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Start ins Abenteuer

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Ich will nicht damit beginnen, zu erzählen, wie alles anfing. Im Gegenteil. Scharfe, kalt-düstere Winterluft, die uns am Ausstieg der russischen Tupolew TU 85643 entgegenschlug, schockierte uns mit dem Klima eines nasskalten Februartages mitteleuropäischer Breiten, wie er uns seit Jahrzehnten vertraut sein sollte.

Die Kälte zerrte am Gemüt der Heimkehrer aus heißen Gefilden. Lauernde Windböen über dem Flughafen Wien-Schwechat griffen uns in Kleidung und Haar, wollten uns zurückstoßen in die warme, heimelige Verbindung zum afrikanischen Paradies – ins Flugzeug.

Es war Vormittag, und ich vermied, von Tränen geplagt, daran zu denken, dass diesen Morgenstunden kein afrikanischer Tag mehr folgen würde. Nebeliger Regendunst hatte den Weite gewohnten Blicken beim Landeanflug selbst ein Ausstrecken über nur wenige Kilometer verwehrt. Die Heimat begrüßte uns höhnisch, wie mir schien. Ihre kühle Gleichmut reizte mein Gefühl, nun doch gleich weinen zu müssen. Meine Blicke irrten zu den grauen Mauern der Hangars und zurück ins Gesicht des Mitgefangenen, Alfi, und unsere Seele fror wie unsere braune Haut unter dem Ansturm der Kältegrade.

Alfi stand neben mir auf dem Gangway, und seine Augen suchten Halt in meinem Gesicht. Ich trachtete, seine Miene als Stütze zu benutzen, und als sich mein vor Fernweh verkrampftes Gemüt löste, brach auch er im selben Moment in Gelächter aus. Wir standen da, unschlüssig, ob wir wirklich hinabsteigen mussten aus unserem Traumschiff, lachten mit leicht überschlagenden Stimmen, die Trauer im Inneren mit tiefen Atemzügen betäubend.

Während der Fahrt im Zubringerbus zum Ankunftsgebäude des Flughafens stellte ich mir die ehemaligen Reisekameraden vor und wie ihr erster Kontakt mit heimatlicher Erde gewesen sein mochte, nach all diesen Monaten, während derer unser Erfahrungsschatz aufgewühlt und mit Unvergesslichem beladen worden war.

Karli, zum Beispiel, im Verlauf einer Asterix-Retrospektive zur Würdigung seiner hervorstechendsten Eigenschaft in »Subtilix« umbenannt, mochte mit ernstem Blick und schmalen Lippen Umschau am Rollfeld gehalten und erst im Zubringerbus »Ich pack’s nicht ...« vermeldet haben. Armin, der ewig Grinsende, mochte mit brennenden Augen ein wenig verlegen gelächelt und sodann, scheinbar von Amüsement überwältigt, lauthals seine Ansicht über das Sauwetter hinausposaunt haben, sich an seinem eigenen Lärmen festhaltend. Luis, der Bergfex, würde ganz einfach schweigend den Kopf geschüttelt und Fernweh hinter die schützende Aussicht verbannt haben, die verbleibenden Winterwochen im Schnee der Salzburger Berge verbringen zu dürfen. Anita war vielleicht schweigend, aber festen Schrittes und steinerner Miene dem Alltag entgegen getreten, ein Wirrwarr aus Bildern aus dem Leben einer Globetrotterin und dem einer Hotelsekretärin hinter der braungebrannten Stirn. Und Silvia? Grinsend und leichthin mit irgendeinem Passagier selbst noch auf dem Gangway plaudernd? Und Ilse? »Ach Gott...« waren vermutlich die ersten Worte gewesen, die Österreich und ihre zur Begrüßung aufmarschierten Lieben aus rotgeschminktem Mund gehört hatten, untermalt von gerührtem Blick mit madonnenhaft geneigtem Haupt. »Beinhart«, Ilses Erzfeind, stets von süffisantem Grinsen begleitet, würde die Bewegung der Seele hinter kühler Festigkeit des tiefen, schwarzen Blickes und undurchschaubar zielgerichtetem Vorwärtsstreben jeansbewehrter Beine verborgen haben. Und Gerald hatte vielleicht die Arme ausgebreitet und fröhlich gerufen: »Da habt ihr mich wieder!«

Und Sabine? Und Tommy? Und wie war es Dunja und Milan und Marga und Otto schon vor Monaten ergangen?

