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Tunesien & andere Gegensätzlichkeiten

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Die ersten Fotomotive auf der Fahrt von Tunis bis Sousse waren von Bert als Fahrer eines Touristengefährts ignoriert worden, eine besonders malerische Hütte eines Stoff- und Souvenirhändlers am Straßenrand, vor der zwei schwarzweiß gefleckte Hundewelpen rauften, dass es staubte, eine Ziegenherde mit ihren kleinen, barfüßigen Hirten im kargen Buschland, kreisende Vögel über hitzeflirrenden Dünen ... Bert reagierte nicht auf unsere Zurufe. Armin auf seinem Platz an der Naht zwischen vorne und hinten brüllte in den Elefantenrüssel, bis er nahezu heiser war.

»Blödes Arschloch,« war noch die freundlichste Bezeichnung für unseren Fahrer, als »Uhuru«, ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, an einem der seltenen Nomadenzelte zwischen mit staubig gelbem Gras bewachsenen Hügeln in der dunstigen Ferne vorüber brauste. Zu brüllen war natürlich unsinnig, es nahm uns nur die Muse, das Schöne wenigstens anzuschauen, wenn wir es schon nicht auf Film bannen durften. Wir hatten geglaubt, nur in Sizilien sei Eile nötig gewesen, um die Fähre zu erreichen. Bert wollte die Lastwagen in Kenya einsetzen, gut, aber es konnte doch nicht sein einziges, rücksichtslos verfolgtes Ziel sein, Tiwi-Beach vor sich auftauchen zu sehen? Dies war doch unsere Reise! Bert suchte uns leichthin zu besänftigen, er wolle zukünftige »Zwangspausen«, wie sie sich in Zaire, vielleicht schon in Kamerun, wegen schlechter Straßen unweigerlich ergeben würden, vorweg »einarbeiten«. Ganz verstand niemand, warum das nötig sein sollte. Wir alle hatten so viel Zeit ...

»Ist doch Mist,« verfügte nur Elsie mutig, »... das hättest du in die Reisezeit miteinberechnen müssen!«

Der Tag am Meer hatte uns entspannt, doch kaum hatten wir unter Murren und Fluchen die Wagen wieder beladen, den Lagerplatz gesäubert, waren eingestiegen und hatten uns an den modrigen Ölgeruch in »Uhurus« Inneren gewöhnt, ergaben sich Streitigkeiten wegen der Platzverteilung. Inga behauptete, ihr werde übel, sobald sie in einem Wagen weit hinten sitzen müsse. Daher beabsichtige sie, in der Fahrerkabine mitzufahren. Elsie nannte dasselbe Problem, sie behauptete sogar, Bert hätte ihr zugesagt, dass sie während der gesamten Reise im Führerhaus sitzen dürfte. Gerald und Karli wollten sich als Fotografen profilieren. Sie beanspruchten aus diesem Grund das Recht, vorne zu sitzen. Silvia wollte, wie immer, mit scharfer Stimme schlichten und meinte, wir würden uns eben alle abwechseln in der Fahrerkabine bei Bert.

»Verzichte,« murmelte Otto griesgrämig, und Erich, der jüngere, murrte – immerhin grinsend – Unverständliches, an seiner Pfeife nuckelnd. Erich, der ältere, nickte, und Ilse lächelte versonnen »Ach, Gott ...«. Beim nächsten Schlagloch kreischte sie wieder laut auf. Karli, am Sitz neben ihr, streckte seinen Kopf aus dem Fenster und rief »Allah!« in die Wüste hinaus. Später sagte er, er hätte es wegen des Klanges in der Weite getan und weil ihn das Pastell der hellbraunen Ebene unter blassblauem Himmel so sehr beeindruckt hätte ... Ich vergrub meinen Blick in den flirrenden Horizont. Mir egal, wenn sie schon wieder in Streit gerieten. Natürlich waren die Plätze an den Fenstern und vorne im Führerhaus die besten, und natürlich gaben die Schlaglöcher Anlass zum Jammern. Aber deshalb gleich den Vormittag verderben wegen lächerlicher Probleme mit der Sitzordnung? Wir waren doch erst zwei Tag in Afrika unterwegs! Anita, die direkt auf einer von »Uhurus« Hinterachsen thronte, lachte bloß, wenn sie über einem Schlagloch bis zur Decke geschleudert wurde. Sie hätte allen Grund gehabt, sich zu beschweren, doch war erwies sie sich als eine der wenigen, für die tatsächlich der Weg das Ziel bedeutete. Allerdings hatte sie immerhin einen Fensterplatz inne, wie ich.

