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Am Rand des Kontinents

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Es war Afrikas Luft, die wir nun atmeten. Das hielten wir einander vor, um endlich in richtige Abenteuerstimmung zu kommen. Die vorsichtige Annäherung der ersten Tage lag hinter uns. Umgangston und Gestik gerieten bereits deutlich legerer.

»Schleich’ dich,« bellte Armin Inga an, als sie die Dachluke öffnen wollte. Ingas Gespons Rudi brummte nur und schaute aus der Fensterluke neben seinem Kopf. Ich widmete mich den Ausblick durch mein Fenster, kein bisschen daran interessiert, partnerschaftliche Krisen bezeugen zu müssen.

Auf abgasverpesteter Küstenstraße strebten wir Sousse entgegen. Nach Abstechern in Straßengraben und Gebüsch bei den Pinkelpausen wurde die Rückkehr in »Uhurus« Inneres bereits zum vertrauten Ritual und der hartnäckig verteidigte Sitzplatz zur Heimat im kleinen. Auch ich empfand es allerdings zuweilen bereits als angenehmer, »Uhuru« bei manchen Stopps gar nicht zu verlassen, um dem Gedränge am Einstieg zu entgehen anstatt bei jedem Halt – der Frischluft wegen – hinauszustreben. Besser, in Ruhe aus dem Fenster zu schauen und die Füße auf Armins köstlich verwaisten Sitz zu legen, als sich steif das Trittbett hinabzutasten und sich sogleich beeilen zu müssen. Aber auch Armin gewöhnte sich an, die Pinkelpausen nicht jedesmal zum Aussteigen zu nutzen ...

Ob sie glaube, dass wir irgendwann auch Pausen machen würden, um tatsächlich etwas zu erleben, fragte Inga Silvia. Die Oberlehrerin bleckte die Zähne. Na, deshalb seien wir doch hier. Soso, murrte Rudi, Ingas Gespons, er habe gedacht, wir seien gekommen, um entlang der Überlandrouten die Blumen zu gießen ...

Hin und her geschüttelt, Motorenlärm unablässig im Ohr, flüchtige Anblicke auf Bäume, Häuser, Telegrafenmasten und Gewässer durch die viel zu kleinen Fenster erhaschend, Fliegen mit blinzelnden Lidern verjagend und der Zugluft um Hals und Stirn wehrend, waren wir überdies eifrig damit beschäftigt, alle möglichen Sitzpositionen auszuprobieren. Whiskey aus dem Dutyfree machte die Runde und lockerte Zunge und Stimmung.

»Mir scheint!« empörte Ilse sich, und das »scheint« schwang sich gleich eine Oktave über das »mir« auf, als Bert ein Schlagloch allzu sorglos nahm und wir Insassen nur knapp einer groben Begegnung unserer Schädel mit der Wagendecke entgingen. Wir lachten über den lustigen Hüpfer. Als der nächste kam, lachten wir wieder, beim nächsten immer noch. Allerdings, im nachhinein betrachtet, waren die Schlaglöcher auf der Straße zwischen Tunis und Sousse kaum der Rede wert.

Immer wieder schwoll Ilses lamentierendes Gemurmel an, stets gebremst von Karlis beruhigenden oder zustimmenden Worten.

»Wir werden noch unsere Gesundheit ruinieren! Wenn der so weiterfährt! Das ist doch –«

»Aber nein, das halten wir schon aus ...«

»Ach Gott, der Mensch nimmt keine Rücksicht!«

»... wenig, ja ... ist aber doch nur ein kleines Schlagloch gewesen ...«

»Mir scheint!«

»... so schlimm ist es auch wieder nicht ...«

»Wenn das nur gut geht!«

»Klar, es soll doch auch ein bisschen Abenteuer sein ...«

Karlis geflüsterte Klagen strandeten unweigerlich an meinem Ohr, da ich ihm am nächsten saß.

»Ich frage mich, warum sie nicht zu Hause geblieben ist! Steht eigentlich im Vertrag, ob man Mitreisende knebeln darf?«

»Geh’, Karli, mein Lieber,« flötete die anspruchsvolle Dame im Safarianzug, und Karli schnaubte, »... schließ’ bitte das Fenster, ich erfrier’ ja!« Und mit einem Knurren, in Afrika erfriere jeden Tag jemand, ließ der Angesprochene das Schiebefenster zuknallen. Mir blieb nichts übrig, als Armins, mich wie immer belästigende Augäpfel anzugrinsen. Tatsächlich konnte ich mit dem Wissen, dass der Boden unter »Uhurus« Bauch wahrhaftig Afrika war, noch nichts anfangen.

