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Romantik, wie erwartet

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Gerald spielte an diesem Abend erstmals seine Rolle als Barde am Lagerfeuer, sang populäre Lieder und begleitete sich selbst mit seiner Gitarre, von den um trockenes Treibgut und Strandholz züngelnden Flammen malerisch beleuchtet. Ich hatte derlei klischeehafte Globetrotter-Romantik am Meeresstrand noch niemals selbst erlebt, also verfolgte ich ein wenig verlegen das Geschehen.

»Oh ja, singen wir!« Sabine, die dem Alkohol in Form von Bier aus Sousse und Schnaps aus dem Duty-free-Laden bereits ebenso eifrig zugesprochen hatte, wie Erich, der jüngere, Armin, Peter und Tommy. Sie klatschte begeistert in die Hände, verließ ihren Platz an Alfis Seite und gesellte sich, tanzend, zum Barden in die Runde derer, die dem Feuer am nächsten saßen. Die kühle Nachtbrise ließ uns frösteln, und wir hörten Zeltplanen knistern. Ich hatte nachmittags mit Karlis Hilfe das erste Zelt meines Lebens aufgebaut und hoffte, es würde halten. Wegen der Ansteckungsgefahr für die anderen mit meiner Grippe würde ich das Zelt in dieser Nacht für mich allein haben, und auf dieses Erlebnis köstlicher Einsamkeit nach all dem Trubel der letzten Tage freute ich mich. Anita hatte mir angeboten, später ihr privates, großes Zelt mit ihr zu teilen, das sie, ahnungsvoll, mit auf die Reise gebracht hatte. Anita und ich erwärmten unser sorgensprödes, in kühler, nordafrikanischer Nacht fröstelndes Inneres durch Nippen am Flachmann, den sie am Hafen von Tunis für medizinische Zwecke erstanden hatte.

»Zehn Brider sinnen wir gewesen, hoben gehondelt mit – « Jiddische Volksweisen erklangen aus Sabines Stimmbändern, in Höhen und Tiefen vom Alkohol bereits deutlich in unziemliche Längen gezogen und abweichend von der Norm herkömmlicher Dur- und Moll-Tonarten.

»Aufhören«, tönte es von irgendwoher. Gerald stimmte ein Wienerlied, den »Hofer« an, und Armin ließ seinen Kollegen hochleben und sang selber »... aaner hat immer es Bummerl ...«. Sabine übertrumpfte seinen Wiener Slang mit weiteren Glanzstücken jiddischer Volkskunst. Ihr Gesicht strahlte vor Eifer im Widerschein des Feuers. Sie sang mit vor und zurück schwingendem Oberkörper, zurückgeworfenem Kopf und geschlossenen Augen.

Erich, der jüngere, übte eine spezielle Kommunikationspraktik mit Ilse, die darin bestand, dass sie auf ihn einsprach und er nickte und grinsend schwieg, gemütlich seine Pfeife schmauchend. Derweil ließ er Marga, die das Teekochen am Feuer überwachte, nicht aus den Augen. Silvia und Marga steckten die Köpfe zusammen, zuweilen Blicke in die Runde werfend, wie um sicherzustellen, dass niemand lauschte. Alfi und Luis diskutierten angeregt, und was die anderen trieben, entging mir, weil ich mit Anita scherzte und ansonsten versuchte, zu erlauschen, was Alfi, Luis und Sabine plauderten.

Irgendwann tauchte ein Mann mit seinem kleinen Sohn, französische Touristen, an unserem Lagerfeuer auf und wollte wissen, wohin wir unterwegs seien. Als wir es ihm erklärten und er bewundernd »Tarzan« und »Uhuru« musterte, die wie riesige Schatten schützend unser Zeltlager flankierten, fühlten wohl nicht wenige von uns wahrlich Stolz darauf, dass wir ein solches Abenteuer wagten. Ich bekam feuchte Augen, als mir bewusst wurde, wo ich war und weshalb. Mein altes Leben verblasste spürbar, und diese Empfindung beglücke mich zart bittersüß. Wir waren tatsächlich in Afrika gelandet! Das nächtliche Meer schien uns durch sein Flüstern ermutigen zu wollen, es roch fremd und würzig und frisch. Halsschmerzen in Afrika waren etwas anderes als Halsschmerzen zu Hause, irgendwie erlebenswerter, und ich lauschte in mich hinein und konnte es kaum fassen, dass ich dieselbe war, die vor Tagen noch die Preise von Knäckebrot im Supermarkt verglichen hatte.

Die Vorstellung der Weite südlich, die uns erwartete, berauschte mich ein wenig. Wir saßen am Rand eines fremden Kontinents, der uns freundlich einlud, ihn zu ergründen – was würden wir erleben! Die Vorfreude auf die Weiterreise schwoll an diesem Abend ebenso an in mir wie die Vorfreude auf das Heimkehren und Erzählen.

Leeres Essensgeschirr mit Salatresten und Besteckteile lagen im Sand herum, wurden von unachtsamen Fußtritten zu fortgeschrittener Stunde unabsichtlich vergraben. Morgens sollte deswegen ein bisschen Streit ausbrechen, da Kameraden andere verdächtigen würden, ihr Essensgeschirr versteckt zu haben. Aber da die Namen bereits eingeritzt worden waren in den leichte Blech, würden die Vorwürfe sich doch entkräften lassen, vor allem, da wir gemeinsam im Sand nach den Näpfen, Löffeln und Gabeln wühlen würden ...

Irgendwann kehrte Ruhe ein in unser erstes afrikanisches Lager. Sabine und Alfi verschwanden Hand in Hand am nächtlichen Strand, das bemerkte ich noch, als ich den Reißverschluss meines grünen Zeltes schloss. Mich im engen Zelt auszuziehen, schien mir zu mühsam gedenk meiner alkoholduseligen Verkühlung. Ich schlüpfte in voller Montur in meinen Schlafsack, die Sandalen hatte ich immerhin draußen stehen lassen. Mitten in der Nacht erwachte ich schweißgebadet und in meine Kleider verstrickt. Ungeduldig befreite ich mich von den feuchten Fesseln und schleuderte sie zornig in eine Ecke des Zeltes, sodass das ganze Gebilde verdächtig schwankte. Es brach nicht zusammen. Ich zitterte im Fühlen, dem Ersticken gerade noch entronnen zu sein, und unter Herzklopfen und ebenso intensiv pochendem Halsschmerz schlief ich wieder ein.

Das Abenteuer hatte seinen Anfang genommen.

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