Luis und Alfi waren an diesem Morgen in »Tarzans« Laderaum umgestiegen. Vier Sitze waren darin montiert worden, Konserven, Fässer und Werkzeug lagerten verstreut im Wagen und ließen den Passagieren kaum Platz. Tommy und Peter gesellten sich beim ersten Pinkelstopp zu ihnen. Sabine fand auch, dass es im »Tarzan« sehr bequem sei und verließ den »Uhuru«. Trotzdem lockerte die Stimmung sich keineswegs.

*

Es war verwirrend und prickelnd reizvoll, morgens aus dem Zelt zu kriechen und nichts als Abenteuer in Aussicht zu haben. Man konnte die anderen lächelnd treffen oder mürrisch schlaftrunken, mit zerwühltem Haar und zerknitterten Kleidern sich Wasser achtlos ins Gesicht spritzen, und keine Regel bestimmte, wie sorgfältig gewaschen oder gekleidet man zu sein hatte. Zum dampfenden Teekessel über einem Feuer aus trockenem Strandgut schlurfend, durfte man sich ungeniert kratzen und gähnen. Ich meinerseits entwickelte die gewisse Leichtigkeit des Lotterlebens auf Reisen allerdings erst nach ein paar Wochen, aber einige der anderen verhielten sich von Anfang an so, als hätten sie die Zivilisation nie kennengelernt. Erich, der jüngere, erwies sich als Frühaufsteher. Wie froh sollten wir erst später sein, zunehmend zermürbt vom Reisealltag, nach dem Aufstehen sogleich fertig gekochten Tee vorzufinden (an Kaffee war natürlich nicht zu denken!), und Erich machte es nichts aus, frühmorgens schon für alle zu arbeiten.