Die Mittagssonne glomm auf dem Dach, und das Glimmen setzte sich im Wageninneren fort. Mangels Luftzufuhr würde die Hitze im Passagierraum bald unerträglich sein. Dennoch. Das Fenster neben mir musste so oft wie möglich geschlossen bleiben, denn ich konnte kaum noch schlucken vor Halsschmerzen. Einigen der anderen erging es ähnlich. Die Rauchschwaden aus Armins Giftstängeln zogen leidlich durch den Fensterspalt neben ihm ab. Meistens waberten sie allerdings aus unerfindlichen Gründen direkt auf mein Gesicht zu. Die Antibiotikapillen aus meiner Reiseapotheke zeigten allmählich Wirkung, zumindest war das Fieber gesunken und meine Laune besserte sich. Ich hoffte die ekelhaft schmeckenden Lutschtabletten schon am nächsten Tag wegpacken zu dürfen. Dann würde ich auf Tunesiens Märkten alles Kulinarische ausprobieren, das ich nicht kannte.

»Du wirst dich mästen,« hatte Karli weise gewarnt. Dass wir allesamt nun nach der Kälte der letzten Tage wonnig schweißgebadet waren auf unseren Plüschsitzen, konnte sich beim kleinsten Luftzug rächen – ärgerlich, sich mit derlei beschäftigen zu müssen, während draußen doch das exotische Tunesien sich auftat. Wir würden uns an das Abenteuer herantasten müssen. Es fing damit an, dass die klammen Sitze endlich zu trocknen begannen.

Und wie friedlich unsere Rabauken nun waren! Vor zwei Tagen auf Sizilien hatten sie lautstark einen Feiertag ausgerufen, Luis, Alfi, Peter, Gerald, Tommy, Dietmar und Armin. Erstmals hatten sie den Laderaum des »Tarzan« besiedelt und dies mit einer Weinorgie gewürdigt. Zeugnis dessen gaben die auf Schnüre gefädelten, bemerkenswert zahlreichen Korken, die »Tarzans« Inneres seither in verstrickten Girlandenformationen schmückten. Grölend und uns Damen alkoholmutig neckend, hatten die Saufkumpane die »Bar für eröffnet« erklärt, eine Lockerungsübung, der einige Gruppenteilnehmer nichts abgewinnen konnten. Silvia hatte missmutig den Kopf geschüttelt angesichts der tobenden Rabauken, desgleichen Inga und Rudi, Ilse und Otto. Marga hatte mit der ihr eigenen Ruhe nur nachsichtig gegrinst, und vielleicht hatte Erich, der jüngere, deshalb auch geschmunzelt, gelassen an seinem Pfeifenstiel lutschend. Wilfried, der junge Mann, der wie ein asketischer Hippie wirkte, mit ernsten dunklen Augen und auffallend schönen Händen, hatte nur ab und zu einen Blick in »die Bar« geworfen, angebotene Drinks freundlich abgelehnt und sich, gewohnt still, seinen Selbstgedrehten und versunkenem Betrachten von Dachfirsten und Baumwipfeln gewidmet. Erich, der ältere, hatte die Orgie mit einem geradezu genüsslichem Lächeln verfolgt, und selbst Karli hatte die fröhlichen Burschen in »Tarzans« Laderaum »... schon irre« gefunden. »Irre« war ein Wort, das ebenso Alfis Sprachschatz entsprang wie »begnadet« oder »stuhlen.« Aber dazu später ... Ilse lächelte spröde und schwieg, wenn die Rabauken grölten, und die anderen widmeten sich ebenfalls ihren eigenen Vergnügungen, wie zum Beispiel Beobachten der Fototasche, Dösen und ziellos Herumstaksen bei den Stopps. Wir übten erst die Konversation miteinander, und noch schauten wir einander vorwiegend zu, was immer wir taten, und wurden wir dabei ertappt, lächelten wir immerhin. Während der Fahrtetappen mussten wir allesamt wieder »Uhurus« Inneres besiedeln, denn das Transportieren in einem Packwagen war schließlich verboten.

Mit Anita teilte ich die Einstellung, dass mir wurscht war, was die anderen taten, solange sie nicht mein eigenes Wohlbefinden attackierten. Und das Lächeln jenes Burschen namens Alfi, der am ersten Reiseabend die Discomusik verflucht hatte, gefiel mir recht gut, also war es mir nur recht, wenn ich den Kontakt mit den Rabauken nicht verlor, und als ein Spritzer Bier mich traf, sagte ich mir, Bier sei gut für die Haare ...

