Читать книгу Wem gehört die Zukunft? - Jaron Lanier - Страница 33
Gratisverlockungen
ОглавлениеDas Hauptgeschäft digitaler Netzwerke ist mittlerweile die Erstellung ultra-geheimer Mega-Dossiers über das Tun anderer Leute und die Nutzung dieser Informationen, um Geld und Macht zu konzentrieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich diese Konzentration soziales Netzwerk nennt oder Versicherungsgesellschaft, Derivatefonds, Suchmaschine oder Online-Kaufhaus. Welche Absicht auch immer ursprünglich dahintersteckte, das Ergebnis ist, dass die digitale Technologie dazu eingesetzt wird, die Zukunft der Mittelschicht zu zerstören.
Ich kenne einige Betreiber der größten und reichsten Server, bei denen sich Geld und Macht konzentrieren. Die meisten sind bemerkenswert anständig. Man könnte sich keine nettere Elite vorstellen. Aber das hilft leider nicht. Die einschlägigen Kult-Online-Imperien gelten als sakrosankt. Theoretisch darf man gern bemerken, dass die kostenlosen Online-Dienste nicht so viele Arbeitsplätze schaffen, wie sie vernichten, aber in der Realität halten wir die neumodischen Unternehmen als Beispiele dafür hoch, wie Innovationen die Wirtschaft vorantreiben.
Das Problem ist umfassend, wir alle sind ein Teil davon. Unabhängig von unserer gesellschaftlichen Stellung können wir uns diesem verlockenden System nicht entziehen, selbst wenn sich dieses System auf lange Sicht selbst zerstört. Wer lehnt schon die schnelle Selbstbestätigung im Netz ab oder ein unglaubliches Schnäppchen, das ein Online-Gutschein bietet, oder auch einen einfach zu bekommenden Kredit für eine Immobilie? Auf den ersten Blick stehen diese Versuchungen in keinem Zusammenhang, aber wenn man Informationssysteme nicht in veraltete Kategorien einordnet, sondern sie als bloße Informationen betrachtet, zeigen sie ihr wahres Gesicht.
Im Grunde wird man, ohne dass man es bemerkt, quasi erpresst, als Schachfigur im Netzwerk eines anderen zu fungieren. Eine seltsame Art der getarnten Erpressung, denn nach außen hin wirkt das Geschäft verlockend, aber man sieht eben nicht alles, was man sehen sollte.
Wir waren begeistert von den unglaublich günstigen Krediten, die so einfach zu bekommen waren, aber auf einer irrsinnigen Überschuldung basierten. Wir sind begeistert von der kostenlosen Musik, die durch wahnwitziges Kopieren möglich ist. Wir sind begeistert von den günstigen Preisen im Online-Handel, die von Unternehmen angeboten werden, die früher wie ein nationaler Geheimdienst gewirkt hätten. Diese neueren Spionagedienste arbeiten nicht für unsere Sicherheit, sondern wollen herausfinden, wie man die einzelnen Glieder der Kette dazu bringen kann, möglichst wenig für ihre Informationen zu verlangen. Wir profitieren nicht von den Wohltaten eines gottähnlichen Wesens mit künstlicher, also übermenschlicher Intelligenz. Wir beuten uns nur gegenseitig aus, ohne etwas dafür zu bekommen, während diejenigen, die unsere Informationen sammeln und konzentrieren, sehr wohl etwas verdienen. Wir lieben die kleinen Geschenke, aber irgendwann werden wir feststellen, dass wir damit unseren eigenen Wert herabmindern.
Auf diese Weise wird die Wirtschaft über kurz oder lang in Schwierigkeiten geraten, obwohl es im System so viel Vermögen gibt und wir eine Zeit der zunehmenden Effizienz erleben. Große Vermögen werden durch das Schrumpfen der Wirtschaft verdient, nicht mit ihrem Wachstum. Das ist nicht das Ergebnis eines hinterhältigen Plans, sondern eine Nebenwirkung der idiotischen Vorstellung, dass die Technologie immer klüger wird und für sich selbst existieren kann, ohne die Menschen.