Читать книгу UHURU - Jo Danieli - Страница 10
Erste Schritte
ОглавлениеAlle, die jemals Stunden neben dem Fahrer im Führerhaus ausgekostet haben, sind in dieser Zeit erst wahrhaftig »gereist«, haben die Gegend nahen, sich ausbreiten, vorüber gleiten und sich fort winden sehen, statt es der Phantasie überlassen zu müssen, aus den Sichtbruchstücken durch die kleinen Fensterluken eine Ahnung des Draußen für die erwartungsvolle Seele zusammenzubasteln. Es bedeutete mir schon beim ersten Mal quälende Freudlosigkeit, in rauchige Wagenhitze und mürrische Resignation gegenüber dem Platzmangel zurückzukehren. Aber meine Fototasche musste beaufsichtigt werden. Sie ins Führerhaus mitzunehmen erlaubte Bert nicht – aus Platzgründen, wie er sagte, und das klang nicht einmal höhnisch. Was, wenn er gar nicht bedachte, mangels Information gar nicht ahnte, wie es uns im Wagenfond erging, während der vorne der Kopf voller Sorgen hatte?
Allerdings strebten viele der Mitreisenden niemals das Panoramaerlebnis des Reisens in der Fahrerkabine oder auf »Tarzans« Galerie an. Sie vergruben sich in »Uhurus« düsterem Inneren stets aufs neu in ihr trügerisch sicheres Nest und dösten dahin, statt munter Ausschau zu halten nach Spielzeug für die Abenteuerlust. Dieses Verhalten war verständlich. Aber dazu später.
Die »Tirenia«/Capo Spartivento, Trieste, unser Fährschiff, erwartete uns bereits. Aber sie erwartete auch Massen schwarzgelockter Südländer, die, von »Tarzans« hoher Galerie besehen, wie eine Herde Karakulschafe den Freiraum zwischen einzuparkenden Autos, Gebirgen aus Gepäck und Bleichgesichtern mit hellem Fell füllten. Unsere zebragestreiften Fahrzeuge wurden bestaunt und verflucht, als sie sich mit massiger Konsequenz in die Warteschlange der kleineren Autos drängten. Für neun Uhr vormittags war die Abfahrt angekündigt worden. Nur noch zwei Stunden, die wir auf Europas Boden zu verbringen hatten, frohlockten wir unvorsichtig. Der frühe Morgen betäubte uns fast mit seiner Frische und zog uns die scharfe Atemluft von den Mündern, die müde seufzen wollten.
Dann geschah etwas, das unsere Herzen höher schlagen ließ: die bislang unentdeckt fürsorglichsten Mitglieder unserer Gruppe – wer es war, ließ sich später nicht rekonstruieren – versorgten alle mit Milch und Semmeln. Es war ein Frühstück gleich dem Ambrosia der olympischen Götter! Wir lachten zunächst viel an diesem Morgen. Ein wunderbar voller Bauch macht übermütig.
Bert verschwand, um die Ladeformalitäten auf der »Tirenia« zu erledigen. Ein paar von uns machten sich sofort nach dem unerwarteten Frühstück auf die Suche nach einer Bar. Dies sollte den gesamten Reiseverlauf hindurch so bleiben. Wo und wann immer wir hielten – eine Delegation strebte sofort den Konsum von Trinkbaren, möglichst Alkoholischem an oder zumindest lauschigen Müßiggang in der schwülen Gastfreundschaft einer Bar, und bestand diese auch nur aus einer Lehmhütte, dem Kühlschrank und ein paar Kisten. Allerdings ist in afrikanischen Bars das plärrende Radio oft unvermeidlich. Aus diesem Grund mieden andere Gruppenmitglieder die zweifelhafte Gemütlichkeit der Ortsbar. Wer aber einmal sein Bier oder seinen Tee in Händen hielt, verzichtete oft gleich ganz auf die Erkundung der Umgebung oder die Bewachung der Wagen.
Wir anderen lungerten nun am Hafen um unsere Fahrzeuge herum, die uns wie Trutzburgen vor dem den Ansturm der anderen Schiffspassagiere schützten. Sie glänzten in der sizilianischen Morgensonne, die beiden Riesenzebras, und fast zärtlich stellte ich mir vor, wie sie demnächst im Wüstensand leuchten würden.