Als Karlis vertraute muskulöse Hagerkeit unter plüschgefütterter Lederjacke Minuten später am Flughafen in meinen Armen das dichte Netz der vergangenen Monate über mich warf, kehrte ich zum ersten Mal, dem noch tausende Male folgen sollten, mitten im Flughafengewühl in Gedanken dorthin zurück, wohin ich mich fortan immer wieder wünschen sollte. Es war die Zuflucht, die mir ein Zustand gibt, der für mich ganz einfach »Afrika-Feeling« ist.

Wir hatten es weiß Gott nicht leicht gehabt. Unsere Reise war unter einem Stern der Konflikte gestanden, und Afrika hatte seinen Platz in unserem Inneren nur mühsam erkämpft. Nichts konnte nun aber diesen Platz jemals wieder an seiner statt einnehmen.

Einige meiner Reisekameraden meinten, als Bert, der Organisator der Tour, unseren auf dreizehn Leute geschrumpften Trupp in Beni, Zaire, verließ, hätte die Reise erst richtig begonnen. Ihnen werde ich nicht zustimmen. Es hieße Monate der Strapazen, körperlicher und seelischer Natur schlicht vergessen zu sollen. Unmöglich. Doch ab jenem Zeitpunkt stand dramatisch fest, dass »Tarzan«, »Uhuru«s Brudertruck, nicht mehr weiterhin wie von Furien gehetzt voran preschen oder hinter seinem Zwilling aus Staubwolken oder Dschungelgrün auftauchen würde ... Die beiden zu Passagierfahrzeugen umgebauten 13-Tonner-M.A.N.-Diesel-Trucks waren unsere Heimat für Monate gewesen. Auch Ilses Seufzer waren mit »Tarzan« und Bert dahin, ebenso Gerry, der zweite Fahrer und Sabine, die Krankenschwester ... und außerdem zahllose Begebenheiten, Gefühle und gemeinsam Überstandenes der letzten Monate. Und dem restlichen, inzwischen auf dreizehn Leute geschrumpften Häufchen, standen noch tausende Kilometer durch Afrika bevor ... Wir hatten uns also keineswegs leichten Herzens von den Abtrünnigen verabschiedet – hatten wir doch gelernt, einander zu verfluchen, zu beneiden und sogar zu mögen. Und schon damals hatten wir uns auch recht schwer von dem einem der beiden Fahrzeuge – nichts als einem leblosen Vehikel, könnte man einwenden – getrennt. Nun, am Ende der Reise, mussten wir uns damit anfinden, beide zebragestreiften Kameraden nie wiederzusehen. Das schien manchen von uns wahrhaftig schwerer zu fallen als die Trennung von den menschlichen Reiseteilnehmern ...

An jenem kalten Abreisetag im Oktober 1989, gegen Mitternacht hin, waren wir aber noch nichts anderes gewesen, als eine Versammlung einander fremder Seelen, die sich, vorerst provisorisch, in »Uhurus« Inneren eingenistet hatten. »Uhuru« ist ein Suaheli-Wort und bedeutet Freiheit. Und so sehr wir uns bei Antritt unserer Reise über den sinnigen Namen unseres fahrbaren Untersatzes gefreut hatten, so bitter sollten wir uns später darüber lustigmachen. In jener Nacht des 6. Oktobers war uns nur eines aufgegangen: Wir gehörten nun zueinander, ob wir wollten oder nicht. Allerdings ... in diesem Stadium der Reise wollten es sogar alle noch. Am Ausstieg der russischen Tupolew, Monate später, konnte ich mich allerdings kaum noch daran erinnern.

*

Wir waren vierundzwanzig Abenteuerlustige und zwei Fahrer, die einander, abgesehen von den beiden Pärchen in der Gruppe und drei, vier miteinander Befreundeten, nicht kannten. Als Bert, der Reiseinitiator, zum Kennenlernen in seiner Wohnung lud, umschlichen wir einander grinsend und ohne viele Worte. Kaum einer von uns brachte viel über den anderen in Erfahrung oder versuchte es auch nur. Es war aufregend genug, so vielen fremden Gesichtern zu begegnen.

