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bb) Der notwendige Grad der Verkehrsgeltung

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Die Anforderungen an den Grad der Verkehrsgeltung, die grds verhältnismäßig niedrig zu veranschlagen sind, hängen von der dem Kennzeichen ursprünglich innewohnenden Unterscheidungs- und Kennzeichnungskraft sowie dem Freihaltebedürfnis der Allgemeinheit ab (von Gamm Kap 7 Rn 7; Goldmann § 6 Rn 18, 31; GK/Teplitzky § 16 Rn 218 f). Je geringer die ursprüngliche Kennzeichnungskraft einer Bezeichnung und je höher das Freihaltebedürfnis der Allgemeinheit, desto höher sind die Anforderungen an den Grad der Verkehrsgeltung (GK/Teplitzky § 16 Rn 218 f; BGH GRUR 1979, 470 f – RBB/RBT; BGH NJW-RR 1990, 1194 f – Schwarzer Krauser; BGH NJW-RR 1994, 1255 f – Schwarzwald-Sprudel; BGH NJW 1961, 1018, 1020 – Almglocke; zum Zusammenhang von (geringer) originärer Kennzeichnungskraft und Freihaltebedürfnis Goldmann § 5 Rn 6, 26, 29 ff; BGH GRUR 1960, 83, 87 – Nährbier).

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Unterscheidungskräftige Kennzeichen, an denen kein Freihaltebedürfnis der Allgemeinheit besteht, können bereits ab einem Durchsetzungsgrad von 20–25 % Verkehrsgeltung beanspruchen (Goldmann § 6 Rn 82, 87; Ströbele/Hacker § 4 Rn 48; skeptisch gegenüber jeder zahlenmäßigen Festlegung von Graden der Verkehrsgeltung GK/Teplitzky § 16 Rn 217; BGH GRUR 1960, 83, 87 – Nährbier). Auch Marken und Werktitel, die ohne Zutun des Kennzeicheninhabers namensmäßige Wirkung erlangen können (vgl Rn 39), werden idR unterscheidungs- und kennzeichnungskräftig sein. Die relativ geringen Mindestanforderungen an die Verkehrsgeltung können bei der Bestimmung des Schutzumfanges der entspr Kennzeichnung wieder ausgeglichen werden (vgl Goldmann § 11 Rn 12 ff, 61 ff).

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Bei Kennzeichen, die aus bloß beschreibenden Angaben bestehen, ist das Freihaltebedürfnis der Mitbewerber in den meisten Fällen so groß, dass eine überwiegende Verkehrsgeltung zu fordern ist (BGH GRUR 1960, 83, 88 – Nährbier), die regelmäßig einen Durchsetzungsgrad von über 50 % voraussetzt (BGH NJW-RR 1990, 1194, 1195 – Schwarzer Krauser). Überwiegende Verkehrsgeltung kann auch bei Kennzeichen zu fordern sein, die sich aus solchen Bestandteilen zusammensetzen, die nur in beschränkter Anzahl zur Verfügung stehen und an denen der Verkehr daher ein erhöhtes Freihaltebedürfnis hat. Überwiegender Verkehrsgeltung bedürfen daher Farbkombinationen (BGH NJW-RR 1991, 1321 f – frei öl) oder Buchstaben- und Zahlenkombinationen (BGH GRUR 1979, 470 f – RBB/RBT). Bei einem bes starken Freihaltebedürfnis, etwa bei beschreibenden Angaben, die nur schwer ersetzbar sind und daher von den Mitwerbern dringend benötigt werden, kann eine nahezu einhellige Verkehrsgeltung zu fordern sein (BGH GRUR 1960, 83, 87 – Nährbier; BGH NJW-RR 1990, 1194, 1195 – Schwarzer Krauser), die idR einen Durchsetzungsgrad von deutlich über 70 % erfordert (Goldmann § 6 Rn 70).

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Das Freihaltebedürfnis der Mitbewerber kann jedoch niemals die absolute Schutzunfähigkeit eines Kennzeichens zur Folge haben (GK/Teplitzky § 16 Rn 237; Goldmann § 6 Rn 66–68). Hat sich ein Kennzeichen bei bestehendem Freihaltebedürfnis im Verkehr durchgesetzt, so kann dieser Zustand nicht nachträglich wieder aus Gründen des Freihaltebedürfnisses in Frage gestellt werden (BGH GRUR 1979, 470, 471 – RBB/RBT; anders noch die ältere Rspr in BGH GRUR 1953, 290, 291 – Fernsprechnummer; BGH GRUR 1957, 238 – Tabu I). Ist einem Kennzeichen Verkehrsgeltung zuzugestehen, sind Freihalteinteressen der Mitbewerber bei der Bemessung des Schutzumfanges und der Prüfung der rechtsverletzenden Ingebrauchnahme eines Gegnerzeichens zu berücksichtigen (GK/Teplitzky § 16 Rn 237; BGH GRUR 1985, 461, 462 – Gefa/Gewa; BGH NJW-RR 1989, 808, 809 – Maritim).