Die kontrollierend herbei schlendernden Zollbeamten mussten mit uns, die wir natürlich keinerlei Fahrzeugdokumente vorzuzeigen hatten, vorlieb nehmen. Sie vertrieben sich die Dienstzeit mit staunendem Beschau unserer beiden Riesenzebras. Dann gingen sie zur Tagesordnung über. Es war Berts Aufgabe, die Beamten zufriedenstellend aufzuklären, ihnen alles zu zeigen, vor allem die Dokumente und die Wagen zu bewachen. Sie sollten ein paar Minuten warten, auf den Capo, baten wir. Wir seien bloß die Passagieren.
Aber Bert kam nicht. Wir standen um »Tarzan« und »Uhuru« herum, und die immer strenger dreinblickenden Beamten begehrten nun Einlass.
»Ma, perché?« fragte ich, mein Schulitalienisch abstaubend. Routine, erklärten sie, alle Lastwagen würden durchsucht. Allerdings fand sich bei den übrigen Transportern am Hafengelände kaum ein Beamter. Das übersah ich bei meinem Bemühen, die Sache mittels rostender Vokabel zu klären, großzügig.
Taschen mussten aus dem Herzen des Gepäckberges hervorgezogen werden – eine kleine Katastrophe, die uns den Schweiß ausbrechen ließ. Die mühsam erhaltene Ordnung war dahin. Und waren wir leidlich vorsichtig mit dem Gepäck umgegangen, so warfen die Zollbeamten nun alles achtlos durcheinander. Nein, er wollte die blaue Tasche sehen, verlangte einer der Beamten. Aber ich wüsste nicht, wem diese gehörte, wandte ich ein. Der Besitzer möge erscheinen, wurde befohlen. Das war schwer zu erfüllen, denn nicht alle Reiseteilnehmer befanden sich in Reichweite. Der Beamte wurde langsam ungeduldig. Wahllos herausgegriffene Taschen mussten nun vor suchenden Blicken ausgeräumt werden. Die Zöllner schienen Spaß am Wühlen zu haben, und wir wagte nicht, Einwände zu erheben. Kramende Hände ließen Fototaschen von Sitzen auf den Boden plumpsen. Ich wandte mich ab. Meine Fototasche ruhte immer noch unter meinem Sitz.
Man fand einen Satz Fleischer- und Küchenmesser im »Tarzan«. Zu konfiszieren, hieß es aus dem Munde ernsthafter sizilianischer Hafensecurity.
»Ma, perché?« wollte ich verzweifelt wissen. Waffen seien das doch, erklärte man mir höhnisch. Aber es seien bloß Küchengeräte, wandte ich schüchtern ein, wir brauchten sie zum Kochen, capito? Wir würden doch campieren und ...
Bert war immer noch nicht zurückgekommen.
Unsere vollgepackten Fahrzeuge verursachten den Herren Zolldetektiven Staunen mit offenem Mund und zusammengekniffenen Brauen.
Nach haarsträubenden Kletterpartien über unser Gepäckgebirge, dem trotzigen Verlangen der gestrengen Herren, über einzelne, verdächtig pralle Privattaschen hinaus in jeden Container, jede Lade, jede Dose Einsicht zu nehmen, begnügte der Oberbeamte sich damit, nur unsere Öl- und Dieselvorräte, sowie eben die »Waffen« konfiszieren zu wollen. Auch in jene Behältnisse auf »Tarzans« Galerie musste man Einsicht nehmen. Ich hatte die Ehre, die Beamten als Dolmetsch hinauf zu begleiten. Wenigstens entdeckte ich das grandiose Feeling auf diesem Galerieaufbau für mich, das zarte Vorfreude auf die Durchquerung von Wüste, Steppe und Dschungel in mir keimen ließ.
Warum lagerten Klappsessel eigentlich in Tonnen, wollten die Beamten wissen. Der Chef würde gleich kommen und erklären, suchte ich die Misstrauischen zu beruhigen. Sie ließen nicht locker, und der Chef kam nicht. Hatten die Tonnen etwa doppelten Boden? Ich fragte mich, warum der schlaue Bert wirklich sperrige Klappsessel in runden Containern lagerte. Und war der Spirituskocher wirklich nichts als ein Spirituskocher? Warum hatten wir derartig viel geladen? Uns ging auf, dass wir keine Ahnung hatten, womit wir eigentlich wirklich herumkutschierten.
