Читать книгу UHURU - Jo Danieli - Страница 6
Am Anfang war die Neugier
ОглавлениеNeugier ließ viele fremde Augenpaare Gegenüber, Entfernte, Nachbarn, Gepäckstücke und Wageninneres taxieren, heimlich noch und scheinbar zufällig, als das Abenteuer seinen Anfang nahm. Wir alle waren bereit, uns zu mögen. So schien es zumindest eine knappe Stunde lang. Da und dort regten sich erste, tastende Unterhaltungsexperimente. Niemand sprach laut. Wie abgeschnitten von der Umwelt und unserem früheren Leben harrten wir in »Uhurus« Inneren des kommenden, zusammengepfercht mit unserem Gepäck wie die sprichwörtlichen Sardinen. Es war, als hielten wir alle die Luft an in der Enge unter der gelb leuchtenden Deckenlampe, die längst nicht alle Ecken »Uhurus« erhellte, atemlos lauschend, obwohl wir miteinander sprachen. Begegneten Blicke einander, schienen sie jeweils im anderen Schauen verlegen heimlich eine Antwort auf die Frage zu suchen, ob denn alles gutgehen würde. Diese Frage laut zu stellen fiel natürlich niemandem ein. Es zu tun, hieße, unbeschwertes Abenteurertum zu beschädigen. Das Motorgeräusch dröhnte sonor in unseren Ohren.
Jemand hatte den Recorder über den Köpfen der ersten Reihe mit einer Kassette gefüttert. Discomusik rann uns nun zäh klebrig über Kopf, Schultern und Bauch.
Es war recht kalt im Wagen. Jeder hatte nur einen schmalen Sitzplatz zur Verfügung. Das Handgepäck staute sich auf jedem freien Fleckchen im Wagen, im Mittelgang, unter den Sitzen. Die Erfahrung von Enge, mit der keiner von uns gerechnet hatte, lastete höhnisch auf unserem Gemüt, auch wenn wir uns bemühten, die Situation als erträglich zu empfinden. Niemand war gewillt, sich einzugestehen, dass er sich schon in der ersten Stunde unwohl und wie ein Gefangener fühlte. Die Ahnung unbestimmter Mühsal war uns nur zum Teil bewusst, denn noch übertrumpfte die selige Aufregung im Umfeld eines Starts ins Heißersehnte jeglichen Unwillen wegen der Enge oder des seltsam modrigen Geruches im Passagierraum.
Die Discomusik plärrte und hämmerte.
Dann zerriss das angeregte, wenn auch verhaltene Geplauder. ,Nun werden auch noch unsere Ohren malträtiert, nicht nur unser Hintern, dabei tun wir doch gerade unser bestes für die gute Laune ...‘ hatte ich gerade sinngemäß sinniert.
Eine laute, erboste Stimme brach durch die nervös gespannte Atmosphäre:
»... halte das nicht aus! Das ist ja grauenhaft! Fahren wir jetzt nach Afrika oder in so eine beschissene Disco? Ich fasse es nicht!« Ein stoppelhaariger, schlaksiger junger Bursche saß mir schräg rechts gegenüber, das käsebleiche Gesicht gegen die Fahrtrichtung uns anderen zugewandt. Sein rechter Mundwinkel und auch das Augenlid zuckten hektisch, als er sich gegen die Musikqualität ereiferte. Dieses Zucken faszinierte mich. Es lenkte von den aparten Gesichtszügen des jungen Mannes einerseits ab, andererseits zwang es den Blick in ebendieses Gesicht. Er blickte böse in die Runde, schüttelte den Kopf wild mit einem Lachen, das vor Verachtung strotzte und langte nach oben zum Recorder. Als er am Regler drehte, wurden missmutige Gegenstimmen laut.