Silvia mutierte zur mütterlich strengen Organisatorin mit helfender Hand und spürbaren Feldwebelambitionen. Ihr passte es nicht, dass Erich Tee kochte, sie fand, der Disziplin entsprechend sei dies Aufgabe der Mitglieder der jeweiligen Kochgruppe, die gefälligst rechtzeitig aufzustehen hätten. Wie Mitglieder einer Herde – Fremde, wenn auch langsam durch die erzwungene Nähe miteinander vertraut – stießen und rieben wir aneinander. Für uns alle gab es ein gemeinsames Heim, solange wir uns nicht in den trügerischen Schutz der Zelte zurückziehen konnten: »Uhuru«. Erich, der jüngere, beobachtete alles Geschehen scharf gleich einem spöttischen Sherlock Holmes. Später, da die Unzufriedenheit wie eine Epidemie um sich greifen würde, sollte er sich sogar als Gruppensprecher betätigen. Unser aller Bereitschaft, uns zu äußern und Kritik offen auszusprechen, statt uns mürrisch zu grämen und heimlich zu schimpfen, war noch keineswegs gereift, als wir durch Tunesien holperten. Dunja kümmerte sich freiwillig um vieles, schleppte Kochtöpfe, schnitt Gemüse, reichte den Fahrern Werkzeug, denn seltsamerweise gab es bei fast jedem Stopp etwas an den Wagen zu reparieren. Ich beneidete Dunja um ihr blondes, dichtes Ringelhaar. Sie würde keine Frisurprobleme haben, wenn tagelang auf das Haarewaschen verzichtet werden musste. Gatte Milan filmte und lachte und lachte. Armin schien Verkorkstheit und Schüchternheit durch zweifelhaft witzige Sprüche wettmachen zu wollen. Peter, der dem jungen Buffalo Bill verblüffend ähnelte und lieber zuwenig als zuviel redete, spöttelte und wandelte ansonsten unauffällig durch das Gruppenleben. Der sehr blonde Tommy fiel als hilfsbereit und freigiebig auf. Luis kehrte den kühlen, klugen Sportler heraus. Inga und ihr Rudi pflegten eine Beziehung, die wohl schon sehr lange andauerte. Sie beanspruchten recht viel Raum, denn niemand von uns schleppte so viel Gepäck mit sich und benötigte demnach viel Platz im Wagen. Die Reibereien deshalb ließen nicht lange auf sich warten. Anita, eine vernünftige, weitsichtige Freundin, zeigte sich stets gut gelaunt mit einem offenen Ohr für jedermann, die stille, zierliche Marga ähnelte ihr darin. Elsies quirlige Offenheit war durchaus ansteckend, wenn auch ihr Hang zum hemmungslosen Plaudern zuweilen unerträglich schien. Gerda zeigte sich sehr auf ihre Gesundheit bedacht, was ihr allmählich Spott seitens der Rabauken einbrachte, und – zunächst unauffällig – sie unterhielt eine intensive Beziehung zu ihrem Wasserkanister. Sie schleppte ihn ständig mit sich herum, und ich glaube, sie besaß sogar zwei oder drei davon. Dietmar hing schweigsam auf seinem Sitz herum oder schlich durch das Lager, ein unergründlicher, fast bedrohlich zynisch wirkender Reisegenosse, der, sagte er einmal ein Wort, die Kameraden mittels diesem zum Stocken brachte, egal ob es witzig oder ätzend geraten war. Desgleichen war auch Wilfried nicht zu durchschauen und schon gar nicht gesellig, er schwieg viel und beobachtete gelassen, was immer drinnen oder draußen passierte, aber immerhin lächelte er häufig. Karli, hinter mir neben Ilse sitzend, brachte mich durch seine subtile Ironie immer wieder zum Lachen. Alfi war anziehend feinsinnig und attraktiv, aber aggressiv, sobald er Alkohol getrunken hatte. Sein Lachen – mit offenem Mund, zuckender Zunge und enorm laut – präsentierte oft aufrührerisch das geheime Staccato seiner Gefühle. Sabine, freundlich und sehr sanft in ihrer Annäherung an die Gruppenmitglieder, schien stets in Musik aus ihrem Walkman oder köstliche Gedanken versunken zu sein, aus ihrem Gesichtsausdruck zu schließen. Sie verfolgte Alfi mit Blicken und ansonsten durchaus körperlich, und ich sah Bert über sie schmunzeln. Luis, der Sportler, verfolgte alles Geschehen amüsiert und mit klaren, offenen Blicken. Gut gelaunt und im Grinsen sein prächtiges Raubtiergebiss präsentierend, posaunte er oft Ausdrücke in schwerem Salzburger Dialekt hinaus, die niemand außer Alfi verstand und die doch alle anderen Mitreisenden durch Klang und Ton aus missmutiger Laune zu reißen vermochten und sogar Brommel zum Lächeln brachten. Gerald, der lustige, vorlaute Sunnyboy, der sein T-Shirt niemals zu wechseln schien, war, neben Silvia, Elsie, Dietmar und vielleicht noch Ilse, einer der wenigen, die ohne jegliche Berührungsangst Kontakt mit Einheimischen suchten, wo immer wir waren. Anita und ich trachteten zuweilen die geheime Motivation jedes dieser bunten Individuen zu erforschen, an solch einer Reise wie der unseren teilzunehmen. Das Äußere eines Menschen vermag aber wohl mehr zu verschleiern, als die ärgste Lüge ...