Eine viermonatige Tour, Signore, attraverso Africa, per favore. Ich verfluchte den Umstand, dass bis auf Silvia niemand sonst Italienisch sprach, und Silvia hielt draußen einen weiteren Beamten bei Laune. Wir sind siebenundzwanzig, Signore, da braucht man viel. Die Messer sind keine Waffen, Signore, nur zum Essenschneiden da ... ehrlich. Und die Treibstofftanks? Tja, ein M.A.N.-Diesel schluckt molto, molto Diesel. Und wir hatten gar zwei davon...
Unter unseren staunenden Augen verbarg der Chef der Brigade letztendlich die anstößigen Messer tief unter den Gepäckstücken und mahnte augenzwinkernd, besser noch ein paar Rucksäcke darauf zu werfen, auf dass wir damit in Tunis keine Schwierigkeiten haben sollten. Und zu merken hatten wir uns ein für allemal, basta: Durchreisende dürfen schon ab Italiens Grenze keine unbegrenzten Mengen Treibstoff mit sich führen!
Hatte Bert das nicht gewusst? Ging er Schwierigkeiten auf die Art aus dem Weg, indem er zur Klärung selbiger abwesend war? Oder beliebte er Hasard zu spielen mit den Gesetzen, auf Kosten unserer Reisestimmung? War er einfach nachlässig?
... wenn ein zum Bus umgebauter Lastwagen mehrere Länder durchquert, sollte der Lenker wohl auch einen Busführerschein besitzen, vervollständigten wir später rückblickend die Liste unserer Beanstandungen dieses einen Morgens am Hafen. Weder Bert noch einer der beiden Fahrer war aber derartig geschult, sollten wir später in Erfahrung bringen. Hätte einer der Kontrollbeamten am Hafen das entdeckt, man hätte unter Umständen die ganze Gruppe wieder nach Hause schicken können. Und wie leicht hätte in dem Verkehrstrubel auf Italiens Autostradas etwas passieren und kontrollierende Polizei auf den Plan rufen können! Und wir wären gar nicht bis Trapani gekommen! Brommel war zunächst noch unansprechbar für Beschwerden und seinem Chef hörig. Er hatte vermutlich nichts dabei gefunden, »Tarzan« ohne gültige Fahrlizenz zu lenken, ebenso Gerry, der schweigsamen Reserverfahrer. Brommel bei Fahrtpausen zu Gesicht bekommen zu wollen, sollte fortan bedeuten, unter einen der Wagen kriechen oder sich in die Nähe der Alkoholika-Abteilung von Geschäften oder an Bartheken begeben zu müssen. Brommel war ein Trinker, nein, ein Säufer. Aber das erfuhren wir erst nach und nach. Angesprochen zeigte er allemal eloquente Bereitschaft, sein Wissen um Kraftfahrzeuge unter Beweis zu stellen. Stets ölverschmiert, einen Glimmstängel zwischen trockenen Lippen, die Brille schief auf dem markanten Nasenrücken unter den Haarsträhnen eines rötlich-brünettem Mähnenschafes, bleibt sein Anblick in meiner Erinnerung auf ewig untrennbar mit den Fahrzeugen verbunden, als hätte Bert Brommel mittypisieren lassen.
Bert meinte später lapidar, wer hätte wohl auf die Idee kommen sollen, die Fahrer derart auffälliger Gefährte mit über zwanzig Leuten als Passagieren nach Führerscheinen zu fragen! Ähnlich gleichmütige, wenn auch halsbrecherische Sichtweisen, unsere Reise betreffend, entsprangen wohl gerade jenem Wesenszug unseres Leiters, der ihn als Verantwortlichen eines Unternehmens wie des unseren absolut außer Konkurrenz stellte. Aber das wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Berts Charakter war nämlich mit ausschweifender Wurschtigkeit gesegnet, die böse Zungen auch als verachtungsvolle Ignoranz deuten mochten. Pioniergeist hatte Bert auf jenem Plakat, das die Reise in Wien angekündigt hatte, von seinen Mitreisenden gefordert und nicht Zweifel. Wir haben stolz präsentierte Naivität mit Pioniergeist verwechselt.
