie uns sehen und unsere Aufmachung realisieren, geht ein Raunen durch den Raum. Thanat setzt Dani an den Tisch. Er wendet sich an einen der Wissenschaftler. „Können Sie den beiden jungen Damen bitte etwas zum Trinken bringen?“ Der nickt und läuft los.
Thanat sieht uns an. „Bin gleich wieder da. Ich sehe eben nach Danis Eltern.“
Er dreht sich zu zwei Sicherheitsleuten um. „Sie lassen die Beiden keine Sekunde aus den Augen. Verstanden?“ Sie nicken. Wow, Thanat hat hier offensichtlich das Sagen.
Im nächsten Moment ist er verschwunden. Wir bekommen Wasser gebracht. Von neugierigen Fragen bleiben wir verschont. Während wir warten, halten wir uns ganz fest. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Thanat mit Danis Eltern zurück. Sie nehmen Dani sofort in die Arme und drücken sie fest an sich. Man merkt, dass sie alle bis in die tiefsten Tiefen erschüttert sind.
Thanat gibt ihnen einen Moment Zeit, sich zu sammeln.
„Sollen wir uns setzen?“
Zögerlich folgen Dani und ihre Eltern seiner Bitte. Thanat setzt sich neben mich und nimmt meine Hand.
Erwartungsvoll sehen alle Thanat an.
„Das war knapp.“, eröffnet er.
„Anscheinend hat jemand den Kellner bestochen, dass er uns hinten raus lässt. Dort wartete das Killerkommando. Leider habe ich nicht schnell genug reagiert, um eure Verletzungen vermeiden zu können.“
Ich begehre auf: „Du hast doch schon reagiert, bevor wir überhaupt kapiert haben, was los ist.“
„Trotzdem hätte ich schneller sein müssen.“ Ich höre die Selbstvorwürfe in seiner Stimme. Die Bitterkeit.
„Bitte nicht. Du hast dich den Kugeln in den Weg gestellt. Ohne dich wären wir jetzt alle tot.“
„Danke.“ Kurz drückt er meine Hand.
Er wendet sich wieder an Dani und ihre Eltern.
„Ihr habt das Leuchten in der Gasse gesehen?“ Die Eltern nicken. Dani nicht, sie war zu dem Zeitpunkt bereits bewusstlos.
„Damit haben wir euch geheilt.“ Obwohl sie sich so etwas gedacht haben müssen, werden ihre Augen groß. Etwas zu ahnen oder die Bestätigung vorgesetzt zu bekommen, sind zwei Paar Schuhe.
„Eyra und ich können Wunden und Krankheiten heilen, indem wir unsere Lebensenergie in die Körper der verletzten Person leiten. Damit fördern wir die Selbstheilungskräfte um ein Vielfaches. Mit dieser Gabe haben wir eure Wunden geschlossen.“
Dani sieht mich mit großen Augen an. Sie flüstert: „Wäre ich gestorben?“
Thanat nickt. „Ja, deine Lunge war durchschossen und eine große Arterie verletzt.“ Er drückt mit seiner freien Hand ihre. Dani beginnt zu zittern. Ihre Eltern nehmen sie fester in den Arm.
„Ich habe das Licht auch gesehen. Vorhin auf dem Dach.“, sagt Dani mit leiser Stimme. „Seid ihr Götter?“
Nun muss ich das erste Mal seit dem Überfall lachen. „Nein, du kennst mich doch. Was ist an mir göttlich?“ Dani sieht mich nur an. Sie versteht gerade die Welt nicht mehr.
Thanat greift ein. „Nein, Dani, wir sind keine Götter. Ein bisschen anders, okay. Es ist einfach nur eine Gabe. Zudem eine zwiespältige.
„Warum? Das ist doch toll.“
„Nein, ist es nicht. Stell dir vor, ihr drei wärt vorhin alle angeschossen und schwer verletzt worden. Wir können aber nur zwei Leute auf einmal heilen. Eyra kann noch nicht die Energie aufbringen, schwere Verletzungen zu heilen. Alleine die Beinwunde deines Vaters zu behandeln, würde sie umbringen.“ Danis Vater sieht entsetzt zu mir rüber.