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Die soeben dargestellte traditionelle deutsche Rechtsauffassung zur Verkehrsdurchsetzung wird aufgrund der Chiemsee-Entsch des EuGH, in der dieser bei der Bestimmung der Unterscheidungskraft einer geographischen Bezeichnung das Kriterium des Freihaltebedürfnisses für irrelevant erklärte und eine deutliche Distanz gegenüber der Verbindlichkeit bestimmter Prozentsätze der Verkehrsdurchsetzung erkennen ließ (EuGH GRUR 1999, 723, 727 Nr 48, 52), in Frage gestellt. Während ein Teil der Lit die Anwendung der zur Registermarke ergangenen Chiemsee-Entsch aus Gründen der Einheit des Kennzeichenrechts auch auf Unternehmenskennzeichen anwenden will (Ingerl/Rohnke § 5 Rn 53 iVm § 8 Rn 313 ff), hält eine aA auch nach dem Chiemsee-Urt an der bisherigen Rechtsauffassung fest (Ströbele/Hacker/Thiering § 4 Rn 50; Goldmann § 6 Rn 31). Bei näherem Hinsehen lässt sich das Chiemsee-Urt jedoch mit der bisherigen Rechtslage in Deutschland vereinbaren. So wurde die Forderung, festen Prozentsätzen der Verkehrsgeltung nicht zu hohes Gewicht beizumessen, in Deutschland auch schon früher erhoben (vgl GK-Teplitzky § 16 Rn 217) und steht mit dem geltenden Recht insofern in Übereinstimmung, als die oben (Rn 65 f) angegebenen Prozentsätze ohnehin nur als Anhaltspunkte verstanden werden. Auch darf man die Chiemsee-Entsch nicht dahin missverstehen, dass das Freihaltungsinteresse der Mitbewerber im Rahmen der Schutzfähigkeit eines Kennzeichens nunmehr keine Rolle mehr spielt. Vielmehr hat der EuGH in einem neueren Urteil zur Unterscheidungskraft einer Farbmarke ausdrücklich die Berücksichtigung des Freihaltebedürfnisses anderer Marktteilnehmer gefordert (EuGH GRUR 2003, 604, 607 f Nr 54 f, 60 – Libertel; ähnlich und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Chiemsee-Entsch BPatG GRUR 2006, 509, 510 – PORTLAND). Selbst wenn der EuGH – was äußerst zweifelhaft ist – das Kriterium des Freihaltebedürfnisses verworfen hätte, würde dies die in Deutschland geltenden Rechtsgrundsätze nicht umstürzen, da ein hohes Freihaltebedürfnis der anderen Marktteilnehmer regelmäßig einer geringen originären Kennzeichnungskraft entspricht (oben Rn 64). Die Gründe, die für die Beurteilung des Freihalteinteresses der Mitbewerber von Bedeutung sind, verlangen demnach auch im Rahmen der Kennzeichnungskraft Berücksichtigung. Die Bedeutung der Chiemsee-Entsch dürfte in erster Linie darin liegen, dass der EuGH im Rahmen einer umfassenden Prüfung der Verkehrsdurchsetzung verschiedene Entscheidungskriterien festlegt (EuGH GRUR 1999, 723, 727 Nr 51 – Chiemsee). Überträgt man die Chiemsee-Entsch auf Unternehmenskennzeichen, so kommt es im Rahmen der Verkehrsgeltung auf den Markterfolg eines Unternehmens, auf die Intensität, geographische Verbreitung und Dauer der Benutzung eines Unternehmenskennzeichens und auf die Erklärungen von Industrie- und Handelskammern und anderen Berufsverbänden an (Goldmann § 6 Rn 21). Neben diesen vom EuGH hervorgehobenen Kriterien bleibt jedoch eine bestimmte Verkehrsgeltungsquote nach wie vor relevant. Auch wenn die oben mitgeteilten Prozentsätze (Rn 65 f) nach dem Chiemsee-Urt einen Teil ihrer vorentscheidenden Bedeutung eingebüßt haben mögen, so sind sie zumindest als Richtwerte nach wie vor brauchbar (so iE auch Goldmann § 6 Rn 63 ff).

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