Jeder von uns war verstrickt in seine romantischen Vorstellungen der Expedition, wie wir sie planten, fragte kaum nach dem Namen der anderen. Vielleicht taxierte der oder die eine oder andere Mitreisende bereits auf ihre Eignung als Reiseflirt. Vielleicht verstießen wir alle außerdem jegliche zaghaft sich meldenden Bedenken und genossen eitel dieses Treffen derer, die etwas wagten in Zeiten wie diesen, da die Kleinbürgerlichkeit an ihrem Sicherheitsdenken zu ersticken drohte. Wir befanden uns in einer Großstadt, und das Wagnis, das wir anstrebten, machte uns in unseren eigenen Augen exotisch gegenüber dem Rest der Bevölkerung. Vielleicht war es aber auch die Aussicht, dem grauen Alltag verwegen ein buntes Abenteuer vor die Nase zu halten, die uns leichtfertig und gedankenlos machte – einfach dumm vor Vorfreude. Enorm prominent fühlten wir uns wohl wegen unseres Außenseitertums, und in diesem Gefühl badeten wir behaglich und mit halb geschlossenen Augen, von unserer Phantasie betäubten Sinnen. Wir waren freundlich zueinander, unruhig und immerhin bereit, uns zu einem Rudel zusammenzuschließen. Das reichte für den Augenblick. Später stellte sich heraus, dass niemand eine richtige Vorstellung davon gehabt hatte, wie gefährlich die Diskrepanz zwischen der Tendenz des Menschen zur Rudelbildung und das reale Leben einander fremder Raubtiere miteinander für den einzelnen ist.

Auch über Bert wussten wir kaum etwas. Ein junger Globetrotter eben, so stellte er sich uns dar, der ab und zu ein paar Handelsgeschäfte abwickelte, im Ausland Frau und Kind hatte. Eigentlich erschien er uns umgänglich und geradezu nett. Er übernahm einen Teil der Visaformalitäten, den Rest erledigten Sabine und ich. Wir zuckten die Schultern, wenn Außenstehende Genaueres über Bert wissen wollten. Bert war eben Bert. Wer hatte schon Lust und Anlass, genaue Recherchen über ihn anzustellen? Er war Besitzer der beiden Lastwagen und einer der Fahrer. Ihm zahlten wir unsere Reisebeiträge für Ausrüstung und Essen. Das war es. Wir waren immerhin Erwachsene und eigenverantwortlich. In Berts kleinem Konvoi mitfahren zu wollen, rechtfertigte kein Herumbohren in seinem Privatleben. Was wusste er schließlich über uns oder wir übereinander?

Heute sehen wir alle glasklar, dass unsere damalige Einstellung und unsere absichernden Vorbereitungen als Voraussetzungen für eine einwöchige Pauschalgruppenflugreise nach Mallorca genügen mögen, niemals aber für eine nur grob geplante LKW-Expedition durch einige Staaten Afrikas, die drei oder vier Monate dauern soll und an der 27 einander großteils fremde Menschen teilnehmen ... Der Blick durch eine Milchglasscheibe ist wohl klar und deutlich im Vergleich zu unserer, dem Schicksal gegenüber vertrauensvollen, Sicht der Dinge, damals. Einige von uns hatten gar ihren Job aufgegeben, um die Reise so richtig genießen und nach der Rückkehr ein neues Leben beginnen zu können oder einfach deshalb, weil man ihnen keinen monatelange Urlaub gewährt hatte ...

Ich selbst hatte die Reise zum Anlass genommen, einen Redakteursjob bei einem Musikmagazin, das unter der patriarchalischen Führung des Besitzers und den entsprechend angepassten Machomanieren der anderen Mitarbeiter geächzt hatte, wie ich vor Wut als einzige Frau unter dem Druck derer, die sich auf meine Kosten ihre unglaublich erhabene Männlichkeit beweisen mussten. Erfolglos, allerdings, hatte ich aufbegehrt, niemand hatte versucht, meinem Können zu vertrauen. Also fuhr ich nach Afrika, wahrscheinlich um mir selbst und den Machos zu beweisen, dass ihr selbstbewusstes Getue bloß lächerlich aufgesetzt, mein Mut aber echt, ich ihnen also haushoch überlegen war. Tatsächlich hatte ich mich jedoch schon seit meiner Mädchenzeit immer wieder nach Afrika geträumt ...

