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Das goldene Wasser

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Bei Einbruch der Dämmerung erhob sich böiger Wind. Dennoch sollte noch in dieser Nacht El Golea erreicht werden. Bert hatte gar nicht erst gefragt, ob wir mit der Nachtfahrt einverstanden seien. Mittlerweile waren wir tief ins Gebiet der Sandwüste eingedrungen und trafen kaum noch auf Anzeichen menschlicher Existenz zwischen den größeren Siedlungen. Phosphoreszierende Ebenen im Norden, Westen, Osten und Süden, eine schnurgerade Straße, teilweise von feinem Sand zugeweht ließen uns spüren, wie winzig wir waren.

Harte Böen erfassten abends die Wagen, schlugen gegen ihre Seiten, und selbst diese massigen Kolosse erzitterten. Die wehende Luft trieb Sand- und Staubpartikel durch die Fensteröffnungen ins Führerhaus und in »Uhurus« Passagierraum, mein Haar wehte, als säße ich draußen auf dem Büffelsitz und nicht neben Bert im Führerhaus. Von den Erlebnissen des Tages wohlig ermüdet, stemmte ich die Füße gegen die metallene Konsole vor mir, presste die angezogenen Knie gegen die Brust, um mehr Halt zu finden, da ich ständig ein wenig einnickte und die Balance verlor. Anschwellendes Heulen ließ mich immer wieder aufschrecken. Der Himmel war durchzogen mit langfedrigen, grauweißen Wolkenfetzen.

Bert hatte den Aufenthalt in Ghardaia zu einem Nachmittag im Swimmingpool eines Hotels genutzt, Sabine war auch nicht unter uns gewesen, und er wirkte frischer denn je. Er lächelte mir sogar zu, obgleich wir beide besorgt diesen Himmel betrachteten, der sich schneller verdunkelte, als die einfallende Dämmerung dies verursachen konnte.

»Gut, dass wir ohnehin vorhaben, durchzufahren. Unmöglich, heute ein Lager zu machen. Ein Sandsturm.« Er wies auf eine Sandfontäne, die in weiter Ferne wie eine Tornado-Nadel in schwindelnde Höhen aufstieg. Ich erschrak, aber mehr noch empfand ich heiße Freude, einen derartig wildromantischen Anblick genießen zu dürfen.

Schnell wurde es stockfinster. Wir waren allein mitten in einem riesigen, öden Gebiet, und als wollte einer, der über die Wüste herrscht, uns vor allzu dreistem Übermut warnen, schickte er Sturm und Regentropfen, die sich mit Sandpartikeln zu hagelkorngroßen Geschossen verbündeten und uns zu Millionen und Abermillionen boshaft maßregeln wollten. Es schien sogar, als wären sie böse mit uns. Wir schlossen alle Fenster so gut es ging, und die Wagen stemmten sich gegen die böige Sturmwand. Die Fahrt geriet immer wieder zum Blindflug, bis eine heulende Windfahne die Sicht vor den tastenden Scheinwerferfingern neuerlich klärte. Sand prasselte gegen die Wagen, rieselte durch die Risse im Stoff des Daches der Fahrerkabine, knirschte unter den Zwillingsreifen. Zuweilen blickte Bert nach hinten, um zu sehen, ob »Tarzan« uns noch auf den Fersen war.

Ich glaubte Geschrei oder Heulen zu hören und schaute ebenfalls nach »Tarzan« zurück. Mein Erschrecken hob mich fast vom Sitz: Tommy, Peter, Gerda und Wilfried saßen immer noch auf der Galerie! Und im Rückspiegel sah ich zahlreiche Arme aus »Uhurus« Fenstern ragen, sie winkten und reckten sich, um Bert Zeichen zu geben. Er zuckte die Schulter, als ich ihn darauf aufmerksam machte, mit trockenem Mund und fast tonlos. Der Sturm brüllte und trübte die Umgebung blitzschnell ein.

»Geht nicht,« hörte ich Bert murmeln. Brommel, der den »Tarzan« fuhr, durfte »Uhuru« nicht aus den Augen verlieren. Und Bert hatte gesagt, er wollte El Golea so rasch wie möglich erreichen.