„Ich habe ihr Zusatzenergie gegeben, damit sie durchhält. Also wir müssten uns entscheiden, wen wir retten und wen wir sterben lassen. Wer möchte diese Entscheidung treffen? Was glaubst du, wie viele kranke Menschen alleine in dieser Stadt sind? Alle würden sie nach unserer Heilung rufen. Aber wir können nicht alle heilen. Für wen entscheiden wir uns? Den Jüngsten, den Ältesten, der am meisten zahlt, den Ärmsten, Mann, Frau, Kind? Was meinst du, wer plötzlich alles hinter uns her wäre?“
Dani sieht betroffen auf ihre Hand. „Du hast Recht. Entschuldige bitte.“
„Schon okay. Deine Reaktion ist normal, wenn jemand von unserer Fähigkeit erfährt. Deshalb ist es unglaublich wichtig, dass ihr nichts verratet.“
Dani sieht sich im Raum um und registriert weitere Personen im Raum. „Was ist mit ihnen?“
„Sie wissen Bescheid. All diese Menschen leben auf Libertah. Dort kennt man meine Fähigkeiten und weiß auch, dass Eyra ebenfalls heilen kann. Aber das ist unser kollektives Geheimnis.“
„Gibt es noch mehr Heiler?“
„Nein, nur wir beide.“
„Hast du eine Idee, wer hinter dem Anschlag steckt?“
„Meine erste Vermutung ist Kurd. Aber das kläre ich noch.“
Er sieht wieder grimmig drein.
„Kümmern wir uns zuerst um das Naheliegende. Was wird aus euch?“
„Was meinst du?“
„Es kann sein, dass du nur Zufallsopfer warst. Deine Eltern waren es bestimmt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass auch du getötet werden solltest. Dass Eyra auf der Abschussliste steht, wissen wir schon.“
Danis Augen weiten sich. „Du denkst ...“
Thanat nickt. „Du bist die Beste in deiner Klasse. Du hast ihn heute während des Spiels gedemütigt. Und du stehst Eyra nahe.“
Bei dem Gedanken wird mir schlecht. Thanat spürt, wie meine Hand zuckt.
Er sieht mich an. „Nicht, Eyra, du bist nicht für die Taten anderer verantwortlich.“ Dani nickt zustimmend.
„Danke.“, murmele ich.
„Ich schlage vor, ihr bleibt heute Nacht hier im Haus. Morgen ist Wochenende. Dann können wir in Ruhe überlegen, wie wir weiter vorgehen. Denkt mal darüber nach, ob ihr nicht nach Libertah übersiedeln wollt.“
Dani sieht mich an. „Aber was ist mit meiner Schule?“
„Du könntest wie Eyra hier im Haus leben und deine Schule beenden. Hier bist du sicher. Ich besorge dir Leibwächter, die dich außerhalb des Hauses und in der Schule begleiten. Und das wären wirkliche Topleute.“
In den Augen von Dani und ihren Eltern sehe ich ein wenig Erleichterung.
„Kommt, ich zeige euch eure Zimmer.“
Wir stehen auf und folgen Thanat in den Gästetrakt. In einer Suite bleiben wir stehen.
„Das ist eine kleine Wohnung mit zwei Schlafzimmern. Die Betten sind aber breit genug, wenn ihr zusammen schlafen wollt. Die Fenster sind absolut schusssicher. Draußen gehen Wachen Streife. Eine Wache steht vor eurer Tür.“ Thanat deutet auf ein Telefon. „Wenn ihr die 1 wählt, erreicht ihr die Sicherheitszentrale. Mit der 99 bekommt ihr mein Zimmer.“
Dani und ihre Eltern sehen sich um.
„Ach so. Die Dusche ist dort.“ Thanat zeigt auf eine Tür. „Bademäntel und Schlafanzüge sind in den Schränken. Handtücher im Bad. Ein paar Kleidungsstücke lasse ich vor eure Tür legen, damit ihr morgen saubere Sachen anziehen könnt. Soll ich euch noch ein Beruhigungsmittel holen?“
Sie schütteln die Köpfe.