»Wenn du etwas Besseres hast – her damit! Ansonsten – Finger weg!«
Der Bursche hielt inne und ließ sich auf seinen Sitz zurückfallen, hochrot im Gesicht. Ein hübsches Grübchen erschien neuerlich in seiner rechten Wange, auch, als sein Gesicht noch zorniger wurde und seine Stimme sich meckernd weiter ereiferte. Er schimpfte. Was genau er sagte, kann ich heute nicht mehr detailgetreu wiedergeben. Jedenfalls fühlte er sich wohl einerseits so enorm in seiner Ruhe gestört, dass er nicht anders konnte, als seinen Unmut kundzutun, andererseits reichte seine selbstgefällige Courage, die neue Gemeinschaft schon zu Beginn mit allen Konsequenzen zu maßregeln, noch nicht aus, die Musik auch wirklich abzustellen. Trotzdem – seine Dreistigkeit war erstaunlich. Wir alle saßen doch kaum einige Minuten beieinander und bemühten uns, die Erschütterungen des Starts zu überspielen. Kaum einer hatte es noch gewagt, seine Stimme über die Sprechstärke der anderen zu erheben. Und dieser Bursche mimte bereits den Tyrannen.
Er grölte und gestikulierte, erhob sich neuerlich. Mir ging auf, dass er in seinem Abschiedsschmerz wohl ein paar Gläschen zuviel getrunken haben musste.
»... nach dem Motto ... wir fahren nach Afrika und nicht in eine beschissene Disco! Das hab’ ich jedenfalls geglaubt! Wir fahren ja nach Afrika ... Wer will schon in eine beschissene Disco?«
Er wiederholte sich munter weiter. Dazu stand er auf, und es schien, als wollte er die ungeliebte Musik nunmehr zu dirigieren beginnen. Niemand sagte zunächst noch etwas zu ihm. Als wohnten wir einer Theatervorstellung bei, verharrten wir andächtig. Sogar Armin, mein Gegenüber, nahm für ein paar Minuten seine dunkelbraun glosenden Blicke von meinem Gesicht. Befremdete, aber auch amüsierte Augenpaare folgten den Bewegungen unseres erbosten Mitreisenden, als er in der Tasche zu seinen Füßen hektisch zu kramen anfing. Dabei grölte er undefinierbaren Sprechgesang.
»Also, mir scheint ... « Eine Frauenstimme erhob sich, wobei das Wörtchen »scheint« die anderen an schriller Betonung bei weitem übertraf, die Dame musste dicht hinter mir im Wagen sitzen, »... das ist doch... ach, Gott, wenn das so weitergeht....« Die klagenden Worte reizten mich noch mehr zum Lachen als das Stänkern des Erbosten Discofeindes. »Gott« erhielt dieselbe schrille, dramatische Betonung wie »scheint«. Prompt äffte jemand im Fond des Wagens die jammernden Damenstimme nach.
»Hat eben Abschied gefeiert, der Knilch,« lenkte eine Jungmännerstimme ein. Mit einem gehauchten ,Ach Gott‘ ließ die empörte Dame es für den Moment gut sein. Der Erboste stopfte sich soeben mit verachtungsvoller Miene Ohropax in die Gehörgänge und warf sich auf seinen Sitz, die Beine angezogen, die Arme um die Knie verschränkt. Bedeutete sein Auftritt, dass die Gruppenharmonie bereits einen Feind hatte? Gab es mehrere solche jähzornigen Kameraden in unserer Gruppe? Das Grübchen erschien hartnäckig sogar im Schlaf in seiner Wange.
Soeben zogen die letzten Lichter Wiens am Seitenfenster vorbei. ,Na fein,‘ kam mir in den Sinn, ,... die kürzeste Friedenszeit der Weltgeschichte haben wir erlebt...‘ Aber es war doch spaßig gewesen, und der Zwischenfall hatte uns aufgemuntert. Der Bursche schien nun friedlich zu schlummern. Sobald der Alkoholschleier sich gehoben haben würde, könnte er sich durchaus als netter Zeitgenosse entpuppen, nach seinen feinen, ernsthaften Zügen zu schließen.
Wir bogen auf die Südautobahn ab. Als wir bemerkten, dass selbst altersschwache Vehikel gleich Geschossen an uns vorüber zischten, ging uns auf, dass unsere Fahrzeuge wohl allenfalls eine Höchstgeschwindigkeit von 7o Stundenkilometer schaffen konnten.