»Aber ... Bert ... schau doch! Sie sind noch oben! Auf der Galerie! Sie werden –«

Er winkte ab, schaute geradeaus, als hätte er nichts gesehen, als hätte er nichts gehört. Der Regen überfiel uns mit beißendem Prasseln. Die vier dort oben würden sich schon bemerkbar machen, wenn sie dem Sturm und den harten Regenkaskaden nicht mehr standhalten konnte murmelte Bert. Aber wie sollten sie sich bemerkbar machen, wollte ich ihn anschreien, und Tränen traten mir in die Augen, da mir aufging, dass genausogut ich unter Todesangst da oben sitzen könnte, ... sie hatten zu tun, sich am Gestänge der Galerie oder an den Rucksäcken unter der Plane festzuklammern, den Sand von Mund und Nase fernzuhalten! Bert sah nicht aus, als würde er auch nur ein bisschen Wert auf meine Ansichten legen. Er lenkte den »Uhuru« mit eiserner Hand.

Ich hörte Armins Stimme im Interkommanrohr, dumpf und unverständlich.

»Nicht hinhören,« befahl Bert, und ich wechselte mit Inga, die verkrampft und still neben mir saß, einen schnellen Blick. Der Sturm wurde binnen Minuten so heftig, dass Bert den »Uhuru« nur noch im Schneckentempo weiterbringen konnte. Ich krümmte mich zusammen, zum so wenig wie möglich von den selbst durch das Führerhaus peitschenden Sandkörnern getroffen zu werden. Nur nicht daran denken, wie es den Kollegen auf der Galerie erging! Nicht auszudenken, wie es uns allen ergehen könnte, wären wir gezwungen, unsere schützenden Wagen bei diesem Wetter zu verlassen, hätten wir einen Unfall, überfiele uns ein Wirbelsturm ...

Wir fuhren noch fast drei Stunden, ehe wir El Golea erreichten. Der Sturm hatte nach einer Stunde Toben nachgelassen. Halbtot lösten die vier Galeriepassagiere sich im Zuge der langersehnten Pinkelpause am Stadtrand unter den dunklen Scherenschnitten der Palmen vor dem Abendhimmel, der am Horizont noch die Spuren des Sturmes vor der untergehenden Sonne trug, von ihren Sitzen. Sandverklebt, mit rotgepeitschten Gesichtern und eisstarren Gliedmaßen taumelten sie durch den Sand.

»Das ...« heulte Gerda atemlos und hielt sich an Elsie fest, »... zahle ich ihm heim, ... das zahle ich ihm heim ...« Die anderen schwiegen und schüttelten sich den Sand aus Ohren, Haaren und Kleidern. Wilfried und Tommy boten dem vorüber stapfenden Bert stolz ihre grinsenden Gesichter und taten, als sei nicht gewesen.

»Hast du eine Zigarette?« fragte Wilfried, umringt von ein paar gleichermaßen besorgten wie empörten Kameraden, Erich, den älteren, der seine Schulter tätschelte.

»Geiles Feeling,« grinste Peter und legte sich in »Tarzans« Laderaum schlafen, nachdem er über den Einstieg gestolpert und zwischen Fässer und Küchenutensilien Alfi und Luis entgegen gestürzt war.

»Irre, ...« flüsterte Alfi und betrachtete Peters schweißnassen Rücken.

Obgleich es bereits nach Mitternacht war, begegnete uns zwischen flachen, roten und weißen Häusern und Mauern von El Oued ein junger Mann auf einem Motorrad. Er erklärte sich bereit, auf seinem knatternden Gefährt in »Uhurus« Lichtkegel voran zum Campingplatz zu fahren. Wir folgten ihm demütig, dicke, brummende Insekten, die ihre massiven Häupter stets gehorsam dem kleinen Wicht zuwandten, der ihnen wie die Maus einer fetten, alten Katze wendig voraus huschte.

Todmüde verzichteten wir auf Zahnpasta und Zelte, rollten uns in unsere Schlafsäcke, ohne überhaupt zu wissen, wie unsere nächste Umgebung aussah.

