Читать книгу Thanats Welten 1 - Tauros - J. Reiph - Страница 8
ОглавлениеDie letzten Ferien
System: 1654-Z65-7559-MM08-2884
Interner Systemname: Tauros
Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 24. Woche
Berichterstatterin: Eyra (nachgetragen)
Müde strecke ich meine Beine auf meinem Bett aus. Heute hatte mein Trainer es so richtig vor. Er hat mich förmlich durch die Halle gejagt. Am Beginn meiner letzten großen Sommerferien hat meine Kampfsportschule einen neuen Trainer bekommen. Der ist echt gut. An mir muss er wohl einen Narren gefressen haben. Die anderen scheucht er einfach nur. Mich macht er fertig. Dabei grinse ich. In den paar Wochen habe ich mehr gelernt, als im halben Jahr davor. Das war ein Spaß.
Ich liebe meinen Kampfsport. Dabei habe ich wegen meines freakigen Körpers mal einen Vorteil. Die Reichweite meiner Arme übertrifft bei den Schlagtechniken niemand. Genauso wenig die Reichweite meiner Beine bei Tritten. Oder die Höhe über Normalnull meines Kopfes als Ziel von Schlägen oder Tritten. Leider. Ich bin riesig. Ich bin über einen Meter neunzig. Als Mädchen! Das nach mir größte Mädchen, das ich kenne, ist einen Meter einundsechzig. Und die Jungs sind auch alle deutlich kleiner als ich. Ich bin ein Freak. Ich hasse mich.
Damit wäre mein Hoch nach dem Training mal wieder in Rekordzeit pulverisiert. Aber ich kann mich mit meinem Körper einfach nicht abfinden. Mist, Mist, Mist. Mein Blick schweift durch mein Zimmer. Keine Poster von Musikbands, keine Plüschtiere, kein Mädchenkram. Dafür ein Poster mit dem Periodensystem, ein paar Auszeichnungen für Forschungsprojekte Jugendlicher, die ich in den letzten Jahren gewonnen habe, und Bilder von fantasievoll gezeichneten Planeten, wie sich Künstler entfernte Welten vorstellen. Auch als normales Mädchen versage ich völlig.
Neben meinem Bett liegt ein Ausdruck mit den neuesten Theorien des Wissenschaftsmeisters Koriat zur Entstehung von Individuen mit deutlichen Abweichungen vom Standard. So wie ich. Um Koriat war es drei Jahre ruhig. Ich hatte gelesen, dass er unbequeme Fragen gestellt hat. Er hatte aufgedeckt, welche Schäden viele Industriebetriebe an der Umwelt verursachen. Etwas, das gerne verschwiegen wird, sagte Koriat. Das kommt bei manchen Regierungen oder mächtigen Leuten nicht gut an. Spurloses Verschwinden oder unaufgeklärte Morde sind schon fast üblich. Koriat war auch plötzlich weg. Und nun meldet er sich wieder. Er schreibt, dass er geflohen sei. Heute lebt er auf Libertah, diesem Steinhaufen im südlichen Polarmeer, den ein Superreicher vor zwanzig Jahren gekauft hat und dort anscheinend bedeutende Wissenschaftler beherbergt. Ich bewundere ihn für seinen Mut, Missstände auf Tauros anzuprangern. Ich weiß nicht, ob ich solch einen Mut aufbringen würde. Insgeheim wünsche ich mir, selbst zu solchen Themen zu forschen. Es genügt, die Nase nach draußen zu halten, dann riecht man schon, dass auf Tauros einiges im Argen liegt. Genauso übel ist es um unser Miteinander bestellt. Hat man Geld oder Einfluss, kriegt man alles, was man haben will. Ohne das … tja, sagen wir es mal so: Man bleibt besser unterhalb des Radars und erweckt keine Aufmerksamkeit. Gerät man in das Visier von Behörden oder Firmen hat der Normalbürger kaum noch eine Chance, sein Recht zu bekommen. Sogar mir als Schülerin fällt das auf. Aber macht jemand etwas dagegen? Natürlich nicht. Dafür profitieren die, die es sich leisten können, viel zu sehr von dem System. Und die aufgehaltene Hand ist eine nur zu gerne geübte Bewegung. Meine abschweifenden Gedanken konzentrieren sich wieder auf den Artikel von Borde Koriat.