»Na, fein,« seufzte jemand, »... Schneckentempo ist angesagt.«
Dass auf den meisten Pfaden des Schwarzen Kontinents eine Geschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde geradezu halsbrecherischer Raserei gleicht und kaum irgendwo gehalten werden kann, ahnten wir nicht. Zwanzig Stundenkilometer Fahrttempo sollte uns in ein paar Wochen als atemberaubend erscheinen. Wir wussten an diesem Abend nur, dass wir schnell sein mussten in den nächsten zwei Tagen. Denn wenn die Fähre in Sizilien uns vor der Nase davon schipperte, würden wir eine Woche lang unfreiwillig die Gelegenheit haben, die Brutstätte der Mafiosi kennenzulernen.
Regen trommelte frech gegen die Fensterscheibe, als verlangte auch er noch Einlass in die Sardinenbüchse. Auf dem Sitz zum Rand hin zu rutschen und meine Füße nach hinten unter meinen Sitz zu schieben, sodass meine Oberschenkelmuskel sich strecken konnten, blieb Sehnsucht. Vor mir stoppten Armins Knie mein Ansinnen, und unter meinem Sitz lagerten meine eigene Fototasche sowie Gepäckstücke des Reiseteilnehmers hinter mir. Also stellte ich die Beine gerade, als säße ich in der Kirche. Später faltete ich sie auf dem Sitz, als meditierte ich in einem indischen Ashram. Später versuchte ich, mich schräg zu platzieren und die Beine gegen die Wand des Wagens zu stemmen, um vielleicht den Kopf auf den Knie zur Ruhe betten zu können. Später versuchte ich mich auf dem Sitz zusammenzurollen, indem ich die Beine eng anzog und die Arme um sie schlang, mit dem Ergebnis, dass meine Finger zu krampfen anfingen ...
»Embroynale Pose,« urteilte Armin mit einem Grinsen, als hätte er eine besondere Schwäche für Embryos, »... möchtest zurück in den Mutterleib? Ich kenn das.« Ich brachte meinen Körper in die Ausgangsstellung mit den brav aufgestellten Beinen zurück, verschränkte die Arme, legte den Kopf gegen die Sitzlehne und versuchte, mich durch die Betrachtung der Deckenleuchte, in der Nähe dösender oder plaudernder Mitreisender oder der Wagenwand neben Armins Ohren wachzuhalten, um später so müde zu sein, dass ich – egal, in welcher Position – einschlafen würde. Für diese Nacht war kein Stopp geplant. Wir mussten doch so schnell wie möglich durch Italien fahren, um die Fähre zu erwischen. Allerdings fragte ich mich nunmehr, weshalb Bert den Abfahrtstag nicht vorverlegt hatte, damit es nicht so knapp werden sollte mit der Anreise zur Fähre?
Mein Sitznachbar wechselte an diesem Abend. Leute von ganz hinten kam nach vorne, um mit ihren Kollegen zu plaudern und die Gruppe aus der Pole-Position zu überblicken. Seltsamerweise hatte niemand den Sitz neben mir exklusiv okkupiert. Er gehörte diversen Gepäckstücken, die von ihren Besitzern sicher scharf im Auge behalten wurden, wenn jemand sie beiseite schob, um für einige Zeit platzzunehmen. So sollte es während der gesamten Reise bleiben. Der Sitz neben mir war Allgemeingut und daher ständig umstrittenes Objekt, wenn er auch – als Sitz direkt gegenüber dem Einstieg – zu recht als der unbequemste galt, weil man auf ihm ständig Ein- oder Aussteigenden ausweichen musste, wollte man nicht hundertmal am Tag von Knien angestoßen oder von nach Halt grapschenden, meist grauenhaft dreckigen, Fingern befummelt werden.
Ein eisiger Luftzug streifte meine Ohren. Der Wunsch, meine Sitzposition zu verändern, wurde übermächtig. Allein, mir fehlte die Bewegungsfreiheit. Ich bemerkte, dass die anderen, inzwischen bis auf ein paar Flüsterer großteils verstummt, ebenfalls verhalten ächzend mit den Raumverhältnissen auf ihren Sitzen kämpften.