Im Hafen von Trapani, von strengen Beamten, deren Sprache ich kaum verstand, gequält, verfluchte ich Bert zum ersten Mal aus ganzem Herzen. Ich hasse Obrigkeit jeglicher Art, und Bert hat mich gezwungen, mich ihr zu stellen, als es gar nicht meine Aufgabe gewesen wäre. Wahrscheinlich hasst Bert die Obrigkeit auch, zumindest aber verachtet er sie. Das sollten wir noch merken.
Die Menschenschlange am Pier glitt die steilen Metalltreppen zum Schiffseinstieg hinan. Bert erschien gut gelaunt. Alle Formalitäten seien erledigt, aber nun hätte er es sehr eilig, Brommel sollte »Tarzan« nehmen und losfahren, und auch »Uhuru« verschwand im Schiffsbauch.
Eisiger Wind und vertraut klare Regenluft im Hafen zurücklassend, gerieten wir beim Eintritt in das Schiff in beunruhigende Atemnot. Die stickigen Sammelkabinen mit unbequemen Schlafsesseln waren aufdringlich grell erleuchtet und überfüllt. Nach halbstündigen Irrläufen im Passagierraum glaubte ich mich in einem frisch aufgegossenen Dampfbad aus brackiger Lauge.
Ungläubig lauschten wir im folgenden zwischen Jausensessions im Zwischendeck mit Brot, Butter und Tomaten, die wir uns natürlich selbst gekauft hatten, inmitten herumlungernder oder provozierend stolzierender schwarzwolliger Südländer oder gar Afrikaner, verschleierter Frauen und umherwandernder, blöde unschlüssig gaffender Touristen, den Durchsagen der Mannschaft. Die Fähre würde nicht ablegen, noch nicht. Man müsse das Ende eines Sturmes abwarten.
Es wurde mittag. Immer noch Sturm über dem Mittelmeer, dazu kam angeblich ein kleiner Defekt am Schiff, der uns festsitzen ließ.
Während der Stunden der Deckrundgänge auf den vier Schiffsebenen versuchten wir tapfer, dräuender Übelkeit Herr zu werden, sturmgeschüttelt und frierend, aber immerhin durch Frischluft belebt und nahe der Reling erfrischend gischtbesprüht. Die Versuche, auf den Kunststoffböden im Schlafsack oder in den Sesseln ein wenig Ruhe zu finden, raubten mehr Kräfte, als wir noch entbehren konnten. Wer glaubte, ruhig liegen zu dürfen, wurde durch stoßende Fußspitzen, stolpernde Kinder, fallengelassene oder achtlos anstreifende Gepäckstücke sowie lautes Geschrei eines besseren belehrt. Das Schiff war mit Menschen vollgestopft, und mir war übel, wie ich es noch nie erlebt hatte. Nach dem achten Rundgang durch die Schiffsdecks war auch meine hartnäckig gegen das Unwohlsein kämpfende Erkundungslust versickert.
Als es dämmrig wurde, durchlief mächtiges Zittern den Schiffsrumpf. Wir legten ab, als wir schon nicht mehr daran glaubten. Ein lächerlich winziges Boot zerrte uns den Bug Richtung Afrika. Das Schiff schlingerte und schlingerte weiter und weiter, später wogte es großzügig unter uns, und wir beteten um gnädige Ohnmacht, wenn wir schon nicht schlafen konnten und auch nicht richtig erleichternd erbrechen. Schlafmangel schien unser ständiger Begleiter zu werden. Horden von Menschen drängten sich in den Gängen. Die Toiletten gerieten zu Zentren verzweifelter Kommunikation. Urin, Wasser, Erbrochenes und Kot bedeckten den Boden, und wem durch den Seegang noch nicht übel genug war, der erbrach sich in Toiletten und Waschräumen wegen der entsetzlichen Zustände selbiger. Noch nie hatte ich so viele elendiglich leidende Menschen an einem Ort gesehen.
Überteuerte Getränkepreise in verrauchten, überfüllten Bars verhinderten allzu großzügigen Konsum von Limonade und Alkoholika. Kaum jemand unserer Gruppe verspürte Lust, sich eine Stunde lang anzustellen, um an ein Getränk zu kommen.