Kurz vor dem Abreisetermin fuhren wir auf »Uhuru« und »Tarzan« durch halb Wien zum Abfahrtsplatz auf dem ehemaligen Schlachthofgelände der Wiener Arena im dritten Wiener Gemeindebezirk. Vergessen waren während dieser ersten Ausfahrt Schmerz und Gräuel bei den Impfungen am Tropeninstitut, der Ärger wegen der teilweise recht komplizierten Visaformalitäten und beim Besorgen der nötigen Medikamente für die Reise, Streitigkeiten mit der Familie oder mit dem Arbeitgeber. Als wir in den zebragestreiften Vehikeln enormes Aufsehen in den Straßen Wiens erregten, freuten wir uns sekündlich mehr auf unser Abenteuer. Genau diese putzigen Gefährte, heute noch im Trubel des herbstlichen Wien mit seinen zurückkehrenden Studenten steckend, würden uns morgen durch Wüste, Steppe und Urwald tragen! Die beiden gewaltigen Trucks rumpelten aufreizend langsam dahin, gaben Geräusche von sich, die niemand zu deuten wusste, schnauften gequält beim Schalten und schienen uns schwerfällig wie Walrosse. Aber wir liebten sie von Anfang an. Die beiden 13-Tonner-MAN-Diesel-Laster, rau behandelte Militärfahrzeuge aus Deutschland, wurden von österreichischen Abenteurern zärtlich in Besitz genommen. »Uhuru« war der Passagiertruck, zumindest bis Tunesien, und »Tarzan« trug den Großteil der Ausrüstung. Der Rest war in »Uhurus« doppeltem Boden gelagert oder auf seinem Dach festgezurrt. In Afrika würden die Passagiere sich auf beide Wagen aufteilen dürfen. Und »Tarzan« verfügte zudem über einen Galerieaufbau mit bequemen Drehsitzen. Diesbezüglich war abzusehen, dass der erwünschte Aufenthalt dort oben – zwecks Genusses der großartigen Aussicht oder einfach, um der Meute zu entfliehen – Anlass zu Rangeleien sein konnte. Allerdings – waren wir nicht zivilisierte Menschen, die alles vernünftig untereinander regeln konnten?

Der Abreisetag wurde zweimal verschoben. Neuerliche Reparaturen, hieß es. Es beunruhigte uns kein bisschen. Und wir nutzten die Tage, noch ein paar Freunde zu besuchen und mit unserem Wagnis zu prahlen.

Unser Abschied in Wien war filmreif. Presseleute waren gekommen, Scheinwerfer schienen unsere blitzblanken, schwarz-weiß im Zebra-Look gestrichene Fahrzeuge braten zu sollen, unbekannte Menschen, die hektisch oder neugierig im grellen Licht im ehemaligen Wiener Schlachthof hin und her liefen, miteinander sprachen, einander umarmten, nickten, mit den Schultern zuckten, in die Wagen und auf ihr Dach kletterten, wieder heraus oder herunter kamen, Gepäckstücke, Kanister, Kabel ...

Mein eigenes Lampenfieber ließ die Eindrücke sich zum Wirbel verdichten: Berts mühsam beherrschte Aufregung, mein Unvermögen, Mitreisende, deren Angehörige und Schaulustige auseinanderzuhalten, Rufe, Herzklopfen, krampfhaftes Lächeln um die Mundwinkel, dicke Anoraks (kaum zu glauben – wir fuhren ins heiße Afrika!), Abschiedsworte, Geruch nach Benzin und Öl, Unmengen von Ausrüstungsgegenständen, die noch aufgeladen werden mussten, ein ölverschmierter, zierlicher Mann, der aussah wie ein zorniger Waldkauz und der immer wieder unter die Bäuche der Lastwagen kroch, Werkzeugkisten, rotsamtig bezogene Flugzeugsitze im golderleuchteten Inneren des einen Lastwagen, der Schriftzug »Uhuru« auf seiner vorderen Flanke, »Tarzan« auf der Flanke des anderen Trucks ...

Wegen einer Autopanne war ich zu spät zum Treffpunkt gekommen und fürchtete angesichts des Trubels um einen guten Sitzplatz.

Bert winkte mir zu, offensichtlich ins Gespräch mit einem Journalisten verwickelt. Dessen Kollege fotografierte wild durch die Gegend. Gut, blieb mir das einstweilen erspart, dachte ich, winkte rasch zurück und ging um »Uhuru« herum. Es war ausgemacht, dass ich als Berts zukünftige Werbemanagerin mitfahren sollte. Allerdings verspürte ich an diesem Abend wenig Lust, Boulevardschreiberlingen viel über unsere Reisevorbereitungen und Ziele zu erzählen, war ich doch selber alles andere als bestens informiert. Sollte Bert das erledigen. Ich hatte mich, um ihm behilflich zu sein, schon genug mit den Visaformalitäten für hirntote Mitreisende, die keine Fristen einhalten konnten, herumgeschlagen. Mein Lampenfieber würde außerdem jeden zusammenhängend gedachten Satz in seine gestammelten Fragmente zerhacken. Ich hatte meinen »Dienst« noch nicht angetreten. Anhand meiner Aufzeichnungen und Fotos sollten später Berichte und Reportagen veröffentlich werden, die Bert den Einstieg ins Reiseveranstaltergeschäft erleichtern sollten. Vorerst plante er ja nur, die beiden Lastwagen auf dem Landweg nach Kenya zu überstellen. Um die Sache zu finanzieren, hatte er Abenteurer zum Mitreisen geladen ...