„Wenn doch, wählt die 0. Damit erreicht ihr die allgemeine Zentrale. Sagt dort, was ihr benötigt. Sie besorgen es.“
Dani sieht Thanat ungläubig an. „Wer bist du?“ Aber Thanat lächelt nur. Sanft streicht er ihr über die Wange.
„Morgen, Dani. Für heute ist es genug.“
Dani sieht ihn prüfend an. Endlich nickt sie. Sie löst sich von ihren Eltern, tritt zu Thanat und sieht zu ihm auf.
„Heute hast du mein Leben gerettet. Ich weiß noch nicht wie, aber irgendwann werde ich es dir vergelten. Danke, Thanat.“ Sie umarmt ihn und drückt ihn lange und fest an sich. Schließlich kommt sie zu mir.
„Meine beste Freundin. Ich liebe dich. Jetzt noch viel mehr. Danke für alles, was du heute für uns getan hast.“ Auch ich werde gedrückt. Anders als Thanat bekomme ich aber einen Kuss von ihr.
Ihre Eltern nehmen uns in den Arm und bedanken sich aus tiefstem Herzen.
Mit den Worten „Versucht etwas Ruhe zu finden.“ verabschieden wir uns. Ich bin sicher, Ruhe werden sie lange nicht finden. Ich auch nicht.
Wir gehen in Richtung meines Zimmers.
Dort halte ich seinen Arm fest. „Bleibst du heute bei mir?“ Erschreckend, wie klein meine Stimme klingt. Aber so langsam dringt das Erlebte durch und ich beginne innerlich zu zittern.
„Natürlich, wenn du das willst. Ich hole nur eben ein paar Sachen zum Anziehen und leite mein Telefon auf deinen Apparat um.“
Ich gehe in mein Zimmer und setze mich auf mein Bett. Ich starre auf das geronnene Blut an meinen Händen und meiner Kleidung. Blut von Danis Vater. Tränen laufen mir die Wangen herunter. Ich bin erleichtert, als Thanat an meine Tür klopft.
Lange hält er mich im Arm, bis ich mich beruhigt habe.
„Warum wurdest du nicht verletzt? Die Mörder haben dich doch mehrfach getroffen?“
„Mein Hemd ist aus schussfestem Material gewebt. Die Kugeln haben es nicht durchdrungen.“
„Aber die kinetische Energie? Das muss doch ungeheuer wehgetan haben?“
Grinsend klopft er sich auf den Bauch. „Lauter Muskeln. Da zahlt sich jahrelanges, entbehrungsreiches Training aus.“ Ich schnaube nur.
Er wird wieder ernst. „Ich hätte nicht geglaubt, dass sie so weit gehen. Vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn ich dir auch ein paar schussfeste Kleidungsstücke kommen lasse.“
Ich sehe ihn mit großen Augen an. „Du meinst …?“
Er zuckt mit den Schultern. „Kann ja nicht schaden.“ Das muss ich erst einmal verdauen.
Ich gehe duschen und ziehe mich um. Nach mir macht Thanat sich frisch.
Ich lege mich auf mein Bett. Thanat deckt mich bis zum Kinn zu. Dann legt er sich neben mich. Auf die Decke. Ich kuschle mich an ihn. Seine Hand liegt auf meinem Rücken. Getrennt durch die Decke. Aber das ist mir noch zu weit weg.
„Kannst du dich unter meine Decke legen?“
Seine Augen blitzen schalkhaft. Er verkneift sich aber jeden Kommentar. Immerhin krabbelt er unter meine Decke. Nun kann ich mich endlich ganz nah an ihn kuscheln. Mein Kopf liegt auf seiner Brust. Gleichmäßig und beruhigend hebt und senkt sie sich. Ich merke, wie ich entspanne. Spüre seinen starken Körper. Atme seinen Duft ein. Werde ganz benebelt im Gehirn. Im Halbschlaf wundere ich mich ganz kurz, dass ich sein Herz nicht schlagen höre. Denke nicht weiter darüber nach. Schlafe ein.