Leider hat mich der Artikel der Antwort auf meine Frage, warum ich mich so sehr von allen anderen Tauriden unterscheide, keinen Schritt weiter gebracht. So wirklich habe ich sein Konzept von der Vererbungslehre nicht verstanden. Aber es ist ja auch nur eine Theorie, wie er schreibt. Und das, obwohl ich neben dem Kampfsport Wissenschaft über alles liebe. Wenn ich dieses Jahr in der Schule überstehe, möchte ich gerne selbst Wissenschaftlerin werden, um an den von Borde Koriat aufgezeigten Problemen zu arbeiten. Ob mich wohl jemand nimmt? So, wie ich aussehe?
Bevor ich mich weiter in Selbstmitleid ertränken kann, klingelt es an der Tür. Ich will mich schon hochquälen, da höre ich, dass meine Mutter zur Tür geht.
Eine hohe, lachende Stimme begrüßt meine Mutter. „Hallo, liebste Mutter meiner liebsten Freundin! Da bin ich wieder!“
„Dani, schön dich wiederzusehen. Machst du jetzt in Klamottendesign?“
„Klar, ich muss doch für alles offen sein.“, lacht meine beste, meine einzige, Freundin zurück. Ich richte mich innerlich schon einmal auf ein mindestens schrilles Aussehen ein.
„Eyra ist in ihrem Zimmer. Ich glaube, sie kann nicht mehr laufen, so wie sie vorhin geschlichen ist, als sie vom Training zurückkam. Geh ruhig hin.“
Keine drei Sekunden später fliegt meine Tür auf und ein quietschbunter, 1,45 Meter hoher Wirbelwind rauscht in mein Zimmer und landet auf meinem Bett. In einer weiteren fließenden Bewegung wirft sich Dani an meinen Hals.
„EYRA! Da bin ich wieder!“
„Habe ich gar nicht gemerkt.“, grummle ich zurück.
Dani, eigentlich Danaida, lässt sich davon überhaupt nicht beirren. „Das Kunst-Camp war total irre. Wir haben Sachen gemacht, du glaubst es nicht!“
Ich bequeme mich, Dani zurück zu drücken. Wenn man nur eine Freundin hat, sollte man sie nicht vergraulen. Sie war in den Ferien für vier Wochen in einem Camp für begabte Kunstschüler.
„Erzähl.“, fordere ich sie auf. Obwohl, diese Aufforderung hätte sie gar nicht gebraucht.
„Wir hatten zwei fantastische Bildhauer als Dozenten. Die haben aus jedem Material Figuren herausgeholt, das war unglaublich. Die konnten zaubern. Ganz bestimmt. Eine Engelsgeduld beim Erklären hatten sie. Da bekommst du gleich ein Gefühl für den Stein oder das Holzstück. Du glaubst die fertige Figur im Material schon zu sehen. Toll. Wenn ich das jetzt im Prüfungsjahr anwenden kann, habe ich meinen Schulabschluss in der Tasche.“
Wir beginnen in drei Tagen unser letztes Schuljahr. Das dient nur noch der Wiederholung und der Prüfung in allen Fächern, die wir jemals in der Schule hatten. Dabei müssen wir uns für eine Schwerpunktrichtung entscheiden. Wirtschaft. Wissenschaft. Kunst. Klar, was Dani und ich gewählt haben. Dazu kommen die allgemeinen Fächer, wie Taurisch, Sport, Mathematik und Politik.
„Und süüüß waren die Beiden. Der Eine hatte zwei unterschiedliche Augenfarben und der andere hatte sich sein Fell pechschwarz gefärbt. Die Seiten und die Oberschenkel zierten rote Blitze. Bei jedem Schritt oder jeder Bewegung des Oberkörpers zuckten die Blitze regelrecht. Ich konnte kaum wegsehen.“, grinst Dani über das ganze Gesicht.
