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Kann man Musik mit Hypotheken vergleichen?

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Ein unvorteilhaft gestaltetes, mächtiges digitales Netzwerk ebnet Deiche ein, indem es das Kopieren von Daten ermöglicht.17 Beispielsweise kann man Spiele oder Apps, die sich nicht so leicht kopieren lassen, weil sie vielleicht in ein Hardware-Ökosystem eingebunden sind, online normalerweise zu einem höheren Preis verkaufen als eine Datei mit Musik, weil die sich viel einfacher kopieren lässt. Wenn das Kopieren einfach ist, gibt es im Grunde nie Knappheit, und dadurch bricht der Marktwert ein.

Es gibt endlose Debatten darüber, ob Tauschbörsen im Netz »Diebstahl« sind. Ich möchte diese Diskussion gern vermeiden, weil ich eigentlich keinen Wert darauf lege, eine moralische Position zu einer Softwarefunktion zu beziehen. Abstrakt betrachtet ist Kopieren nichtssagend und neutral.

Ich bin gegen Raubkopien von Daten, es wäre aber verfrüht, die Menschen, die das heute machen, dafür zu verurteilen. Außerdem kann man nicht verlangen, dass die Leute aufhören, Daten zu tauschen und Raubkopien zu machen, solange sie nicht für ihre Beteiligung an sehr lukrativen Netzwerken bezahlt werden. Gewöhnliche Menschen werden gnadenlos ausspioniert und nicht für die Informationen bezahlt, die sie unwissentlich liefern. Ich hätte es zwar gern, wenn irgendwann alle für Musik und Ähnliches bezahlen, ich würde das aber erst verlangen, wenn allgemein ein gegenseitiges Geben und Nehmen besteht.

Am wichtigsten ist die Frage, ob wir zu einem System beitragen, von dem wir langfristig alle profitieren. Wenn man die Musikindustrie, wie sie früher war, nie kennengelernt hat, erscheint der Verlust einer Branche, die damals massenhaft Arbeitsplätze für die Mittelschicht bot, vielleicht gar nicht so gravierend. Ich werde jedoch zeigen, dass diese Entwicklung uns allen eine Warnung sein sollte.

Kopiert man Musik, nimmt man einem Musiker die wirtschaftliche Würde. Er verliert zwar nicht zwangsläufig jedes Einkommen, ist jedoch darauf angewiesen, sein Einkommen in Echtzeit zu verdienen. Das heißt, dass er für Live-Auftritte bezahlt wird, aber nicht für die Musik, die er in der Vergangenheit aufgenommen hat. Man kann ja ab und zu durchaus für sein Abendessen singen, aber wenn man das für jede Mahlzeit machen muss, gerät man in eine wirtschaftliche Zwangslage.

Diese Zwangslage besteht darin, dass man keinen Puffer hat. Ein Musiker, der alt oder krank ist oder ein krankes Kind hat, kann nicht auftreten und verdient dann auch nichts. Einige wenige Musiker, aber wirklich eine verschwindend geringe Zahl, werden trotzdem gut leben, doch selbst die erfolgreichsten Karrieren können jäh enden, wenn sie nur auf Live-Auftritten basieren, da genügt ein bisschen Pech zur falschen Zeit. Dieses Pech lässt sich im realen Leben nicht vermeiden, daher macht fast jeder, der von der Hand in den Mund leben muss, schwere Zeiten durch.

»Spionagedienste« wie beispielsweise ein soziales Netzwerk oder Suchmaschinen ziehen dagegen ein dauerhaftes Vermögen aus den Informationen, die kopiert werden, in unserem Fall also den Musikaufnahmen. Ein Musiker, der sein Geld in Echtzeit verdienen muss und nicht mehr die üblichen Absicherungen wie Lizenz- und Kopiergebühren hat,18 kann zwar durchaus bekannt werden und sogar Geld verdienen (über Live-Auftritte, den Verkauf von T-Shirts usw.), aber reich wird er damit nicht. Das große Geld verdient der zentrale Server.

Musik und Kredite sind sich sehr ähnlich. Wenn eine Hypothek weiterverkauft und durch eine dritte Partei über ein Netzwerk zusammen mit anderen zu einem komplizierten undurchschaubaren Wertpapierpaket verschnürt wird, verringern sich die Aussichten des Hausbesitzers, irgendwann einmal vermögend zu sein. Das Versprechen des Hausbesitzers, seine Schulden zurückzuzahlen, wird vielfach kopiert, wie die Musikdatei des Musikers.

Es werden so viele Kopien vom vermögenschaffenden Versprechen des Hausbesitzers gemacht, dass der Wert des Originals gemindert wird. Das Kopieren verringert die langfristigen Aussichten des Hausbesitzers auf ein Vermögen.

Anders ausgedrückt, das Versprechen des Hausbesitzers, seinen Kredit zurückzuzahlen, kann nur einmal abgegeben werden, doch entgegengenommen wird dieses Versprechen und damit auch das Risiko, dass der Kredit nicht zurückgezahlt wird, unzählige Male. Am Ende wird der Hausbesitzer also für dieses erhöhte Risiko bezahlen. Und zwar in Form von Steuererhöhungen (weil der Staat sogenannte »systemrelevante« Finanzunternehmen rettet), durch den Wertverlust der Immobilien (weil sie durch unsinnige Hypotheken belastet sind) und erschwerte Kreditbedingungen.

Außer für diejenigen, die absolut makellose Bonitätsbewertungen vorweisen können, wird es für alle schwer werden, einen Kredit zu bekommen, wenn die zahlreichen fernen Empfänger des Rückzahlungsversprechens das Risiko vervielfachen. Selbst die reichsten Länder können Schwierigkeiten haben, das Top-Rating ihrer Kreditwürdigkeit zu halten. Die Welt der echten Menschen, in der es keine garantierte Sicherheit gibt, büßt so sehr an Ansehen ein, dass Kreditgeber irgendwann überhaupt kein Geld mehr verleihen wollen.

Wenn man das erkannt hat, ist viel gewonnen. Eine Hypothek gleicht einer Musikdatei. Und eine verbriefte Hypothek ähnelt der Raubkopie einer Musikdatei.

In beiden Fällen entstand für die Person, die früher einmal von der Sicherungsmaßnahme eines Deiches profitierte, kein unmittelbarer Schaden. Schließlich wurden nur ein paar Bits auf irgendeinem Computer neu geordnet. Es entstand nur eine abstrakte Kopie, eine unmerkliche kleine Veränderung, weit weg. Doch langfristig gesehen entsteht für die echten Menschen an der Quelle ein großer Schaden.

Wem gehört die Zukunft?

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