Afrika glomm undeutlich hinter sehnsuchtsvoll gerunzelter Stirn. Fast zärtlich begegneten die einzelnen Mitglieder unserer Gruppe einander in den Tiefen des Schiffes, da diese ersten gemeinsam durchlebten Krisen uns aneinanderzuschweißen begannen. Erste Briefe nach Hause entsprangen aus einem Überschuss an Muße, als das Schiff ruhiger dahinglitt. Was erzählen? Die Heimat war noch klar vor Augen. Blicke aus den Bullfenstern. Wogende, graue See, wartendes Mittelmeer.
Das große Kotzen schritt fort, und die Nacht geriet neuerlich zu einem Alptraum in den unbequemen Schlafsesseln. Man rutschte ab, wenn man sich in Rückenlage ausstrecken wollte, fand keine Gelegenheit, sich abzustützen, kauerte man sich seitlich zusammen. Die Klimaanlage übertrieb maßlos. Nach erstickender Hitze während der Wartezeit wurde es eiskalt in den Sammelkabinen. Kaum jemand hatte etwas zum Zudecken bei sich.
Ilse litt besonders unter der Seekrankheit. Wer zunächst darüber geschmunzelt hatte, die zarte Frau kreidebleich Grimassen schneiden und sich den Magen haltend herumtaumeln zu sehen, fand sich bald selber schweigsam gegen die Wand gelehnt voll konzentriert gegen die drohenden Dämonen des Reisens auf dem Meer kämpfend.
Bert versammelte uns um sich, den Kopf voller Pläne. Geschmückt mit maskulinem Dreitagesbart und Shorts stand er lächelnd vor uns, die weißen, sommersprossigen, spärlich behaarten Beine ein wenig gespreizt, unablässig in den Knien wippend, die Fingerspitzen im Hosenbund verborgen. Rissige Lippen und schwere Lider über grasgrünen Augäpfel ließen ahnen, dass drei Tage nahezu pausenloser Fahrt im Führerhaus seine provokant präsentierten Reserven doch erschöpft hatten. Unbegreiflich, wie ein Mann sich Tage und Nächte hinter dem Steuer eines schweren Fahrzeuges wie »Uhuru« halten konnte, ohne Zeichen von Erschöpfung zu zeigen. Brommel und Gerry wechselten einander hinter »Tarzans« Steuer immerhin ab. Sabine hatte vielleicht recht gehabt, und wir sollten weniger streng mit Bert sein.
Nur einige von uns maßen Berts Machenschaften mit Stempelkissen, Filzstift und einem kleinen Glas viel Bedeutung bei. Dass an Bord Reisedokumente für die Wagen gefälscht wurden, kümmerte uns nicht besonders. Dass weder wir als Insassen der Wagen noch die Wagen selbst versichert waren, wussten wir nicht, und da wir es bis auf die Fähre geschafft hatten, fühlten wir uns einigermaßen sicher. Sollte Bert herummalen und stempeln, wie er wollte. Ich jedenfalls fand es besser, reglos im Sitz zu verharren und zu hoffen, die Nacht möge bald vorüber sein, als sich mit allzu viel Grübeln auch noch Magenweh aus Sorge zu züchten. Mit steifen Gliedern fuhr ich aber immer wieder aus seichtem Dösen empor.
Eine Stimme verkündete von irgendwo her die Nähe einer Küste in der Morgendämmerung ...
... Afrika ...
... und wenn schon.
Die nötige Euphorie verlangte nach Erster Hilfe. Wie gerne hätten wir uns die Zähne geputzt! Allein, mein Magen erhob sich zum Aufstand, sobald ich die Tür zu einem der Waschräume öffnete. Wir lächelten einander aus unseren unbequemen Schlafsesseln zu oder machten einander auf friedlich schlafende Kollegen aufmerksam. Viele husteten oder schnäuzten sich immer wieder. Weil Trauben von Schiffspassagieren an den Bullaugen hingen, ging uns schließlich auf, dass etwas Besonderes draußen zu sehen sein musste. Mein Halsweh trieb mir die Tränen in die Augen und ich fror, als ich mich, unwillig fast, aus der Verkrampfung der Nach schälte.
Die Küste Nordafrikas.
Funkelnde Lichter, die den Tag anlockten.
Ein rosiger Streifen am Horizont gab Kunde von der bevorstehenden Ankunft des Sonnenballs. Die Sonne und wir würden Afrika zur selben Zeit erreichen.
