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Der Teufel und die Fliegen

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In den nächsten Tagen schien die Lagerordnung allmählich akzeptiert zu werden. Widerspruchslos und ihrer Funktion offenbar ergeben, sorgte die Küchentruppe – wer immer gerade an der Reihe war – Tee oder Kaffee zum Frühstück, mühte sich abends, riesige Mengen Reis oder Gemüsepampe für siebenundzwanzig hungrige Mäuler zu erzeugen. Woher die Leute immer wieder die großen Mengen Feuerholz nahmen, blieb mir ein Rätsel. Meine Beiträge zur Lagerordnung sollten sich später zumeist auf das Kochen beschränken, ausgerechnet Kochen – aber dazu später. Bert hatte riesige Säcke mit Milchpulver schon in Österreich eingekauft. Kaffee war allerdings von Anfang an knapp. Wer wie ich geglaubt hatte, auf dem Kontinent der riesigen Kaffeeplantagen in seinem Inneren würde es Kaffee in Hülle und Fülle geben, hatte sie gewaltig geirrt. Nescafé aufzutreiben gelang fast immer, aber ansonsten sollte unsere Lust auf richtig starken, echten Kaffee, Filter oder Espresso, für Monate unbefriedigt bleiben. Im doppelten Boden unter unseren Sitzen im »Uhuru« harrten kiloweise Mehl, Zucker und Haferflocken der Verwendung. Bert behielt sich vor, künftig selbst einkaufen zu gehen, keine Einmischung in seinen Versorgungsplan duldend.

Die Rationen Weißbrot zum Frühstück waren stets so bemessen, dass, wenn nur einige von uns zwei der nicht sehr ausgiebigen Brötchen statt einem einzigen nahmen, andere notwendigerweise zu kurz kamen und nichts zum Frühstück hatten außer Tee. Noch erlaubte Bert nicht, die Müslivorräte anzugänzen. Die würden wir in den kargen Dschungelgebieten brauchen, beschied er. Niemandem verlangte es zunächst nach Körnern mit Haferflocken und Milchpulver in aller Früh. In einigermaßen dicht besiedelten Gegenden verschoben wir unser Frühstück manchmal auf die Einkehr bei einem Straßenstand in einem Dorf unterwegs. Dort gab es meist Tee und Weißbrot mit gesalzener Butter und oft sogar Erdnusscreme, manchmal viel zu stark gesüßten Nescafé mit Kondensmilch, zumindest aber Bier.

In Afrika erscheint die Sonne sehr früh am Himmel, und unsere Frühstückszeit lag fortan zwischen halb sechs und acht Uhr früh. Danach gab es nichts Essbares mehr aus Berts Hand, bis bei Einbruch der Dämmerung im Zuge des Lagerlebens gekocht wurde. Einige von uns hatten zunächst nichts gegen diese unfreiwillige Abmagerungskur, aber wir ahnten nicht, welcher Effekt durch das mangelhafte Essen später eintreten würde ... Wir mussten also, wohl oder übel, selbst für unsere Jause sorgen, auch wenn Bert sich verpflichtet hatte, für unsere gesamte kulinarische Versorgung mit dem bezahlten Essensgeld aufzukommen. Es war schließlich Ansichtssache, wieviel ein Mensch pro Tag essen musste. Wenn sich tagsüber ein Aufenthalt zufällig in der Nähe eines Straßenhändlers ergab und wir Orangen, Erdnüsse, Datteln, süße Getränke oder Schmalzgebäck erstehen konnten, waren wir immerhin für zwei, drei Stunden gesättigt. Natürlich schlangen wir alles, was wir gekauft hatten, sofort hinunter. Unsere Fertigkeit, die zumeist köstlich süßen Orangen zu schälen, sodass nur die obere Schalenschicht entfernt, die weiße Haut aber nicht beschädigt wurde und die nackte Frucht in den Fäusten geschickt zu quetschen, wie es die Einheimischen machen, sodass der Saft in den Mund träufelt und sonst nirgendwohin, entwickelte sich vielversprechend. Die Ziegen hatten ihre Freude mit den ausgepressten Orangenleibern. Aber Orangen sättigen nicht, sind sie auch von Nordafrika bis Kenya fast überall zu haben, weil das ganze Jahr über verschiedene Sorten reifen, außer in den Gebieten des tiefen Kongo. Wie hungrig das Reisen macht, auch wenn man nur in einem Wagen sitzt und durchgeschüttelt wird, hatte wohl niemand von uns geahnt.