Die späte Stunde lähmte uns aber gnädig.
»Wenn das da unten deine Fototasche ist –«
,Fototasche – wo? Was? Wie?‘ Hellwach war ich mit einemmal. Das magische Wort »Fototasche« sollte noch monatelang die Reaktionen innerhalb der Gruppe im »Alarmstufe-Rot-Modus« bestimmen beim täglichen Kampf um das Wohlergehen unserer persönlichen Schätze wie Fotoausrüstung und Schlafsack. Es galt, auf engstem Raum Ordnung zu halten, selbst auch noch genügend Platz zu finden und überdies die empfindlichen Kameras zu beschützen.
Wie ahnungslos naiv gingen wir an diesem ersten Abend noch mit unserer Sorge um unsere persönlichen Sachen um! Ein paarmal nachsehen, ob alles richtig lag oder stand und ob der Nachbar genügend Platz hatte, weiterdösen, aufschauen, wenn jemand sich in der Nähe heftig regte, weiterdösen ...
»… – werd’ ich meine Füße daneben ausstrecken, gut?«
Ich reckte meine Hals, um den jungen Mann hinter mir anzusehen, der mich doch allen Ernstes über seine Absichten informierte, ehe er seine Füße mit meiner Fototasche Körperkontakt aufnehmen ließ. Karli. Ihn hatte ich schon beim ersten Treffen als recht gesprächigen, freundlichen Burschen kennengelernt. Mathematiker, im Studieren begriffen. Von Beruf Fahrradbote, vorüberfahrend, sozusagen. Blass, blond, kurzes Haar, schmaler, sensibler Mund, ausgeprägte Nase, feinnervige Hände. Der Typ, dem es zuzutrauen war, dass er meine Fototasche wirklich schonen würde, selbst da sie unter meinem Sitz vor seinen Füßen am Boden stand.
»Ich weiß nicht, wo ich sie sonst hinstellen soll, ...« entschuldige ich mich für seine Mühe. Er neigte sich zum Spalt zwischen meinem Sitz und dem Sitz neben mir, auf dem gerade ein junger Mann saß, der Buffalo Bill verblüffend ähnelte und grinste. Neben ihm lächelte mir eine schwarzhaarige Dame mit weißer Haarsträhne auf dem Scheitel schläfrig zu, da ich meine Augäpfel verdrehte um die Lage hinter meinem Rücken endlich zu erkunden. Der Safarianzug, den die Dame trug, ließ auf ein schrulliges Wesen schließen.
Er würde schon aufpassen, ich sollte ruhig schlafen, salbte Karli meine Nervosität sanft, und ein Blick in sein freundliches Gesicht ließ wahre Aufrichtigkeit meine Antwort nähren:
»Dir traue ich das zu.«
Es sei ihm eine Ehre. Und er freue sich über mein Vertrauen. Erste Konversation kurz vor dem Einschlafen. Dass er mir letzteres wünschte, konnte den Vorgang des Müdewerdens vielleicht magisch beeinflussen. Ich war bereit, es zu hoffen. Mein Gesäß brannte nämlich lichterloh. Gewicht verlagern. Seitlich rutschen. Zurückrutschen, weil die Sitzlehne sich in die Rippen bohrte. Die Beine anziehen. Beine ausstrecken. Den Kopf gegen die Schulter neigen wollen und feststellen, dass bei aufrechter Haltung der Hals zu lang ist, um das zuzulassen. Den Kopf gegen den Sitz lehnen und mitbekommen, wie der eigene Mund beim Dösen aufklappt und Spucke sich in den Mundwinkeln sammelt. Verlegen das Genick steif machen und wieder vollends wach, wenn auch von Schwindelgefühl geplagt werden ... Das Knarren der Sitze bewies, dass auch einige der anderswo Anwesenden soeben derart unerfüllbaren Bedürfnissen wie bequemes Ruhen oder Entspannung wehrten.
Jemand schaltete das Licht aus.
Wir waren sicher schon stundenlang unterwegs, und ich stellte mir vor, wie wir an der italienischen Grenze Aufsehen erregen würden ...