Ein hagerer, schwarzhaarige junger Mann lümmelte ganz vorne in »Uhurus« Passagierraum, als ich die wackelige Leiter hinaufgeklettert kam. Die meisten Sitze schienen bereits besetzt zu sein. Der Bursche beobachtete mich grinsend, während ich mich suchend umblickte. Die vordersten beiden Sitzreihen mit je zwei roten, plüschüberzogenen Sitzen zu beiden Seiten des Mittelganges waren einander zugewandt. Der Fremde hatte einen Platz mit Blick gegen die Fahrtrichtung gewählt. Gerade auf dem Sitz ihm gegenüber am linken Fenster in Fahrtrichtung lag noch kein einziges Gepäckstück, bloß sein Bein. Auf allen anderen Sitzen türmten sich Säcke, Taschen, Jacken und Kanister, sogar Fototaschen und Gebilde, die aussahen wie Jausenbrote "under cover". Die Passagiere hatten wohl einfach irgendetwas auf den Sitzen drapiert, jedenfalls aber soviel wie möglich, dass niemand den einmal okkupierten Sitz umwidmen sollte.

Ich deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Sitz gegenüber dem Burschen.

»Ist der noch frei?« Sein Bein lag hartnäckig auf dem Zielgegenstand meines Optimismus. Er zog die rechte Schulter kurz hoch, an seiner Zigarette saugend, als atmete er pures Sauerstoffelixier.

»Der ist ... also wirklich frei?« wiederholte ich mit der Auffassungsgabe eines Schafes. Er betrachtete mich intensiv. Ich schaute aus dem Fenster, das ein hagerer Bursche soeben spinnenflink überkletterte, wohl um einem Kameraden auf dem Dach beim Festzuzurren irgendwelcher Gegenstände zu helfen.

So ein guter Platz, ganz vorne... Würde ich diesen frechen Blick eben zu ignorieren lernen! Und vielleicht saß der Bursche nur zufällig gerade da. Der Zigarettenrauch formte dichte Schwadenfiguren. Warum war dieser Mensch, der sich nicht einmal vorstellte, eigentlich nicht draußen, bei seinen Verwandten oder Freunden, um sich zu verabschieden oder gemeinschaftlich den Abschiedsschmerz zu ersäufen? Ich breitete meine Jacke über den Sitz, stellte meinen kleinen, schwarzen Rucksack mit dem Waschzeug, dem Spiegel, der Fieberblasensalbe, dem Buch, einer Reserveunterhose, den Tampons, dem Deodorant, dem Brillenetui, der Bürste, dem Regenschirm, dem Schreibzeug und den Kaugummis darauf, lächelte freundlich, hustete, so laut ich konnte und ließ den Burschen in seinem Qualm sitzen ...

Der Sitz gegenüber Armins Residenz wurde fortan in unregelmäßigen Abständen mehr oder weniger nachdrücklich zu meinem Stammplatz für die Dauer der Reise erklärt. Immer wieder suchte jemand Streit mit mir, indem er meinen schönen Fensterplatz nahe dem Einstieg einfach ohne zu fragen besetzte. Und ich tat ihm sodann den Gefallen und stritt gehörig um mein Recht. Da des Fremden Bein den Platz geräumt hatte und mein Rucksack als vorläufiger Inhaber auf diesem bestimmten Fleckchen roten Plüschsamtes thronte, war die Zusammengehörigkeit zwischen diesem und mir – in meinen Augen, jedenfalls – besiegelt. Allerdings auch vermeintlich jene zwischen Armins Blicken und meinem Gesicht – dies leider höchst einseitig begrüßt.

Ein Zug Neugieriger und zweifelnder, wenn auch tapfer hoffender Angehöriger folgte den Lastwagen, als diese aus der Garage zum Auftanken rollten. Italien, Sizilien, Tunesien, Algerien, Niger, Nigeria, Kamerun, Zentralafrika, Zaire, Rwanda, Tansania und Kenya würden auch ihre Eignung als Abenteurer auf harte Proben stellen. Vielversprechend breitete unser soeben begonnenes Abenteuer sich vor uns aus, reizvoll schon allein durch den Klang der Namen der einzelnen Staaten, die wir kennenlernen würden.

Tja.

UHURU

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