»Und du,« fragte Anita mich, »... weshalb bist du eigentlich mitgefahren?« Sie erwartete wahrscheinlich keine andere Antwort als jene, dass ich, wie alle anderen, neugierig auf Afrika gewesen war. Meinen Traum, die Welt so zu sehen, wie sie vielleicht einmal gewesen war, hoffte ich in Afrika zu erfüllen. Und ich hatte mein Leben in Wien mit tausend Schwierigkeiten einfach satt gehabt. Dass sie, wie ich, ahnte, dass für alle Reiseteilnehmer mehr dahintersteckte als bloß Neugier, sich kopfüber ins Unbekannte zu stürzen, dräute im verborgenen. Selbst die Fahrer waren vermutlich nicht nur des Geldverdienens wegen mit dabei. Brommel, der eigentlich Philipp hieß, gab sich aufbrausend, aber verständig, er bewegte sich inmitten der Szene, war einfach bloß da, immer in nächster Nähe »seiner« Autos. Wir gestanden uns gegenseitig den Verdacht, dass Brommel früher einmal recht viel Alkohol getrunken haben musste, seinem Aussehen und Verhalten nach zu schließen. Wenn er nur jetzt verlässlich war, konnte uns das einerlei sein. Bert kritisierte ihn oft dermaßen grob und lautstark, dass wir anderen erschrocken innehielten, er jagte ihn von einer Arbeit in die nächste. Aber Brommel würde sich selbst zu verteidigen wissen, dachten wir, also schwiegen wir zu Berts rüdem Umgangston. Verwunderlich schien uns allerdings, dass soviel an den Wagen zu tun schien, waren wir doch erst kurze Zeit unterwegs. Wir hatten an Berts Versicherung in Wien geglaubt, die Wagen seien perfekt. Gerry, der Reservefahrer, hielt sich im Hintergrund, aber wir hörten ihn öfter fluchen und sahen ihn mit den Handflächen auf das Wagenblech schlagen. Dass Bert so unzugänglich und schwer durchschaubar war, prägte das Gruppenleben von Anfang an. Aus dem jovialen Kameraden schien ein verschlossener Geschäftsmann geworden zu sein. Er traf Entscheidungen, ohne sich mit uns zu besprechen oder auch nur Dampf abzulassen wegen seiner Sorgen, er arbeitete, lenkte »Uhuru« und blieb unantastbar. Der größte Rückhalt, den wir auf die Reise mitgenommen hatten, Berts Erfahrung, verwandelte sich schnell in bange Enttäuschung und Misstrauen. Manchmal wandte Bert uns beim Sprechen nicht einmal seinen grünen Blick zu. Er besaß die geradezu chemisch bedingte Gabe, Menschen abzuweisen, und wären sie auch noch so sehr von der Absicht getrieben, ihm auf den Pelz zu rücken. Immer häufiger schien es, als interessiere ihn nicht sonderlich, ob wir zufrieden seien. Mit dem Essen, beispielsweise, waren wir es ganz und gar nicht, und das wusste Bert sehr wohl, wenn er auch kein Wort darüber verlor oder anstalten machte, etwas daran zu ändern. Zeigte er sich ernsten Vorwürfen gegenüber oft einfach ignorant, lieh er dann aber plötzlich unerwartet jedem sein Ohr für Kleinigkeiten wie für eine verlorene Zahnbürste oder einen zerrissenen Schnürsenkel, wegen eines Sonnenbrandes auf der Nase oder dem Wunsch, den Namen eines Dorfes, durch das wir vor Stunden gekommen waren, zu erfahren. Definitiver Kritik stellte er sich mit verschleiertem Blick und so vagen Argumenten und Antworten, dass nichts zu erwidern blieb.

»Bert, wir werden verhungern, wenn das so weitergeht.«

»Auf den Märkten weiter unten werden wir genug einkaufen können.«

»Wir fahren zu lange Etappen ohne Pause.«

»In der Wüste wird es interessanter sein, anzuhalten. Wollt ihr hier vielleicht Staub schlucken?«

»Wir haben zu wenig Platz im Wagen.«

»Ihr könnt ja den Tarzan besiedeln.«

»Die Medikamente gehen aus.«

»In Tozeur gibt es eine große Apotheke.«

»Es zieht im Uhuru.«

»In der Hitze werdet ihr noch froh darüber sein.«

»Die Filteranlage streikt.«

»Wenn ihr Mikropur zum Entkeimen nehmt, ist das gut für die Verdauung.«

Karli beklagte, dass an diesem Mann ein Wesenszug sei, der ihn kaum noch ruhig schlafen ließe. Karli selbst entpuppte sich als ein echter Lichtblick. Er wusste stets viel zu erzählen und war so hilfsbereit, wie er es selbst an sich noch nicht gekannt hatte, wie er sagte. Der Mathematikstudent bewies erstaunlich viel Sinn für Romantik. Von Dietmar, beispielsweise, dem bleichen Schwarzhaarigen, der wie ein Wolf verhalten spähend herumgeisterte und zu ähnlich spröder Ironie fähig war, wie Karli, spürte man kaum eine Regung, aber einmal angesprochen, gab er sich aufmerksam und freundlich. Wir beobachteten einander heimlich und scheinbar achtlos, aber ich bin sicher, dass jeder von uns gleichermaßen skeptisch die Gemeinsamkeit nach Stacheln, Ecken und Kanten abtastete, um nicht verletzt zu werden. Allerdings entwickelte sich ein Phänomen, das sich fatal auswirken sollte: Fand sich eine gefährliche Stelle im Gruppenleben, wurde sie nicht etwa entschärft. Nein, sie wurde großräumig umgangen, bis man einander durch das Ausweichen erst recht gefährlich in die Quere kam ...

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