Plötzlich Gelächter. Ich erschrak ... also war ich wohl tatsächlich ins Dösen abgeglitten. Diese Tatsache gab Anlass zur Hoffnung auf Schlaf.
»Wisst ihr, wie weit wir jetzt gefahren sind?« fragte jemand. Zweihundert Kilometer, schätzte ich.
»Knapp sechzig Kilometer. Gerade habe ich eine Tafel gesehen ...«
Die Discomusik war verstummt. Jedes Flüstern war verstummt. Sogar das Quietschen der Sitze blieb minutenlang aus. Dann erhob sich Raunen wie bei einem zweifelhaften Manöver des Starkickers während eines Fußballspiels. Sechzig Kilometer. Wir würden Tage bis Sizilien brauchen! Der Erboste von vorhin schüttelte den Kopf. Trotz Ohropax hatte er wohl die peinvolle Information mitbekommen. Das Gemurmel erholte sich, schwoll an.
Mein Gegenüber starrte mir Löcher in die Müdigkeit. Ich konnte diese blitzenden Augäpfel im Scheinwerferlicht der entgegenkommenden Autos leider genau erkennen. Sicher schaute ich furchtbar aus, bleich, mit vor Müdigkeit winzigen Augen, zerzaust ... das geschah ihm recht, dem Gaffer. In diesen ersten Stunden verfluchte ich mein Schicksal, das mich nicht mit Hexenkräften bedacht hatte. Armin hätte die ersten vierzehn Tage der Reise verschlafen. Oder besser, gleich die ersten Monate.
Die Müdigkeit ließ mich gerade noch die erste Pinkelpause auf der Autobahn überstehen, zu deren Abhaltung erstmals unser Interkomman-Sprachrohr beitrug. Die Sprechverbindung zum Fahrer sah aus wie ein Elefantenrüssel: ein gerippter Schlauch, der aus der Trennwand zur Fahrerkabine ragte.
»Bert!« rief Armin, mein Gegenüber, so laut in den Rüssel, dass ein paar Dösende erschrocken Laut gaben. Keine Reaktion aus der Fahrerkabine. Nur Motorenlärm. Das Sprachrohr wurde an Armins Oberlippe und Kinn gepresst. ,Pfui Teufel,‘ dachte ich, ,... wer weiß, woher dieses Rohr stammt.‘
»Bert!« schrie Armin.
Nichts. Aber ich war sicher, Gekicher aus der Fahrerkabine zu vernehmen. Hörten die beiden da vorne, Bert und der Reservefahrer Gerry, Radio?
»Bert!« schrien wir.
»Ja?« ertönte fast unhörbar Bert’s Stimme aus dem Führerhaus.
»Pinkelpause!« brüllte Armin in das Rohr, sodass es Berts Trommelfell nahezu zerreißen musste am anderen Ende der provisorischen Telefonleitung. Alfi, der Erboste, schüttelte den Kopf und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Die Heizung funktioniert auch nicht, sag’ ihm das,« murrte er.
»Sag’s ihm selber!« Armin bot Alfi den frechen, brennenden Blick, mit dem er mich seit Stunden beglückte und das Rohr. Alfi winkte ab.
»Keinen Bock.«
»Jetzt schon?« forschte Bert’s Grabesstimme aus dem Führerhaus.
»Das Bier. Es kommt zurück! Gleich! Auf den Sitz!«
Immerhin hielt der Wagen ziemlich bald nach der fünften Aufforderung zum Halten. Später sollte Bert uns nicht mehr dermaßen verwöhnen.
In der eisigen Nachtluft einer Autobahnstation zwischen gähnenden Gestalten und prasselnden Geräuschen umherirrend, geblendet vom Scheinwerferlicht vorüberfahrender Autos, entdeckte ich so schnell keinen Platz, der Blase und Schamgefühl gleichermaßer als passend zur Entspannung erschien. Die Absicht, zu pinkeln zu verwirklichen, war schwieriger, als ich immer geglaubt hatte.
Ein wuschelhaariger, bebrillter Mann, einem zornigen Waldkauz gleichend, eingehüllt in Zigarettenrauch, widmete meinen Nöten schielend seine Aufmerksamkeit. Ein verwirrender Kobold ...