Unsere Gruppe fand auf wunderbare Weise zusammen, als es hieß:
»Wir legen in Tunis an!«
Wie ein einziger, zäher Körper schob sich die Masse der Passagiere an die Ausgänge heran, noch ehe die »Tirenia« ruhig im Hafenwasser lag. ,Am Ziel‘ wollte ich jubeln, aber mir fehlte die Kraft. Sie reichte gerade aus, die anderen anzulächeln.
Ein wenig beschämt, doch froh über die Existenz derartiger Privilegien für Touristen, genossen wir fast zwei Stunden später die bevorzugte Behandlung durch Beamte der Emigrationsbehörde am Hafen von Tunis. Einander besorgt im Auge behaltend, rotteten wir uns zunächst in der Abfertigungshalle inmitten eines brodelnden Menschenmeeres zusammen. Allerdings galt diese Sorge wohl weniger dem Verlust eines Kameraden als den drohenden Verzögerungen durch die Suche nach demselben. Wir wurden aus der stickigen Masse der Schiffspassagiere gelotst.
Sabine hielt ein wachsames Auge auf Alfi, und die beiden unterhielten sich zuweilen angeregt. Luis, der sympathische muskulöse Naturbursche, war stets mit von der Partie. Anita zeichnete, obwohl blass vor Müdigkeit, recht frech ein Dreieck in die Luft, und wir kicherten, um unserer Unwohlsein zu vergessen. Milan war seit zwei Tagen ständig mit der Filmkamera auf der Schulter anzutreffen, liebevoll umschwänzelt von seiner holden Dunja. Silvia ergriff energisch das Zepter, da es galt, die Leute im Hafengewühl zusammenhalten und nannte uns einen »chaotischen Haufen Kinder«. Elsie gesellte sich an meine Seite.
»Ist schon ein Hammer, so eine Reise! Ihr seht alle so müde aus!« Sie lachte mich an, munter wie ein verspieltes Fohlen.
»Ja, hast du denn schlafen können im Schiff?«
»Klar doch! War gar nicht so übel.« Tiefe Grübchen erschienen in ihren Wangen, während der gedrungene, hübsch mollige Körper, vor Elan nur so strotzend, unter lautstarken Geplapper die Metalltreppe zum Parkplatz hinab tanzte. Halb schoben wir einander, halb sanken wir hinab vor Erschöpfung, und unten, bei den gelassen wartenden Zebras, trafen wir Bert und die beiden Fahrer. Sie sahen ebenfalls aus, als hätten sie im Rinnstein genächtigt.
»Bleibt weg von mir,« schnauzte Bert uns an, »... während ich alles mit den Beamten kläre! Es ist nicht notwendig, dass hundert Leute um mich herumstehen! Das macht die Burschen nur nervös.« Gerald und Tommy hatten ihre Annäherung sicher gutgemeint, aber Bert verscheuchte sie unfreundlich, mit gespreizten Beinen vor »Uhuru« aufgebaut unablässig in den nackten, sommersprossigen Knien wippend. Tommy, der blonde, schweigsame Athlet mit den stechend blauen Augen, wandte sich »Uhuru« zu, als lausche er still Berts Abfuhr nach und stieg ein. Drinnen hörten wir ihn mit Wilfried, dem hageren, stets nachdenklichen Hippie diskutieren. Weitere abwehrende Gesten gegen uns schleudernd, folgte Bert, jovial darauflos plaudernd, einem Uniformierten ins Büro. Allein.
Anita zuckte die Schultern, Peter und Karli wandten sich betreten ab. Luis murmelte etwas von ».... schmieren ....«, und die anderen fanden sich zu Plaudergruppen zusammen. Kopfschütteln überall. Was hatte unser Chef nur? Und warum sollten wir den Formalitäten fern bleiben? Dass Bert uns Bürokratisches aus Rücksicht auf unseren Reisegenuss ersparen wollte, war lachhaft. Der Anflug von Freude, ihn nach der langen Schifffahrt wiederzusehen, war verblasst, ohne jemals vollständig erblüht zu sein. Stoppelbärtig und käsig die Männer, bleich und zerzaust die Damen, statteten wir dem Duty-free-Laden einen Besuch ab. Im folgenden gesellte sich einige alkoholische Last zur menschlichen Ladung.