Meistens besorgte Bert nachmittags das Weißbrot für das Frühstück. Keineswegs bekamen wir immer Gelegenheit, selbst noch etwas zuzukaufen, denn es gibt in den afrikanischen Ländern Straßenhändler, die nichts als Holzladen voll Weißbrot aufstellen. Und einen Spaziergang zum Dorfmarkt zu unternehmen erlaubte Bert nur selten – wir mussten schließlich kilometermachen, denn vor uns lagen Etappen voller vorhersehbarer Verzögerungen. Wir ausgehungerten Reisenden sahen verachtungsvoll über Silvias vernünftige Mahnung hinweg, das Brot doch nicht schon jetzt aufzuessen, dann würde es morgens für jene nichts zum Frühstück geben und danach erst wieder etwas am darauffolgenden Abend. Natürlich ging nicht immer derjenige beim Frühstück leer aus, der abends sein Brot vorzeitig aufgegessen hatte, neuer Konfliktstoff häufte sich im Gruppenleben ... Fand sich morgens dann tatsächlich kein Gebäck mehr, wurde letztendlich doch Müsli angerührt. Bert vermochte sich in diesen Fällen dem Murren nicht zu verschließen, hungerte er schließlich selbst. Später sollten wir, des Breies längst überdrüssig, die Haferflocken-, Getreide- und Milchpulversäcke frühmorgens gar nicht mehr ansehen mögen.

Ich habe seit jener Zeit nie wieder Milchpulver verwendet, und schon gar nicht mag ich Müsli zum Frühstück! Ein spärlicher Rosinenvorrat vermochte den Brei nur kärglich anzureichern, und wir begannen Bananen, welcher Sorte, Größe, Farbe und Art auch immer, zur Bereicherung unseres Speisezettels wie Heiligtümer zu verehren. Aber mit den Bananen verhielt es sich wie mit dem Brot: Die wenigsten Gruppenteilnehmer waren fähig, ihren Anteil sinnvoll zu rationieren. Wer sich an unbekannte exotische Früchte wagte, die auf den Märkten feilgeboten oder unterwegs von Bäumen gepflückt wurden, hatte es besser, wenn auch gefährlicher. Aber woher die Magenverstimmungen und Diarrhöeanfälle kamen, sollte nach den ersten Reisewochen bald niemand mehr zu ergründen trachten.

»In der Not frisst der Teufel Fliegen,« witzelte Karli im Zuge einer unserer ersten Lagerrunden in der Wüste, »... aber wo sollen wir die hier finden?« Weißbrot war beileibe nicht überall aufzutreiben, und zunächst vergaß auch ich, dass ich Müsli vor Antritt dieser Reise eigentlich nicht dem Essbaren zugerechnet hatte noch mir jemals vorstellen hatte können, den Tag mit löffelweise Milchpulver in simplem, warmen Wasser zu beginnen, gefärbt von ein paar Krümel Nescafé oder Teelauge. Noch war es nicht sonderlich tragisch, tageweise wenig einkaufen zu können, das nächste Dorf mit üppigem Lebensmittelangebot auf dem Markt kam bestimmt.

Wir begannen allzu früh, unsere finanziellen Reserven, die zum Kauf von Souvenirs oder Notwendigkeiten wie Zahnpasta, Seife und Waschpulver vorsorglich vom Reisebudget abgezweigt worden waren, anzugreifen, um tagsüber nicht allzu sehr darben zu müssen. Bert betrachtete die Tour offenbar als private Abmagerungskur, und fröhlich registrierte er die kontinuierliche Abnahme seiner Leibesfülle. Niemand von uns teilte seinen Opportunismus. Nach fast zehn Reisetagen sprach jedermann unter vorgehaltener Hand davon, dass die Situation geändert werden müsse. Unmöglich, sich mit gebührender Begeisterung Land und Leuten zu widmen, wenn vom Wüstenlicht geblendete Augenpaare den Horizont ständig gierig nach Anzeichen von Siedlungen absuchten, wo Essbares wie Bananen, Orangen, Erdnüsse und Brot aufzutreiben sein konnten. Es wäre einfach gewesen, in größeren Ortschaften genügend Vorrat einzukaufen, aber Bert verweigerte diese Art des Haushaltens strikt. Landkarten machten sicherlich aus kulinarischen Gründen viel häufiger die Runde von Hand zu Hand, als geographische Charakteristiken dies erforderten, allein zum Zweck, die Entfernung zum nächsten Ort festzustellen und damit die Stunden abzuschätzen, bis es wieder etwas zum Naschen geben würde.

