Читать книгу Thanats Welten 1 - Tauros - J. Reiph - Страница 17
ОглавлениеWie viel Tod verträgt man?
System: 1654-Z65-7559-MM08-2884
Interner Systemname: Tauros
Zeitrechnung: Jahr 23 nach der Ankunft (n.d.A.), 37. Woche
Berichterstatter: Thanat
Letzte Nacht kam ich zu spät. Wie so oft.
Ein älteres Ehepaar benötigte meine Hilfe. Ich kam nur kurze Zeit zu spät. Die Schergen der Regierung waren schon da. Sie hatten die Beiden regelrecht hingerichtet. Durch Genickschüsse. Dabei hatten sie nur gefordert, für den Tod ihres Sohnes durch mangelnde Arbeitssicherheit seines Arbeitgebers entschädigt zu werden. Das Recht darauf gibt es. Aber Gerechtigkeit?
Die Regierung des Landes ist fest in der Hand der Konzerne, zu denen der Arbeitgeber auch gehört. Die Regierung nahm die Rechtsprechung in die eigene Hand und schickte vier Mörder aus.
Sie erschossen die Beiden und waren gerade dabei, ihre Leichen in die Fenster ihrer Wohnung zu hängen. Als Abschreckung für Nachahmer.
Alles, was ich für die Eltern noch tun konnte, war, sie würdig auf ihre Betten zu legen. Die Leichen der Mörder habe ich vor dem Eingang des Firmensitzes drapiert.
Es gibt Tage, da bin ich das Töten so leid. Wie viel Tod kann eine Seele vertragen? Seit unendlich langer Zeit bestimmen Gewalt, Tod, Korruption, Unvernunft mein Leben. Ich hätte meine Stellenbeschreibung damals besser lesen sollen.
Gestern war anfangs ein schöner Tag. Der Spaziergang mit Eyra und ihren Eltern. Die Skulptur von Resa. Ungemein ausdrucksstark hat sie den Überfall auf sich verarbeitet. Ein gequälter Körper aus dem ein glücklicher Mensch sich befreit. Und dann das Ende der Eltern, nur weil ein Konzern und eine Regierung unangenehme Öffentlichkeit verhindern wollten.
Vor meinem inneren Auge ziehen Bilder ähnlicher Szenen in endloser Kette vorbei. Mein Körper kann so vieles, aber er kann keine Tränen produzieren. Wie gerne würde ich mich einfach irgendwo hinsetzen und meiner Trauer freien Lauf lassen. Ich kann es nicht. Ich muss weiter leben. Weiter machen. Immer weiter.
So stehe ich jetzt hier am Rand des Grundstückes, das auf seine zukünftige Besitzerin wartet. Auf die Botschafterin. Ich schaue auf das Meer hinaus. Hänge meinen düsteren Gedanken nach. Tränen wären so erleichternd.
Hinter mir höre ich Schritte. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, wem sie gehören. Eyra.
Ich kann ihre Aura schon von Weitem fühlen. Diese Welle an Wärme und Mitgefühl. Noch nie, in all den Jahren nicht, habe ich eine so starke, so reine, so warme Aura gespürt.
Sie tritt von hinten an mich heran. Ihre Arme umschlingen meine Taille. Sie legt ihren Kopf an meine Schulter.
Ich werde in eine Wolke ihrer Wärme gehüllt. Ich spüre, wie sehr sie mich liebt. Wie ihre Liebe mich durchdringt. Meine Trauer dämpft.
Einen Moment lang erlaube ich mir, dieses Gefühl zu genießen. Aber es darf keinen Bestand haben. Ich darf mich meinen Gefühlen für sie nicht hingeben. Es wäre ihr gegenüber nicht fair. Wir könnten nie eine Familie gründen. Ich werde sie sterben sehen. Darf ich so egoistisch sein, mir ein klein wenig Glück zu wünschen? Auch, wenn ich weiß, was ich ihr abverlangen würde?
Wie wird sie mich sehen, wenn sie die Wahrheit über mich erfährt? Wer, was ich bin? Wie viele Leben ich schon beendet habe? Wie viele ich noch nehmen werde?
Ich atme ihre Aura ein. Genieße ihre Wärme, die bis in meine Seele dringt. Wenigstens diesen einen Augenblick möchte ich in mir bewahren.
Sie lässt mich los. Leider. Wir stehen nebeneinander. Sie legt ihren Arm um meine Hüfte. Ich meinen um ihre Schulter. Der Wind weht ihre Haare gegen meinen Hals. Das kitzelt. So schauen wir auf das Meer hinaus.
Ich spüre, dass meine Nähe ihr Ruhe und Frieden gibt. Wenigstens das kann ich für sie tun. Erleichterung nehme ich wahr, dass sie ihre Eltern in Sicherheit weiß. Sie gibt sich die Schuld, dass ihre Eltern nur ihretwegen in dieser Situation sind. Ich hoffe, ihr diese Schuld nehmen zu können.
Meine Seele ruft nach ihrer. Ich muss das unterdrücken. Ich darf ihr kein Signal geben. Wenn sie meine Gefühle für sie erkennt, wie ich ihre für mich, wird es kein Halten geben. Dann kann ich sie nicht mehr vor mir schützen.
Dann verschmelzen unsere Seelen. Ich habe Angst davor.