»Suchst du den gestrigen Tag?«
Ich ließ ihn stehen.
»Brommel, der Fahrer vom Tarzan« erklärte Anita, eine fröhliche Burgenländerin, vielsagend meinem müden Ohr. Der Mann grummelte tatsächlich vor sich hin, während nun Bert mit ihm sprach. Brommel hielt den Kopf gesenkt, als müsste er eine Standpauke über sich ergehen lassen.
Anita und ich stapften ins nachtfeuchte Gebüsch.
Später standen wir etwas besser gelaunt in Uhurus Schlagschatten auf der von der Autobahn abgewandten Seite und beobachteten die anderen beim Rauchen oder Sichstrecken. Kaum ein Gesicht, zu dem ich auch den Namen wusste. Anita fasste mich am fröstelnden Arm und deutete auf den vormals so erbosten Discofeind, der soeben seine hagere Gestalt über das Metallgestänge der kleinen Stiege ins Innere des »Uhuru« schwang.
»Könnten wir den nicht gleich hier lassen?«
Schließlich kamen wir überein, dass wir ihn doch erst ein wenig unter die Lupe nehmen und uns eventuell im Dschungel seiner entledigen würden.
Danach dösten wir unseren ersten, unruhigen, unbequemen Schlaf im »Uhuru«, gegen Sitze gestemmt, zusammengerollt und selbst im Schlaf noch jeder Bewegung des Fahrzeuges gewahr, um uns im Falle einer Notbremsung oder ähnlichem rechtzeitig festhalten oder in eine stabile Sitzposition zurückkehren zu können – eine notwendige Geschicklichkeit, die uns in Fleisch und Blut übergehen sollte. Heute noch verhalte ich mich beim Bahnfahren zuweilen so, sagt man, als könnte der Zug jederzeit durch ein Schlagloch holpern und als müsste ich mich rechtzeitig abstützen, um nicht meine Hirnschale, meine Armknochen oder meine Rippen irreparabel geschädigt zu sehen ...
Erfahrungsaustausch am nächsten Morgen ergab, dass keiner von uns bislang seine Hinterbacken als so empfindliche Körperteile kennengelernt und seine Rückenmuskulatur für derart unzureichend gehalten hatte, wenn es darum ging, den Körper eines Bipeden auf einem schmalen Sitz aufrecht zu erhalten und dennoch Schlaf zu finden. Beine schrien nach zwei Stunden und dann in immer kürzeren Abständen danach, ausgestreckt zu werden – doch, wohin? Jeder hatte ein Gegenüber oder doch die Lehne des Vordersitzes und darunter das Gepäck des Vordermannes vor sich. Hüftgelenke und Wirbelsäule schienen aus ihren Verankerungen geraten zu sein, wollte man sich endlich bewegen, nach Ewigkeiten des Stillhaltens aus Rücksicht auf den Nebenmann. Gelenke begannen zu knirschen, zu schmerzen, als seien sie mit zersetzendem Gift gefüllt. Dann starben sie einfach ab, oder wir wurden bewusstlos – wer weiß das schon heute noch?
Eiskalte Nachtluft drang durch die Fensterritzen, und alle gesammelte Körperwärme reichte nicht aus, das Temperaturbedürfnis Schlaftrunkener zu befriedigen. Wir froren.
Damit hatten wir nicht gerechnet. Vielleicht war es die Ungeheuerlichkeit dieser Erfahrung oder die Hoffnung, der Zustand werde sich im nächsten Moment von selber zum guten kehren – wir beschwerten uns nicht. Kleidungsstücke über uns türmend, die uns beim kleinsten Manöver zur Änderung der Position in Erstickungsgefahr im Ruhen brachten, suchten wir den Schlaf wie Babies die Mutterbrust.
Die grauenvolle Nacht auf der Autobahn hatte erst ein Ende, als wir uns im winterweißen Morgenlicht mit steifen Beinen und bläulich verfärbten Lippen unsicher wie neugeborene Kälber nahe der Kärntner Grenze zu Italien in Arnoldstein an einer Raststätte aus dem Wageninneren befreiten.