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Nach uns die Sintflut

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Die Deiche haben über viele Jahrzehnte allen möglichen Stürmen standgehalten. Bevor alles vernetzt war, bestand ein Kräftegleichgewicht zwischen Sicherungssystemen und Kapital, zwischen Arbeit und Management. Die Legitimation der Absicherungen für die Mittelschicht verstärkte die Legitimation der Absicherungen für die Reichen. Ein ausgeglichener Gesellschaftsvertrag zwischen Nichtgleichgestellten ermöglichte die Moderne.

Allerdings erhielten die Stürme des Kapitals eine ganz neue Wucht, als Computer in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so billig wurden, dass die Finanzmärkte weltweit vernetzt werden konnten. Darauf werde ich später noch genauer eingehen. Einstweilen genügt es, darauf hinzuweisen, dass mit Enron, mit Long-Term Capital Management (LTCM) und ähnlichen Unternehmen der Fluss des Kapitals im neuen Jahrtausend zum Superfluss wurde. Wie das reale Klima wurde auch das Klima in der Finanzwelt durch die moderne Technologie aufgeheizt. Extreme wurden extremer.

Schließlich brachen die Deiche der Mittelschicht. Einer nach dem anderen gab dem wachsenden Druck der Superströme aus Informationen und Kapital nach. Musiker zum Beispiel verloren viele praktische Vorteile, weil Absicherungen wie der Urheberschutz oder Kopiergebühren nicht mehr griffen. Die Gewerkschaften konnten nicht verhindern, dass Arbeitsplätze an immer billigere Produktionsstandorte weltweit verlagert wurden, so schnell, wie die Wellen des Kapitals sie trugen. Kreditnehmer waren überschuldet, Ersparnisse verloren an Wert, und Regierungen wurden zu einer strengen Sparpolitik gezwungen.

Die alten Gegner der Deiche waren zufrieden. Wall-Street-Mogule und die jungen Wähler der Piratenpartei stießen alle ins selbe Horn. Alles muss fließen. Selbst die Opfer freuten sich oft über das Unglück von Menschen, denen es genauso erging wie ihnen.

Weil so viele Menschen von oben und unten die Absicherungen ohnehin nie gemocht hatten, wurde gejubelt, wenn ein weiterer Deich brach. Wir jubelten, als Musiker vom alten System befreit wurden, weil sie jetzt ihren Lebensunterhalt mit Livekonzerten verdienen konnten. Bis heute tanzen wir auf dem Grab der Musikindustrie und sprechen davon, dass »Musiker jetzt endlich von ihren Plattenfirmen unabhängig sind«.[4] Wir jubelten, als die Gewerkschaften der Beschäftigten im öffentlichen Dienst durch die staatlichen Sparmaßnahmen geschwächt wurden, weil die Steuerzahler von nun an nicht mehr länger für die Renten anderer Leute aufkommen mussten.

Hausbesitzer hatten das Schicksal ihrer eigenen Hypothek nicht mehr länger selbst in der Hand, weil jeder Kredit endlos weiterverkauft werden konnte. Hier wurde nach dem Motto gejubelt: Ist es nicht großartig, dass die Leute die Verantwortung dafür übernehmen müssen, dass es im Leben nicht gerecht zugeht?

Neue, ungebremste Ströme brandeten gegen die Anhöhe aus Deichen, die die Mittelschicht sichern sollten, und zerstörten sie. Die großen Ozeane des Kapitals türmten sich zu einer steilen, schmalen »The winner takes it all«-Spitze auf, gefolgt von einem unendlich langen niedrigen Ausläufer.

Wem gehört die Zukunft?

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