»Einmal am Tag essen und frühstücken ist doch wirklich genug,« suchte Elsie den Unmut fröhlich zu dämpfen. Sie hatte vielleicht recht, aber wer als füllegewohnter Europäer den knurrenden Magen gar nicht mehr zum schweigen bringen kann, verschließt sich beleidigt solcherlei Wahrheiten.

Als wenigstens zweieinhalbtausend Kilometer an uns vorübergezogen waren, freuten wir uns immer noch auf die Reise, als habe sie noch nicht begonnen. Abgesehen vom Mangel an Essen stimmte irgendetwas von Anfang an nicht, bedrückte das Reisefieber, und wir schauten viel öfter müde vor uns hin, als begeistert hinaus, um die Facetten der neuen Landstriche kennenzulernen. Wir wurden durch die Gegend geschaukelt und gestoßen, und das Bild, das wir draußen vorüberziehen sahen, war jeweils ebensowenig klar, wie das, welches unser Inneres erfüllte. Seltene Gespräche mit Mitreisenden bestätigten, dass es nicht bloß einem allein so erging, dass schwärender Missmut das Innere auf eine Weise erfüllte, als sei es dem Platzen nahe. Man empfand den Reisealltag, als käme nichts aus dem übervollen Inneren heraus und als gelangte genausowenig etwas hinein.

Die Pflichten der Gruppeneinteilung erforderten ständige Anwesenheit im Lager. Für Freigeister wie mich schien das ein fataleres Übel zu sein als das Kochen. Mittlerweile existierte eine Liste, die unerbittlich dokumentierte, wer an welchem Tag was zu tun hatte. Nur spätabends oder noch vor Sonnenaufgang war es möglich, die Gruppe zu verlassen, um sich vom Lager zu entfernen und ein wenig allein zu sein mit sich und der Umgebung. Wir brachen so früh auf und hielten so spät zum Lagern an, dass schon allein deshalb kaum Muse zum Erkunden der Umgebung blieb, rechnete man die Zeit für Kocharbeiten und Lageraufbauen von der spärlichen Tagesfreizeit abseits der Fahrtetappen ab. Wir erlebten hauptsächlich die Dämmerzeiten im Freien.

Kaum imstande, die seltsam gedrückte Stimmung in Worte zu fassen, plauderten wir halbherzig über mangelndes Frühstück, Berts Ignoranz für unsere wiederholten Bitten um Fotostops, die Hektik bei Pinkelpausen. Es schien, als befänden wir uns wirklich auf der Jagd nach irgendetwas oder aber auf der Flucht. Dieser Gedanke kam der Wahrheit recht nahe, wie wir viel später erfahren sollten ...

Das ungeliebte Dahinbrausen begründete Bert immer noch damit, dass auf den kilometerlangen Wüstenpisten wohl nichts Lohnendes zu erkunden sei und wir besser daran täten, uns mehr Zeit für wirklich schöne Gegenden aufzusparen. Er hatte in diesem Fall recht. Dennoch begannen wir das Preschen, eingezwängt in »Uhurus« düsterem Inneren, zu verabscheuen. Wer immer vorne im Führerhaus saß, wurde hinten im »Uhuru« angefeindet, denn die Plätze neben Bert oder Brommel, je nachdem, wer gerade lenkte, galten als erstrebenswert. Dort war Leben, der Motor dröhnte zwar überlaut, doch die Anstrengung, möglichst laut zu sprechen hielt ebenso sehr wach, wie die Zugluft, die entstand, da beide Seitenfenster seit Beginn des Wüstenklimas fehlten abgenommen worden waren. Der Blick in die nahende, sich aufbäumende, vorbeiziehende Weite der Wüste vor dem Bug des Trucks beglückte jeden.

Hinten im »Bus« schmerzten bald die Augen, und undeutliches Schwindelgefühl stellte sich ein, fixierte man stundenlang vorbeiflitzende Sehenswürdigkeiten wie Autowracks, Dünengebilden und die Horizontlinie. Beim Aussteigen in der Öde der Sahara empfing uns dann die Hitze wie ein Schlag. Es war, als rannte man gegen eine gummiartige, biegsame Wand an. Die Helligkeit über der gelben Ebene blendete die Augen, wurde sie nicht vom Fahrttempo verzerrt und vom Fahrtwind gekühlt. Haltlos und verwirrt suchte der Blick nach Erhebungen in der Ferne, tastete ins Leere, ließ den Menschen taumeln unter blauem Himmel, der den allzu leichten Körper in die Höhe hinauf zu sich empor saugen wollte. Ich liebe die Wüste und wollte keine Sekunde darin missen, aber nicht alle Mitglieder unserer Reisegruppe waren wie ich und auch Anita sosehr bereit, jede Minute der Reise zu genießen, egal, wie sie ausfiel.