Noch so ein Ding. Die meisten Mittauriden haben ein bunt geschecktes Fell mit der Grundfarbe Grau. Es ist total angesagt, sich das Fell zu färben. Sei es, dass glänzende Spitzen in verschiedenen Farben wie Inseln in das Fell gesetzt werden. Oder es erfolgt eine komplette Umfärbung. Das kostet aber ein Heidengeld. Und ich? Ich habe ab Werk ein rötliches Fell mit gelblichen Streifen. Das sieht aus, als stehe ich in Flammen. Toll! Außerdem habe ich eine Mördermähne auf dem Kopf. Die Haare sind kaum zu bändigen. Das sieht immer so aus, als wäre mein Haartrockner explodiert. Doppelt toll. Auf Dani bin ich fast neidisch. Sie hat ein Fell mit eher bräunlicher Tendenz. Dazu hat sie geschwungene weiße Streifen. So gut kann kein Stylist färben. Bei ihr ist es Natur.
Wer dann noch richtig Kohle hat, lässt sich die Klamotten so schneidern, dass die Färbungen gar nicht erst unter dem Stoff verschwinden, sondern durch gewagte Reduzierung der Stoffmengen gekonnt in Szene gesetzt werden. So wie aktuell bei Dani. Sie hat mit bunten Stoffstreifen experimentiert. Bei ihr sieht das wirklich klasse aus. Bei meiner Körpergröße sähe ich aus wie ein Zirkuszelt nach einem Wirbelsturm. Grmpf.
Danis Augen strahlen, als sie in ihre Stofftasche greift. „Hier, das habe ich für dich gemacht.“
Sie drückt mir eine Kugel in die Hand. Ich sehe genauer hin. Die Kugel hat Erhebungen und Vertiefungen. Dann erkenne ich, was es ist. Sie hat eine Miniatur unseres Mondes gemacht. Ach, Dani ist die Beste. Sie kennt meine Faszination für den Weltraum. Und nun schenkt sie mir den Mond. Mir steigen Tränen in die Augen, als ich sie umarme.
„Danke, Dani. Das ist phantastisch.“ Innig drücke ich sie.
An Danis zufriedenem Gesichtsausdruck sehe ich, dass es ihr Spaß macht, mich überrascht zu haben.
„Und nun erzähl. Was hast du gemacht?“
Schelmisch grinse ich. „Ich habe mich an einen Kerl ran gemacht.“, eröffne ich in verschwörerischem Ton.
Dani bekommt große Augen, kennt sie doch meine Probleme mit Jungs. Meine Größe, schon klar, oder? Alle Jungs sind deutlich kleiner als ich. Das sieht nicht nur doof aus, die Jungs trauen sich nicht, oder machen sich lächerlich darüber. Oder werden neben mir von anderen Jungs gehänselt. Oder ich von denen. Wer will da schon etwas mit mir anfangen?
„Sag schon. Ich will alle schmutzigen Details.“, drängt Dani.
„Er ist schon über zwanzig.“
Danis Augen werden groß.
„Muskulös.“
Ihre Augen beginnen zu glänzen.
„Graue Augen. Stahlgrau!“
Ihre Augen werden riesig.
„Und heute hat er mich ...“
Dani hält die Luft an.
„... so richtig durch die Sporthalle gescheucht.“
„Du blöde Nuss! Dein Trainer zählt doch nicht.“
Ich werfe mich lachend auf mein Bett. Dani stürzt sich auf mich und kitzelt mich durch. Nach ein paar Minuten liegen wir uns lachend und um Atem ringend in den Armen.
Nachdem wir uns beruhigt haben, meint sie: „Du weißt aber schon, dass du jeden haben könntest.“
Meine gute Laune kühlt gleich um etliche Grade ab. Na prima, das alte Thema.