Als im Osten der Sonnenball über die Horizontlinie kroch und uns mit zitternden Strahlenfingern neckte, blinzelte ich im lichten Palmenwald in die sanft verwehte, angrenzende Wüste hinaus und zu einem sehr dunkelhäutigen, in einen braunen, zerrissenen Kaftan gehüllten Mann, vielleicht ein Araber, hoch, der unmittelbar vor meinem Schlafplatz stand.

Ich winkte dem nackten, lachenden Knäbchen an seiner Hand, das mich anstarrte, als sei ich ein zweiköpfiges Kamel. Der Mann beugte sich zu jedem nieder, der sich ein wenig regte, strahlend lächelnd und hielt den noch keineswegs vollständig Erwachten die ausgestreckte Rechte hin. Kaum zwanzig Meter neben den von goldenem Morgenlicht übergossenen Schläfern, die sich zu äußerst gelagert hatte, begrenzten zusammengebundene Büschel trockener Palmblätter ein kleines Grundstück mit gestampftem Sandboden, wo einigen Ziegen Abfälle und Datteln fraßen, um einen flachen Lehmbau aus Mauerstücken, Blech und Lumpen mit Palmdach – sein Heim, wie er mit einladender Geste stolz erklärte.

Heimat, eine Art von Heimat ... ich war an diesem Morgen nicht sicher, ob ich dieses karge Heim nicht gegen meinen Platz im »Uhuru« einzutauschen bereit war ...

Der Wunsch, im flachen Gebiet einen ungestörten, halbwegs gedeckten Platz zu dringender morgendlicher Darmentleerung zu finden, trieb uns zu ausgedehnten Wanderungen in die Dünen und Sandhügel. Die Begegnung mit wiederkäuenden, schön hellbraunen, sanftäugigen Kamelen in wahrhaft friedlich stiller Idylle des dornigen Steppenwüstenstreifens um El Oued, versöhnte mich ein wenig mit dem mühseligen, Reisendenschicksal.

Wir verbrachten den Vormittag damit, die Kanister mit dem herrlichem, angeblich keimfreiem Quellwasser zu füllen, das El Oued über die Grenzen Algeriens hinaus berühmt gemacht hat. Um diesen Brunnen aufzusuchen, kamen angeblich auch Tuaregs aus dem Hoggar hierher, des »goldenen« Wassers wegen. Köstlicher Luxus, ein wenig Morgentoilette mit dem kühlen Nass zu betreiben! Der Schrecken des Sturmerlebnisses war mittlerweile sogar aus Gerdas Gesicht gewichen. Sie kam zu mir und zeigte mir froh, dass trotz des Bombardements mit Sand ihre Allergie nicht schlimmer geworden war.

»Die Wüste mag mich auch ein bisschen ...« lachte sie und machte sich daran, ihre geliebten Wasserkanister zu füllen. Die Möglichkeit, uns zu waschen, war bei Nächtigungen im Gelände auf die abendliche knappe Ration Nutzwassers aus den Kanistern beschränkt. Ins Essgeschirr geleert reichten sie allenfalls zum Zähneputzen und Reinigen der nach Gutdünken wichtigsten Körperteile. Noch erreichten wir alle zwei bis drei Tage einen Campingplatz. Die Zeit dazwischen, fern penibler Kosmetik ohne allzu viel Unbehagen durchzuhalten, war allerdings nichts als Gewöhnungssache, stellte ich fest. Längst störte uns der Schweißgeruch im Wagen kaum noch. Das Bedürfnis, sich die schweißigen, ständig schmutzverklebten Hände zu waschen, wurde kaum beachtet. Noch an der Grenze in Hazoua hatten wir einander ständig am offenen Wasserhahn abgelöst, jede Spur Granatapfelsaft sofort unter achtloser Verschwendung des kostbaren Nass beseitigend. Nun ging ich dazu über, meine Fingernägel möglichst kurz zu halten, um das Gefühl der Verschmutzung einzudämmen. Es funktionierte.

El Goleas Wasser verursachte auch ungefiltert keinem von uns die geringsten gesundheitlichen Probleme. Es schmeckte wie kristallklares Gebirgsquellwasser, sah auch so aus und machte uns für einen Morgen lang glücklich, auch wenn wir schwer an den Kanistern zu schleppen hatten.

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