Wir bewegten uns entlang der geographischen Grenzlinie zwischen Großem Erg Oriental, der Sandwüste und Großem Erg Occidental, der Stein- und Geröllwüste. Kein Lüftchen regte sich. Kein Örtchen fand sich in der endlosen Ebene, wo man bei Pinkelpausen ungestört sein Bedürfnis verrichten konnte. Peinlich, irgendwo ungedeckt Hockstellung einzunehmen, und hatte man sich auch so weit wie möglich von den wartenden Wagen entfernt. Wir mussten lernen, die eigene Verlegenheit zu ignorieren. Ich entwickelte anfangs allerdings veritable Verdauungsprobleme, denn es war mir unmöglich, die große Not in der Nähe meiner Kollegen zu verrichten, und gaben sie auch vor, mich nicht zu beachten. Wir ächzten unter der trockenen Hitze, und da dies ein Umstand war, der uns trotz aller Querelen wegen des Platzmangels und der allgemeinen Unzufriedenheit verband, lächelten wir, wenn wir einander unser Befinden beschrieben. Bei manchen von uns stellten sich sofort nach Verlassen der Wagen Kopfschmerzen ein.

»Bleibt im Schatten,« gab Bert sich fürsorglich – und brachte uns zum Lachen. Im Schatten! Das hieße, weiter im Wagen zu bleiben nach all den Stunden anstrengender Fahrt und da alle Glieder sich schon nach der Freiheit im Wüstenglühen verzehrten! Ilses Anblick bei jedem Halt, noch im Ausstieg verharrend, da alle anderen schon auf dem Wüstenboden umherstaksten, bildete bereits ein vertrautes, zuweilen nachsichtig belächeltes, oft aber missmutig beobachtetes Bild.

»Ach, kann mir bitte jemand ... seid doch so lieb ... die Stiege ...« Bert pflegte zu ihr hinüberzuschauen und mit verschränkten Armen stehenzubleiben, wo er gerade war. Auch wir anderen fanden, sie sollte endlich lernen, den läppischen Abstieg allein zu bewältigen. Boshafte Hände ließen, noch bevor Ilse sich aus dem Wagen geschält hatte, die Einstiegstreppe wieder zurückklappen, sodass die Dame hilflos oben am Ausstieg zappelte. Später sollte es uns überhaupt zu mühsam werden, die Stiege jedesmal auszuklappen wenn wir »Uhuru« verlassen wollten, wir würden hinabspringen und hinaufklettern, die Gelegenheit zum Turnen dankbar nutzend. Erich, der ältere, stand Ilse oft bei, eine Zigarette zwischen den Lippen, riss die Metallsprossen vom Unterboden und ließ den Haken einschnappen. Ilses zur Schau gestellte Hilflosigkeit rührte jedoch bald niemanden mehr. Sie hatte sich selbst zu helfen, wie wir alle.

Bei genauem Hinsehen besteht der Wüstensand aus vielen bunten, kaum stecknadelkopfkleinen bis nussgroßen Steinchen. Winzige, weißliche, fast durchsichtige Insekten flitzen zwischen ihnen dahin. Ein Rinnsal fließt nur sekundenlang an der Oberfläche und versickert sofort. Bei dieser Hitze bleibt binnen weniger Minuten nur noch eine kleine Salzspur übrig. Ich begann das Pinkelngehen abenteuerlich zu finden.

Bert stand manchmal im Kreise einiger Gruppenmitglieder, von Brommel aufmerksam belauscht und gab geduldig Antworten auf Fragen nach Dieselverbrauch, Technik des Abschmierens und Reifenprofil. Keine Silbe fiel, die jedwede Probleme betraf. Elsie und Gerda gesellten sich zuweilen unerschrocken zu ihm, gaben eigene Erfahrungen zum besten. Immer wieder erstaunt, wieviel diese beiden jungen Frauen wussten, begann ich ihre Erfahrungen als Globetrotterinnen bald höher zu schätzen als jene, die Bert vorgab.

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