„Eyra, wirklich. Wenn ich eine Skulptur der schönsten Frau des Planeten machen sollte, wärst du mein Vorbild.“
Ich schnaube nur. „Eine Skulptur vom größten Freak, das glaube ich dir.“
„Nein. Du machst dich nur selbst schlecht. Du hast perfekte Proportionen. Deine Hüften haben den idealen Schwung. Deine Oberschenkel sind muskulös, aber schlank, dabei sanft gerundet. Du hast eine traumhafte Taille. Und deine Brüste sind perfekte Halbkugeln.“
„Willst du mir jetzt einen Heiratsantrag machen?“
Dani lacht. „Nein, ich liebe dich. Aber ich liege lieber mit dir auf dem Bett, als darin.“
Ich grinse zurück. „Wenn du deine Skulptur von mir im Maßstab 1:3 machst, merkt auch niemand, wie groß ich bin. In natura achtet niemand auf meine Beine, Hüften oder Brust. Die gaffen mich nur an.“
„Trotzdem. Auch eine Bewegungsstudie von dir wäre der Hit. Wir Normalkurzen gehen. Du schreitest. Das ist Eleganz pur. Du hast ja keine Augen im Hinterkopf, aber die Jungs sabbern, wenn sie dir hinterher sehen. Wäre ich ein Kerl, würde ich einen Mordsständer kriegen, nur wenn ich dich gehen sehe.“
„Du spinnst. Wenn das so wäre, hätte ich ja an jedem Finger zehn Kerle.“ Ich schaue meine Finger an. „Sehe aber keinen.“
„Klar, aber du schaust auch jeden gleich finster an, wenn er dir nahe kommt. Außerdem hilft es nicht, wenn man dafür bekannt ist, gut in Kampfsportarten zu sein. Welcher Kerl will von seiner Herzdame schon zu einer Brezel geflochten werden können?“
„Es hat mir im letzten Schuljahr am Ende aber geholfen.“, erwidere ich bitter. Dani sieht mich an und nickt ernst. Wir erinnern uns beide an das Arschloch aus der letzten Abschlussklasse.
Wir haben staatliche Schulen. Die Reichen lassen ihre Sprösslinge privat unterrichten. Nur das letzte Jahr, für die Prüfungen, müssen alle an den staatlichen Schulen verbringen. Die Privaten sind meist regelrechte Kotzbrocken. Es gibt sicher irgendwo auch ordentliche, nur kennen gelernt habe ich noch keinen. Die meisten entstammen aus Familien, die ihren Reichtum nicht unbedingt auf sozial verträgliche Weise erworben haben. Dementsprechend sind das nicht immer die angenehmsten Zeitgenossen. Einer hatte sich mit mir angefreundet. Das hat mich natürlich gefreut, hatte ich doch noch nie einen Freund. Zum Glück habe ich rechtzeitig gemerkt, dass er nur mit seinen Arschlochkumpels gewettet hatte, wie lange es dauert, zwischen meine Beine zu kommen. Als ich ihn zur Rede gestellt habe, hat er nur dreckig gelacht. Dann wollte er mich auf sein Bett zwingen. Er meinte nur, ich solle mich nicht so anstellen. Ich hätte es doch nötig. Okay, die Hämatome hatte er danach noch richtig lange. Und der Abschiedstritt dahin, wo die Glocken läuten, war nicht nett. Tat meinem Ego aber besonders gut. Der Rest des Schuljahres war dann so richtig scheiße. Die Privaten hatten mich natürlich voll auf dem Kieker. Und sie zogen alle meine Jahrgangskameraden mit rein. Außer Dani.
Dani streichelt mein Gesicht. „Wir finden schon jemanden für dich. Vielleicht kann ich ja eine Partnersuchanzeige erstellen.“ Sie schaut mein Gesicht von allen Seiten an. „Das müsste gehen. Klassisches Gesicht. Hohe Wangenknochen. Hübscher Mund. Entzückende Ohren. Feurige, bernsteinfarbene Augen. Damit finden wir Herrn Perfekt.“
„Dann musst du aber tief in den Farbtopf greifen. Schau mal hin. Ich bin nicht braun, wie du. Ich bin blasser als eine Leiche.“
„Ach was, du bist nicht bleich. Wir schreiben einfach, hmm. Wunderbare Haut, seidenweich, minimal pigmentiert.“
Nun muss ich doch prusten. Dani schafft es immer wieder, meine Mängel putzig darzustellen.
„Lass mal. Bringen wir das Prüfungsjahr hinter uns. Dann sind wir nicht mehr von pubertierenden Jungs umgeben, sondern können uns unter erwachseneren Studenten umschauen.“ Damit will Dani mir Mut machen.
„Mal sehen. Vielleicht geschieht ja ein Wunder.“, seufze ich.