Gedenk des unverändert eiligen Kilometermachens würden wir alle demnächst der Lockerung bedürfen. Warum trieb Bert immer noch zur Eile? Keiner von uns beschwerte sich jedoch, betäubt von den Strapazen der Überfahrt und darauf konzentriert, mit dem Hochkatapultiertwerden über Schlaglöchern zurechtzukommen. Man hielt sich gut fest, erzählte einander stockend von daheim, besprach die Besonderheiten der Länder, durch die wir kommen würden oder versuchte, durch die kleinen Fenster möglichst viel von der vorüberziehenden Landschaft zu erkennen.

Anita vertrieb sich die Zeit auch mit der Beobachtung von Gerald, einem hübschen, aber schon nach der kurzen Reisezeit erstaunlich schmuddelig wirkenden Barden. Zuweilen klimperte er auf seiner Gitarre – ja, der Bursche war ganz witzig, da stimmte ich Anita zu, und wir beide hatten endlich wieder etwas zum Schmunzeln gefunden. Bei den Stopps fanden wir uns stets zur Lagebesprechung zusammen. Bald würde der Sitzraum im »Uhuru« sich lichten, wenn drei bis vier Leute in den »Tarzan« übersiedeln konnten. In der Wüste waren angeblich keine Polizeikontrollen mehr zu erwarten. Aber noch waren wir erst Richtung Sousse an der Küste Tunesiens unterwegs.

Der süße Qualm aus der Pfeife von Erich, dem jüngeren, verbreitete würziges Aroma, und Erich, der ältere, schlug sich klatschend auf die Schenkel – Eindrücke des Gruppenlebens im »Uhuru« wie diese prägten von Anfang an die Fahrtetappen, zum Beispiel auch Wilfrieds Angewohnheit, Zigaretten knisternd selbst zu drehen und den Rauch des seltsam duftenden Tabaks geräuschvoll fortzublasen. Gewürzt mit Ilses »Mir scheint!« und Elsies unaufhörlichem Geplauder, sollten diese und weitere Angewohnheiten der Passagiere, die sich im Laufe der Wochen und Monate herauskristallisieren würden, bald die typische unvergesslich vertraute Alltagsatmosphäre im »Uhuru« ergeben.

Armins Blicke klebten nach wie vor an meinem Gesicht, Rauchschwaden zogen über das seine und weiter zu mir herüber. Asche bröckelte vom Stummel seines Glimmstängels und fiel auf meinen Schuh.

»Ich wollte immer schon wissen, wie es ist, wenn man in Flammen aufgeht,« erklärte ich möglichst ungerührt. Erstaunlicherweise öffnete er sofort und geradezu zerknirscht aussehend das Fenster neben meinem Gesicht und klopfte die restliche Asche vom Stummel. Der Fahrwind trieb sie direkt in meine Augen.

»Verdammt,« grinste er. Er hatte es ja nur gut gemeint, würde Anita mich später zu besänftigen suchen.

Gerald, der schmuddelige Barde, drängte sich aus dem hinteren Wagenbereich nach vorne. Elsie saß nun nicht mehr neben mir, sondern neben Gerda, weit hinten. Gerald’ etwas markanter Körpergeruch wehte ihm voran.

»Da hinten ist kein Platz,« behauptete Gerald, »... lasst mich zu euch.«

Nun war bei uns kein Platz mehr. Mit größter Selbstverständlichkeit nahm Gerald den Sitz mir gegenüber neben Armin ein und streckte mir seine langen Beine entgegen. Sie drängten mich fast von meinem Sitz, und ich presste meine Knie gegen die Seitenwand. Das besserte meine Laune kein bisschen, vor allem, da ich meinen Rucksack unter den Sitz zur Fototasche stopfen musste, um sie vor Gerald’ achtloser Unbefangenheit zu schützen.

»Hast eh nix dagegen,« feixte er mit treuherzigem Hundeblick gegen meine empörte Sprachlosigkeit. Sein jungenhaftes, fast weiches Gesicht unter dunkelblonden Locken rötete sich leicht. Oh doch, dachte ich, hab’ was dagegen.

»Nein, nein,« lächelte ich um des lieben Friedens willen, »... aber nein!« Er würde schon wieder verschwinden. Einstweilen hatte ich eben zu lernen, geradeaus zu schauen und doch in keines der beiden Gesichter direkt mir gegenüber. Meine Augen schmerzten bald von der Mühe, also schloss ich sie, wenn ich nicht den Hals reckte, um das Draußen mitzuerleben, zwei Paar klebrige Blicke ständig an meinem Gesicht fühlend.

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